Zuwanderung von Hochqualifizierten: Deutschland kann von den USA lernen!

von Frederic Markus

Deutschland ist ein bedeutendes Zuwanderungsland in Europa. Die Steuerung und Gestaltung der Zuwanderung ist daher eine wichtige gesellschaftliche Herausforderung. In der Vergangenheit wurde die ökonomisch bedingte Zuwanderung zunächst nur auf gering- und mittelqualifizierte Arbeitskräfte ausgerichtet und seit dem Anwerbestopp von 1973 hauptsächlich unter dem Paradigma der Begrenzung gesteuert. Heute fehlt daher in Deutschland eine mittel- und langfristige Zuwanderungspolitik gerade in Bezug auf Hochqualifizierte (1) (vgl. Markus 2011).

Warum ist eine Neuausrichtung der deutschen Zuwanderungspolitik notwendig?

Verschiedene ökonomische und gesellschaftliche Herausforderungen machen eine Neugestaltung der Zuwanderungspolitik notwendig. Erstens führt der demografische Wandel zur Verknappung des gesamtwirtschaftlichen Angebots an Hochqualifizierten, weshalb bereits seit Jahren ein Fachkräftemangel in bestimmten Arbeitsmarktsegmenten besteht (vgl. Prognos 2011). Zweitens erfordert der Strukturwandel der Arbeitswelt hin zu einer „forschungs- und wissensintensiven Gesellschaft“ (Acemuoglu 2002: 24) ein höheres Angebot an hochqualifizierten Fachkräften am Arbeitsmarkt. Diese vermehrte Nachfrage an Hochqualifizierten wird in den kommenden Jahren auch noch steigen (vgl. Koppel/Plünnecke 2009). Drittens zeigen die Erfahrungen mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Integrationseffekten der vergangenen Zuwanderung nach Deutschland, dass das Humankapital (2)  entscheidende Bedeutung für die gelungene Integration von ZuwanderInnen hat (vgl. Havemann/Wolfe 1995; Kane 2004).

Daraus folgt, dass Zuwanderung nach Deutschland auch weiterhin erfolgen sollte. Diese muss, in Anbetracht der Herausforderungen, qualifikationsorientiert gesteuert werden, um dem Ziel der Maximierung des ökonomischen Nutzens zu folgen. Diese Nutzenmaximierung ist über eine Steuerung der Zuwanderung unter ökonomischen Gesichtspunkten möglich. Dies kann am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) aufgezeigt werden. Denn der Blick über den Atlantik ins „klassische Zuwanderungsland“ macht eine jahrzehntelange Begünstigung der Zuwanderung von Hochqualifizierten deutlich. In den USA hilft diese Zuwanderungspolitik als Teil der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik die ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen seit Jahrzehnten zu bewältigen.

Wie wird die Zuwanderung von Hochqualifizierten in Deutschland und den USA bislang gesteuert?

Mithilfe des Analyseansatzes von Dita Vogel (1994: 227-248) kann aufgezeigt werden, dass in Deutschland vergangene und gegenwärtige Regelungen vergleichbare zuwanderungspolitische Steuerungsinstrumente aufweisen, wie sie in den USA seit Jahrzehnten vorliegen. Beispielsweise wurden die temporären Zuwanderungsprogramme in den USA (H-1B-Programm, L-1-Programm) und Deutschland (Green Card-Programm, unternehmensinterner Fachkräftetransfer) bisher im Hinblick der jeweiligen Nachfrage an Hochqualifizierte gesteuert, um als Instrument zum Ausgleich eines Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt zu fungieren. Die Programme weisen insoweit Gemeinsamkeiten auf, dass sie das jeweilige Antragsverfahren auf die ArbeitnehmerInnen zuschneiden und als Hauptvoraussetzung ein konkretes Arbeitsplatzangebot, einen Hochschulabschluss oder eine vergleichbar qualifizierte Tätigkeit von den VisabewerberInnen fordern (vgl. Martin 2002: 278, Hillmann 2000, Hermann/Hunger 2003: 91). Damit wurden die Programme in den USA und Deutschland nach einer ähnlichen Logik organisiert. Darüber hinaus kann beim sogenannten unternehmensinternen Fachkräftetransfer eine ähnlich deregulierte Ausgestaltung in den Vergleichsländern konstatiert werden (vgl. Kolb 2004: 98). Zugleich gibt es eklatante Unterschiede – insbesondere bei der Ausgestaltung der Regelungen zur permanenten Zuwanderung von Hochqualifizierten – in den Auflagen sowie der Möglichkeit zur Statusangleichung der ZuwanderInnen. Im Rahmen dieser rechtlichen Ausgestaltungen zeigt sich deutlich, dass Deutschland sich nicht als Zuwanderungsland begreift.

Vor diesem Hintergrund muss die Zuwanderung in Deutschland, abweichend vom gegenwärtigen Paradigma, auch bewusst als Teil der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik entworfen werden. Trotz der Green Card-Initiative und dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ist eine qualifikationsorientierte, gesteuerte Zuwanderungspolitik zugunsten der Zuwanderung von Hochqualifizierten nicht vorangekommen. Die Reformen vom November 2011 – die Einführung der „EU Blauen Karte“ und weitere Erleichterungen zur Fachkräftemigration – können bestenfalls als Zwischenschritt auf dem Weg zu einer zielgerichteten Zuwanderungspolitik in Bezug auf Hochqualifizierte gelten.

Eckpunkte für eine Neuausrichtung der Zuwanderung Hochqualifizierter

Zunächst sollte die Zuwanderungspolitik in Bezug auf Hochqualifizierte zwischen permanenten und temporären Programmen unterscheiden. Dazu muss die Regelung der temporären Zuwanderung (beispielsweise das Green Card-Programm) auf Dauer implementiert werden, um langfristig als Teil der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik fungieren zu können. Zugleich sollte ein Teil der Hochqualifizierten über die permanente Zuwanderung – wie nach den gegenwärtigen Regelungen – von vornherein eine Niederlassungserlaubnis erhalten können. Weiter sollte temporären ZuwanderInnen über jährlich festgesetzte Obergrenzen die Möglichkeit eingeräumt werden, auch eine Niederlassungserlaubnis über die Statusangleichung zu beantragen und darüber dauerhaft in Deutschland leben zu können.

Nach Dita Vogel (1994: 227- 248) hat der Staat verschiedene Instrumente, um die Zuwanderung zu steuern. Auf Basis dieses Analyseansatzes können für die folgenden Steuerungsinstrumente Neuregelungen skizziert werden:

  • Das Präferenzkategoriensystem sollte, wie vergangene Regelungen bereits vorsahen, einen Hochschulabschluss oder einen damit vergleichbaren Abschluss oder qualifizierten Arbeitsplatz verlangen. Zudem könnten verschiedene Kategorien geschaffen werden, die jeweils einem bestimmten Segment auf dem Arbeitsmarkt entsprechen, um damit den Personenkreis der potentiellen ZuwanderInnen deutlich auszuweiten. Beispielsweise könnten sich diese Kategorien an der Nachfrage am Arbeitsmarkt orientieren, um so ökonomisch negative Entwicklungen zu verhindern, wie sie im Bereich der MINT-Qualifikationen bereits bekannt sind (vgl. Markus 2011: 43-50).
  • Besonders im Bereich der temporären Zuwanderung sollten jährliche Obergrenzen für die Visa vergeben werden (Mengenkontingentierung), um diese Zuwanderung an der Nachfrage des Arbeitsmarktes pragmatisch auszurichten. Auch für den Bereich der permanenten Zuwanderung sollte es eine jährliche Obergrenze an Niederlassungserlaubnissen geben. Die Obergrenzen in beiden Zuwanderungsarten müssten sich dabei an der von den meisten Prognosen angesetzten Referenzzahl von 200.000 Personen pro Jahr orientieren (vgl. Prognos 2011; IW-Köln 2007). Diese Obergrenze könnte dann unterscheiden in temporäre ZuwanderInnen, die über die Möglichkeit der Statusangleichung eine Niederlassungserlaubnis bekommen, und in ZuwanderInnen, die diese von vornherein erhalten. Damit wäre vor allem auch der Attraktivität des temporären Zuwanderungsprogramms Rechnung getragen sowie der Notwendigkeit, auch besonders begehrte Zuwanderergruppen mit gefragten Fähigkeiten und Wissen sofort permanent nach Deutschland zuwandern zu lassen.
  • Die Zeitkontingentierung betrifft ausschließlich die temporäre Zuwanderung und könnte sich an den fünf Jahren des in Deutschland zeitweise eingeführten Green Card-Programms orientieren. Oder sie ermöglicht, wie in den USA, eine dreijährige Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, die wiederum um drei Jahre verlängert werden kann.
  • Das Instrument der Auflagensteuerung sollte zudem für Bedingungen und Voraussetzungen sorgen, damit die Zuwanderung keine Lohn-Dumping-Effekte verursacht. Dabei sollten aber auf jegliche äquivalent gedachten Qualifikationsnachweise wie Gehaltsuntergrenzen für die erforderliche Hochqualifikation verzichtet werden. Außerdem sollte den Visa-InhaberInnen die Möglichkeit eingeräumt werden, den qualifizierten Arbeitsplatz innerhalb Deutschlands auch in einem anderen Unternehmen aufzunehmen. Damit wären die Visa nicht an bestimmte ArbeitgeberInnen gebunden. Diese Regelung läge nicht nur im Interesse der Visa-InhaberInnen, sondern auch im Sinne eines auf Flexibilität aufgebauten Arbeitsmarktes.
  • Über die Einführung des Instrumentes der Statusangleichung könnte die temporäre Zuwanderung als „Eingangstor“ für Hochqualifizierte konzipiert werden. Somit könnte deren Zuwanderung dahingehend gesteuert werden, dass sie hauptsächlich über ein temporäres Visum nach Deutschland kommen und nach fünf Jahren die Möglichkeit erhalten, dauerhaft bleiben zu können. Dadurch würde klargestellt, dass sich Deutschland als Zuwanderungsland begreift und dauerhaft auf hochqualifizierte Menschen aus dem Ausland angewiesen ist.
  • Neben dieser detaillierten Ausrichtung der Steuerungsinstrumente sollten die gegenwärtigen Regelungen bezüglich des unternehmensinternen Fachkräftetransfers in der bisherigen Form beibehalten werden, wobei auch hier die Möglichkeit der Statusangleichung eingeführt werden sollte.

Die hier genannten Vorschläge für eine qualifikationsorientiert gesteuerte Zuwanderungspolitik orientieren sich an der spezifischen Entwicklung der Zuwanderungspolitik Deutschlands. Sie haben das Ziel, an bestehenden gesetzlichen Regelungen anzuknüpfen und dabei die Ausgestaltung der USA als Vorbild zu nehmen. Damit wird gerade nicht der Weg beschritten, einer Zuwanderung über ein Punktesystem das Wort zu reden, da dies erst recht einen völligen Bruch mit der historischen Entwicklung der Zuwanderungspolitik in Deutschland bedeuten würde.

Zuwanderung ist kein Allheilmittel für die Herausforderungen Deutschlands, sie kann zwar den Rückgang an Hochqualifizierten aufgrund des demografischen Wandels kompensieren, aufhalten kann sie diesen jedoch nicht. Ebenso kann Zuwanderung helfen, Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zu beheben, die Ursachen für das Entstehen derselben ändert auch sie nicht. Gleichwohl bleibt es eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Zuwanderungspolitik in Deutschland, dass Defizite der bestehenden Steuerungsinstrumente analysiert und entsprechende Forderungen für Neuregelungen formuliert werden.

 

Endnoten

(1)  Der Begriff „Hochqualifizierte“ wird hier entsprechend dem Konzept des Human Resources devoted Science and Technology verwendet (vgl. OECD 1995). Danach werden Personen als hochqualifiziert definiert, die entweder eine entsprechende tertiäre Ausbildung durchlaufen haben oder in einem Beruf im Bereich der Wissenschaft und Technik sowie als leitende Angestellte tätig sind (vgl. Auriol/Sexton 2002: 17).

(2) Unter dem Begriff „Humankapital“ wird hier das gesamte in einer Gesellschaft vorhandene produktive Wissen und Können verstanden (vgl. Franz 2003: 74), „(...) das sich aus den in formalen Bildungsprozessen sowie durch Erfahrung erworbene(n) kognitiven und manuellen Fähigkeiten zusammensetzt“ (Sauer 2004: 10).


Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Studie „Zuwanderung von Hochqualifizierten nach Deutschland und die USA“, die der Autor 2011 in Frankfurt a. M. im Peter Lang Verlag publiziert hat (ISBN 978-3-631-60961-3).

Literatur

  • Acemuoglu, Doran (2002): Technical Change, Inequality, and the Labor Market, in: Journal of Economic Literature, Nr. 40/1, S. 8-22.
  • Auriol, Laudeline/Sexton, Jerry (2002): Human Resources in Science and Technology: Mesurement Issues and International Mobility, in: OECD (Hrsg.): International Mobility of the Highly Skilled, Paris, S. 12-27.
  • Haveman, Robert/Wolfe, Barbara (1995): The Determinants of Children´s Attainments: A Review of Methods and Findings, in: Journal of Economic Literature, Nr. 33, S. 1929-1978.
  • Hermann, Vivian/Hunger, Uwe (2003): Die Einwanderungspolitik für Hochqualifizierte in den USA und ihre Bedeutung für die deutsche Einwanderungsdiskussion, in: IMIS-Beiträge, Nr. 22, S. 81-98.
  • Hillmann, Felicitas (2000): Green Cards für die Hugenotten von morgen?, in: Frankfurter Rundschau, 26. April 2000, S. 12.
  • Institut der deutschen Wirtschaft Köln (2007): Wertschöpfungsverluste durch nicht besetzbare Stellen Hochqualifizierter in der Bundesrepublik Deutschland (Studie im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), Köln.
  • Kane, T.J. (2004): College-going and inequality, in: Neckerman, K. M., (Hrsg.): Social Inequality, New York.
    Kolb, Holger (2004): Einwanderung zwischen wohlverstandenem Eigeninteresse und symbolischer Politik. Das Beispiel der deutschen `Green Card´ (Studien zu Migration und Minderheiten), Münster.
  • Koppel, Oliver/Plünnecke, Axel (2009): Fachkräftemangel in Deutschland. Bildungsökonomische Analysen, politische Handlungsempfehlungen, Wachstums- und Fiskaleffekte. „Basierend auf einem Gutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologien“ (IW-Forschungsbericht, Nr. 46), Köln.
  • Markus, Frederic (2011): Zuwanderung von Hochqualifizierten nach Deutschland und die USA, Frankfurt am Main.
  • Martin, Philip (2002): Policies for admitting highly skilled workers into the United States, in: OECD (Hrsg.): International Mobility of Highly Skilled, Paris.
  • OECD (1995): The Mesure of Scientific and Technological Activities: Manual on the Measurement of Human Resources devoted to S&T “Canberra Manual“, Paris.
  • Prognos (2011): Arbeitslandschaft 2030, Eine Studie der Prognos AG im Auftrag der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., München.
  • Sauer, Lenore (2004): Migration hoch qualifizierter Arbeitskräfte. Theoretische Analyse der Auswirkungen sowie internationale Politikoptionen, Regensburg.
  • Vogel, Dita (1994): Sozialpolitische Integration als zuwanderungspolitisches Steuerungsinstrument, in: Jürgen Wahl (Hrsg.): Sozialpolitik in der ökonomischen Diskussion, Marburg, S. 227-248.

 

Bild entfernt.

Frederic Markus ist Projektleiter im Zeitbild Verlag in Berlin. Er studierte am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und arbeitete zu den Themen Bildungs- und Zuwanderungspolitik im Deutschen Bundestag und an der Freien Universität Berlin.