on Julia Gerlach
Junge Muslime in Deutschland entdecken die Religion für sich. Ganz selbstverständlich sehen sie im Islam eine Einheit von Religion und Politik. Die Scharia ist ihr Lifestyle. Das macht sie jedoch nicht unbedingt zu Anhängern von Usama Bin Laden und Co. Im Gegenteil.
Julia Gerlach plädiert für einen differenzierteren Blick und ein bisschen mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Islam in Deutschland.
In diesen Tagen jährt sich für viele junge Muslime ein Ereignis, das ihr Leben veränderte. Ein freudiges Ereignis. Die Erinnerung lässt das Herz hüpfen. Nein, dies ist kein zu spät gedruckter Kommentar zum Jahrestag der Anschläge des 11. September. Tatsächlich sind die Monate den Attentaten auf New York und Washington gemeint. In dieser Zeit entdeckten viele die Religion für sich und sie änderten ihr Leben. „Oh Gott, was ist denn das!“, war eine typische Reaktion vieler junger Muslime, als sie die Bilder der einstürzenden Türme des World Trade Centers sahen. Als kurz darauf klar wurde, dass diese Attentate von jungen Männern im Namen des Islam begangen wurden, begannen sie nachzuschauen: Was steht denn im Islam über Gewalt? Den Kampf der Kulturen? Was ist überhaupt meine Religion?
Mit dem Interesse kam für viele die Wiederentdeckung des Glaubens. Reborn Muslims – Wiedergeborene Muslime nennen Islamforscher wie Olivier Roy diese neuen Frommen. Über einen kleinen Teil dieser frischgebackenen Gottesfürchtigen ist viel geschrieben und berichtet worden. Sie folgten dem Weg Usama Bin Ladens, verschrieben sich dem Kampf gegen den Westen. Sie zogen aus Überzeugung und vielleicht auch aus Abenteuerlust nach Afghanistan, in den Irak. Andere verübten Anschläge in westlichen Großstädten oder predigen Hass in Vorstadt-Moscheen.
Die überwiegende Mehrheit der wiedergeborenen Muslime hat jedoch einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Sie sehen im Koran nicht die Anleitung zum Bombenbau, sondern zu einem besseren Leben. Sie sind tiefreligiös, wollen jedoch ihren westlichen Lebensstil nicht aufgeben. Sie übernehmen Mode, Lifestyle und Musik aus der globalen Jugendkultur, versehen diese mit islamischen Vorzeichen und – schwupp – schon ist ein neuer Remix entstanden, den man als Pop-Islam oder auch Pop-Islamismus bezeichnen kann. Sie wollen Erfolg haben und – islamischkorrekten - Spaß und sie leiden persönlich darunter, dass Islam und Gewalt in den Köpfen vieler Menschen im Westen zu Synonymen geworden sind. Sie halten es für falsch, dass Terroristen im Irak Menschen entführen und im Namen des Islam köpfen. Sie ärgern sich zugleich, dass westliche Medien ihren Fokus genau auf diese Grausamkeiten richten, wenn sie über die islamische Welt berichten. Sie wollen etwas dagegen tun und engagieren sich, dafür, dass der Islam in ein besseres Licht gerückt wird. Zugleich versuchen Sie, ihre gleichaltrigen Glaubensbrüder davon zu überzeugen, dass Hass und Gewalt der falsche Weg ist.
In einschlägigen Chats im Internet, bei Veranstaltungen in islamischen Jugendclubs, beim Koranunterricht in so mancher Moschee, wird erbittert gestritten. Vertreter der Dschihad-Bewegung treffen auf Pop-Muslime. Sie streiten über Fragen wie: Darf man sich für die deutsche Gesellschaft engagieren? Wann ist die Anwendung von Gewalt legitim? Darf ein guter Muslim Musik hören? Wie knapp darf das T-Shirt einer guten Muslimin sein? Sie streiten über die Zukunft des Islam.
Die pop-islamische Bewegung hat – ebenso wie die Dschihad-Bewegung – ihren Ursprung in der arabischen Welt. Während die Dschihadis den Ideen und Anweisungen von Usama Bin Laden und Co folgen, verehren die Pop-Muslime Stars wie den britischen Pop-Sänger Sami Yusuf, den TV-Prediger Amr Khaled oder lesen in den Büchern des Vordenkers des Euro-Islam Tariq Ramadan.
Beide Bewegungen sehen die Rolle des Muslims nicht nur auf dem Gebetsteppich. Dem Kampf-Gedanken der Dschihadis setzt die Pop-Bewegung Erfolgsstreben, Engagement für die Gesellschaft und das Motto: „Nimm dein Leben in die eigene Hand!“ entgegen. Beide Bewegungen haben inzwischen Anhänger in der ganzen Welt. Die Deutschland Connection der Dschihad-Bewegung ist bekannt: Zuletzt machten die „Kofferbomber“ Schlagzeilen.
Die Pop-Muslime sind weniger präsent, dabei haben sich in vielen deutschen Städten Jugendgruppen zusammengetan, die Info-Stände organisieren, Butterbrote an Obdachlose verteilen, Deutschunterricht für so genannte „Importbräuten“ geben oder was sie sonst für geeignet halten, das Bild des Islam zu verbessern. Viele der Jugendlichen fühlen sich in den Gemeinden ihrer Eltern nicht mehr so recht zu hause und organisieren ihre eigenen Clubs und Treffs. Viele fühlen sich auch in der überregionalen Muslimischen Jugend in Deutschland oder im Jugendverband der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs zu hause. Die Jahresversammlung der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, zu dem die Organisatoren inzwischen auch die Stars der Jugend einladen, ist ein Event auf das sich viele freuen.
Spätestens, wenn die Namen dieser Organisationen fallen, gehen bei vielen Lehrern, Sozialarbeitern und Staatsschützern die Alarmanlagen an. Milli Görüs und die Islamische Gemeinschaft Deutschland gelten als islamistisch und werden wegen ihrer Nähe zu Organisationen wie der Muslimbruderschaft in der arabischen Welt oder der Partei von Erbarkan in der Türkei mit großem Misstrauen betrachtet. Liberal und säkular gesonnene Mitbürger bekommen schon viel früher Gänsehaut: Die Jugendbewegung des Pop-Islam orientiert sich an einem eher konservativen Islamverständnis.
An den Eckpunkten Geschlechtertrennung, Kopftuch und Keuschheit vor der Ehe geht kaum ein Weg vorbei. Jugendliche, die hier aufgewachsen sind und unsere Freiheiten kennen und auch genießen könnten und sich dennoch freiwillig dafür entscheiden am Samstag Abend zur Moschee als in die Disco zu gehen, verursachen bei vielen Mitschülern Unbehagen.
Und die jungen Frommen? Fühlen sich diskriminiert, weil ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert wird oder weil sie wegen ihres Kopftuches keinen Job als Lehrerin finden. Fast jeder hat eine Geschichte über Misstrauen, schiefe Blicke oder auch Gewalt zu erzählen. Das ist gefährlich, nicht nur für die betroffenen jungen Muslime. Für uns alle. Denn angesichts der Gefahr durch den Terror, brauchen wir Verbündete. Gegen die Jugendlichen, die bereits die Bombe bauen, helfen nur noch die Polizei und der Staatsschutz. Es geht jedoch auch darum, das „grüne Band der Sympathie“, dieses Gefühl der klammheimlichen Freude, das viele junge Muslime beschleicht, wenn sie von Anschlägen auf westliche Ziele erfahren, zu durchtrennen.
Die jungen frommen Pop-Muslime sind sicherlich besser geeignet, ihre gleichaltrigen Glaubensbrüder davon zu überzeugen, dass der bewaffnete Kampf der falsche Weg ist als deutsche Sozialarbeiter. Mit solchen „Ungläubigen“ würden Anhänger von Organisationen wie der verbotenen Hisb al Tahrir im Zweifelsfall gar nicht erst sprechen. Um in diesen Diskussionen glaubwürdig vertreten zu können, dass es gottgefälliger ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren als sie zu bekämpfen, muss den jungen frommen dieser Weg tatsächlich offen stehen. Deshalb ist es richtig, jetzt den Dialog und auch die Kooperation mit Organisationen wie der Muslimischen Jugend und der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs zu suchen.
Bei der zweiten Runde der Islamkonferenz des Innenministeriums Anfang Mai sorgte ein ungeladener Gast für Aufruhr. Ibrahim Al Zayat, islamischer Mutifunktionär und charismatischer Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Deutschland tauchte dort an der Seite von Ayyub Axel Köhler, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime auf und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus. Er ist einer der mächtigsten und einflussreichsten Männer der Islam in Deutschland, an ihm führt kaum ein Weg vorbei, da er nicht nur über die Islamischen Gemeinschaft in Deutschland der Chef der Islamischen Zentren in vielen Deutschen Städten ist, sondern auch vom Europäschen Moscheebau- und Unterstützungsgesellschaft bis zum Verein der Muslimischen Geisteswissenschaftler extrem viele einflussreiche Posten inne hat. Zugleich ist er eine der umstrittendsten Figuren des islamischen Establishments. Der Verfassungsschutz hat ihn wegen seiner Verbindungen zur Muslimbruderschaft unter Beobachtung. Die Nähe zu der frommen Bruderschaft ist für die jungen Frommen kein Makel. Wieso auch?
Die Muslimbruderschaft ist eine große Organisation und vereint ein großes Spektrum an Gedankengut von Radikal bis Moderat. Gerade wer sich intellektuell mit dem Islam auseinandersetzt und sich für Reformansätze innerhalb des Glaubensuniversums interessiert, wird immer wieder auf Vertreter der Muslimbruderschaft stoßen, die sich mit genau solchen Fragen beschäftigen. Man kann sich durchaus von Gewalt im Namen des Islam distanzieren und dennoch ein Anhänger der Muslimbruderschaft sein. Was viele engagierte Muslime jedoch an Ibrahim Al Zayat stört, ist sein Machtdrang. Sie kritisieren seine Ämterhäufung und dass er manche seiner Posten wegen der starken Belastung durch andere Ämter schleifen lässt. Auch die Intransparenz seiner Geschäftsführung wird kritisch gesehen. Allerdings – so will es die islamische Solidarität – sagt dies kaum jemand aus der Community laut, dafür wird Ibrahim al Zayat zu sehr von der deutschen Öffentlichkeit kritisiert. Natürlich, es wäre schöner und für die staatliche Seite auch angenehmer, zur Islamkonferenz nur säkular gesonnene und aufgeklärte Muslime einzuladen.
Im Dialog mit Necla Kelek, Seyran Ates oder auch Navid Kermani würde man sich auch besser einigen können und die Probleme wären schnell aus dem Weg geschafft. Nur leider ließe man dann einen guten Teil der Community Außen vor und verstärkt so das Gefühl des „Nicht-Dazugehörens“. Statt Ibrahim Al Zayat zum Buhmann zu erklären und ihm so innerhalb der Community zu einem Heiligenschein und vor allem zu einem Schutzpanzer zu verhelfen, an dem alle interne Kritik abperlt, sollte er als Vertreter eines von mehreren Spektren eingeladen und eingebunden werden. Er mag für einen politischen Islam stehen, für die Einheit von Religion und Politik. Er steht jedoch nicht für einen militanten, Gewalt verherrlichenden Ansatz.
Insofern sollten die Kriterien für eine Zusammenarbeit überdacht werden: Terror und Gewalt ist das, was unsere Gesellschaft bedroht. Wer sich dagegen ausspricht und sich dafür engagiert, junge Menschen davon abzuhalten in dieses militante Millieu abzugleiten, ist als Gesprächs-und Kooperationspartner willkommen. Der Konflikt verläuft nicht zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“. Es steht nicht Glaube gegen Aufklärung. Die Front verläuft zwischen dem Terror und den dessen Gegnern. Natürlich würde die Bundesregierung durch eine Einladung an Ibrahim Al Zayat oder auch Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs – sie waren zwar auch bi der letzten Runde der Islamkonferenz bereits dabei, allerdings unter anderer Fahne – die konservativ-politische Lesart des Islams quasi Hof- bzw Ministeriumsfähig. Das muss man in Kauf nehmen, denn eine Nichteinladung und Ausgrenzung der neuen Frommen nicht dazu, dass sie verschwinden oder gar ihren Glauben aufgeben. Im Gegenteil.
Julia Gerlach ist Journalistin. Sie arbeitet als Redakteurin für das "heute journal" des ZDF und als Autorin u.a. für "Die Zeit", HR-Radio. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch "Zwischen Pop und Dschihad - Junge Muslime in Deutschland".