Wie soll der religiöse Pluralismus in Deutschland organisiert werden? (N. Müller)

Antworten von Norbert Müller    


Soll der Islam als eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft den christlichen Kirchen in Deutschland gleichgestellt werden?

Zu lange hat man in Deutschland die Augen davor verschlossen, dass Migration erfolgt und unwiderruflich zu gesellschaftlichen Veränderungen führt. Aus Ideologie ("Deutschland ist kein Einwanderungsland") wie auch aus geistiger Bequemlichkeit hat man Realitäten ignoriert und wertvolle Zeit vertan, Migrationsprozesse mit angemessener Integrationspolitik zu begleiten. Nun erkennt man Versäumnisse, aber versucht diese einseitig den Migranten anzulasten - angesichts der politischen Vorgeschichte schon etwas zynisch.

Zwar kommt man inzwischen nicht umhin, die Migrationsrealität anzuerkennen, tut sich aber nach wie vor schwer, der Mehrheitsgesellschaft die daraus folgenden gesellschaftlichen Veränderungen zuzumuten. Basis von Integrationspolitik in einer demokratischen Gesellschaft muss die rechtliche Gleichstellung sein. Gleichheit ist wohlgemerkt Voraussetzung von Integration, nicht etwa obrigkeitsstaatliche Gewährung für zuvor erwiesene Loyalität und Wohlverhalten. Wer Teil der Gesellschaft sein soll, muss auch in gleichberechtigter Weise an ihr teilhaben und sie mitgestalten können. Ansonsten entsteht ein System abgestufter Privilegierungen und Ausgrenzungen.

Dies gilt auch für den Islam in der deutschen Gesellschaft. Wurde er als gesellschaftliche Realität lange ignoriert, so wird nunmehr allgemein anerkannt, dass er Teil dieser Gesellschaft ist. An der Gleichstellung des Islam führt deshalb kein Weg vorbei. Der Islam kann nicht Teil der Gesellschaft sein, wenn man den Muslimen, aus welchen Gründen auch immer, gleichzeitig wieder einen Sonderstatus zuweist. Hier ist politische Konsequenz gefordert, da ansonsten die Integration zu scheitern droht.

Maßstab sind unweigerlich Status und Rechte der hier etablierten Religionsgemeinschaften, also der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinden. Voraussetzung für eine rechtliche Gleichstellung kann dabei neben der gemeinsamen Akzeptanz der verfassungsmäßigen Ordnung nur die Erfüllung bestimmter formeller Voraussetzungen durch die Muslime sein. Es kann jedoch nicht darum gehen, von den Muslimen Vorleistungen in Bezug auf Ausgestaltungen ihres spezifischen Glaubensverständnisses zu verlangen.  

Welche Repräsentationsformen für Muslime sind wünschenswert und welche notwendig für die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft?

Voraussetzung für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft sollte es sein, dass die zu bildende Struktur die islamischen Gemeinden als Träger der von der Rechtsprechung geforderten "umfassenden Glaubensverwirklichung" repräsentiert. Dabei muss die Verbandsstruktur einen "gemeinsamen Glaubensvollzug", also ein gewisses Maß an organisatorischer Verdichtung aufweisen.   Dazu wird eine Reform der bisherigen Verbandsstrukturen erforderlich sein. Die bestehenden Verbände sind zu sehr Produkt der Migration, also von dem Erfordernis, das islamische Leben hier möglichst eng mit dem Herkunftsland zu verbinden. Dies wird für Muslime in Deutschland immer bedeutungsloser werden und damit auch diese spezifische Funktion von Verbänden. Dies gilt etwa für Milli Görüs ebenso wie für DITIB. Im Übrigen hat sich die islamische Gemeindelandschaft in den letzten Jahren stark pluralisiert. Viele Gemeinden gehören keinem der traditionellen Verbände mehr an.

Die Struktur einer islamischen Religionsgemeinschaft muss deshalb an der Basis ansetzen und die Gemeinden in den Regionen und Bundesländern zusammenfassen. Nur so kann die bestehende Vielfalt des Islam in Deutschland sich auch hier wiederfinden und die Religionsgemeinschaft als repräsentativ angesehen werden. Existierende Beispiele einer solchen Strukturierung sind islamische Landesverbände wie die Schura in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen sowie die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen.

Ausgangspunkt einer demokratischen und transparenten Struktur sollen also die Gemeinden und örtliche islamische Vereinigungen sein. Diese stellen eine große Vielfalt des islamischen Lebens dar - hinsichtlich der Rechtsschulen, ihrer Herkunftstraditionen bis zu diversen Fragen des aktuellen Glaubensverständnisses. Dies garantiert eine Pluralität einer islamischen Religionsgemeinschaft.

Eine islamische Religionsgemeinschaft repräsentiert aber notwendiger Weise religiöses Leben. Der Islam ist keine Abstammungsgemeinschaft. Einer islamischen Religionsgemeinschaft kann daher nicht abverlangt werden, Personen zu repräsentieren, die aufgrund Herkunft in irgendeiner Weise zum islamischen Kulturkontext gehören, persönlich aber den Glauben nicht praktizieren, zum Teil auch nicht gläubig sind. Sie werden im öffentlichen Diskurs über den Islam selbstverständlich eine Rolle spielen, werden aber kaum Repräsentanten einer Religionsgemeinschaft sein.  

Welche Fragen müssen zwischen Staat und islamischen RepräsentantInnen bearbeitet werden?

Die zu behandelnden Themen sind im Wesentlichen rechtlicher Gegenstand einer staatsvertraglichen Regelung eines Bundeslandes und der dortigen islamischen Religionsgemeinschaft sein kann. Ein zentrales Thema ist der Religionsunterricht, welcher in den einzelnen Ländern gesetzlich unterschiedlich geregelt ist und deshalb auch unterschiedlich ausgestaltet sein wird. Eng damit verbunden ist die universitäre Ausbildung von Religionslehrern.

Immer wichtiger weil konfliktbeladener ist das Thema Moscheebau geworden. Hier muss ein Verfahren gefunden werden, damit angemessene Räumlichkeiten an geeigneten Plätzen vor Ort für die jeweiligen Gemeinden gewährleistet werden. Hinzu kommt die Einrichtung islamischer Friedhöfe, die Präsenz muslimischer Vertreter in den Rundfunkräten, Anstaltsseelsorge sowie der Schutz islamischer Feiertage. Anzustreben ist der Abschluss von Staatsverträgen zwischen den Landesregierungen und den jeweiligen islamischen Religionsgemeinschaften. In Hamburg ist ein solcher Prozess schon in Gang gekommen.  

Welche Rolle sollte hierbei die Deutsche Islamkonferenz spielen?

Man sollte von der Islamkonferenz nicht erwarten, dass hier alle relevanten Fragen zwischen Islam und deutscher Gesellschaft letztendlich geklärt werden - zumal die meisten Themen sowieso Ländersache sind. Es können im Wesentlichen nur Themenfelder abgesteckt und Diskussionsprozesse angestoßen werden. Auf jeden Fall sollte der Staat der Versuchung widerstehen, selbst den Islam strukturieren und religiöse Inhalte bestimmen zu wollen. Die Bestimmung ihrer inneren Verfasstheit und vor allem ihrer Glaubensinhalte ist in einer säkularen Gesellschaft das vornehmste Recht jeder religiösen Gemeinschaft. Die immer wieder bestehende Annahme, die DIK sei eine Institution, wo mittels staatlicher Intervention eine Art gesellschaftskompatibler "deutscher Islam" geformt werden soll, muss deshalb zurück gewiesen werden.

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Norbert Müller ist Rechtsanwalt in Hamburg und Vorstandsmitglied von SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.