Antworten von Mounir Azzaoui
Soll der Islam als eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft den christlichen Kirchen in Deutschland gleichgestellt werden? Soll der Islam als eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft den christlichen Kirchen in Deutschland gleichgestellt werden?
Die Muslime in Deutschland haben nicht nur ein Recht auf individuelle Religionsfreiheit, sondern auch, wie alle anderen Religionsgemeinschaften, ein durch die Verfassung verbrieftes Recht auf kollektive Religionsfreiheit. Nur in bestimmten Bereichen, wie etwa bei der Einführung von Religionsunterricht, muss die Religionsgemeinschaft dazu vom Staat anerkannt werden. Die Kirchen verfügen über den Körperschaftsstatus, womit sie mehr Rechte in Anspruch nehmen können als eine einfache Religionsgemeinschaft. Von diesem Körperschaftsstatus sind Muslime noch ein ganzes Stück entfernt. Gleichzeitig ist innerislamisch noch umstritten, ob die muslimischen Zusammenschlüsse überhaupt diesen Status anstreben sollten. Man könnte zwar als Körperschaft z.B. eine „Moscheesteuer“ durch den Staat einziehen lassen. Viele Muslime fragen sich jedoch, ob das überhaupt wünschenswert ist und man hier nicht lieber auf freiwillige Spenden setzen sollte. Zudem kommt, dass der Körperschaftsstatus wohl sehr strenge Mitgliedschaftsregelungen mit sich bringen würde. Es gebe dann Muslime in und außerhalb der Körperschaft. Die Gefahr einer Konfessionalisierung nach Kriterien, welche dem Islam fremd sind, läge dann nahe. Vor dem Hintergrund dieser – erst in Ansätzen geführten - innerislamischen Debatte haben die im Koordinationsrat der Muslime vertretenen Verbände im Rahmen der Islamkonferenz geschlossen mitgeteilt, dass die Frage des Körperschaftsstatus zunächst zurückgestellt werden solle und man sich auf den Status der Religionsgemeinschaft konzentrieren möchte. Dies sollte von Politik, Medien und Gesellschaft respektiert werden.
Welche Repräsentationsformen für Muslime sind wünschenswert und welche notwendig für die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft?
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass in der Diskussion über die rechtliche Anerkennung muslimischer Organisationen zwei Argumente immer wieder von Politik und Medien verwendet werden bzw. wurden, welche rechtlich unhaltbar sind. Eine Gleichstellung der muslimischen Verbände mit den christlichen Kirchen sei unmöglich, da die Verbände bzw. die Moscheen nur etwa 10 % „der Muslime“ vertreten würden. So ein oft verwendetes Argument. Nur am Rande sei hier angemerkt, dass die Zahl der Moscheebesucher bzw. derjenigen welche die Infrastruktur von Moscheen nutzen, etwa bei Trauerfällen oder Hochzeiten, in Deutschland viel höher liegt. Nach einer Studie der Ruhr-Universität Bochum haben bis zu 50% der Muslime „einen Bezug“ zu einer Moschee.Doch abgesehen davon, inwieweit diese Zahlen überhaupt aussagekräftig sind, muss festgehalten werden, dass es nach dem Religionsverfassungsrecht überhaupt keine Rolle spielt, wie viele Mitglieder eine Gruppe hat, um als Religionsgemeinschaft angesehen werden zu können. Wenn einige Kriterien erfüllt sind, spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Gemeinschaft zehn oder einhunderttausend Mitglieder umfasst.
Nach einer allgemein anerkannten Definition ist eine Religionsgemeinschaft ein Verband, der die Angehörigen eines und desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse – zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst (Gerhard Anschütz). Lange Zeit hat man sich – insbesondere in NRW – daran festgeklammert, dass mit Blick auf diese Definition aus dem Jahre1933 eine Religionsgemeinschaft aus natürlichen Personen bestehen muss. Dachverbände, wie Zentralrat der Muslime und Islamrat, verfügen mit ihren Mitgliedsvereinen jedoch nur indirekt über natürliche Mitglieder, da ihnen Vereine angehören. Diese Argumentation lief auf folgende Logik hinaus: Ein Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften ist keine Religionsgemeinschaft! Das Bundesverwaltungsgericht hat im Jahr 2003 klargestellt, auch ein Dachverband kann Religionsgemeinschaft sein, da dieser indirekt auch über natürliche Mitglieder verfügt und es der Religionsgemeinschaft überlassen sein muss, wie sie ihre inneren Angelegenheiten regelt.
Nach diesem Urteil dürfen jedoch „religiöse Vereine“, welche nur partielle religiöse Angebote anbieten (Studentenvereine, Berufsverbände, Soziale Einrichtungen), den Verband nicht dominieren. Die umfassende Glaubensverwirklichung – durch Moscheen – sollte den Schwerpunkt des Verbandes ausmachen, damit er als Religionsgemeinschaft angesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund hat man sich bei den Gesprächen im sog. „Hamburger Prozess“ – eine Vorstufe des neugegründeten Koordinationsrats - darauf verständigt, dass die Moschee die zentrale Einheit der islamischen Religionsgemeinschaft in neuen Strukturen bilden sollte. Religiöse Vereine sollten danach zwar Mitglied in einer Religionsgemeinschaft auf Bundes- und Landesebene werden können, doch kein Stimmrecht haben, da bei einer Mehrheit von „religiösen Vereinen“ das Wesen der Religionsgemeinschaft in Frage gestellt werden könnte.
Es wäre wünschenswert bei den anstehenden Diskussionen, über angemessene Repräsentationsformen von Muslimen, diesen Aspekt neu zu diskutieren. Es wäre gut, wenn man es schaffen würde, möglichst viele Selbstorganisationsformen von Muslimen auch außerhalb der Moschee mit Stimmrecht einzubeziehen. Es gibt engagierte Frauen- und Studentenvereine mit großem Potential; dieses sollte nicht ungenutzt bleiben. Die Vorgaben aus Leipzig sind zu berücksichtigen, doch gleichzeitig sollten die bestehenden Spielräume genutzt werden. Etwa indem man das Stimmrecht bei religiösen Vereinen an hohe Anforderungen knüpft, z.B. das der religiöse Verein in besonderer Weise zum religiösen Leben der Muslime einen Beitrag leistet (und keine Karteileiche ist). Man könnte zudem auch eine Quote festlegen, wonach die religiösen Vereine in der Organisation nicht eine Mehrheit über die Moscheen verfügen. Damit wäre wohl das Wesen der Religionsgemeinschaft gewahrt.
Welche Fragen müssen zwischen Staat und islamischen Repräsentanten bearbeitet werden?
1. Es sollte zu einer grundsätzlichen Übereinkunft kommen, wie die Repräsentationsstrukturen von Muslimen aussehen sollten, damit sie zum einen dem muslimischen Selbstverständnis gerecht werden und gleichzeitig die religionsrechtlichen Vorgaben des GG erfüllen. Dabei spielt die politische Verständigung eine wichtige Rolle. Ansonsten kann es durchaus sein, dass sich muslimische Organisationen und Landesregierungen vor Gericht weitere juristische Scheingefechte liefern und den politischen Fragen aus dem Weg gehen. Die Fragen über die religionsrechtliche Zukunft des Islam sind zu wichtig für unsere Gesellschaft, als sie Gerichten zu überlassen.
2. Die Themenpalette von Religionsunterricht über Bestattungen bis hin zur Anstaltsseelsorge liegt bereits auf dem Tisch. Eine wichtige Frage wird in diesem Zusammenhang sein, ob und bei welchen Bereichen es notwendig sein wird, dass eine klare Zuordnung der Mitgliedschaft nötig ist. Würde dies nur beim Einzug der „Moscheesteuer“ im Zusammenhang mit dem Körperschaftsstatus nötig sein oder muss auch der muslimische Gefängnisinsasse Mitglied in einer islamischen Religionsgemeinschaft sein, um von dieser betreut werden zu können.
3. Das Thema Empowerment muslimischer Gemeinschaften sollte in naher Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wir brauchen z.B. nicht mehr das X. Podium zum Thema „Islam in den Medien“, sondern Programme und Workshops, damit Ehrenamtliche in Moscheen und muslimische Organisationen professionellere Medienarbeit leisten können. Mit Blick auf die wichtige Arbeit für die Gesamtgesellschaft, welche von den Moscheen und vielen anderen muslimischen Organisationen geleistet wird, muss man über Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung durch staatliche Stelle sprechen. So wäre zu überlegen, ob die Landesregierungen etwa Verbindungsbüro in den Landeshauptstädten finanzieren, damit die muslimischen Organisationen gemeinsam und professionell die enorme Umstrukturierung hin zu föderalen, transparenten und demokratischen Organisationsstrukturen bewältigen können.
Welche Rolle sollte hierbei die Deutsche Islamkonferenz spielen?
Die Deutsche Islam-Konferenz war ein wichtiges Signal an Muslime und Mehrheitsgesellschaft. Die Zusammensetzung und die fehlende Zielsetzung haben zu zahlreichen Kontroversen geführt. Ein platzen der Islam-Konferenz nach der Karikaturen und Papst-Diskussion im Jahr 2006 hätte wahrscheinlich eine verheerende Auswirkung gehabt. Die Islamkonferenz kann als „Vertrauensbildende Maßnahme“ gesehen werden. Staatliche Vertreter aus verschiedenen Ebenen und Ressorts treffen mit einzelnen Muslimen und Vertretern von Organisationen zusammen. Man tauscht Positionen aus und lernt sich kennen. Da die meisten Fragen bezüglich Religion jedoch auf Länderebene entschieden werden, darf man von der Islam-Konferenz keine weitreichenden Ergebnisse erwarten. Nach der Islamkonferenz auf Bundesebene, welche auf zwei bis drei Jahre angelegt ist, sollten Islam-Konferenzen auf Landesebene stattfinden, bei denen konkrete Verhandlungen zwischen Landesregierungen und muslimischen Vertretungen geführt werden. Auf muslimischer Seite sollte man bis dahin die Zeit nutzen. Zum einen sollte die Zusammenarbeit der Verbände auf Bundesebene auf die Landes- und Regionalebene runter gebrochen werden. Dies bedeutet, dass z.B. die Moscheen der vier Verbände in NRW einen Landesverband gründen sollten und diese neue Struktur so offen ist, dass auch unabhängige Moscheen bzw. religiöse Vereine dort Mitglied werden könnten. Die Diskussion über die religionsrechtliche Integration des Islam sollten zudem innerislamische stärker durch die Verbände an die muslimische Basis kommuniziert werden. Die Moscheen vor Ort müssten etwa noch stärker über die Möglichkeit des Bekenntnisorientierten Unterrichts informiert werden. Vielen Muslimen ist gar nicht bewusst, dass es so etwas überhaupt gibt. So könnte es auch eine breite innerislamische Diskussion darüber geben, welche Strukturen für die Zukunft wünschenswert sind. Zudem werden so die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Muslime an der Basis den Druck auf die Politik erhöhen können. In diesem Zusammenhang könnte die muslimische Basis auch stärker artikulieren von wem sie sich auf Landes- und Bundesebene vertreten fühlt bzw. vertreten lassen möchte.
Mounir Azzaoui ist Politikwissenschaftler und Sprecher des Arbeitskreises Grüne MuslimInnen.