Von Canan Topçu
„Draußen? Drinnen? Dazwischen?“ Diesen Fragen ist das Adolf Grimme Institut in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) im November nachgegangen. Geklärt werden sollte auf der Tagung in Berlin die „offene Beziehung“ zwischen Migranten und Medien. Zeitgleich widmete sich in München ein Seminar dem Thema „Interkulturell mit Medien“; im Mittelpunkt stand dort die Frage, ob Medien die Integration unterstützen und zur interkulturellen Verständigung in Deutschland beitragen können. Ebenfalls im November veranstaltete die BPB ein Modellseminar: „Migration – die ungenutzte Chance fürs Lokale“, die fünftägige Veranstaltung in Augsburg war ausgebucht, 30 Lokaljournalisten nahmen daran teil.
Für November erhielt ich eine weitere Einladung: „Was guckst Du? Der Islam in den Medien“. Ausgerichtet wurde diese Tagung von der Evangelischen Akademie Hofgeismar. Es könnte durchaus sein, dass an anderen Orten der Bundesrepublik weitere Seminare zum Thema Medien und Migranten stattgefunden haben. Für jemanden wie mich, also einer Medienschaffenden mit dem so genannten Migrationshintergrund, die sich schon seit vielen Jahren mit dem Verhältnis von Medien und MigrantInnen beschäftigt, sind Veranstaltungen der genannten Art nichts Neues.
Warum ich dann mit solch einer Auflistung beginne? Weil sich manches doch verändert hat:
Erstens: So oft fanden moderierte Gespräche und Zusammenkünfte mit ExpertInnen zum genannten Thema auch wieder nicht statt.
Zweitens: Die Veranstaltungen interessierten lange Zeit lediglich einen kleinen Kreis von Fachleuten und waren selten ausgebucht.
Ein Praxisseminar wie in Augsburg wäre bis vor ein paar Jahren kaum auf das große Interesse gestoßen, das es jetzt bekam. Ich weiß es, weil ich schon mehrmals versucht habe – etwa mit der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung – Workshops dieser Art zu organisieren. Und als wir dann schließlich eine eintägige Veranstaltung auf die Beine gebracht hatten, da stellten wir fest, dass nur ein Teil der angemeldeten Teilnehmer erschien. Und das hatte Gründe, die auch heute noch Gültigkeit haben: Freie Journalisten müssen zusehen, dass sie viele Zeilen produzieren, um genug Geld zu verdienen; angestellte Redakteure wiederum müssen sichtbaren Output für ihr Gehalt leisten. Verlagshäuser stellen nicht ohne Weiteres ihre fest angestellten Mitarbeiter für fünftägige Seminare frei, und freie Mitarbeiter wiederum leisten sich selten den Luxus, sich ohne direkte Verwertungsmöglichkeiten in bestimmte Themenbereiche einzuarbeiten.
Die Berichterstattung über MigrantInnen hat jetzt Konjunktur – wie auch Veranstaltungen zum Thema Medien und Migration. Und das hat ebenfalls seine Gründe. Seit Deutschland auch offiziell ein Einwanderungsland ist, hat die medienpolitische Debatte um Migration an Bedeutung gewonnen.
Der Nationale Integrationsplan (NIP) verstärkt diese Entwicklung. Im NIP ist ein Themenfeld dem Verhältnis Medien und Migranten gewidmet. Die Bundesregierung setzt auf den verantwortungsvollen Umgang der Medien mit Migration und forciert die stärkere Einbindung von Migranten in die Berichterstattung. Unter dem Titel „Medien – Vielfalt nutzen“ hat die entsprechende Arbeitsgruppe eine To-Do-Liste erarbeitet. Im NIP ist die Rede von „Selbstverpflichtungen“, denen sich Bund, Länder, Kommunen und nicht-staatliche Institutionen in der nächsten Zeit stellen wollen.
Sie ist lang, die To-Do-Liste, um genau zu sein: 13 Seiten sind dem Themenfeld 8 – also den Medien – gewidmet, und alles, was darin festgehalten worden ist, erscheint sinnvoll und längst fällig. Aber nur auf dem ersten Blick. Zudem sind die Forderungen nicht neu. Stärkere Einbindung von Migranten in Medienberufe und differenzierte Berichterstattung über Zugewanderte: Das fordern unterschiedliche Gruppen schon seit vielen Jahren: Nur bislang hatten sie sich nicht genug Gehör schaffen können.
Kein Medientag ohne Migranten
Wer sich die medienpolitischen Entwicklungen und die Berichterstattung in den hiesigen Medien genauer anschaut, könnte also den Eindruck gewinnen, dass der NIP bereits Wirkungen zeigt. Wie soll man sonst die sich häufenden Medien-und Migranten-Seminare und Berichte über Migranten in Print- und Audiovisuellen Medien interpretieren? Wie sonst das wachsende Interesse von Verlegerinnen und RedaktionsleiterInnen an der Berichterstattung über MigrantInnen und all die Themen rund um „Ausländer und Einheimische“?
Inzwischen vergeht doch kein Tag mehr, an dem in Zeitungen, Radio und Fernsehen keine MigrantInneen auftauchen. Sicherlich hat dieses Phänomen durch den NIP einen Schwung bekommen. „Wohngemeinschaft Deutschland“ betitelte beispielsweise das ZDF eine Sendereihe über Einwanderung und das Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten. Auch andere öffentlich-rechtlichen Programme sehen zu, dass sie AusländerInnen und so genannte Menschen mit Migrationsgeschichten zum Gegenstand ihrer Berichterstattung machen, anders als früher eben nicht nur als Problemfälle.
Auch auf der Ebene der Fiktion tut sich viel – vor allem bei den privaten Kanälen, die Filme wie „Ich Chef, Du nix“ produzieren, die auf vermeintlich amüsante Weise das Leben von Zugewanderten aufgreifen. Zum Lachen finden diese Produktionen wohl nur die, die nicht wirklich viel Ahnung vom Leben der Migranten in diesem Land haben. Filme, Berichte, Reportagen und Hintergrundbeiträge über das Phänomen der Einwanderung, über das Leben der Migranten gab es auch vor dem NIP. Sie haben – so auch die Erkenntnis in der Arbeitsgruppe - aber nicht wirklich zur Integration beigetragen. Eher haben sie polarisiert, haben zumeist einseitig, aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, ein Thema dargestellt – aus Sicht von MedienmacherInnen, die selbst keine Zugewanderten sind. Nicht abwegig war es daher, dass in der Arbeitsgruppe die Frage aufgegriffen wurde, ob nicht die Beiträge an Qualität gewinnen würden, ob es nicht zur Aufklärung beitragen würde, wenn MedienmacherInnen mit Migrationserfahrung an der Produktion beteiligt wären? Und so kam eine der Selbstverpflichtungen zustande, auf die sich öffentlich-rechtliche und private Medien einigten: Mehr MigrantInnen in Medienberufe.
Migranten als Medienmacher
Wie bereits erwähnt, fordern unterschiedliche Gruppen schon seit langem, dass MigrantInnen der Zugang zu Medienberufen ermöglicht beziehungsweise erleichtert wird. Aus mehreren Gründen - die einen beispielsweise, weil sie der Ansicht sind, dass Zugewanderte zum Perspektivwechsel in den Redaktionen beitragen; andere wiederum mit dem Hinweis aus den demographischen Aspekt. In diesem Zusammenhang wird das Argument angeführt, dass Zugewanderte ein Teil dieser Gesellschaft ausmachten und sie entsprechend in den Medien vertreten sein sollten – sichtbar vor der Kamera, sichtbar in den Filmen oder Reportagen und auch in den Printmedien als AutorInnen oder AkteurInnen.
Dank des NIP soll nun alles anders, alles besser werden!
Das Ganze hat aber auch einen Haken: Die Medien scheinen nun in den Zwang zu geraten, mehr JournalistInnen und Medienschaffende mit Migrationshintergrund auszubilden und vor der Kamera zu positionieren; es gibt aber gar nicht so viele Interessenten – weil nämlich der Medienberuf bislang bei Kindern und Kindeskindern von so genannten Gastarbeitern nicht so begehrt war. Wer als Nachkomme von ArbeitsmigrantInnen das Abitur schaffte, wollte bislang etwa Medizin, Jura oder Wirtschaftswissenschaften studieren. Vielleicht hat der eine oder andere seinen eigentlichen Wunsch unterdrückt, sich im Medienberuf zu realisieren - aus der gar nicht so unrealistischen Einschätzung heraus, ohnehin keine Chancen zu haben.
Migrationserfahrung kein Garant für guten Journalismus
Um auf einen anderen Aspekt zu kommen: Der Migrationshintergrund allein ist kein Garant dafür, dass jemand tatsächlich für die Berichterstattung über Themen rund um Einwanderung qualifiziert ist. Und umgekehrt: Ich kenne etliche Journalisten mit eben diesem Hintergrund, die nicht die MVDs sein wollen, also die Migranten vom Dienst. Sie wollen nicht auf ihre Herkunft reduziert, nicht in die ethnische Nische gedrängt und thematisch eingeschränkt werden. Sie wollen ganz normale Journalisten oder Journlaistinnen sein und nicht die Migrationsexperten der Redaktion.
Es ist aber auch so, dass denen, die es sind und sein wollen, diese Kompetenz nicht zugesprochen wird. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es deutschen Kollegen schwer fällt, in der Berichterstattung und Beurteilung von Themen eine ihnen selbst nicht zugängliche Perspektive zuzulassen. Wenn es - wie im NIP als Zielbestimmung formuliert – darum geht, „Migranten und Migrantinnen in Redaktionen und Programme einzubeziehen“, dann muss ihnen auch ermöglicht werden, zu einem erweiterten Blickwinkel in der Berichterstattung beizutragen. Dafür wiederum müssen den Entscheidungsträgern erst einmal die Augen geöffnet werden.
Immerhin hat die medienpolitische Diskussion eine neue Dimension bekommen. Und wenn Medien diese Entwicklung kritisch im Auge behalten und auf die Einhaltung der Selbstverpflichtungen drängen würden, dann wären wir auf einem guten Weg. Bis Deutschland anerkannt hat, ein Einwanderungsland zu sein, hat es viele Jahrzehnte gedauert. Die Medien brauchen auch so ihre Zeit, sich auf diese Realität einzustellen.
Der Anfang ist gemacht. Vor fünf Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ein Mensch mit „fremdländischem Aussehen und ausländischem Namen“ zur Hauptsendezeit die Nachrichten in einem öffentlich-rechtlichen Sender verliest. Noch ist Dunja Hayali nur Ko-Moderatorin beim Heute-Journal im ZDF. Immerhin traut sie sich, öffentlich von ihrem Traum zu sprechen, eine Karriere wie ihre Kollegin Anne Will zu machen. Auch das wäre früher undenkbar gewesen.
November 2007
Von der Autorin erschienen
Canan Topcu: EinBÜRGERung - Lesebuch über das Deutsch-Werden.
Portraits, Interviews, Fakten in Brandes und Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007
ISBN 3860997262
Canan Topçu, geb. in der Türkei, aufgewachsen in Deutschland, studierte Literaturwissenschaft und Geschichte. Seit 1999 ist sie Redakteurin der Frankfurter Rundschau. Sie ist Dozentin im FB Media an der Hochschule Darmstadt und freiberufliche Autorin.