Vorwort von Staatssekretär André Schmitz
Berlin ist eine internationale, multikulturelle Stadt; der Berliner Alltag ist geprägt von verschiedenen Kulturen und Traditionen. Die Zahlen sind bekannt: Ein Viertel aller in Berlin lebenden Menschen und jedes dritte Kind in dieser Stadt haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Der kulturpolitische Auftrag fordert von den Kulturschaffenden ein Programm, welches sich an die gesamte Bevölkerung richtet. Betrachtet man jedoch Publikum und Personal im Kulturbereich, so spiegeln sich die Bevölkerungsstrukturen nur ungenügend wider. Mangelnde Teilhabe der migrantischen Bevölkerung ist aber ein aktuelles Legitimationsproblem. Diversität als Selbstverständlichkeit zu verstehen, bedeutet auch Geschichten von Menschen mit Migrationsgeschichte sowie Inhalte und Themen einer vielfältigen Zuwanderungsgesellschaft aufzugreifen.
Berlin als eine Stadt der Einwanderung und eine Stadt der Vielfalt kann mit den zahlreichen Geschichten seiner Bevölkerung selbst als „Living Archive“ bezeichnet werden. Wachstum und Dynamik beruhen seit Jahrhunderten auf Impulsen durch Migration, Migrant_innen und migrantische Kulturen. Berlin hat seit seiner Gründung unter anderem Hugenotten, Böhmen, polnische Wanderarbeiter_innen, Jüdinnen und Juden aus Osteuropa, Arbeiter_innen aus Südeuropa, Kriegsflüchtlinge, Werkvertrags-arbeitnehmer_innen, Aussiedler_innen und seit dem Mauerfall eine globalisierte junge Elite aus Kunst und Kultur aufgenommen und entfaltet weiterhin große Anziehungskräfte. Neben der Aufarbeitung von NS-Zeit und DDR-Geschichte gilt es in Zukunft die Migrationsgeschichte als ein weiteres wichtiges Kapitel in der Stadtgeschichte stärker zu verankern und die Stadt selbst damit als gemeinsame Errungenschaft von Alt- und Neu-Berliner_innen erfahrbar werden zu lassen. Ich verweise hier auf die aktuelle Ausstellung „Stadt der Vielfalt“ (2012) im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum „775 Jahre Berlin“ im Stadtmuseum.
Der Erhalt und der Schutz des kulturellen Erbes in Berlin stellen eine wichtige Aufgabe der Kulturverwaltung dar. Um jedoch das kollektive kulturelle Wissen in der Gesellschaft zu erhalten, ist ein innovativer und lebendiger Umgang mit dem kulturellen Erbe erforderlich. Ein Archiv, welches nur sammelt, wird kaum einen gesellschaftlichen Mehrwert generieren, solange es für die Menschen nicht lebendig und erlebbar bleibt. Ein Archiv ist nie etwas Abgeschlossenes. Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen gehen stetig weiter. Das kollektive kulturelle Wissen und die Erfahrungen der Gesellschaft spiegeln sich in der gegenwärtigen Kunst wider.
Kulturelle Produktionen und Räume haben eine hohe Bedeutung für den interkulturellen Dialog und Diversität hat hohe Bedeutung für die Kunst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die erforderlichen Räume für die Produktion künstlerischer Inhalte und den Austausch der Gesellschaft über Kunst und Kultur bereitgestellt und gesichert werden.
Diversität als Motor für kulturelle Innovation
Wenn es um das Thema Migration geht, stehen leider viel zu oft die Probleme und Herausforderungen im Vordergrund und weit weniger die Chancen und Potenziale, die eine plurale Gesellschaft für uns alle in sich bergen.
Der Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen ist entscheidend, um die eigenen Sichtweisen zu hinterfragen. Nur durch die Konfrontation mit der Differenz und durch einen Perspektivwechsel kann auch Neues entstehen. Akzeptanz für die Lebenssituationen der Mitmenschen kann durch gemeinsame kulturelle Produktionen und das gemeinsame Erleben kultureller Inhalte erreicht werden. Kunst, als Spiegel der Gesellschaft, hat die Möglichkeit Orte des gegenseitigen Verstehens zu schaffen, Geschichten und Ideen zu transportieren. Gleichzeitig sind Kulturschaffende darauf angewiesen, ihre eigenen Sichtweisen immer wieder infrage zu stellen, wollen sie neue Impulse setzen. Der interkulturelle Dialog setzt kreatives Potenzial frei und sorgt dafür, dass die Kunst weiterhin wesentlicher Antrieb für gesellschaftlichen Fortschritt ist.
Die Kultur muss den postmigrantischen Diskurs als gesamtgesellschaftlichen Dis-kurs gleichberechtigt in seine Programmatik aufnehmen. Gleichzeitig muss die Aufspaltung in „wir“ und „die anderen“ im Denken und Handeln überwunden werden, wenn es darum geht, Diversität als eine uns alle bereichernde Normalität zu begreifen. Der zunehmende Erfolg des postmigrantischen Theaters verdeutlicht, wie wichtig es ist, die nicht-linearen Perspektiven von Menschen unterschiedlicher Herkunft „auf Augenhöhe“ und nicht als „Außenseitergeschichte“ auf die Bühne zu holen. Dies beinhaltete auch einen Bruch mit dem „traditionellen Kanon“ – den Mut, Neues zu wagen. Die Ernennung Shermin Langhoffs zur Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters setzt dabei ein deutliches kulturpolitisches Signal im Hinblick auf die Öffnung der „klassischen“ Theaterlandschaft.
Bedingung für den interkulturellen Dialog ist die Förderung des Nachwuchses und die Steigerung der Nachfrage nach kulturellen Inhalten in sämtlichen Bevölkerungsgruppen. In einer multikulturellen Stadt wie Berlin muss kulturelle Bildung immer auch interkulturelle Bildung sein. Berlin versucht dieser Aufgabe durch die dauerhafte Förderung von Kooperationen zwischen Bildungs- und Kultureinrichtungen gerecht zu werden.
Be Berlin – be diverse: Diversität im Kulturbetrieb und die Möglichkeiten der Politik
Aufgabe der Politik ist es, Denk- und Handlungsanstöße zu geben, Diversität in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen zu erreichen.
Grundsätzlich ist Diversität in der Berliner Kulturverwaltung eine Querschnittsaufga-be, welche sich in allen Einrichtungen und Förderprogrammen widerspiegeln soll. So wurde zum Beispiel der Anspruch auf „Kulturelle Vielfalt“ in den Stiftungszweck und die Beschreibung der Aufgaben der geplanten Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) aufgenommen. Der „Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung“ fördert, um ein weiteres Beispiel zu nennen, dezidiert auch Projekte und Maßnahmen, die interkulturelle Begegnungen und Partnerschaften ermöglichen. Zudem gibt es Programme, welche sich als Anreize direkt mit der Förderung interkultureller Projekte beschäftigen. Das Programm „Interkulturelle Projektarbeit“ etwa fördert speziell Künstlerinnen und Künstler mit Migrationsgeschichte, welche sich über die Bewahrung der kulturellen Tradition hinaus mit aktuellen Kunstströmungen auseinander setzen. Die Kunstförderung der Senatskanzlei/ Kulturelle Angelegenheiten hält dabei an inhaltlichen Gesichtspunkten und dem zentralen Kriterium der künstlerischen Qualität fest.
Im Bereich der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern sind regelmäßige trans-und interkulturelle Kontakte zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwal-tung sowie der Antragstellerinnen und Antragsteller Alltag. Die Internationalität und Interkulturalität der Berliner Kreativszene spiegeln sich auch in der Förderstatistik (ca. 30 Prozent der Geförderten und 20 Prozent der Jurymitglieder weisen einen Migrationshintergrund auf – gegenüber leider nur ca. 10 Prozent Besucherinnen und Besucher mit Migrationshintergrund in den Kultureinrichtungen).
Mit der 2009 gestarteten Veranstaltungsreihe „be Berlin – be diverse“ hat die Berliner Kulturverwaltung in Kooperation mit der Hertie-Stiftung ein regelmäßiges öffentliches Veranstaltungsformat zum fachlichen Austausch etabliert mit dem Ziel der nachhaltigen Verankerung des Themas „Kulturelle Vielfalt“ im Kulturbereich. Angesprochen werden insbesondere Einrichtungsleiterinnen und -leiter, um diese für den kulturellen Reichtum in der Stadt zu sensibilisieren und die Erschließung des kreativen Potenzials zu ermöglichen. Diversität ganzheitlich in Kultureinrichtungen zu implementieren, erfordert einen Wandel von innen heraus.
Das alles sind erste Erfolge, nicht weniger, aber eben auch noch nicht mehr. Aber das Ziel lohnt jede weitere Anstrengung.
André Schmitz
André Schmitz ist Staatssekretär in der Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten Berlin.
Framing It
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