Managing Diversity durch ethnisch-nationale Quotierung? Oder: Zur Verkehrung Grüner Weltanschauung

Von Corrina Gomani


In Niedersachsen hat der Landesvorsitzende der Grünen, Raimund Nowak, den Aufschlag gemacht: Die innerparteiliche Integration von MigrantInnen sei nur ansatzweise gelungen, weshalb er nahe lege, über die Schaffung einer MigrantInnenquote nachzudenken (genauso wie darüber, dass die Frauenquote längst zur Männerschutzquote verkommen sei). Das entspricht einem gut ausgeklügelten parteistrategischen Kalkül, es ist aber nur scheinbar innovativ. Soll sich die Partei doch mehr für MigrantInnen öffnen. Auch gelänge dadurch sich vielleicht ein besseres Profil zu verleihen und von anderen Parteien abzuheben.

Doch die konkrete Umsetzung und Einbindung einer Quotierung von MigrantInnen in die vom Vorsitzenden mit ins Leben gerufene „Diversity-Initiative - Vielfalt nutzen!“ wirft eine Reihe von Fragen auf, die diskutiert werden müssen  Die angestoßene Debatte hat den Vorteil, dass die Grünen sich mit sich selbst beschäftigen können. Mich stimmt zwar das dahinter verborgene parteistrategische Kalkül skeptisch, denn es versprüht den Duft nach einer gewissen Instrumentalisierung der Integrationsfrage. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle keineswegs den Eindruck erwecken, die noch nicht einmal richtig begonnene Diskussion hiermit gleich wieder abschließen zu wollen. Im Gegenteil: Ich möchte sie intensivieren. Denn ich halte sie für überaus nutzbringend. Zum einen kann sie rassistische Tendenzen auch bei den Grünen aufdecken. Zum anderen kann sie dazu führen, dass sich auch MigrantInnen innerhalb wie außerhalb der Partei zu wichtigen Fragen stellen: Wollen wir Menschen anderer Herkunft gesondert behandeln? Fühlen sich MigrantInnen bei den Grünen ausreichend anerkannt? Fühlen sie sich repräsentiert oder unterrepräsentiert? Würden sich MigrantInnen in die Partei und deren politische Arbeit stärker einbringen, wenn für sie eine Quote bestünde? Und welche konkreten Vorstellungen werden eigentlich mit dem Begriff „Integration“ verbunden? Wird Integration eher sozial, funktional, strukturell, kulturell und/oder politisch verstanden? Worauf wird der Schwerpunkt gelegt?

Eine Debatte über solche Fragen und Teilaspekte innerparteilicher wie gesamtgesellschaftlicher Integration und Repräsentation von MigrantInnen kann zu neuen und aufschlussreichen Erkenntnissen führen. Davon profitieren würden alle. Insbesondere wenn es dabei auch gelänge, endlich die in Hochkonjunktur stehende Worthülse „Integration“ mit „grünen“  Inhalten zu füllen und das auch noch mit einer Vision von einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu verknüpfen. Ein „Fahrplan“ nach dem Denkmuster „Wir-und-Sie“, „Eigen-und-Fremdverpflichtung“ reicht dafür jedenfalls nicht aus (angesprochen ist hiermit das Papier der Grünen Bundestagsfraktion „Perspektive Staatsbürger - Für einen gesellschaftlichen Integrationsvertrag“). Besonders dann nicht, wenn er im Top-Down-Verfahren der Partei vorgesetzt wird, überwiegend auf bekannten Klischees beruht und in bestimmten Integrationsfragen die Partei weiterhin uneins ist, während sich die MandatsträgerInnen zumeist deutlich anders gelagerten Anpassungsprozessen hingeben.

Pro und Contra  der Quote
Es gibt gute Argumente für eine ethnisch-nationale Quotierung. Sie kann passendes Instrument sein, um (1) strukturelle Machtungleichheiten zwischen gesellschaftlichen Teilgruppen auszugleichen; (2) die Partei für MigrantInnen attraktiver zu machen; (3) in der Partei die Zusammensetzung der Einwanderungsgesellschaft repräsentativ widerzuspiegeln; (4) die Potentiale wie Kompetenzen von MigrantInnen effektiver und effizienter einzubinden; (5) durch einen höheren MigrantInnenanteil die Bedürfnislagen von MigrantInnen besser auszuloten und (6) eine adäquate Ansprache und Mitsprache für und von MigrantInnen zu finden.

Es gibt aber auch gute Argumente, die gegen eine solche Quotierung sprechen. Diese einseitige Privilegierung, die von manchen kritischen Stimmen auch als „positive Diskriminierung“ oder „Quotenrassismus“ bezeichnet wird, schafft (1) neue Konkurrenzen; und ist (2) längst keine Gewähr dafür, Diskriminierung und Machtungleichheit abzubauen; (3) widerspricht diese Quote Grüner Weltanschauung, die der Gleichheit und Chancengerechtigkeit gegenüber konstruierten Unterschieden wie der Klassifizierung von Menschen nach ethnisch-nationalen Kriterien den Vorzug gibt. Zudem schafft sie (4) so genannte „QuotenmigrantInnen“, die - gleich den „Affirmativ-Action-Babies“ in den USA - potentiell dem Vorwurf ausgesetzt sind, nicht aufgrund ihrer Fähigkeit positioniert worden zu sein; (5) basiert sie zum Teil auf der Fehlannahme, Betroffenheit allein reiche aus, um für eine Gruppe repräsentativ und in bestimmten Themenfeldern und Funktionen kompetent zu sein; (6) setzt sie Prozesse der Re-Ethnisierung auf der Basis eines höchst fragwürdigen quantitativen Machtkalküls in Gang (Stichwort: social engineering und sozialtechnokratische Regulierung); (7) zwingt diese Quote Betroffene in ein Unterscheidungsschema, das paradoxer Weise zugleich überwunden werden soll und schreibt sie (8) eindimensional auf eine bestimmte Identität fest.

Ferner ist zu bedenken, dass die Einführung einer Quote für MigrantInnen ohne begleitende Diskussion über Rassismus, Stigmatisierung, Vorurteilsentstehung und Diskriminierung bzw. ohne selbstreflexive Bemühung um Aufklärung solcher Mechanismen im Denken und Handeln ihren eigentlichen Zweck verfehlt.  Dann wäre die Quotierung von MigrantInnen doch nur wieder ein weiterer Akt paternalistischer MigrantInnenfürsorge, ohne Selbstkritik oder Einsicht ins Grundlegende. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären dann auch schmerzvolle Selbstentlarvungen oder Zuschreibungen die Folge. Dann nämlich, wenn „Nichtprivilegierte“ „QuotenmigrantInnen“ als solche diffamieren. Ein Argumentationsreflex, der auch immer wieder gegenüber so genannten „Quotenfrauen“ zum Tragen kommt, und sei es nur in informellen Gesprächen.

Eine MigrantInnenquote jedenfalls ändert lange noch nichts am Bewusstseinszustand. Zudem stärkt sie die Mechanismen ethnischer oder nationaler Identitätszuschreibung. Diese aber soll in der Einwanderungsgesellschaft zugleich überwunden werden. Integration also durch das Insistieren auf die Unterschiede in der ethnischen oder nationalen Herkunft oder Zugehörigkeit?

MigrantInnenquote und Managing Diversity
Folgt man der Grundannahme, dass MigrantInnen bei Bündnis 90/Die Grünen unterrepräsentiert und in Mitsprache und Einfluss unterlegen sind, dann kann man in ihrer Quotierung - zumindest vorübergehend - ein nützliches Instrument zum Gegensteuern sehen. Das Ziel wäre in diesem Fall, mehr innerparteiliche Partizipation und Gerechtigkeit zwischen verschiedenen ethnisch-nationalen Herkunftsgruppen zu erzeugen. In Kauf genommen wird allerdings dabei, dass daraus eine Gerechtigkeitslücke für andere Gruppen wie zum Beispiel für bestimmte Altersgruppen, Religionsgruppen, Homosexuelle, Transsexuelle, Arbeitslose, Selbstständige, Behinderte, deutschstämmige Roma, Sinti, Farbige und andere mehr entsteht.

Ein Vergleich mit der Frauenquote verbietet sich dabei von vornherein. Zumal die Geschlechtszugehörigkeit ein natürliches essentialistisch-differentielles Unterscheidungskriterium ist, das der sozialen Hierarchisierung und Rollenzuweisung dient. Bei der ethnisch-nationalen Zugehörigkeit oder Herkunft ist das nicht so eindeutig und eher umstritten. Nicht zuletzt weil sich daraus resultierende Dispositionen in der Generationsfolge wie in Korrelation mit anderen Indikatoren der sozialen Herkunft (Bildungsstand, sozioökonomische Lage, gesellschaftliche Position) deutlich relativieren oder sogar auflösen. Bei der Ethnizität und Nationalität handelt es sich - heute mehr denn je - um konstruierte Unterscheidungskriterien, die nicht unbedingt einen essentialistisch-differentiellen Charakter haben müssen. Erst in Verbindung mit anderen, zumeist sozialen milieu- und schichtspezifischen  Faktoren, leiten sich davon Dispositionen ab, die sie zu essentialistisch-differentiellen Kriterien machen. Im Grunde lässt sich Ethnizität heute nur noch bei indigenen Völkern als natürliches und essentialistisches Unterscheidungskriterium beschreiben. Die Nationalität ist dagegen eindeutig ein konstruiertes bzw. unnatürliches Unterscheidungskriterium. Im Fall der Staatsangehörigkeit kommt es in formalisierter Form zum Tragen, wird aber auf der diskursiven Ebene informell aufgeladen, indem den Betroffenen aufgrund äußerer Merkmale eine andere Nationalität als die formal gültige(n) zugeschrieben wird/werden oder diese sich diese selbst zuschreiben.

Zwar darf nicht unterschlagen werden, dass in der sozialen Wirklichkeit aus der Ethnizität und Nationalität, der ethnischen und/oder nationalen selbst- und/oder fremdbestimmten Identitätszuschreibung soziale und kulturelle Unterschiede erwachsen (teils sogar gravierende), wie zum Beispiel im Verhalten, den Einstellungen und bei der Platzierung im sozialen Machtgefüge. Ob dies aber als Begründung bzw. zur Legitimierung einer Quotierung von MigrantInnen in der Partei ausreicht, ist fraglich. Besonders wenn mit in Betracht gezogen wird, dass Identitäten multipel, komplex und wandelbar sind, eine ethnisch-nationale (Kern-) Identität sich immer nur aus dem Wechselspiel von Fremd- und Selbstzuschreibung ergibt, und sich zudem nicht wenige der anvisierten Zielgruppe(n) dezidiert gegen die Fremdzuschreibung „MigrantIn“ oder „mit Migrationshintergrund“ aussprechen bzw. des Unterscheidens anhand dieser Kriterien längst müde sind.

Letzt Genannte bevorzugen dann auch zur qualitativen Beschreibung ihres Integrationsprozesses in der Ankunftsgesellschaft eher das Attribut „transkulturell“ als „interkulturell“. Drückt es doch weit aus treffender aus, was stattfindet: Ein Wandel in den kulturellen Eigenschaften, ein Wandel in den Einstellungen und äußeren Erscheinungsformen - und zwar in wechselseitiger Weise. Wie sich EinwanderInnen durch ihre Aufnahmegesellschaft verändern, verändert sich diese auch durch ihre EinwanderInnen. Wie die Globalisierungsprozesse transformieren auch Einwanderungsprozesse kulturelle Prozesse. Mit anderen Worten: Es gilt das kulturelle Blockdenken zu Gunsten eines Denkens in Prozessen aufzugeben. Und besonders hierfür ist das Diversity-Konzept geeignet.

Diversity-Strategien zielen nämlich nicht auf eindimensionale Identitäten oder klar abtrennbare Kulturen, sondern auf Erscheinungsformen und Auswirkungen vielfältiger kultureller Prozesse und multipler Identitäten sowie auf den daraus für eine Gruppe oder Großgruppe ziehbaren Nutzen. Seiner Grundintention nach zielt Diversity in Anerkennung der multiplen und komplexen sozialen Realität und kulturellen Vielfalt auf die daraus resultierenden Unterschiede in den Erfahrungen, Bedürfnislagen, Einstellungen, Orientierungen, Verhaltens- und Denkweisen sowie Handlungspraktiken ab. Aus ihnen soll angesichts der globalen Transformationsprozesse und der immer weniger überschaubaren Fragmentierung der Lebenswelten größtmöglicher Nutzen für ein bestimmtes (Groß-)Gruppenziel gezogen werden. Nicht die Negierung bestehender Unterschiede oder das Insistieren darauf, auch nicht die Schaffung sozialer Gerechtigkeit sind das Ziel, sondern Komplexitätsbewältigung, die mittels diversity policy und/oder managing diversity herbeigeführte Anerkennung und Nutzenziehung aus der Vielfalt - wohl gemerkt: nicht aus der Differenz (!).

Eine MigrantInnenquote divergiert von dieser Grundintention. Bietet sie doch nur einer bestimmten nationalen oder ethnischen Herkunftsgruppe ohne Einbeziehung anderer Dimensionen der Verschiedenheit mehr Anerkennung und Mitsprache. Diversity zielt aber nicht nur auf strategische und/oder formalisierte Privilegierung von Individuen einer bestimmten Herkunftsgruppe ab. Wie die Bezeichnung allein schon kenntlich macht, zielt Diversity auf alle Unterschiede zwischen Gruppen und Individuen ab; auf das sich davon ableitende differentielle Verhalten und Wissen und die sich davon ableitende Kompetenz-, Fähigkeits- und Erfahrungsvielfalt.  Sie sollen möglichst in ihrer gesamten Breite für einen bestimmten Politik-, Organisations- oder Parteizweck nutzbar gemacht, effizient und effektiv in die alltägliche oder projektbezogene Arbeit einbezogen werden.

Die Vorteile des Diversity-Konzepts bestehen darin, (1) durch Bewusstmachung bestehender Unterschiede Akzeptanz und Verständnis für den Anderen/das Andere, wie für die Vielfalt insgesamt zu produzieren, womit zugleich der Grundstein für bessere Handlungsstrategien, Klientelansprachen und Marketingerfolge gelegt wird; (2) aufgrund vermehrter An- und Mitsprache vieler verschiedener Organisationszugehörigen (oder Mitglieder) bestehende Gerechtigkeitslücken, Handlungsrelevanzen und -defizite auszuloten; (3) möglichen Reibungsverlusten und Konfliktlagen im Vorfeld begegnen zu können, (4) das Wissens-,  Erfahrungs- und Ideenspektrum zur Konzipierung und Realisierung/Umsetzung von Plänen und Maßnahmen zu erweitern, wodurch deren Erfolgsaussichten gesteigert und deren Kosten gesenkt werden können; (5) durch gezielte Ansprache und vermehrte Teilhabe möglichst vieler verschiedener Mitglieder der Gesellschaft, Organisation oder Partei, diese nach innen integrativer auszugestalten, den Identifikationsradius für die Mitglieder zu erweitern, deren Gefühl des Anerkannt-Seins sowie ihre Motivation zur aktiven Mitarbeit zu erhöhen.

Durch MigrantInnenquotierung würden die Vorteile dieses Konzepts in gewisser Hinsicht unterlaufen werden, zumal zwischen den verschiedenen Individuen zum einen Konkurrenzen nicht abgebaut, sondern neue geschaffen würden. Es entstünden also neue Konfliktsituationen. Zum anderen würde das Konzept durch einseitige Privilegierung einer bestimmten Gruppe von Individuen in seiner Grundintention infrage gestellt. Individuen anderer Gruppenzugehörigkeit(en) könnten auf dieses Instrument nicht zurückgreifen. Entweder wären sie deshalb dazu angehalten, auch eine Quote für sich zu fordern - wobei sie auf eine bestimmte Identität rekurrieren müssten. Oder sie müssten sich damit abfinden, dass das Diversity-Konzept nicht hält was es verspricht, nämlich (1) emanzipatorisch integrativ zu wirken und zugleich repräsentatives Handlungsäquivalent der spätmodernen Heterogenität an Lebensstilen und -formen, kulturellen Erscheinungsformen, (Mehrfach-) Zugehörigkeiten, multiplen Identitäten und sozioökonomischen Bedürfnislagen zu sein, und (2) durch Anerkennung und Nutzbarmachung der Verschiedenheit und vielfältigen Kompetenzen, die Struktur und Handlungspraktiken einer Gesellschaft, Organisation oder Partei auf allen Ebenen der Hierarchie den vielschichtigen sozialen Realitäten entsprechend auszugestalten.

Knapp zusammengefasst: Eine MigrantInnenquote würde jede Diversity-Strategie verkürzen, wenn nicht sogar unterlaufen, indem sie ihrer Grundintention im Kern widerspricht.

MigrantInnenquote und Grüne Weltanschauung
Von den Schwierigkeiten ihrer praktischen Umsetzung her einmal abgesehen - solche ließen sich schon irgendwie bewältigen - würde die Einführung einer Quote für MigrantInnen das Eingeständnis bedeuten, die Grünen seien unfähig, aus sich selbst heraus MigrantInnen zu integrieren und benötigten dafür zusätzliche „Hilfsmittel“. Haben sie nicht vor kurzem noch einen ganz anderen Zustand propagiert? Haben sie nicht vor kurzem ihren hohen Anteil an MigrantInnen, auch an MandatsträgerInnen mit Migrationshintergrund nicht sogar herausgestellt?

Mag sein, dass der Anteil von MigrantInnen in der Partei vielfach nicht einmal zehn Prozent erreicht. Doch liegt dies wirklich an der Parteistruktur oder dem ethnozentristischen Wahlverhalten der Delegierten oder anderen Wahlberechtigten? Ist die Partei wirklich nicht offen oder attraktiv genug für MigrantInnen? Könnten nicht auch andere Faktoren bestimmend sein?

Es ist gar nicht lange her und auch längst noch nicht überwunden, da gehörten MigrantInnen noch überwiegend so genannten Gastarbeitergenerationen an. Sie orientierten sich weit mehr an ihrer Herkunfts- als an der deutschen Ankunftsgesellschaft. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihnen keine andere Perspektive geboten wurde. Diese Orientierung, die für viele immer noch vakante Rückkehroption, sowie die überwiegende sozioökonomische Position im unteren Drittel der deutschen Gesellschaft sind nach wie vor mit dafür ausschlaggebend, warum MigrantInnen sich entweder in Deutschland gar nicht oder in anderen politischen Parteien engagieren. Oder sie haben andere Plattformen zur politischen Einflussnahme und Mitsprache gewählt.

Andere MigrantInnen wiederum fühlen sich aufgrund ihrer sozialen Herkunft und individuellen Interessenlage eher von den anderen Parteien angezogen oder sind es längst leid, immer wieder in Parteien wegen ihrer „anderen“ Herkunft angesprochen zu werden.
Eine Parteikarriere ist sowieso nicht jederfrau oder -manns Sache. Hier muss i.d.R. erst einmal eine ganz schöne (selbstausbeuterische) Wegstrecke beschritten werden, bevor Aussicht auf innerparteiliche politische Einflussnahme besteht. Nicht jede oder jeder hat dafür die ausreichenden zeitlichen Ressourcen oder gar finanziellen Mittel - von den dafür nötigen Kontakten einmal ganz abgesehen.  Auch steht sicherlich die programmatische Schwerpunktsetzung der Grünen mit dafür ein, warum so „wenige“ MigrantInnen sich in diese Partei und ihre Arbeit einbringen. Dasselbe gilt für die spezifische grüne Kommunikations- und Anerkennungskultur. Auch diese sind nicht wirklich jedermanns oder -frau Sache.

All das sollte vorab erst einmal diskutiert werden. Die Grünen sollten sich erst einmal einer systematischen Selbstevaluation unterziehen, bevor sie das Instrument einer Quote für MigrantInnen in Augeschein nehmen und sich dazu verleiten lassen, einer „doxischen“ Erfahrung aufzusitzen Immerhin verfügen sie im Vergleich zu anderen Parteien schon längst über eine durchaus nennenswerte MigrantInnnenquote, wenn auch nur über eine weiche.

Überdies könnten sich aus der Analyse der Quote innerhalb der Quote weitere Einsichten ergeben. So zum Beispiel die Erkenntnis, dass eine Quote niemals wirklich repräsentativ sein kann. Denn einzig anhand des Unterscheidungskriteriums „deutsche oder nicht-deutsche Herkunft oder Zugehörigkeit“ (deutsche Schwarze oder Farbige, Roma und Sinti sowie Juden und Muslime ohne Migrationshintergrund fielen zum Beispiel raus) wäre eine solche Quote repräsentativ. Genau das aber widerspricht grüner Weltanschauung. Zumal die Grünen gerade dieses Unterscheidungsmerkmal gerne abgeschafft bzw. negiert sähen.

Zuletzt sei an dieser Stelle noch angeführt, dass das Instrument der MigrantInnenquote hybriden Identitäten, den im Grunde prototypischen Identitäten und Mehrfachzugehörigkeiten spätmoderner Gesellschaften nicht gerecht wird. Gerade sie aber sollten für eine Partei, deren Mitgliedschaft und Wählerklientel sich hauptsächlich aus großstädtischen Milieus der aufstrebenden Mittelschichten zusammensetzt, von Interesse sein. Sind sie es doch, die die zukunftsfähige Gesellschaft vertreten, weil sie eben nicht mehr auf eine bestimmte ethnische oder nationale Kernidentität rekurrieren oder sich auf eine bestimmte Herkunft oder Zugehörigkeit festschreiben lassen.

Fazit
Die Migrantinnenqoute für die Partei betrachte ich im Gegensatz zu derjenigen in der Verwaltung (inkl. der Personalstruktur Grüner Geschäftsräume) und im öffentlichen Dienst weder für zeitgemäß noch erstrebenswert. Stattdessen würde ich es bevorzugen, stringent und professionell eine Diversity-Strategie anzuwenden. Zumal mit innerparteilicher Integration nicht nur diejenige von MigrantInnen gemeint sein darf. Auf diese Zielgruppe allein darf eine ernst gemeinte Diversity-Strategie auf Dauer nicht ausgerichtet sein (bei der Diversity-Initiative in Niedersachsen ist das noch der Fall).

Zwar bestehen gute Argumente für eine Quote für MigranInnen. Doch ist sie m.E. nur in der Personalpolitik ein geeignetes Mittel, um strukturelle Machtunterschiede und institutionelle Diskriminierung abzubauen sowie mehr Chancengerechtigkeit zu erzeugen. Demokratietheoretisch konsequent gedacht müssen aber freie Wahlen frei bleiben. Das beinhaltet auch, dass die zur Wahl stehenden KandidatInnen nicht nach ethnisch-nationalen Kriterien oder sonstigen sozialen Unterscheidungskriterien klassifiziert werden, um so deren Aussichten auf einen Platz zu verbessern oder zu schmälern. Letztlich würde dadurch eine Form ethnisch-nationaler Identitätspolitik betrieben, indem KanditatInnen dazu angehalten sind, auf ihre differente ethnische und/oder nationale Herkunft zu rekurrieren. Zwischen den KandidatInnen würde so eine neue Distanz aufgebaut werden, die in den Köpfen nur schwer abbaubar ist.

Normalität im Umgang mit MigrantInnen wird dadurch ganz sicher nicht erzeugt. Außerdem stehen Neuen- und Frauenqoute schon für ausreichende Chancengerechtigkeit. Für mehr Einbindung und Mitsprache von MigrantInnen sollten statt ihrer Quotierung andere parteiinterne Absprachen getroffen werden. Diese müssen nicht zuletzt auch verschärft auf Bewusstseinswandel abzielen. Zum Beispiel auf den, dass aktive Mitglieder mit Migrationshintergrund nicht automatisch für Migrations- und Integrationsthemen einstehen oder für Integrationsräte kandidieren müssen.

Neue formale Regelungen sind nicht zwingend erforderlich, sie entsprechen nämlich mehr sozialtechnokratischem als demokratischem Denken und Handeln. Vorausgesetzt die Partei entwickelt eine Diversity-Strategie, die ihre Bezeichnung verdient; vorausgesetzt die Partei schafft zusätzliche Instrumente, die dafür Sorge tragen, dass MigrantInnen als Akteure und FunktionsträgerInnen stärker eingebunden und in ihren spezifischen Bedürfnislagen wahrgenommen werden (Stichwort: Anerkennungskultur) -und zwar auf allen hierarchischen Ebenen!

Neueinsteigern - gleich welcher Herkunft - muss zudem der Einstieg in die Partei und deren Arbeit erleichtert werden. Dafür ist nicht nur vermehrt persönliche Ansprache nötig - vornehmlich da, wo die anzusprechende Klientel steht und sich aufhält. Dafür muss ihnen auch die Struktur und Arbeitsweise der Partei transparenter gemacht sowie ihre aktive Befähigung zum politischen Engagement mehr ins Auge gefasst werden (Stichwort: Empowerment). Hierfür kommen zum Beispiel Mentoren-Programme und Praktika, Workshops und Schnupper-Mitgliedschaften, interaktive Computerprogramme und Internetauftritte infrage, die entsprechend beworben werden müssen.

Um all das erreichen zu können, ist selbstverständlich Mehraufwand erforderlich. Auch müssen die bequemen Geschäftsräume verlassen und mutig neue Wege beschritten werden. Die Einführung einer Quote würde stattdessen die Bequemlichkeit fördern und viel tiefer sitzende Probleme verdecken.

 

 

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Corrina Gomani, Politikwissenschaftlerin und freischaffende Projekt- und Kulturmanagerin, ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Flüchtlinge von Bündnis 90/ Die Grünen Niedersachsen.