Ich bin Kübra

Kübra Kücük

 

von Kübra Küçük

 

Ich bin in der Türkei in der Stadt Afyonkarahisar geboren. Als ich nach Deutschland kam war ich 7 Monate alt. Als ich das Kindergartenalter erreichte, hat mich mein Vater zunächst noch nicht in den Kindergarten geschickt, da er die Absicht hatte, sowieso bald mit uns in die Heimat zurückzukehren.

Nach 2 Jahren hatte er diesen Traum noch nicht verwirklicht, und wir lebten immer noch in Deutschland. Meine Mutter wollte nicht länger warten, als sie merkte, dass wir auch in diesem Jahr nicht zurückkehren werden und meldete mich im Kindergarten an, damit ich nicht noch ein Jahr verliere.

Nach einem Jahr Kindergarten kam ich dann in die Schule und die Jahre vergingen.

In der zweiten Klasse hat mir ein Klassenkamerad die Frage gestellt: „Bist du Türkin?“ „Ja“ hatte ich ihm geantwortet. „Und du?“ „Ich bin natürlich Deutscher“, lautete seine Antwort. Als ob die Tatsache, dass er Deutscher ist, eine Selbstverständlichkeit wäre und die Tatsache, dass ich Türkin bin, nicht normal.

Die meisten unserer Nachbarn waren Türken und da wir fast ausschließlich Kontakte zu türkischen Familien pflegten, bemerkte ich erst neuerdings, dass in meiner Umgebung so viele Leute aus anderen Ländern leben. Wir leben aber in Deutschland. Als eine türkische Familie leben wir in Deutschland.

Das Haus, in dem ich Sprechen gelernt habe, die Erde, auf der ich meine ersten Schritte gemacht habe, gehören gar nicht mir!!!

Woher hätte ich das wissen sollen? Ich war nur damit beschäftigt zu wachsen und zu lernen.

Mit der Zeit bemerkte ich dann, dass der Sprachunterschied nicht der einzige  ist. Sie sind Christen, wir Moslems. Und da war auch noch der Kulturunterschied. An manchen schulischen Veranstaltungen, z.B. bei gemeinsamen Essen, wurden spezielle Fragen an mich gerichtet, wie: „Ihr esst kein Schweinefleisch, oder?“

Anfangs verwunderten mich diese Fragen ein wenig. „Nein, essen wir nicht“, antwortete ich. Bei allen anderen Kindern war es normal, dass sie Schweinefleisch essen – woher hätte ich das wissen sollen? Sie sind anders, ihre Sprache ist anders, ihre Essgewohnheiten sind anders, ihre familiäre Erziehung ist anders.

Aber eigentlich sind wir es, die anders sind! Woher hätte ich das wissen sollen? Wir sind eine türkische Familie, die als Ausländer in Deutschland lebt. Wir sind anders!

Am Anfang der 9. Klasse habe ich beschlossen, ab jetzt ein Kopftuch zu tragen. In den Schulen in der Türkei ist es verboten Kopftücher zu tragen – wusste ich nicht. Aus dieser Sicht war es ein Vorteil für mich, dass ich hier lebe.

Als ich in der 12. Klasse war, hat mich mein Englischlehrer gefragt: “Warum erschwerst du die Integration? Warum willst du nach außen unbedingt zeigen, dass du anders bist?“ Ich war erstaunt, als ich diese Frage hörte. Sah es nach außen wirklich so aus?

Ich versuche doch lediglich (obwohl durch andere festgelegt wurde, dass ich hier lebe, wodurch meine Suche nach mir selbst erschwert wurde) ich zu sein! „Ich erschwere nicht die Integration, ich versuche nur, meine Religion zu leben“, antwortete ich. Er sagte noch einmal: “Du musst das Kopftuch ja nicht in der Öffentlichkeit tragen, trage es doch zu Hause!“

Ich bin Muslimin. Ich bin Türkin. Und nur weil ich hier lebe, kann ich ja nicht aufhören Muslimin zu sein, Türkin zu sein, ich zu sein.

Ich habe es mir nicht ausgesucht, hier zu leben. Als ich meine Augen dem Leben, der Welt öffnete, erblickte ich Deutschland und lernte erst im Nachhinein, dass ich hier eine Fremde bin. Noch bevor ich auseinanderhalten konnte, wer bekannt, wer fremd, wer türkisch, wer deutsch, wer russisch, wer italienisch ist, hatten sie mich schon identifiziert, benannt, abgestempelt als „Ausländerin“.

Und da die Situation sich so ergeben hat, bleibt mir keine andere Wahl, als die Rolle, die mir zugeteilt wurde, zu übernehmen.

Wie jeder Mensch, der seine ihm zugeordnete Rolle zwangsweise spielt, begann auch ich, die mir, im Leben, zugeteilte Rolle zu spielen...    


 

Bild entfernt.

Kübra Küçük, geb. 1989, erhielt zum Abitur den Preis für „Kreatives Schreiben“ in Deutsch. Nach dem Abitur hat sie ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit absolviert. Zurzeit studiert sie Kultur- und Medienbildung.