von Ulrike Selma Ofner
Das Thema ‚Akademikerinnen mit Migrationshintergrund’ drängte sich mir förmlich auf, als Ende der 90er Jahre zur Debatte stand, den Erwerb der deutschen unter Beibehaltung der früheren Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Dieser Vorstoß der rot-grünen Regierung - und die von der hessischen CDU initiierte Unterschriftenkampagne dagegen - führten zu hitzigen Debatten in allen Medien. Eines der Argumente gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war die angeblich mangelnde Integrationsfähigkeit eines Großteils der Infrage kommenden MigrantInnen. Sie würden, nach Ansicht der Initiatoren und Befürworter der Kampagne, ‚unrechtmäßig’ von dieser Regelung profitieren.
Muslimische Migrantinnen im Pauschalverdacht, ‚nicht integrationsfähig’ zu sein
Wurde die Angelegenheit im Fernsehen debattiert, erschien prompt als Einspielfilm eine Straßenszene in einem Ballungsgebiet mit hohem MigrantInnenanteil, in dem mindestens eine Kopftuch tragende Frau zu sehen war. (Geändert hat sich daran übrigens bis heute nichts.) Mit solch visuellen Eindrücken wird transportiert, dass Migrationshintergrund, ‚kulturelle Differenz’ und soziale Randständigkeit miteinander verbunden seien. Das Kopftuch – als vermeintliches Sinnbild all dessen - gilt verbreitet zudem als Symbol für einen andersartigen Glauben, der Frauenunterdrückung absegne, und für Werthaltungen, die insgesamt von Rückständigkeit und Bildungsferne geprägt seien.
Diese Bilder erzeugen ein polarisierendes, kulturdifferentielles Stereotyp einer scheinbar homogenen Community von MigrantInnen. Es stellte sich nun die Frage, ob die Aufnahmegesellschaft überhaupt bereit ist, einen differenzierteren Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund zu werfen. Passt es nicht auch gut ins Klischee, MigrantInnen als marginalisierte Gruppe zu etikettieren, die schlecht bezahlte Jobs v.a. im Dienstleistungssektor versieht? Bietet der – auf Grund der ‚Unterschichtung’ durch die ArbeitsmigrantInnen ausgelöste - ‚Fahrstuhleffekt’ für die Einheimischen nicht eine bequeme Höherpositionierung für die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft? Wären diese überhaupt bereit, den Zugewanderten auf gleicher Ebene zu begegnen?
Die Medizinerin Aylâ K. drückte es folgendermaßen aus:
„Als Putzfrauen gehören Türkinnen zum ‚normalen’ Bild im Krankenhaus, aber als Ärztin akzeptiert zu werden, steht auf einem ganz anderen Blatt“. (1)
Wer mit Migrationshintergrund unter erschwerten Bedingungen das Bildungssystem bis zur höchsten Stufe erklommen hat, stellt bereits - neben Leistungsbereitschaft - in hohem Maße Adaptionsfähigkeit unter Beweis. Nun drängt sich die Frage auf, ob die Aufnahmegesellschaft auch bereit ist, diesen gut qualifizierten Menschen entsprechende Positionen auf dem Arbeitsmarkt zuzugestehen.
Statistische Daten zu BildungsinländerInnen stimmen durchaus optimistisch
Wirft man einen Blick auf (die wenigen verfügbaren) statistischen Daten (2), sieht es bezüglich der Arbeitsmarktinklusion zunächst vergleichsweise günstig aus für BildungsinländerInnen, wie Menschen mit ausländischem Pass und in Deutschland erworbener Hochschulzugangsberechtigung von Amts wegen genannt werden (und um die es in diesem Text schwerpunktmäßig gehen wird).
Ebenso wie BildungsausländerInnen, die in Deutschland studierten, sind sie deutlich erfolgreicher als z.B. jene Hochqualifzierten mit Migrationshintergrund, die ihr Studium im Ausland absolvierten. Im Alter von 31 bis 45 Jahren waren 6,9 % der BildungsinländerInnen arbeitslos. Dieser Wert ist zwar einerseits um weniger als die Hälfte niedriger als bei BildungsausländerInnen gleichen Alters (mit 14,6 %) aber andererseits immer noch mehr als doppelt so hoch als bei deutschen HochschulabsolventInnen, von denen lediglich 2,8 % von Arbeitslosigkeit betroffen sind (Statistisches Bundesamt 2008).
Genauere Betrachtung dämpft die Euphorie
Mustert man die Arbeitsmarkteinbindung mit dem ‚Mikroskop’ (sprich: unter Anwendung einer qualitativen Forschungsmethode), relativiert sich der zunächst so positiv erscheinende Eindruck. Selbst wenn man diejenigen untersucht, die es geschafft haben, bei deutschen ArbeitgeberInnen erwerbstätig zu sein, zeigt sich, dass sie mit erheblichen Hürden zu kämpfen hatten. (Solche Interviewpartnerinnen waren übrigens nicht leicht zu finden.)
Akzentfreie Sprachbeherrschung und ein überdurchschnittliches Diplom genügen nicht
Dr. med. Aylâ K. war während ihres Studiums und nach ihrem Abschluss keineswegs darauf fixiert gewesen, vor allem PatientInnen türkischer Herkunft zu behandeln. Trotz ihres überdurchschnittlichen Staatsexamens wurde sie nach etlichen vergeblichen Bewerbungen für die unmittelbar nach Studienabschluss obligatorische Annahme einer Stelle als „Ärztin im Praktikum“ nur zum Vorstellungsgespräch in einem Hamburger Krankenhaus eingeladen, in dem ein Großteil der PatientInnen Migrationshintergrund aufweist. Ihre künftige Arbeitgeberin machte kein Hehl daraus, dass sie vornehmlich als Mittlerin zwischen ärztlichem Personal und den zu Behandelnden gebraucht würde. Dies entsprach natürlich keineswegs Aylâs Ambitionen als junge Ärztin. Zudem bekam sie am Ende des Praktikumsjahres zu hören: „Was sollen wir denn in Ihr Zeugnis schreiben? Sie haben doch hauptsächlich als Dolmetscherin fungiert.“
Als sich Aylâ K. nach einer fachlichen Spezialisierung und einem Promotionsthema umzuschauen begann, wurde ihr von den Professoren nahe gelegt, sich schwerpunktmäßig auf spezielle gynäkologische Probleme von Patientinnen türkisch/muslimischer Herkunft zu verlegen. In dem Bereich gäbe es Forschungs- und Behandlungsbedarf.
Aylâ K. geriet in ein Dilemma. Sie hatte durchaus nichts dagegen, Patientinnen mit gleichem oder ähnlichem Migrationshintergrund zu betreuen – im Gegenteil. Aber es störte sie, eher fremdbestimmt auf die ‚Ethnoschiene eingespurt’ zu werden. Hätte sie sich gegen dieses Abdrängen in die ‚ethnische’ Nische gewehrt, wäre sie möglicher Weise Vorwürfen ausgesetzt worden wie: „Sie distanzieren sich nun wohl von Ihrer Community?“. Man würde ihr eine Entscheidung zurechnen, die selbst von ihr nicht intendiert war.
Ein anderes exemplarisches Beispiel für eine unfreiwillige berufliche Kehrtwende in die ‚ethnische Nische’ stellt der Fall der Anwältin Ebru Y. dar. Nach ihrem Jura-Examen eröffnet sie ein Anwaltsbüro in einer Gegend Berlin-Charlottenburgs, in der die Mietpreise eher Besserverdienenden Wohnen und Arbeiten ermöglichen. Nur sehr wenig Menschen mit Migrationshintergrund sind dort ansässig. Im gleichen Gebäude haben noch fünf deutsche AnwältInnen ihre Büros. Ebru Y. ist die einzige im Haus, die nach ein paar Monaten ihre Mietkosten immer noch nicht erwirtschaften kann. Sie wechselt nach Berlin-Neukölln und hat „ganz von selbst sofort Laufkundschaft“ (mit Migrationshintergrund), innerhalb kurzer Zeit einen ausreichend großen KlientInnenstamm und bereitet sich fortan keine Sorgen mehr um die Frequentierung ihrer Kanzlei.
Akademisch gebildete MigrantInnentöchter landen häufig im ‚Ethno-Business’
Mein Datenmaterial zeigte, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Akademikerinnen türkischer Herkunft nicht schlecht – eher sogar gut bis sehr gut – sind, sofern die MigrantInnentöchter Fachrichtungen wählten, die sie beruflich leicht innerhalb der ‚eigenethnischen Community’ unterkommen ließen. Es war überhaupt nicht schwierig, erfolgreiche Ärztinnen, Rechtsanwältinnen sowie (Sozial-)Pädagoginnen und -arbeiterinnen zu finden, die allesamt türkische oder KlientInnen mit anderem Migrationshintergrund betreuten.
Was die freiberuflich tätigen Medizinerinnen und Juristinnen anbelangt, werden sie in Ballungszentren mit hohem MigrantInnenanteil von entsprechenden PatientInnen bzw. MandantInnen aufgesucht, wobei die Zugehörigkeit zur gleichen ‚Ethnie’ nicht zwangsläufig eine Rolle spielen muss. Wie sich auch in einer zwischen 2005 und 2009 durchgeführten Studie zu BildungsausländerInnen (vgl. Nohl et al. 2010) zeigte, konsultieren Zugewanderte gerne Menschen mit Migrationshintergrund – auch wenn sie aus einer anderen Herkunftsregion stammen. Tatsächliche oder vermeintlich ähnliche Erfahrungshintergründe lassen sie größere Nähe und mehr Gemeinsamkeiten als zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft vermuten.
Deutsche verirren sich selten in Praxen und Kanzleien von MigrantInnen
Umgekehrt gaben interviewte ÄrztInnen, AnwältInnen und SozialarbeiterInnen an, dass der Anteil von sie konsultierenden Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft höchstens 10 – 15 % ausmache. Manche der Befragten brachten dies von selbst zur Sprache – und dabei klang jeweils durch, dass sie diesen Umstand (von Deutschen aufgesucht zu werden) für bemerkenswert hielten. Die meisten Interviewten machten diese Angaben aber erst auf Befragung. ÄrztInnen in beiden Studien äußerten sich durchweg zu Diskriminierungserfahrungen bei Praktika oder während ihrer Pflichtjahre in Krankenhäusern, in denen zwangsläufig deutsche PatientInnen von ihnen zu behandeln waren. Vorbehalte hätten sich bei diesen unfreiwilligen Kontakten aber häufig nach einem besseren Kennenlernen verringert bis aufgelöst.
Ethnisierung und Stereotypisierung
Ähnliche Größenordnungen bezüglich beruflicher Berührungspunkte mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft wurden auch von Sozialpädagoginnen und –Arbeiterinnen genannt: 10 – 15 % ihrer KlientInnen seien Deutsche. Ansonsten werde laut Angaben der Befragten eher automatisch bereits während des Studiums - sowohl von den ProfessorInnen als auch von den KommilitonInnen - angenommen, dass die Fachrichtung gewählt wurde, damit „später den eigenen Leuten geholfen“ werde könne. Bei Vorstellungsgesprächen werde schnell klar, dass (neben ihren Qualifikationen) der Name der Kandidatin Affinität zu einem bestimmten Personenkreis nahe legte, für den es passende BetreuerInnen braucht.
„Die Exotin man will davon weg und kommt irgendwie nich’ weg“ (3)
Manche Berufsbereiche in Erwerbssegmenten der Mehrheitsgesellschaft legen größere Offenheit (für MigrantInnen) nahe, wie Tourismus, künstlerische Gebiete, Journalismus etc. Jedoch schwebt auch über diesen Feldern das Damoklesschwert der Ethnisierung: Interviewpartnerinnen, die sich beispielsweise für Filmemachen interessierten, beschwerten sich über den Zwang, Stereotype reproduzieren zu müssen, wenn sie – auch – finanziell erfolgreich sein wollen. Mit ihrem Migrationshintergrund hätten sie keine Chancen, Plots zu realisieren, die fernab von TürkInnen-Klischees angesiedelt seien.
Journalistinnen beklagten neben der Etikettierung und Reduzierung auf MigrantInnen-Themen die Schwierigkeit, Artikel abseits stereotyper Sujets unterzubringen (vgl. Ofner 2003: 288): Es sei äußert mühsam und beschwerlich, ‚normale Themenfelder’ zu erobern und bearbeiten zu dürfen.
Außerhalb des Ethnobusiness herrschen verschärfte Bedingungen
Noch größerer Anstrengungen bedarf es laut Erfahrungen meiner Interviewpartnerinnen, in solche Arbeitsmarktbereiche vorzudringen, in denen der Migrationshintergrund keinerlei Vorteil bietet. Sobald es keinen Nutzen bringt, vermeintlich ‚bikulturelle Kompetenzen’ zu besitzen, stelle sich nicht nur keine neutrale Situation her, sondern das Gastarbeiterstigma gereicht geradezu automatisch zum Nachteil. Diese durch qualitative Interviews dokumentierten Wahrnehmungen finden Bestätigung in den Ergebnissen eines jüngst veröffentlichten quantitativen Experiments: Im Auftrag des ‚Forschungsinstitutes für Zukunft und Arbeit’ wurden mehr als 1000 fiktive Bewerbungen um Praktikumsplätze für Studenten der Wirtschaftswissenschaften mit identischen Qualifikationen verschickt. Bewerber mit türkischem Namen hatten deutlich seltener eine positive Rückmeldung erhalten (Kaas/Manger 2010).
Mein Datenmaterial zeigt, dass sich die ‚Aufnahmegesellschaft’ nur als solche erweist, wenn die Aufzunehmenden überdurchschnittliche Anstrengungen unternehmen und gleichzeitig in der Lage sind, Diskriminierung auszuhalten (vgl. Ofner 2003: 288). Dabei kommt es nicht zwangsläufig darauf an, dass die Betroffenen tatsächlich alle in gleicher Form Diskriminierung erfahren haben und heraus kristallisiert werden könnte, wie sich Ausgrenzung hauptsächlich zeige. Es kann bei Migrantinnen auch nicht von einer schlichten Addition unterschiedlicher Aspekte wie Geschlecht, ‚ethnische’ Zuordnung, Visibilität, Religionszugehörigkeit etc. gesprochen werden. Einzelne Faktoren können in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich stark relevant werden oder so ineinander verfilzt sein, dass nicht erkennbar wird, was zu welchem Anteil zur Marginalisierung beiträgt (zum Aspekt der Verflechtung von Mehrfachdiskriminierung von Migrantinnen siehe Gutiérrez-Rodríguez 1999).
Diskriminierung und ihre Wahrnehmung
In den von mir geführten Interviews dokumentierten sich beispielsweise auch sehr unterschiedliche Arten der Wahrnehmung von Benachteiligungen. Ausschlaggebend ist, dass alle MigrantInnen, die von ihrer Physiognomie her als solche erkennbar waren, von Diskriminierungserfahrungen berichteten. Die Auswertung narrativer Interviews bringt zu Tage, wie Erfahrungen symbolischer oder legaler Exklusion von den Betroffenen wahrgenommen werden. Die Vielfalt von Ausgrenzungserfahrungen wird dokumentiert und beleuchtet, wie die Betroffenen auf diese Exklusionsformen reagieren. Die Reaktionen können zwischen den Polen ‚Herunter Spielen’ und ‚Sensibel Reagieren’ stattfinden und spiegeln sehr stark die jeweiligen Lebensumstände wider, in denen die Exklusionserfahrungen gemacht wurden (Ofner 2010: 226-232).
Die Wechselwirkungen der Angst vor Diskriminierung
Die latente Drangsal von Herabwürdigung bzw. die Angst davor, bedeutet für die sich potentiell bedroht Fühlenden ein Klima, das sie empfindlich negativ beeinträchtigt – auch ohne direkt mit plumpen Ausgrenzungsattitüden konfrontiert zu sein. Bei den akademisch gebildeten MigrantInnentöchtern türkischer Herkunft - die zudem mit dem Gastarbeiterstigma zu kämpfen haben - zeigte sich bemerkenswerter Weise, dass ihr Bildungsaufstieg und berufliches Reüssieren nicht nur von ihrer Leistungsfähigkeit abhing. Die Bereitschaft und Eignung, überdurchschnittlich viel und Ausgezeichnetes zu leisten, war nur eine der beiden Voraussetzungen für Erfolg. Als zweite unabdingbare Prämisse für die Karriere kristallisierte sich in meiner Untersuchung die Fähigkeit heraus, mit Diskriminierung umzugehen bzw. sie nicht zu nah an sich heran kommen zu lassen. Dies galt bereits auf dem Bildungsweg und besonders dann für jene, die in beruflichen Kontexten der Mehrheitsgesellschaft tätig sind. Daraus ließe sich schließen, dass Exklusionsmechanismen in der Aufnahmegesellschaft strukturell verankert sind, die sich – verheerender noch, weil weniger greifbar und augenfällig als offener Rassismus – in subtilen Diskriminierungsformen auswirken.
Symbolische Exklusion
Besonders, wenn Marginalisierungsattitüden in wohlmeinender Manier daher kommen, sind sie nicht sofort als solche zu erkennen. Canan E. bekam beispielsweise am Ende ihrer Gymnasialzeit von einer Berufsberaterin (und der ihr beipflichtenden Lehrerin) den vordergründig förderlichen Rat, doch die Sozialarbeiterinnen-Laufbahn einzuschlagen. Dann wäre sie später in der Lage, „ihren Landsleuten unterstützend zur Seite zu stehen“. Erst nach einigen Jahren Praxiserfahrung stellt Canan fest, dass dieser Weg sie auf einer relativ niedrigen Entscheidungsebene hält und „in eine Sackgasse geführt“ hat, die sie beruflich auf die ‚ethnische Community’ einschränkt. Diese Form der Abdrängung in marginale Bereiche erschließt sich für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft noch weniger als für die Betroffenen. Sie erscheint den Umständen angemessen und es wird übersehen oder ausgeblendet, dass sich auf diese Art bestehende Trennlinien eher verfestigen, als dass sie für die Ausgegrenzten durchlässiger werden.
In der Forschung zu MigrantInnen mit ausländischen Bildungstiteln wurden die im empirischen Material dokumentierten Erfahrungen rassistischer, ‚ethnischer’ oder kulturalistischer Differenzierung und deren soziale Auswirkungen - auf Eder, Rauer und Schmidtke (2004) gestützt – unter dem Begriff „symbolische Exklusion“ zusammengefasst. Er geht auf Pierre Bourdieus Konzept „symbolischer Macht“ zurück. Untersuchungen zum sprachlichen Habitus, zu männlicher Herrschaft und zur politischen Führungsschicht dienten Bourdieu dabei als empirische Grundlage (…). Bourdieu definiert symbolische Macht als „eine Macht, die in dem Maße existiert, wie es ihr gelingt, sich anerkennen zu lassen, sich Anerkennung zu verschaffen; (…) die die Macht hat, sich in ihrer Wahrheit als Macht, als Gewalt, als Willkür verkennen zu lassen“. Ihre eigentliche Wirksamkeit entfalte sich „nicht auf der Ebene physischer Kraft, sondern auf der Ebene von Sinn und Erkennen“ (1992, S. 82; Hervorhebung USO (vgl. Ofner 2010: 224)).
Symbolische Macht und Exklusion am Beispiel von Canan E dokumentieren sich in
- der stillschweigenden Annahme, MigrantInnen seien hilfsbedürftig;
- der unhinterfragt kulturdifferenziellen Sichtweise (MigrantInnen und Einheimische würden sich so stark voneinander unterscheiden, dass sie in einem BeraterInnen/KlientInnenverhältnis besser unter sich blieben);
- der Marginalisierung nicht nur durch die Ethnisierung.
Canan empfand die Empfehlung eines Fachhochschulbesuches retrospektiv als Herabwürdigung ihrer Potentiale und in Schranken verwiesen worden zu sein. Mitschülerinnen mit gleichem Notendurchschnitt sei der Besuch einer Universität nahe gelegt worden.
Der dokumentarische Beitrag der Wissenschaft
Die „verborgenen Mechanismen der Macht“ (Bourdieu 1992) aufzudecken, zu zeigen, wie sie funktionieren und sich auswirken, stellt den ersten Schritt dar, um sie wirksam(er) bekämpfen zu können. Dazu vermögen Studien auf der Grundlage von Methoden rekonstruktiver Sozialforschung einen Beitrag zu leisten. Wir dürfen z.B. auch gespannt sein auf die Ergebnisse einer seit Mai 2009 laufenden Studie zur „Integration hochqualifizierter Migrantinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt“ die im Verbund von mehreren Universitäten (HU Berlin, TU Hamburg-Harburg, RWTH Aachen) durchgeführt wird, um „Effekte der Migration auf die Karriereverläufe hochqualifizierter Frauen in Technologiebranchen“, die vor allem aus Osteuropa zugewandert sind.
Damit soll hier nochmals die Aufmerksamkeit auch auf jene gerichtet werden, die ihr Studium auf einer ausländischen Hochschule absolvierten. Mit 7,84 % liegt der Anteil der Bildungs-ausländerInnen an allen Hochqualifizierten in Deutschland relativ hoch (Nohl/Weiß 2009) und vermutlich deutlich höher, als der Großteil der Aufnahmegesellschaft schätzen würde. Sie haben – wie oben bereits angedeutet – mit (noch) größeren Problemen zu kämpfen, als die BildungsinländerInnen.
Wie eingangs angeführt, sind AkademikerInnen mit einem Hochschulabschluss, den sie außerhalb Deutschlands erworben haben, mit 14,6 % besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. In der Wissenschaft finden seit der Jahrtausendwende die Hochqualifizierten mit Migrationshintergrund generell verstärkt Aufmerksamkeit. Titel wie beispielsweise „Brain Waste“ (Englmann/Müller 2007) und „verschenkte Potentiale“ (Brussig/Knuth 2009) deuten auch auf volkswirtschaftliche Auswirkungen der Nicht-Anerkennung von Qualifikationen oder anderer Formen der Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt.
Wichtig ist es jedoch, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien Gegenstand einer breiteren öffentlichen Debatte gemacht werden, denn der Verbleib im ‚Elfenbeinturm’ wird kaum etwas zu Änderungen der Wahrnehmung der Zugewanderten beitragen. Der Großteil der Aufnahmegesellschaft registriert Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt entweder als schlecht Ausgebildete oder als Greencard-Inhaber. Dass ein breiteres Spektrum dazwischen, von Mittel- bis Hochqualifizierten, existiert, die – stärker als ihre deutschen MitbewerberInnen - um Anerkennung ihres Können und Wissens kämpfen müssen, bleibt weitgehend unbemerkt.
Endnoten
(1) Dieses und alle folgenden Zitate ohne Quellenangabe sind meiner zwischen 1999 und 2002 durchgeführten Studie zu „Akademikerinnen türkischer Herkunft“ entnommen, vgl. Ofner 2003.
(2) Für die Zurverfügungstellung der Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und der Sonderauswertung des Mikrozensus (2008) im Rahmen der (2005-2009) von der VW-Stiftung geförderten Untersuchung zum Thema „Kulturelles Kapital in der Migration“ danke ich der Universität Siegen und den ProjektleiterInnen Nohl, Schittenhelm, Schmidke und Weiß.
(3) Aussage der Interviewpartnerin Berrin C. (Ofner 2003: 8)
Literatur
- Bourdieu, Pierre Die Intellektuellen und die Macht. Hamburg 1991
- Bourdieu, Pierre Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg 1992
- Brussig, M./Dittmar, V./Knuth, M. Verschenkte Potentiale, IAQ-Report 2009-08; Duisburg/Essen
- Englmann, B./Müller, M. Brainwaste. Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in Deutschland. Augsburg 2007 Gutiérrez-Rodríguez, Encarnación Intellektuelle Migrantinnen. Opladen 1999
- Kaas, L./Manger, C. Ethnic Discrimination in Germany’s Labour Market: A Field Experiment. Discussion Paper IZA DP No. 4741, February 2010, Bonn
- Nohl, Arnd-Michael Interview und dokumentarische Methode, Wiesbaden 2008
- Nohl, A-M./Schittenhelm, K./Schmidtke, O./Weiß, A. (Hg.:) Kulturelles Kapital in der Migration. Hochqualifizierte Einwanderer und Einwanderinnen auf dem Arbeitsmarkt. Wiesbaden 2010
- Nohl, A-M./Weiß A.: Jenseits der Greencard: Ungesteuerte Migration Hochqualifizierter. In: APuZ 44/2009 („Aus Politik und Zeitgeschichte“, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“) 26.10.2009 (S. 12-18)
- Ofner, Ulrike Selma Akademikerinnen türkischer Herkunft. Narrative Interviews mit Töchtern aus zugewanderten Familien. Berlin 2003
- Ofner, Ulrike Selma: Symbolische Exklusion als Erfahrung von BildungsausländerInnen mit akademischem Abschluss. In: Nohl, A-M./Schittenhelm, K./Schmidtke, O./Weiß, A. (Hg.:) Kulturelles Kapital in der Migration. Wiesbaden 2010, S. 224-234
- Statistisches Bundesamt: Sonderauswertung Mikrozensus: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Wiesbaden 2008
Dr. Ulrike Selma Ofner ist seit 2008 Dozentin an der Helmut-Schmidt-Univeristät in Hamburg. Sie arbeitete im Projekt "Kulturelles Kapital in der Migration" mit.