»A (virtual) network of friends that I haven't met yet« Move on up! – (K)Eine ganz gewöhnliche Mailingliste

Lesedauer: 7 Minuten
Logo "Move on Up"

von Jihan Jasmin S. Dean und Hanna Hoa Anh Mai

Wie alles anfing...
Die Mailingliste »Move on up!« ist aus einer gleichnamigen Veranstaltung heraus entstanden: Unter dem Titel »Move on up! Empowerment Visionen in Bewegung« fand im Jahr 2008 in Berlin das »Empowerment Forum« aus der Perspektive von People of Color (PoC) statt. Es richtete sich ausschließlich an Menschen, die in Deutschland (potentiell) mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert sind. In Workshops, Lesungen, Vorträgen und in der Freizeit tauschten sich die Teilnehmenden über ihre Erfahrungen als PoC in Deutschland aus, bildeten sich weiter und knüpften Netzwerke.

Um im Austausch zu bleiben, wurde im Anschluss ein E-Mail-Verteiler eingerichtet, in den zu Beginn ca. 30 Personen eingetragen waren. Zunächst als Informations- und Organisations-Medium gedacht, entwickelte sich die Mailingliste schnell zu einem eigenen virtuellen Community- und Empowerment-Raum. Anfangs kannten sich noch alle Mitglieder untereinander, doch dies sollte sich bald ändern.

Bis 2012 ist der Verteiler auf 350 Mitglieder angewachsen. Die meisten Menschen sind über persönliche Kontakte dazugekommen, einige waren Teilnehmende bei Empowerment-Seminaren, haben sich bei Veranstaltungen kennengelernt und andere sind zufällig im Internet auf die Liste gestoßen. Diesen stellen wir als Administrator_innen den Verteiler vor und bitten sie um eine Selbstpositionierung, um sicherzustellen, dass der Verteiler ein PoC-Raum bleibt.

Dann erhalten wir beispielsweise Antworten wie diese:

»Kurzum: Ich mutierte von der Umweltaktivistin zur sozialen Aktivistin, bekenne mich als woman of color und bringe das Thema ins konservative München (…) Im Verteiler erhoffe ich mir eine Community ähnlich Gesinnter, ich erhoffe mir fruchtbare Dialoge (wie gesagt komme ich aus München und da haben nur die Allerwenigsten jemals vom Begriff 'people of color' gehört!) und weiteres Empowerment.«

Als Administrator_innen des Move on up!-Verteilers sehen wir uns lediglich als Verwalter_innen, agieren jedoch nicht als Moderator_innen, für die Inhalte und Diskussionen sind alle Teilnehmenden verantwortlich. Wenn wir nun diesen Beitrag schreiben, dann sprechen wir nicht im Namen von Move on up!, sondern schildern lediglich unsere persönliche Wahrnehmung.

 

Alltägliche Vernetzung und Unterstützung

Die Mailingliste wird auf vielfältige Weise genutzt. Es gibt einen Austausch über Alltagssituationen und das Handeln gegen Rassismus, es wird um Rat gefragt und Rat gegeben, so werden zum Beispiel Adressen von Ärzt_innen, die selber PoC sind oder mit denen PoC gute Erfahrungen haben, weitergegeben. Es finden sich Links zu Presseartikeln und Diskussionen darüber, Diskussionen über aktuelle politische Ereignisse und die Medienberichterstattung, Vernetzung für gemeinsame Aktivitäten, Stellenanzeigen, Veranstaltungstipps, Musik- und Literaturhinweise, Filme, WG-Gründungen und Zimmergesuche. Tagungen werden organisiert und die Mitglieder nutzen den Verteiler, um über andere Aktivitäten, Demos, Veranstaltungen, an denen sie beteiligt sind, zu informieren oder zu mobilisieren.

Move on up! ist kein Verein, hat keine Vertretungsstruktur und keine einheitlichen Positionen, sondern funktioniert als Netzwerk, was unseres Erachtens auch seine Stärke ist. Die einzelnen Listenmitglieder sind in einer Vielzahl anderer Zusammenhänge aktiv. Trotz aller Unterschiede teilen die Mitglieder neben der Verwendung des PoC-Begriffs jedoch auch eine emanzipatorische Haltung als politische Grundrichtung.


Eine virtuelle Community

Wir finden, der Move on up!-Verteiler ist alles, was eine auf geteilter Erfahrung basierende Community ausmacht: Solidarität, Zugewandtheit, Empowerment, Diskussionen, aber auch manchmal Streit und Missverständnisse. Unterschiedliche politische Strategien werden sichtbar, etwa dazu, wann PoC sich in von Weißen domininierte Strukturen hineinbegeben sollen und wann nicht. Manche Diskussionen sind kontrovers und lang, manchmal sind es an die 20 Mails pro Tag. Manche Listenmitglieder steigen aus, andere kommen dazu. Es gelingt aber immer wieder durch Kontroversen hindurch Verbindendes festzustellen. Dennoch möchten wir nicht die Erwartung wecken, dass dies immer und für alle ein »geschützter Raum< sein kann. Denn neben der gemeinsamen Verwendung des PoC-Begriffs gibt es viele Unterschiede zwischen den Listenmitgliedern, womit auch unterschiedliche Verletzbarkeiten, zum Beispiel in Bezug auf Aufenthaltsstatus, Gender, Religion etc. einhergehen. Wir sprechen stattdessen bewusst von einem PoC-Raum.

Die folgenden Zitate und die Überschrift dieses Beitrags sind Antworten auf eine Umfrage unter den Listenmitgliedern zu den Fragen: Wofür nutzt ihr den Verteiler und was bedeutet er euch?

»Es tut enorm gut zu wissen, dass die Themen, welche mich beschäftigen hier kein Randthema sind. Obwohl ich hier wenig schreibe, baut es mich auf, zu lesen wie auch andere PoCs aktiv sind und sich nicht unterkriegen lassen. Schon alleine das durchstöbern der Mails von Menschen, die ich zum größten Teil nicht persönlich kenne, gibt mir Kraft. Hier sehe ich sofort, wo und wann ich mich zu verschiedenen Themenbereichen informieren und weiterbilden kann. Viele Mails sind voller positiver Energie und Power und unsichere Verfasser_Innen werden von den anderen aufgebaut und bestärkt. Move-On-Up ist ein geschützter Raum - anders als bei Facebook und Co gibt es hier keine beleidigenden Kommentare am Ende eines Beitrages zu lesen. Der Move-On-Up Verteiler gibt mir also die Chance Mails und Kommentare zu lesen, ohne Angst haben zu müssen, dass ich verletzt und enttäuscht meinen Laptop runterfahre. Eher bin ich im Guten überwältigt und bedauere es sehr, dass ich nicht immer alle Diskussionen verfolgen kann. Dieser Verteiler ist tatsächlich ein Teil meines Empowerments.«


»Der Verteiler ist für mich eine Art 'community'. Ich habe durch move-on-up viele Leute kennengelernt und Zugang zu sehr vielen PoC-Veranstaltungen, was mir vorher in Berlin sehr gefehlt hat. Ich habe mich sonst als PoC in Berlin ziemlich einsam gefühlt. Er spielt in meinem Leben eine große Rolle und ich finde es wichtig, an solchen Räumen teilzunehmen. Manchmal sind es viele Emails an einem Tag, aber es lässt sich noch 'managen'.«


»zusammenhalt! wachstum! LOVE! SHARING! unity! CREATIVITY! exchange! INSPIRATION! WARMTH! professionalism! and much more that words can not express...«


Entgegen der häufig geäußerten Kritik an Identitätspolitiken zeigt die Alltagspraxis des Verteilers, dass „People of Color“ als gemeinsamer Begriff hilfreich ist, um geteilte Erfahrungen mit Rassismus überhaupt benennen zu können, um Menschen, die diese Erfahrungen teilen, in einen Austausch zu bringen und antirassistische Praxen und Analysen aus PoC-Perspektiven weiterzuentwickeln.

Die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung im Verteiler können den Einzelnen helfen, PoC-Perspektiven auch in anderen Zusammenhängen, seien es politische Gruppen oder die Schule der Kinder, einzubringen und Rassismus, der vorher oftmals als individuelles Problem erschien, auf einer gesellschaftlichen Ebene zu verstehen, zu thematisieren und zu bekämpfen, ohne dabei in essentialistischen Kategorien stecken zu bleiben.

Darüber hinaus ermöglicht der Verteiler eine solidarische Haltung über Community-Grenzen hinweg. Viele der Mitglieder verorten sich auch in anderen, zum Beispiel migrantischen, Schwarzen oder Roma-Communities, manche verstehen sich in erster Linie als Queers of Color. „Move on up“ ist ein Knotenpunkt geteilter Erfahrungen von PoC als Austausch- und Informationsraum.

Als Administrator_innen sehen wir unsere Aufgabe darin, diesen Austausch zu ermöglichen und die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wir geben keine „allgemeingültige Definition“ des PoC-Begriffs vor, sondern betrachten gerade die Liste selbst als Ort für Aushandlungsprozesse darum. Vielleicht sind es sogar die Unterschiede zwischen People of Color, die Uneindeutigkeiten im Hinblick auf Zugehörigkeiten, die Kontextgebundenheit von Erfahrungen, die Aushandlungsprozesse, die den Begriff und die widerständigen Praxen in Bewegung und somit lebendig halten.


Hanna Hoa Anh Mai ist Diplom-Pädagogin. Sie promoviert zum biografisch-professionellen Wissen von Pädagog_innen of Color in migrationspädagogischen Arbeitsfeldern und arbeitet praktisch und theoretisch zu den Themen Empowerment, Rassismus und Migrationspädagogik.

Jihan Jasmin S. Dean: Meine Migrationsroute führt von einem kleinen schwäbischen Dorf über Tübingen nach Berlin. Zurzeit arbeite ich an einer Dissertation über Selbstpositionierungsprozesse rassifizierter Communities in Deutschland seit der Vereinigung.