Editorial Dossier Internationale Solidarität Revisited

Installationsansicht der Ausstellung "Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration", 10.07.-15.09.2009, Rathausgalerie München.
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Installationsansicht der Ausstellung "Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration", 10.07.-15.09.2009, Rathausgalerie Mchen.

Die Globalisierung hat nicht nur den weltweiten Austausch von Gütern und Waren verstärkt. Auch immer mehr Menschen migrieren, um in einem anderen Land zu arbeiten. Diese weltweite Arbeitsmigration hat viele Gesichter: Mitarbeiter_innen internationaler Konzerne wechseln den Einsatzort. Während Hochqualifizierte wenigen Beschränkungen begegnen, wird die Migration von weniger qualifizierten Arbeitskräften von den Empfängerländern zunehmend streng reguliert. Dies führt unter anderem dazu, dass Menschen im Rahmen irregulärer Migrationsprozesse wandern. Sie sind auf Grund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus und mangelnder (arbeits-)rechtlicher Einbindung in besonderer Gefahr, ausgebeutet und Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden.

Welche Rolle können Gewerkschaften angesichts von Deregulierung und weltweiter Migrationsprozesse spielen? Oftmals befanden und befinden sich Gewerkschaften in einem Zwiespalt: Eingebunden in nationale Strukturen stellt sich ihnen die Frage, inwieweit sie die Rechte der einheimischen Arbeitnehmer_innenschaft und Errungenschaften von Arbeitskämpfen/Streiks gegen (ungesteuerte) Zuwanderung verteidigen sollen. Lange Zeit wurden zum Beispiel in Deutschland Menschen, die ohne gültige Aufenthaltspapiere arbeiten, nicht als Zielgruppe von Gewerkschaftsarbeit gesehen, sondern eher als Bedrohung für die angestammte Gewerkschaftsklientel.

Das hat sich inzwischen geändert. Entsprechend internationaler Empfehlungen, etwa seitens der ILO, hat sich ein Verständnis durchgesetzt, dass Menschen unabhängig davon, ob sie auf legalem Weg eingereist sind oder nicht, ob ihr Arbeitsverhältnis legal ist oder nicht, dennoch grundsätzlichen menschen- und arbeitsrechtlichen Schutz genießen sollen.

International gesehen kooperieren Gewerkschaften auf unterschiedlichen Ebenen, zum Beispiel der EU. Dabei sehen sich vor der Herausforderung, verschiedene Rechtssysteme und gewachsene Strukturen zusammenzubringen. Was mancherorts als große Errungenschaft gewerkschaftlicher Aktivitäten gefeiert wird, mag anderenorts schon zum Standard gehören.

Seit Jahren sind zurückgehende Mitgliederzahlen ebenfalls ein Thema für viele Gewerkschaften. Für die Gewinnung neuer Mitglieder ist es entscheidend, dass sich Gewerkschaften auch selbst weiterentwickeln und der Diversität der Beschäftigten und zum Teil auch der neuen Beschäftigungsverhältnisse gerecht werden. Als ein Modell partizipativer und erneuernder Gewerkschaftsarbeit gilt das sogenannte Organizing. Es ist ein Bezugspunkt sowohl für (internationale) Gewerkschaftsdebatten als auch für Forschungen wie etwa die Labour Revitalization Studies. Das Modell des Organizing kommt aus den USA und kann dort auf einige Erfolge verweisen, gleichzeitig ist es stark auf die Spezifika angelsächsischer industrieller Beziehungen ausgerichtet. Organizing ist im Grunde ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Formen von (gewerkschaftlichem) Protest und Aktionsformen.

Das Dossier betrachtet die Rolle von Gewerkschaften beim Thema Migration in Zeiten des demografischen Wandels – ausgehend von grundlegenden Menschen- und Arbeitsrechten - unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Wie verändern Migrationsprozesse das Selbstverständnis von national organisierten Gewerkschaften? Wie können sie sich interkulturell öffnen und unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmer_innen angemessen vertreten? Wie vertreten sie auch Menschen, die im Rahmen irregulärer Migrationsprozesse nach Deutschland gekommen sind?
  • Welche Rolle haben Gewerkschaften als politischer Akteur beim Thema Migration? Welche migrationspolitischen Positionen nehmen sie ein, auch im europäischen Vergleich? Wie thematisieren sie Diskriminierung in der eigenen Organisation und auf dem Arbeitsmarkt?
  • Welche Möglichkeiten bietet Organizing für Gewerkschaften – in Deutschland und in anderen Ländern? Welche Erfolge, welche Schwierigkeiten gibt es? Wie können insbesondere sozial marginalisierte Arbeitnehmer_innen Organizing-Strategien nutzen?

 

Angesichts globaler Migrationsprozesse wirft das Dossier einen Blick auf internationale Beispiele von Gewerkschaftsarbeit und Organizing. Beiträge aus der Politik, unterschiedlichen Gewerkschaften, Initiativen und der internationalen Forschung treten in dem Dossier in einen durchaus kontroversen Dialog.

 

Julia Brilling                                                     Elisabeth Gregull
Heinrich-Böll-Stiftung                                     Dossier-Redakteurin