Bilinguale Grundschulen in Hamburg – ein erfolgreicher Schulversuch

Resümee
Der folgende Beitrag fasst Ergebnisse eines Schulversuchs zusammen, in dem seit dem Schuljahr 1999/2000 Ansätze bilingualer Erziehung nach einem Two-Way-Immersion-Modell erprobt werden. Dies wäre an sich nichts Besonderes - wenn es sich nicht bei den beteiligten Partnersprachen um solche handelte, die von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland gesprochen werden. Der Hamburger Schulversuch bezog zunächst die Partnersprachen Portugiesisch, Italienisch und Spanisch ein; später kamen zwei Schulen mit Türkisch als Partnersprache hinzu. Eine weitere Besonderheit des Modells ist es, dass es von Anfang an wissenschaftlich begleitet und evaluiert wurde. Somit liegen Daten über vier Jahre der Sprachentwicklung aus diesen Schulen vor.1  Zwar konnten nicht alle methodisch wünschenswerten Datenerhebungen durchgeführt werden - so war es beispielsweise nicht möglich, Kontrollgruppen mitzuführen. Dennoch sind die erzielten Ergebnisse mindestens so aussagekräftig, dass sich sehr gute Fingerzeige auf wünschenswerte Anschlussuntersuchun-gen ergeben. Darüber hinaus sind klare Aussagen darüber möglich, was von bilingualen Modellen des betrachteten Typs an Sprachlernerfolgen erwartet werden kann - und was nicht.

Der Schulversuch
Seit dem Schuljahr 1999/2000 wird in Hamburg Grundschulkindern ein zweisprachiges Unterrichtsangebot gemacht, in das die Sprachen zugewanderter Minderheiten einbezogen sind. Die Initiative ging von einer Grundschule aus, in deren Einzugsgebiet viele portugiesischsprachige Kinder lebten. Angeregt durch das Modell der Staatlichen Europa-Schule Berlin (SESB)2, nach dem deutschsprachige Kinder mit Kindern jeweils einer ausgewählten Sprache gemeinsam unterrichtet und zu Zweisprachigkeit erzogen werden, wurde zwischen dem portugiesischen Konsulat und der Hamburger Schulbehörde ein Konzept vereinbart, um portugiesische und deutsche Kinder gemeinsam zweisprachig zu alphabetisieren und zu unterrichten. Das Konsulat war bereit, diesen Versuch durch Bereitstellung einer zusätzlichen Lehrkraft mit 14 Stunden pro Woche zu unterstützen.3  Auch das Italienische Konsulat äußerte Interesse an einem solchen Unterrichtsangebot; eine zweite Grundschule in geeigneter zentraler Lage wurde gefunden und eine Pilotphase gestartet. Im Schuljahr 2000/01 begannen an denselben Schulen die ersten Modellklassen des Schulversuchs „Bilinguale Grundschulklassen in Hamburg“. Im darauf folgenden Schuljahr wurde der Versuch um zwei Schulen mit spanisch-deutschen Klassen sowie im Schuljahr 2003/04 um zwei türkisch-deutsche Klassen erweitert. Derzeit (Schuljahr 2007/08) bestehen an sechs Standorten für vier Sprachen 24 Klassen mit ca. 500 Kindern. Seit 2005 findet der Schulversuch eine Fortsetzung in der Sekundarstufe I, wo an zwei Gymnasien und drei Gesamtschulen den Kindern aus den bilingualen Grundschulklassen das Angebot gemacht wird, ihre Schullaufbahn zweisprachig fortzusetzen. Weitere Kinder kommen hinzu, die über Voraussetzungen in den entsprechenden Sprachen verfügen.

Die organisatorische Gestaltung und Klassenzusammensetzung
Bei der sprachlichen Zusammensetzung der Klassen wird die Leitlinie verfolgt, dass je zur Hälfte die Kinder einsprachig oder dominant in einer der beiden beteiligten Sprachen sein sollen. Die Nationalität der Kinder hat nur geringfügigen Einfluss auf die Klassenzusammensetzung insofern, als in den spanisch-deutschen Klassen Kinder spanischer Nationalität solchen aus südamerikanischen Staaten vorgezogen werden. Es können Kinder aus dem gesamten Stadtgebiet angemeldet werden. Bei einer höheren Zahl von Anmeldungen als vorhandenen Schulplätzen wird gelost. Die Klassenfrequenz liegt so hoch wie in normalen Grundschulklassen. Die tatsächliche sprachliche Situation der Kinder und die Zusammensetzung der Klassen sind jedoch weitaus differenzierter und vielfältiger, als die Bezeichnung „bilinguale Klasse“ suggeriert. Grundsätzlich können vier Konstellationen unterschieden werden, deren Verteilung in den verschiedenen Klassen und Sprachgruppen sehr unterschiedlich ist: Kinder, die (bei Einschulung) einsprachig deutsch sind; Kinder, die einsprachig in der Partnersprache6 sind; Kinder, die zweisprachig in der Partnersprache und dem Deutschen sind; Kinder, die zweisprachig in einer dritten Sprache und dem Deutschen sind. Im Laufe der vier Schuljahre kommt es in allen Klassen zu Veränderungen der sprachlichen Konstellationen, weil Kinder die Klassen verlassen (u.a. um ihre Schullaufbahn im Land der Partnersprache fortzusetzen) oder als ein- bzw. zweisprachige Kinder der Partnersprache neu nach Hamburg kommen. Nach unseren Beobachtungen bei der wissenschaftlichen Begleitung wirkt sich die Integration von „Seiteneinsteigern“ in der Weise aus, dass für eine Übergangszeit der informelle mündliche Gebrauch der Partnersprache im Kontakt mit dem neu hinzugekommenen Kind ansteigt. Die Kinder selber lernen relativ schnell Deutsch und können ihre Kompetenzen in den Partnersprachen im Unterricht sinnvoll nutzen.

Betrachtet man den sozialen und Bildungshintergrund der Kinder, zeigt sich eine sehr hohe Heterogenität. Die Klassen sind offenbar attraktiv für Familien mit gehobener sozialer Position und großem Bildungskapital, zugleich aber auch für Eltern, die keine schulische Ausbildung erfahren haben. Dies bildet sich auch in der beruflichen Stellung der Eltern ab. Etwa 40 % der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Es kann also weder davon gesprochen werden, dass die bilingualen Klassen ein „Eliteangebot“ für Kinder sind, denen aufgrund des Bildungshintergrunds ihrer Familien eine zweisprachige Erziehung bereits in der Grundschule zugemutet werden könne, noch von einem Angebot für Migrantenkinder, das für deutsche Eltern nicht interessant ist.

Für die bilingualen Grundschulen gelten dieselben Rahmenbedingungen und curricularen Regelungen wie für alle Grundschulen7: Die Kinder erhalten täglich Unterricht von 8.00 bis 13.00 Uhr; auch bei Ausfall von Lehrkräften ist diese Zeit garantiert. Es gibt offene Eingangs- oder Ausgangsphasen, in denen der Unterrichtsbeginn bzw. -schluss flexibel gestaltet ist. Zusätzlich stehen pro Klasse aber zwölf Unterrichtsstunden einer Lehrkraft der Partnersprache - bezahlt vom jeweiligen Konsulat - zur Verfügung. Hinzu kommen für diese und die Klassenlehrerin, die gleichzeitig die Deutschlehrerin ist, je zwei Stunden für Absprachen und Vorbereitungen. Die Doppelbesetzung kann dafür genutzt werden, gemeinsam im Team die ganze Klasse oder je eine Halbgruppe zu unterrichten. In den meisten Klassen haben sich die Lehrkräfte dafür entschieden, die Kinder parallel in beiden Sprachen zu alphabetisieren, wobei dies in einigen Klassen um vier bis sechs Wochen zeitlich versetzt zunächst in Deutsch und dann in der Partnersprache geschah. Mathematik wird die gesamte Grundschulzeit hindurch auf Deutsch unterrichtet, während der Sachunterricht immer größere Anteile in der Partnersprache erhält, bevor er im vierten Schuljahr ganz auf Italienisch, Portugiesisch, Spanisch oder Türkisch erteilt werden soll. Bei der Verteilung der Sprachanteile hat der deutschsprachige Unterricht ein Übergewicht. Ab dem dritten Schuljahr wird Englischunterricht erteilt.

Für den Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer in den bilingualen Klassen gelten keine besonderen Voraussetzungen; sie kommen aus den Grundschulkollegien der beteiligten Schulen. Die Schulleitungen bemühen sich zwar darum, bei Neueinstellungen oder Wechseln an die Schule solche Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen, die über Kenntnisse in den Partnersprachen verfügen; vielfach beherrschen die deutschen Teampartner die erforderlichen Sprachen aber nicht. Manche lernen sie parallel zu den Kindern bzw. mit ihnen. Auch über den Einsatz von zweisprachigen Referendarinnen und Referendaren - die z.B. einen Migrationshintergrund haben - versuchen die Schulen Personal mit Kompetenz in den Partnersprachen hinzuzugewinnen.

Didaktische Aspekte
In den bilingualen Grundschulklassen wird angestrebt, Kinder in Deutsch und der ausgewählten zweiten Sprache so zu unterrichten, dass sich ihre mitgebrachten Sprachen altersgerecht weiterentwickeln und die Zweitsprache bzw. die Partnersprache mündlich und schriftlich sicher erworben wird. Ziel ist individuelle Bilingualität, jedoch werden die beiden beteiligten Sprachen mit unterschiedlichem Gewicht berücksichtigt. Die deutsche Sprache soll in dem Maß gelernt werden, wie es der erfolgreiche Besuch einer Schule der Sekundarstufe I erfordert. Für die jeweilige  Partnersprache wird hingegen der Anspruch, dasselbe Niveau zu erreichen, wie es der Klassenstufe im zugeordneten Herkunftsland entspräche, nicht formuliert. Allerdings haben manche Eltern diese Erwartung dennoch, was in einigen Fällen dazu geführt hat, dass ein Zusatzangebot durch Honorarkräfte in den Partnersprachen eingerichtet wurde.8 

Ziel der bilingualen Modelle ist es aber auch, die Kinder mit Migrationshintergrund beim Lernen des Deutschen zu unterstützen, indem einerseits auf motivationale Effekte gesetzt wird, die mit einer Anerkennung und Aufwertung ihrer Kompetenzen in der Erstsprache verbunden sein können. Andererseits soll die Vermittlung des Deutschen systematischer als in Regelklassen und unter Berücksichtigung von fremdsprachendidaktischen Prinzipien erfolgen. Eng verbunden mit dem Ziel der Förderung der Bilingualität sind Ziele im Bereich der Interkulturalität. In den bilingualen Klassen sollen die Rahmenpläne so erfüllt werden, dass den Kindern Sichtwechsel und Vergleiche ermöglicht werden, die tradierte Ordnungsschemata relativieren und eine kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit Differenz und Heterogenität erlauben.

Eine besondere Herausforderung des Schulversuchs liegt für die Lehrerinnen und Lehrer in der curricularen und didaktisch-methodischen Freiheit, die sie in Bezug auf die Unterrichtsgestaltung genießen. Den Rahmen bilden die üblichen Bildungspläne für die Grundschule. Dies gilt auch für die Partnersprachen, für die die sehr allgemein gehaltenen Rahmenpläne des Herkunftssprachlichen Unterrichts gelten. Unterstützt werden die Lehrerinnen und Lehrer durch Fortbildungsveranstaltungen des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung sowie der Konsulate; allerdings hat bisher keine systematische Curriculums- oder Materialentwicklung stattgefunden.9 

Die äußeren Bedingungen der Hamburger bilingualen Klassen mit einem zweiten Klassenraum für die zweite Sprache, meist einem kleineren Nebenraum für Gruppenarbeit, einem idealerweise zweisprachig gestalteten Klassenraum und Arbeitsflächen außerhalb des Klassenraums, die für Unterrichtsaktivitäten genutzt werden können, sowie die Doppelbesetzung in zwölf Unterrichtsstunden erlaubten es den Lehrerteams, eine „innovative Methodenkultur im Unterricht” (Gudjons 2005, 44) zu entwickeln. Es ist in den Klassen eine große Vielfalt von methodischen Arrangements zu beobachten, die hier nur im Hinblick auf einige, in den meisten Klassen anzutreffende Aspekte dargestellt werden können. Zu diesen gehört der Umgang mit der Zweisprachigkeit im Sprachgebrauch der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler untereinander.

Zu Beginn des Schulversuchs orientierten sich die Lehrerinnen und Lehrer dabei am Prinzip der Sprachentrennung nach Person: Die deutschen Lehrerinnen gebrauchten ausschließlich die deutsche Sprache; auch die Lehrkräfte mit guten Kenntnissen der Partnersprachen und zum Teil mit der Fähigkeit, diese Sprachen fließend zu sprechen, zeigten diese Kompetenzen vor den Kindern nicht, weder im Gespräch mit den Kolleginnen noch mit den Kindern. Die Lehrkräfte der Partnersprachen benutzten entsprechend der Regel „Eine Person - eine Sprache” die Partnersprachen den Kindern gegenüber, tolerierten es aber, wenn die Kinder ihnen auf Deutsch antworteten. Auch mit ihren deutschen Kolleginnen sprachen sie Deutsch. Sie waren jedoch nicht ganz so konsequent wie ihre deutschsprachigen Kolleginnen, denn sie setzten auch die deutsche Sprache zu bestimmten kommunikativen Zwecken gezielt ein, z. B. für Ermahnungen, Anweisungen und zur Klärung von Sachverhalten oder einzelnen Begriffen, die sie gelegentlich ins Deutsche übersetzten. Später, ermutigt durch unsere Empfehlung, die Partnersprachen auch in der Interaktion der Lehrerinnen untereinander zu benutzen, um den Kindern Beobachtungen über Sprachlernstrategien, Beispiele für Lernersprachenphänomene und Sprachwechsel zu geben, erprobten einige Lehrerteams es gezielt, bilingual zu agieren. Als günstige Voraussetzung hierfür erwies es sich, wenn die deutsche Lehrerin gute Kenntnisse der Partnersprache besaß.

Der Sprachgebrauch der Kinder untereinander erweist sich nach unseren Beobachtungen als stark von den Unterrichtsanforderungen und methodischen Vorkehrungen abhängig. Die Lehrerinnen und Lehrer versuchen den mündlichen Gebrauch der Partnersprachen durch Erzählkreise, ritualisierte Übungen und den Einsatz von Arbeitsblättern, die in Partnerarbeit gelöst werden sollen, zu initiieren. Zur Förderung der Sprechfreude werden u.a. Rollenspiele genutzt. Das Spiel soll den Kindern einen sicheren Rahmen geben, innerhalb dessen sie gleichwohl den Freiraum haben, entsprechend ihrer Sprachfähigkeiten von einfachen Formen und Satzmustern bis zu elaborierter Ausdrucksweise zu handeln oder die passiven Kenntnisse als Zuschauer oder Interaktionspartner einzusetzen. Beim Lösen von Sachaufgaben - auch wenn sie zweisprachig vorliegen - besitzt in der Regel jedoch die deutsche Sprache die Funktion der Metasprache, in der die Kinder darüber verhandeln, welches die richtige Lösung ist. Gleichwohl sind solche Arbeitsformen, in denen die Schülerinnen und Schüler in sprachlich gemischter Zusammensetzung Aufgaben in beiden Sprachen erledigen, üblich und als sinnvolle Möglichkeit zu betrachten, dass sie von den unterschiedlichen Sprachkenntnissen profitieren und bei der Lösung von Sachaufgaben auch sprachliche Lernprozesse durchlaufen können.

Des Weiteren gehören zu den allenthalben anzutreffenden Methoden Rituale, die der Festigung des Hörverstehens dienen, wie z.B. das morgendliche Vorlesen in beiden Sprachen. In den meisten Klassen werden Begrüßungen in mehreren Sprachen praktiziert, Lieder gesungen, Abzählreime und Gedichte aufgesagt, Wettspiele veranstaltet und schließlich zum Abschluss der Grundschule auch Theaterstücke eingeübt, die den Eltern zweisprachig oder sogar unter Einschluss von Englisch dreisprachig vorgeführt werden.

In den von der wissenschaftlichen Begleitung systematisch beobachteten Klassen begannen die Lehrerteams mit Unterrichtsformen, die sie als „Werkstattunterricht”, „Stationenlernen” oder „offenen Unterricht” bezeichneten, meist im Verlauf des zweiten Schuljahres und steigerten den Anteil dieser selbstständigen Arbeitsformen im Verlaufe des dritten und vierten Schuljahrs. Inhaltlich handelt es sich dabei in der Regel um einen integrierten Sach- und Sprachunterricht.10 Neben der verbesserten Möglichkeit zur direkten Schülerinteraktion und der Realisierung von Zweisprachigkeit durch die Anwesenheit beider Lehrkräfte bietet der Stationen- oder Werkstattunterricht gute Bedingungen für einen selbsttätigen Lernprozess, der das Bewusstsein und die Kompetenz der Kinder sowohl im sachlichen wie im zweisprachigen Lernen stärken kann. Kennzeichnend für diesen Unterricht ist es, dass an verschiedenen Stellen im Klassenraum, meist unter Einbeziehung des Nebenraums und des Flurs, einem Gesamtthema zugeordnete Aufgaben zu erledigen sind, wobei die Kinder meist paarweise oder in kleinen Gruppen die Stationen durchlaufen. Diese Stationen können so gestaltet sein, dass sie in der einen oder in der anderen Sprache zu bearbeiten sind oder zweisprachige Anforderungen stellen. In einer entwickelten Form dieses Unterrichts planen die Schülerinnen und Schüler selbstständig Stationen und bereiten Aufgaben für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler vor. Ein wichtiges Element ist die gemeinsame Planung und die abschließende Reflexion des Lernprozesses sowie der Lernergebnisse.

Die Elternschaft: Motivation und Erwartungen
Für die Mehrheit der Eltern ist der Spracherwerb ihres Kindes der wichtigste Grund für die Einschulung in eine bilinguale Klasse, besonders für die Eltern ohne deutschsprachigen Hintergrund (72 %). Gerade die Eltern mit türkischem Hintergrund äußerten besonders häufig, dass ihr Kind beide Sprachen „richtig“ lernen solle. Bei den einsprachig deutschen Familien stand naheliegenderweise das Fremdspracheninteresse im Vordergrund (43 %). Befragt nach der Bedeutung, die dem Lernen der Partnersprache zugemessen wird, zeigt sich, dass diese für die Beziehung zu Menschen anderer Herkunft, für das Sprachenlernen im Allgemeinen und für das Lernen weiterer Fremdsprachen für wichtig erachtet wird. Für die Eltern mit einem nicht deutschsprachigen Hintergrund hat sie weiterhin die besondere Bedeutung für Kontakte mit Verwandten, u.a. im Bezug auf den Urlaub im Herkunftsland. Diese sehen auch eine unterstützende Funktion der Partnersprache bei der Verbesserung der Deutschkenntnisse.

Die Bedeutung der deutschen Sprache steht für alle Eltern außer Frage; dies gilt für die deutschen Eltern, vor allem aber für die Eltern anderer Herkunft, wobei auch negative Erfahrungen eine Rolle spielen, z.B. dann, wenn Eltern sagen: „Ich habe viele Probleme gehabt; mein Kind soll diese Probleme nicht haben.“ Die Erfahrung von vier bilingualen Schuljahren hat die Eltern offensichtlich in ihrer Haltung dem Deutschen gegenüber bestärkt, denn auch im Rückblick bewerten die Eltern die Bedeutung des Deutschen für ihre Kinder hoch.

Die Befragung der Eltern am Ende des vierten Schuljahres belegt auch, dass sie an der zweisprachigen Entwicklung ihrer Kinder Anteil nehmen und verschiedene Aktivitäten zur sprachlichen Bildung ihrer Kinder unternehmen: Sie lesen ihnen vor, sie hören beim Vorlesen zu, sprechen mit ihnen darüber, was zu Hause oder in der Schule gelesen wird usw. Dies geschah unterschiedlich häufig (ein- bis zweimal monatlich bis ein- bis zweimal wöchentlich), im Deutschen durchschnittlich etwas häufiger als in der Partnersprache. Eltern, die selber bilingual oder einsprachig in der Partnersprache sind, beschäftigten sich mit ihren Kindern in diesen Sprachen etwa doppelt so häufig wie die deutschen Eltern.

Eine Erwartung, die manche Eltern mit der Einschulung ihrer Kinder in eine bilinguale Klasse verbanden, war unter dem Aspekt Integration diejenige, dass die Kinder Kontakt zu anderen Kindern und eine bessere Verständigung mit Kindern der Partnersprachen bekämen. In der portugiesisch-, italienisch- und den spanisch-deutschen Klassen hat sich diese Erwartung offensichtlich erfüllt; die Eltern geben insgesamt häufig an, dass ihr Kind durch die bilinguale Klasse vor allem mehr Kontakt zu Kindern bekommen habe, die die Partnersprache sprechen. Bilinguale Eltern heben einheitlich hervor, dass die Kontakte zu deutschsprechenden Kindern zugenommen hätten. Einsprachig deutsche Eltern sehen dagegen die Nützlichkeit der erworbenen Sprachkenntnisse für Kontakte in Hamburg nur selten, während dies von den übrigen Eltern sehr hervorgehoben wird. Alle Eltern betonen hingegen, dass sich der Nutzen der Sprachkenntnisse im Urlaub deutlich gezeigt habe. Die Beschäftigung der Kinder mit ihrer Zweisprachigkeit hat offensichtlich auch Ausstrahlung auf die Familie insgesamt, denn in 60 % der Fälle haben Eltern, Geschwister oder andere Familienmitglieder die Partnersprache bzw. Deutsch gelernt oder ihre Sprachkenntnisse verbessern können.

Wissenschaftliche Begleitung: Auftrag, Ziele, Beteiligte
Die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuchs hatte den Auftrag, die Sprachentwicklung der Kinder in den jeweils beteiligten beiden Sprachen möglichst genau nachzuzeichnen. Dabei sollten sowohl die Entwicklungen im mündlichen Sprachgebrauch als auch im Schriftsprachlichen nachvollzogen werden. Mit Blick auf die Absicht, im Modell nach und nach den Sachunterricht in der Partnersprache zu erteilen, wurde zudem die Sprachentwicklung beobachtet, die die Kinder im sachfachlichen Bereich nahmen.

Für jeden einzelnen Schritt der Untersuchung wurden Instrumente eigens entwickelt; ein Begleitprodukt der wissenschaftlichen Begleitung ist es, nun ein Set an Instrumenten vorlegen zu können, mit denen über vier Jahre Grundschulzeit Sprachentwicklung in zwei Sprachen detailliert beobachtet werden kann. Soweit dies bei den kleinen Fallzahlen möglich ist, die in den untersuchten Schulen zur Verfügung stehen, wurden die Instrumente einer empirischen Güteprüfung unterworfen. Die Instrumente erfüllen das Anliegen einer Sprachprofilanalyse. Ihre Ergebnisse gehen nicht in einem zusammenfassenden Maß auf, sondern erlauben die getrennte, sodann aber aufeinander bezogene Ermittlung von sprachlichen Fähigkeiten auf der pragmatischen Ebene, im Bereich der Wortschatzentwicklung und auf der Strukturebene. Letztere wird mit besonderer Aufmerksamkeit auf das Verb einerseits, auf die Formulierung von satzförmigen Äußerungen mit Reihungen und Nebensatzformen andererseits überprüft.

Ergänzend zu den Sprachdaten im engeren Sinne wurden regelmäßige Unterrichtsbeobachtungen sowie Elternbefragungen vorgenommen, über deren Ergebnisse vorstehend schon berichtet wurde.

Wissenschaftliche Begleitung: Ergebnisse
Die bilingualen Schulen haben eine Reihe sehr guter Erfolge zu verzeichnen. In einigen Aspekten deuten die vorliegenden Ergebnisse aber auch darauf, dass Erwartungen, die mit der Etablierung solcher Modelle verbunden werden können, realistischer gefasst werden müssten.

Zu den Erfolgen des Modells gehört, dass die Kinder im bilingualen Modell gute bis sehr gute schulische Erfolge in der Grundschule erzielt haben. Dies lässt sich einerseits an der Auswertung der Sprachdaten mit Blick auf bildungssprachliche Fähigkeiten im Deutschen ablesen. Andererseits lässt es sich an den Resultaten der im vierten Schuljahr durchgeführten Leistungstests aus der IGLU-Studie ablesen. Die Letzteren ergaben einen für die bilingualen Klassen in jeder Hinsicht positiven Befund. Alle Kinder erreichen eine hinreichende, viele sogar eine hohe Lesekompetenz. Auch die Ergebnisse in Mathematik sind hoch. In dieser Hinsicht erfüllen also die bilingualen Klassen ihre Aufgaben bestens, den Kindern eine gute Startchance für Erfolg im deutschen Schulsystem zu geben. Es gelingt nach unseren Analysen den Modellklassen auch sehr gut, die Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolgschancen, die im deutschen Schulsystem so überaus eng sind, zu lockern. Unsere Analysen zeigen, dass der Zusammenhang zwischen den Leistungen im Lesen bzw. in Mathematik und dem sozioökonomischen Status der Familien nur schwach aus¬geprägt ist (r = .273, p<0,05). Etwas deutlicher ist der Zusammenhang mit dem Bildungsniveau der Familie (r = .34, p<0,01). Hier schaffen die bilingualen Klassen also offenbar eine Annäherung an die Lösung eines Problems, das sich dem deutschen Schulsystem insgesamt stellt, und dies kann als ein Erfolg des Modells verbucht werden.

Die mit Bezug auf Fähigkeiten im Deutschen erzielten Ergebnisse verdienen in zweierlei Hinsicht besondere Aufmerksamkeit. Es zeigte sich, dass statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen der Fähigkeit, syntaktisch komplexe Äußerungen zu produzieren, und der allgemeinen Leistungsfähigkeit der Kinder bestehen. Innerhalb der syntaktischen Kompetenz sind es insbesondere die komplexen Satzgefüge, die die entscheidende Aussage über die Höhe der Kompetenz insgesamt erlauben.

Hieraus kann für künftige Untersuchungen in der Bildungsforschung, die nach Zusammenhängen zwischen schulischer Leistungsfähigkeit und sprachlichen Leistungen fragen, geschlossen werden, dass über die Prüfung der Lesefähigkeit hinausgegangen werden und die Fähigkeit zur Produktion komplexer Satzformen in die Untersuchungen einbezogen werden sollte. Empirisch weiter geprüft werden sollte das Ergebnis, dass es zwischen der syntaktischen Kompetenz im ersten Schuljahr und der Leseleistung im vierten Schuljahr signifikante Zusammenhänge gibt. Es scheint also, dass die syntaktische Komplexität eine gute prognostische Qualität für die Entwicklung von Deutschkenntnissen besitzt.

Mit Bezug auf die Förderung von Kindern im Unterricht weist dieses Ergebnis darauf, dass es nicht genügt, für eine Ausdifferenzierung des Wortschatzes der Kinder - und damit verbunden: auch der schulfachlichen Terminologie, die sich im Verlauf der vier Grundschuljahre immer weiter spezialisiert - zu sorgen. Vielmehr sollte ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf die Förderung der Fähigkeiten gelegt werden, zunehmend komplexe syntaktische Mittel zu gebrauchen. Dieses Ergebnis ist mit Resultaten internationaler Studien konform, in denen sich zeigt, dass es enge Zusammenhänge zwischen der Beherrschung von syntaktisch komplexer ‚schriftförmiger’ Sprache (für deren Bezeichnung wir für das Deutsche den Terminus ‚Bildungssprache’ vorgeschlagen haben) und dem potentiellen Bildungserfolg gibt. Hier wird also ein Bereich markiert, auf den in der sprachlichen Förderung zweisprachiger Kinder in der Zukunft mehr Wert gelegt werden sollte: die syntaktische Komplexität der Rede. Das steht im Gegensatz zur vielfach beobachtbaren Strategie der Entlastung von dieser Komplexität im Unterricht. Diese Strategie wurde im bilingualen Modell gerade nicht ergriffen; vielmehr haben die Kinder, wie unsere Beobachtungen zeigen, syntaktisch komplexen Input im Unterricht durchaus erfahren, und das hat offenbar Erfolge gezeitigt. Auch in dieser Hinsicht können also die Modellschulen als vorbildlich gelten.

In den Bereichen allgemeine Leistungsfähigkeit und Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten im Deutschen hat der Schulversuch also die Erwartungen voll erfüllt, wenn nicht deutlich übertroffen. In anderen Hinsichten muss eine Differenzierung der Erwartungen empfohlen werden, die mit solchen Modellen verbunden werden können.

Da ist zunächst auf den Aspekt hinzuweisen, dass das Ziel einer balancierten Zweisprachigkeit in bilingualen Grundschulen bis zum Ende der vierten Jahrgangsklasse nicht erreicht wird. De facto bleibt es bei einer Dominanz des Deutschen; die in den Partnersprachen erzielten Ergebnisse bleiben - in den verschiedenen Schülergruppen im Modell unterschiedlich weit - hinter den im Deutschen erzielten Ergebnissen zurück. Dies ist aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung keineswegs erwartungswidrig. Es spiegelt sich hierin vielmehr die faktische gesellschaftliche Dominanz des Deutschen, die etwa die Konsequenz besitzt, dass die Frequenz des Sprachkontakts mit der Partnersprache bei denjenigen Kindern, für die diese nur eine Schulsprache und nicht auch Familiensprache ist, gar nicht hoch genug sein kann, um eine balancierte Zweisprachigkeit zu erreichen. Für die Weiterentwicklung der Modelle wäre also eine systematische Differenzierung der Ziele, die erreicht werden können, ratsam. Allgemeiner gesprochen zeigen unsere Ergebnisse, dass auch nach vier Jahren Grundschulzeit die sprachlichen Eingangsvoraussetzun¬gen immer noch relevant sind, mit denen die Kinder in die Grundschule aufgenommen wurden.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die einsprachig deutsch eingeschulten Kinder am wenigsten weit in den Partnersprachen gekommen sind. Quasi komplementär dazu sind die einsprachig in den Partnersprachen eingeschulten Kinder am wenigsten weit im Deutschen gekommen. Diese Kinder, die einsprachig partnersprachlich eingeschult wurden, haben die schwierigsten Bedingungen für ihren Bildungsprozess. Sie besaßen kaum oder keine Deutschkenntnisse bei der Einschulung, waren häufig Quereinsteiger im Laufe der ersten beiden Schuljahre und kamen aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status.

Der Einfluss dieser Faktoren schlägt sich am Ende der Grundschulzeit noch signifikant in den Ergebnissen für das Deutsche nieder. In den Partnersprachen liegt ein in dieselbe Richtung weisendes Ergebnis vor: Die bei Einschulung zweisprachigen Kinder schneiden in den Partnersprachen erwartungswidrig nur geringfügig besser ab als die Kinder, die einsprachig deutsch eingeschult wurden. Der Erfolg des bilingualen Modells für die Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die deutsche Schule eintreten, wird sich vermutlich erst nach weiteren zwei Jahren in den weiterführenden Schulen darstellen lassen: Das erzielte Ergebnis weist nämlich auf einen in der internationalen Forschung immer wieder erhaltenen Befund, dass die Zeitspanne von vier Jahren keineswegs ausreicht, um einen Spracherwerbsprozess abzuschließen. Die vor allem aus den USA und Kanada vorliegenden einschlägigen Studien zeigen, dass mit einer Dauer von etwa sechs Jahren systematischer und intensiver Sprachförderung gerechnet werden muss, bis die Kompetenzen zweisprachiger Kinder in der Zweitsprache nicht mehr von denen einsprachig lebender Kinder unterscheidbar sind. Dies gilt zumal für den Aufbau bildungssprachlicher Fähigkeiten. Bei der Interpretation der Ergebnisse des Modells darf also nicht vergessen werden, dass der Zweitspracherwerb nach den vier Jahren Grundschule noch keineswegs abgeschlossen ist. Komplementär gilt dies selbstverständlich für die Aneignung der Partnersprache durch die einsprachig deutsch eingeschulten Kinder.

Zu den positiven Ergebnissen des Modells gehört, dass die Kinder, die zweisprachig eingeschult wurden, sehr gute Ergebnisse sowohl im Deutschen als auch in den Partnersprachen erzielten. Dabei erreichen alle drei Sprachgruppen im Deutschen höhere Stufen sprachlicher Komplexität als in den Partnersprachen. Interessant ist dieses Ergebnis nicht zuletzt mit Blick darauf, dass die Kinder mit einer anderen als der im Modell jeweils als Partnersprache einbezogenen Familiensprache von der Zweisprachigkeitsförderung, die sie erhalten haben, ebenfalls profitieren konnten.

Positiv ist auch der Aspekt der Wortschatzentwicklung in den Partnersprachen einzustufen. Der Wortschatz der Partnersprachen hat sich in allen Gruppen und in allen beteiligten Schulen klar erkennbar entwickelt. Größere Differenzen zeigen sich hingegen in der syntaktischen Komplexität, die die Kinder in den Partnersprachen erreichen. Hier nun fällt wieder ein Ergebnis unserer Evaluation ins Auge:

Das Ausmaß der Kompetenz, das die Kinder mit Blick auf syntaktische Komplexität in den Partnersprachen erreichen, scheint von Kompositionseffekten der Lerngruppe und von didaktischen Arrangements mindestens so stark abzuhängen wie von den sprachlichen Eingangsvoraussetzungen. Im Aspekt der Komposition von Lerngruppen ist zum einen die Zusammensetzung sprachlicher und sozialer Herkunft bedeutsam; das ist erwartungskonform. Es zeigte sich aber in unseren Analysen auch, dass es einen Zusammenhang zwischen Gender- und Sprachaspekten zu geben scheint. In den Klassen, in denen die Kinder keine genügende Anzahl gleichgeschlechtlicher Sprachpartner in den Partnersprachen hatten - dies betraf konkret die Jungen in einer der Schulen - waren die sprachlichen Fortschritte in den Partnersprachen verschwindend gering.

Andere Hinweise ergeben sich mit Bezug auf die in den Schulen bevorzugten Unterrichtsarrangements. Die organisatorische, inhaltliche und methodische Gestaltung des Unterrichts beeinflusst offensichtlich die Lernprozesse so, dass nicht nur auf verschiedene Weise, sondern auch mit unterschiedlichem Ergebnis gefördert wird. Eine wichtige Rolle scheint das Teamteaching zu spielen. Die besten Ergebnisse wurden erzielt, wenn ein flexibles Teamteaching eingesetzt wurde und dabei den Kindern die Zweisprachigkeit auch als Fähigkeit, zwischen Sprachen wechseln, übertragen und kontrastieren zu können, demonstriert wurde. Als besonders förderlich und geeignet für die Unterstützung des Erwerbs komplexerer Redemittel wiederum scheint das Lernen in Projekten, Werkstätten oder „Stationen” zu sein, wenn mit der Aufgabenstellung auch explizit sprachliche neben inhaltlichen Zielen gesetzt werden. Wichtig scheint des Weiteren, dass Sprachreflexion und ein Nachdenken über den eigenen Lernprozess zu den didaktischen Strategien gehören. Didaktische Arrangements, die Lernstrategien und Sprachbewusstheit fördern, scheinen gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Zweisprachigkeit zu schaffen.

Zusammengefasst lassen sich folgende zentrale Evaluationsergebnisse festhalten: Einsprachig deutsche Kinder haben gegenüber denjenigen, die Deutsch als zweite Sprache erst bei Schuleintritt zu erwerben beginnen, auch nach vier Jahren bilingualen Unterrichts noch einen deutlichen Vorteil im Deutschen. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass der Zweitspracherwerb selbst unter günstigen Bedingungen mit vier Lernjahren nicht abgeschlossen sein kann, sind die Ergebnisse insgesamt ermutigend.

  • Die bereits bei Schuleintritt mit den in das Modell einbezogenen Partner¬sprachen zweisprachigen Kinder schneiden vergleichbar gut ab wie die einsprachig deutschen.
  • Für die Kinder, die zweisprachig sind, aber zu Hause eine weitere Sprache verwenden, gilt Gleiches. Sie sind von einem bilingualen Modell nicht benachteiligt; vielmehr führt es bei ihnen zu einer Form der Dreisprachigkeit. Ihre Sprachkompetenz im Deutschen unterscheidet sich nicht signifikant von der der einsprachig deutsch und der zweisprachig mit einer Partnersprache eingeschulten Kinder.
  • Die Kinder, die ohne oder mit nur ganz geringen Deutschkenntnissen eingeschult wurden, erreichen zwar nicht das Niveau der anderen Kinder. Ihre mündliche Sprache ist aber doch so weit entwickelt, dass ein Schulerfolg gewährleistet scheint - immerhin wurden alle ohne Probleme in das fünfte Schuljahr versetzt. Es ist anzunehmen, dass ihr Deutscherwerb schneller verlaufen ist und weiter reicht als bei Kindern, die keine bilingualen Klassen besuchen; dies müsste aber in Untersuchungen mit Vergleichsgruppen weiter geprüft werden.

Für die Partnersprachen können die Ergebnisse leider nicht so differenziert überprüft werden wie für das Deutsche, da die Zahlen der einbezogenen Kinder für eine detaillierte Berechnung zu niedrig sind. In den globalen Ergebnissen jedoch wiederholt sich das schon in den vorherigen Berichten vorgestellte Ergebnis, dass es signifikante Unterschiede der Kinder mit partnersprachlichen Kenntnissen bei Schuleintritt zu denen der beiden anderen Gruppen gibt. Die meisten deutsch einsprachig und zweisprachig mit einer anderen Familiensprache eingeschulten Kinder verwenden keine komplexen syntaktischen Mittel in den Partnersprachen. Sie sind also erst am Anfang des Weges zu bildungssprachlichen Fähigkeiten in diesen Sprachen; sie kämpfen noch mit den Herausforderungen der kommunikativen Alltagssprache. Es kann festgehalten werden, dass im bilingualen Modell beim Erwerb einer Partnersprache, die nicht Umgebungssprache ist, zunächst die kommunikative Alltagssprache auf einem elementaren Niveau entwickelt sein muss, bevor der Ausbau bildungssprachlicher Fähigkeiten beginnen kann. Dafür aber benötigen die Kinder mehr Zeit als die vier Grundschuljahre. Bei einer Weiterentwicklung des Modells sollte dies ebenso berücksichtigt werden wie der Hinweis auf Kompositionseffekte: die sprachliche und soziale Zusammensetzung der Klassen und die Verfügbarkeit von gleichgeschlechtlichen Sprachpartnern haben Auswirkungen auf den potentiellen Erfolg.

Vorabveröffentlichung aus: Erfurt, Jürgen / Budach, Gabriele / Kunkel, Melanie (Hrsg.): Zweisprachig lehren und lernen. Frankfurt am Main: Peter Lang 2008

Anmerkungen
1 Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde von den Autorinnen in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Hans-Joachim Roth, Universität zu Köln, durchgeführt. Die nachfolgend berichteten Forschungsergebnisse verdanken sich dieser Zusammenarbeit, und mithin auch der - mindestens virtuellen - Mitautorschaft von Hans-Joachim Roth.

2 1992 nahmen die ersten Berliner Europaschulklassen ihre Arbeit auf; im Schuljahr 2006/07 bestehen an 15 Standorten zweisprachige Grundschulklassen in neun verschiedenen Sprachpaaren, jeweils in der Kombination mit Deutsch (vgl. Göhlich 1998, S. 3, den Internetauftritt der Staatlichen Europa-Schule Berlin [www.sesb.de, 30.08.2007] sowie den Beitrag von Ebertowski in diesem Band).

3 In Hamburg wird neben dem Herkunftssprachlichen Unterricht, der durch beim Land Hamburg angestellte Lehrerinnen und Lehrer erteilt wird, auch „Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht“ von Lehrkräften der Konsulate der ehemaligen Anwerbeländer angeboten. Es bestand das Interesse der Konsulate, diesen Unterricht am Vormittag integriert in den Regelstundenplan anzubieten.

4 Der Schulversuch wurde seit 2000 vom Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft wissenschaftlich begleitet. Zur Anlage der wissenschaftlichen Begleitung vgl. Abschnitt 5. Sie bezog sich auf den jeweils ersten Jahrgang einer neu eingerichteten bilingualen Grundschule.

5 Seit Beginn des Schulversuchs haben sich die Vorgaben mehrfach geändert. Derzeit reicht die Zahl der Kinder pro Klasse von 18 bis 30. Besonders die spanisch-deutschen Klassen sind aufgrund hoher Nachfrage relativ groß.

6 Vgl. das Beispiel einer portugiesisch-deutschen Klasse in Gogolin/Neumann/Roth, Bericht 2003.

7 Wie in der Staatlichen Europa-Schule Berlin wird für die Sprachen des Schulversuchs Italienisch, Portugiesisch, Spanisch und Türkisch der Begriff „Partnersprache“ verwendet.

8 Vgl. § 14, Abs. 4 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) vom 16. April 1997, geänd. am 27. Juni 2003.

9 Bis 2006 wurden von Seiten der wissenschaftlichen Begleitung (vgl. Abschnitt 5) zweimal jährlich Workshops angeboten, die auch Fortbildungscharakter hatten.

10 Der Anteil eines expliziten Grammatikunterrichts, der sich an den Vorgaben des Hamburger Rahmenplans für das Fach Deutsch in der Grundschule orientiert, ist dabei eher niedrig, speziell in den Partnersprachen. Gesicherte Erkenntnisse liegen hierzu aus den Unterrichtsbeobachtungen jedoch nicht vor. Einige der Lehrerinnen äußerten im Interview, dass sie einen Grammatikunterricht ablehnten und den „kommunikativen Ansatz” vertreten.

Bibliographie

  • Göhlich, Michael (Hg. 1998): Europaschule – Das Berliner Modell. Neuwied: Luchterhand
  • Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster u. a.: Waxmann
  • Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2001): Auswertung der ersten Sprachstandserhebung der portugiesisch-deutschen Klasse, Schuljahr 2000/01. Hamburg: Univ. Hamburg (masch.) 
  • Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2003): Bericht 2003. Schulversuch Bilinguale Grundschulklassen in Hamburg. Hamburg: Univ. Hamburg, Arbeitsstelle Interkulturelle Bildung (masch.) (PDF-Online Bild entfernt., 30.08.2007)
  • Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2004): Bericht 2004. Schulversuch Bilinguale Grundschulklassen in Hamburg. Hamburg: Univ. Hamburg, Arbeitsstelle Interkulturelle Bildung (masch.) ( PDF-Online Bild entfernt., 30.08.2007)
  • Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2007): Abschlussbericht über die italienisch-deutschen, portugiesisch-deutschen und spanisch-deutschen Modellklassen. Hamburg. Arbeitsstelle Interkulturelle Bildung (masch.) (PDF-Online Bild entfernt., 30.08.2007)
  • Gogolin, Ingrid/Roth, Hans-Joachim (2007): Bilinguale Grundschule – ein Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit. In: Anstatt, Tanja (Hg.): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Tübingen: Narr Francke, S. 31-45
  • Graefe-Bentzien, Ulrike (2001): Evaluierung bilingualer Kompetenz. Eine Pilotstudie zur Entwicklung der deutschen und italienischen Sprachfähigkeiten in der Primarstufe beim Schulversuch der Staatlichen Europa-Schulen Berlin (SESB) – Evaluation of bilingual competence. Dissertation an der Freien Universität Berlin (PDF-Online Bild entfernt., 30.08.2007)
  • Gudjons, Herbert (2005): Neue Unterrichtskultur, veränderte Lehrerrolle. In: Erfolgreich Lehren und Lernen: Ansätze und Wege in der
    Bildungsreform. Frankfurt a. M.: VdS Bildungsmedien e.V., S. 40-45
  • Hansen, Christiane (2001): Bilingualer Schriftspracherwerb am Beispiel einer italienisch-deutschen Modellklasse einer Hamburger Grundschule. Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung. Hamburg
  • Kupfer-Schreiner, Claudia (1994): Sprachdidaktik und Sprachentwicklung im Rahmen interkultureller Erziehung. Das Nürnberger Modell. Ein Beitrag gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Weinheim: Dt. Studienverlag
  • Nehr, Monika [u.a.] (1988): In zwei Sprachen lesen lernen – geht denn das? Erfahrungsbericht über die zweisprachige Alphabetisierung. Weinheim u. Basel: Beltz
  • Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2004): Bilinguale Grundschulklassen in Hamburg – Ein Werkstattbericht. In: Grenzgänge 11, H. 21, S. 29–56
    Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2007): Multilingual Primary Schools in Germany – Models and Research. New York (zur Veröffentlichung vorgesehen)
  • Owen-Ortega, Julia (2003): Schriftspracherwerb bilingualer Kinder am Beispiel einer spanisch-deutschen Klasse unter besonderer Berücksichtigung ihrer Strategien des Orthographieerwerbs in der Alphabetisierungsphase. Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung. Hamburg
  • Reich, Hans H./Roth, Hans-Joachim [u.a.] (2002): Spracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder und Jugendlicher. Ein Überblick über den Stand der nationalen und internationalen Forschung. Hamburg: Behörde für Bildung u. Sport
  • Roth, Hans-Joachim (2002): Il gatto va sull´albero – va sull´albero il gatto. Satzmuster und Sprachstand italienisch-deutscher Schulanfänger (2002). Hamburg: Univ. Hamburg, Arbeitsstelle Interkulturelle Bildung (masch.)
  • Sandfuchs, Uwe/Zumhasch, Clemens (2002): Wissenschaftliche Begleitunter¬suchung zum Schulversuch Deutsch-Italienische Grundschule Wolfsburg – Reflexionen und ausgewählte Ergebnisse. In: interkulturell, Heft 1/2, S. 104–139
  • Wode, Henning (2004): Frühes Fremdsprachenlernen. Englisch ab Kita und Grundschule: Warum? Wie? Was bringt es? Kiel: Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen FMKS e.V.
  • Zydatiß, Wolfgang (2000): Bilingualer Unterricht in der Grundschule. Entwurf eines Spracherwerbskonzepts für zweisprachige Immersionsprogramme. Ismaning: Hueber

Filme zum Schulversuch

  • Szenen aus bilingualen Grundschulklassen. Ein Film von Sibylla Leutner-Ramme, Wissenschaftliche Beratung Ursula Neumann. Eine Produktion des AVZ im Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg. 2003
  • Kinder lernen in zwei Sprachen. Bilingualer Grundschulunterricht. Ein Film von Sibylla Leutner-Ramme, Wissenschaftliche Beratung Ursula Neumann. Eine Produktion des AVZ im Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg. 2005

 

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Ingrid Gogolin und Ursula Neumann sind Professorinen am Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg.