Sprache und Integration

Von Hartmut Esser

Eine der auffälligsten Folgen im Zusammenhang der internationalen Migration ist die Entstehung von - mehr oder weniger stabilen - vertikalen ethnischen Ungleichheiten in den jeweiligen Aufnahmeländern, ethnischen Schichtungen also, bei denen ethnische und kulturelle Merkmale systematisch mit Ungleichheiten in Bildung, Einkommen, Zugang zu den zentralen Institutionen und gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind, gelegentlich auch in der Form von „Ghettos“ oder kastenartigen „Parallelgesellschaften“.

Ethnische Schichtungen sind letztlich über systematische Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen im Erfolg auf dem Arbeitsmarkt erklärbar, insoweit diese Unterschiede nicht durch arbeitsmarktrelevante Qualifikationen, wie insbesondere die Bildung und die betriebliche Erfahrung, erklärt werden können. Derart verbleibende Unterschiede können mit weiteren, meist nicht erfassten, arbeitsmarktrelevanten Hintergrundmerkmalen zu tun haben, wie andere Fertigkeiten oder Motivationen, aber auch mit sozialen Distanzen und Diskriminierungen der ethnischen Gruppen auf den jeweiligen Arbeitsmärkten.

Eine weitere und - für kompetitive Arbeitsmärkte zumal - auch näher liegende Ursache könnten demgegenüber aber auch gewisse Defizite in den sprachlichen Kompetenzen der Migranten sein, die die Nutzung des jeweils verfügbaren Humankapitals auf den Arbeitsmärkten entweder nicht oder nicht vollständig erlauben. Sprachliche Defizite können dabei bereits beim Erwerb des arbeitsmarktrelevanten Humankapitals eine Rolle spielen, speziell bei den schulischen Leistungen und bei der daran hängenden Schulkarriere, sodass es sowohl direkte wie indirekte Einflüsse der Sprache auf die Arbeitsmarktintegration geben kann.

Sprache als „Schlüssel“ zur Integration
Insofern kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass die Sprache der „Schlüssel“ zur Integration ist, und es verwundert schon ein wenig, dass das erst in der letzten Zeit auch öffentlich anerkannt wird. Lange Zeit galt der Hinweis auf die Bedeutung der (Zweit-) Sprache für die Integration als eine Art kultureller Bevormundung, und für die Förderung der Integration wurde eher auf die Stärkung der ethnischen Eigenständigkeiten gesetzt.

In diesem Zusammenhang sind gerade in Bezug auf das Problem von Sprache und Integration eine Reihe von Kontroversen entstanden, die nicht immer mit den wissenschaftlich belastbaren Befunden übereinstimmten, etwa die Bedeutung des Einreisealters, das Vorliegen einer „kritischen Periode“ für den Zweitspracherwerb oder die Wirkung der Förderung der muttersprachlichen Kompetenzen auf den Schul- und Arbeitsmarkterfolg. Dabei liegen - teilweise seit langem - wissenschaftlich gut belastbare Ergebnisse zu den verschiedenen Aspekten des Zusammenhangs von Sprache und Integration vor. Sie unterstützen, so lassen sie sich zusammenfassen, im Wesentlichen die Hypothesen der klassischen Integrationstheorien: Nach wie vor ist die sprachliche „Assimilation“ an den jeweiligen nationalen oder regionalen Kontext der Haupttrend der Entwicklung über die Generationen hinweg und ethnische (sprachliche) Ressourcen sind für die entscheidenden Felder der Integration - Bildung und Arbeitsmarkt - so gut wie bedeutungslos, wenn nicht sogar hinderlich.

Bedingungen für den Zweitspracherwerb
Der Spracherwerb ist theoretisch als eine, mehr oder weniger: intentionale Investition unter bestimmten sozialen Bedingungen aufzufassen, die allgemein von der Motivation, dem Zugang, der Effizienz und den Kosten dieser Investition abhängig ist. Bei den empirischen sozialen Bedingungen sind vier Ebenen zu unterscheiden: die Familien- und Migrationsbiographien der individuellen Migranten, das Herkunftsland, das Aufnahmeland und der ethnische Kontext. Die in den verschiedenen Studien vorfindbaren Ergebnisse zur Wirkung der verschiedenen empirischen sozialen Bedingungen stimmen in einer erstaunlichen Weise auch im internationalen Vergleich, für verschiedene ethnische Gruppen und auch die unterschiedlichen historischen Perioden überein. Das trifft auf alle vier hier behandelten inhaltlichen Felder zu: Zweitspracherwerb, Bilingualität, schulische (Sprach-) Leistungen beziehungsweise Bildungserfolg und die Positionierung und der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt.

Für den Zweitspracherwerb erweisen sich die Bedingungen der Familien- und Migrationsbiographie und die des ethnischen Kontextes als besonders bedeutsam, darunter speziell das Einreisealter (auch das der Eltern der Migrantenkinder für deren Spracherwerb), die Bildung, die ethnische Konzentration und die ethnischen Binnenbeziehungen, dabei besonders die interethnischen Netzwerke und die Zwischengruppenheirat. Andere Faktoren sind die Aufenthaltsdauer, der Kontakt mit der Zweitsprache schon im Herkunftsland, Medienkontakte mit der Herkunftsgesellschaft und die linguistischen, räumlichen und sozialen Distanzen. Über die Wirkung von Sprach- und Integrationskursen, wie sie in einigen Ländern, etwa in den Niederlanden oder in Schweden, eingerichtet wurden, kann kaum etwas gesagt werden, weil es hierzu (bisher) keine geeigneten empirischen Untersuchungen gibt. Die Bedingungen in der Herkunfts- und der Aufnahmege¬sellschaft spielen gegenüber den Umständen der Familien- und Migrationsbiographie für den Erwerb der Zweitsprache eine vergleichsweise geringe Rolle, und die zentralen Beziehungen sind über die verschiedenen Kontexte von Herkunfts- und Aufnahmeländern weitgehend stabil.

Bedingungen für kompetente Bilingualität
Der Erwerb einer (kompetenten) Bilingualität setzt zunächst die Pflege beziehungsweise die Beibehaltung der Muttersprache voraus. Auch das lässt sich mit dem theoretischen Modell erfassen und die empirischen Zusammenhänge entsprechen dem: Je höher das Einreisealter und je stärker die Einbindung in den ethnischen Kontext sind, desto eher wird die Muttersprache beibehalten. Das führt jedoch, trivialerweise, nur dann zur (kompetenten) Bilingualität, wenn es auch noch zum Zweitspracherwerb kommt. Da die meisten Bedingungen für den Zweitspracherwerb einerseits und für den Erwerb bzw. die Beibehaltung der Muttersprache andererseits gegenläufig sind, findet der Erstspracherhalt in aller Regel auf Kosten des Zweitspracherwerbs statt (und umgekehrt). Lediglich die Bildung und die (sprachliche) Intelligenz sind für den Erwerb beider Sprachen gleichzeitig förderlich. Über den Generationenverlauf vermindern sich meist die Gelegenheiten zur Pflege der Muttersprache und daher wird in aller Regel über die Generationen hinweg eine deutliche Tendenz zur monolingualen Assimilation beobachtet. Nur in einigen Spezialfällen, etwa bei großen Gruppen oder bei transnationalen Beziehungen, bleibt es auch dauerhaft beim Erhalt der Muttersprache, das jedoch dann vorwiegend als monolinguale sprachliche Segmentation. Für zwei der im Zusammenhang der Bilingualität geführten Debatten - über die Critical-Period-Hypothese und über die Interdependenz-Hypothese - lassen sich nunmehr auch einige Klärungen absehen. Die stärkste Form der Critical-Period-Hypothese, wonach ein kompetenter Zweitspracherwerb nach der Pubertät schon neurophysiologisch ausgeschlossen sei, ist zwar kaum zu halten, aber es kann auch als gesichert gelten, dass ein bestimmtes Lernergebnis mit höherem Alter nur mit stark zunehmendem Aufwand und bei einer besonders hohen Motivation erreicht werden kann. Für die Interdependenz-Hypothese, wonach der Zweitspracherwerb nur im Rahmen von muttersprachlichen Kompetenzen möglich sei, gibt es allenfalls gemischte Resultate, aber letztlich keine gesicherten Erkenntnisse, auch weil es die dazu erforderlichen Längsschnittstudien mit multivariaten Kontrollen möglicher Hintergrundvariablen (bisher) nicht gibt.

Bedingungen für Bildungserfolg
Für die schulischen (Sprach-) Leistungen und den Bildungserfolg gelten, nicht unerwartet, im Wesentlichen die gleichen Bedingungen wie für den Zweitspracherwerb allgemein: Einreisealter, Bildung der Eltern, ethnischer Kontext und - zusätzlich - die intellektuelle, soziale und ethno-linguistische Konzentration in den Schulen und Schulklassen. Die anderen schulischen Leistungen und die gesamte Bildungskarriere folgen diesem Muster, auch weil diese jeweils eng mit dem Zweitspracherwerb zusammenhängen und von den gleichen Hintergrundfaktoren bestimmt werden. Andere Umstände der Bildungsungleichheit bei Migrantenkindern, wie der Vorschulbesuch, die Schulwahl, die schulische Organisation und eventuelle (institutionelle) Diskriminierungen, kommen hinzu, setzen aber den genannten Prozess der sprachlichen Vermittlung des Bildungserfolges und die Effekte der Familien- und Migrationsbiographie sowie der ethnischen Konzentration in den Schulen und Schulklassen nicht außer Kraft. Es sieht außerdem so aus, als würden gerade die vorschulischen Selektions- und Sozialisationsprozesse stark durch die jeweilige Wohnsituation gesteuert, weil die Migrantenfamilien, anders als die besser gestellten einheimischen Eltern, in besonderem Maße den jeweils vorgefundenen Gegebenheiten folgen, speziell aus einem eklatanten Mangel an (Hintergrund-) Wissen über alternative Möglichkeiten. In den Vorschulen und Schulen finden sich daher die sozialen und ethno-linguistischen Strukturen der Wohnumgebung eher verstärkt wieder, wodurch sich (vermutlich) schon frühe Weichenstellungen in den Chancen auf eine erfolgreiche Bildungskarriere einstellen, gesteuert vor allem über die soziale Segregation und die ethno-linguistische Konzentration in der Wohnumgebung und das (Vor-) Schulwahlverhalten der Migranten (-eltern).

Effekt von Bilingualität auf Integration und Bildung
Es gibt so gut wie keine systematischen empirischen Belege für die Vermutung, dass bilinguale Fertigkeiten eine über die Effekte der Zweitsprachkompetenz hinausgehende positive Wirkung auf die kognitive Entwicklung und den Schulerfolg wie auf das soziale und psychische Wohlergehen der Migranten (-kinder) haben. Das gilt auch für die subjektive Befindlichkeit. Es zeigt sich eher, dass nicht die Beibehaltung der Muttersprache, sondern die (sprachliche) Assimilation zu einem höheren Selbstwertgefühl und zu geringeren psychischen Problemen führt. Gelegentlich zu beobachtende Effekte der Bilingualität auf höhere kognitive Leistungen, etwa einem besseren Drittspracherwerb, sind auch eher auf die Wirkungen der Konfrontation mit einer neuen sprachlichen Umgebung zurückzuführen, also auf den Zweitspracherwerb, nicht jedoch auf die Beibehaltung oder Pflege der Muttersprache.

Die Wirkung bilingualer Programme des Unterrichts mit einer expliziten muttersprachlichen Förderung ist trotz einer Vielzahl von Studien und (Meta-) Analysen und jahrelangen Debatten bisher auch nicht geklärt, vor allem weil es an methodisch geeigneten Studien, insbesondere auch für die deutsche Situation, mangelt. Es scheint aber, wenn überhaupt, keine nennenswerten Effekte zu geben, weder negative noch positive. Das entspricht der oben erwähnten Bedeutungslosigkeit der Bilingualität für die kognitiven und schulischen Leistungen über die Zweitsprachkompetenz hinaus. Durch den muttersprachlichen Unterricht wird - trivialerweise - allenfalls der Erhalt der Muttersprache gefördert und es ist bisher nicht zweifelsfrei klar, ob das auf Kosten des Erwerbs anderer Fertigkeiten, etwa des Erlernens anderer Sprachen, geht oder nicht.

Effekt von Bilingualität auf dem Arbeitsmarkt
Auf dem Arbeitsmarkt wirken sich Kenntnisse in der Sprache des Aufnahmelandes, neben den üblichen Einflussgrößen auf die Produktivität, wie Bildung und Berufserfahrung, und dem indirekten Effekt über die Bildung, noch einmal eigenständig aus, und das speziell in Berufsfeldern mit „kommunikativer Relevanz“. Defizite darin sind mit deutlich geringeren Chancen auf Beschäftigung und Positionseinnahme und mit Abschlägen beim Einkommen verbunden. Dabei spielen die mit sprachlichen Defiziten verbundenen Produktivitätsverluste die zentrale Rolle. Es gibt aber auch Hinweise auf (statistische) Diskriminierungen aus Unsicherheiten über die Bewerber und auf die Zurückhaltung von Bewerbern beim Angebot von Arbeit, vor allem wenn sie über weniger ertragreiche, aber sichere ethnische intervenierende Opportunitäten verfügen und in exklusive ethnische Netzwerke eingebettet sind und deshalb nicht über die relevanten Informationen verfügen. Bei sehr großen Gruppengrößen vermindern sich diese Nachteile aus der Verfügung über ethnische Alternativen, werden aber nicht ausgeglichen. Die Beziehungen gelten gleichermaßen für die Beschäftigung, den erreichten beruflichen Status und das erzielte Einkommen.

Anders als beim „normalen“ Arbeitsmarkt scheint es beim Übergang zwischen Schule und Beruf über eine berufliche Ausbildung zu stärkeren Problemen der ethnischen Diskriminierung zu kommen, wobei die Sprachkenntnisse, speziell für die Lehrstellensuche, von geringerer Bedeutung zu sein scheinen. Eine mögliche Erklärung ist die bei eher technischen Berufen geringere kommunikative Relevanz, aber auch die geringere Bedeutung von Wettbewerb und Produktivität bei der beruflichen Ausbildung, aus der sich größere Spielräume für leistungsfremde Diskriminierungen ergeben.

Bilinguale Kompetenzen sind auf dem Arbeitsmarkt über die Erträge der sprachlichen Assimilation an die jeweilige Landessprache hinaus so gut wie bedeutungslos, mit Ausnahme von Kenntnissen in Englisch zusätzlich zur jeweiligen Sprache des Aufnahmelandes oder in Kombination mit hohen Bildungsabschlüssen und einer in einem speziellen Segment nachgefragten Sprache. Das gilt auch für die (allophonen) Migranten in Kanada, deren Nachteile, nicht nur bei sprachlichen Defiziten, eher größer zu sein scheinen als anderswo. Die Arbeitsmarkteffekte der kanadischen Politik der Multilingualität beschränken sich offenbar auf die Aufwertung des Französischen bei der eingesessenen Bevölkerung in den frankophonen Provinzen; für die allophonen Migranten ist sie höchstens folgenlos.

Die Ergebnisse sind, so weit das empirisch überprüft wurde, für die verschiedensten Aufnahmeländer - wie USA, Australien, Kanada, Israel, Deutschland - im Wesentlichen gleich. Es sieht so aus, als wären die grundlegenden Prozesse des Zusammenhangs von Sprache und Integration von den institutionellen und historischen Besonderheiten der Aufnahmeländer weitgehend unabhängig und nicht zuletzt ist das Beispiel von Kanada ein Beleg dafür, dass die offizielle Migrations- und Integrationspolitik die faktischen strukturellen Vorgänge kaum beeinflusst.

Systematische Geschlechtseffekte beim Erwerb und bei der Wirkung der Sprache werden (nach Kontrolle der Hintergrundvariablen) nicht festgestellt (außer bei den schulischen Sprachleistungen, bei denen die weiblichen Migrantenkinder durchweg besser sind, und bei der beruflichen Ausbildung, bei der die weiblichen Bewerber unterrepräsentiert sind, womöglich über Geschlechtsrollenstereotype bei der Akzeptanz, womöglich aber auch schon bei der Bewerbung selbst) und wenn es überhaupt einmal Differenzen gibt, sind sie gering. Es werden jedoch einige stabile Unterschiede zwischen bestimmten ethnischen Gruppen festgestellt. Das gilt speziell für die ethnischen Nachteile der mexikanischen (und der meisten anderen lateinamerikanischen) Immigranten und für den großen Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg der asiatischen Immigranten in den USA sowie für die relativ schlechte Position der türkischen Immigranten in Deutschland oder den Niederlanden.

Schlüssige Erklärungen für derartige ethnische Differenzen gibt es bisher nicht. Möglicherweise treffen jeweils sehr unterschiedliche Umstände zusammen, wie zum Bespiel geringe räumliche Entfernungen zur Herkunftsgesellschaft und der Erhalt transnationaler Kontakte, hohe linguistische, kulturelle und soziale Distanzen, große Gruppen und ausgebaute ethnische Enklaven, ethnisches Sozialkapital in Form familialer sozialer Kontrolle oder besondere Werthaltungen zu Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg. An den grundlegenden Vorgängen ändern diese verbleibenden und bisher kaum geklärten ethnischen Unterschiede nichts.

Angesichts der Vielschichtigkeit der Aspekte und Zusammenhänge von „Sprache und Integration“, der zahllosen und oft unüberschaubar erscheinenden Beiträge variierender Qualität aus sehr unterschiedlichen Disziplinen und einer Reihe von zum Teil heftig ausgetragenen Kontroversen mag die Konvergenz der theoretischen und empirischen Ergebnisse, wie sie aus der Systematisierung insgesamt deutlich wird, überraschen. Manche der Ergebnisse sind auch keineswegs neu, wie die hohe Bedeutung der Bildung, des Einreisealters und der ethnischen Konzentration beziehungsweise der interethnischen Kontakte für den (Zweit-) Spracherwerb, andere dagegen schon eher, wie der so gut wie gänzlich fehlende Effekt der (meisten) muttersprachlichen Kompetenzen für den Bildungserfolg und für die Positionierung und den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt.

Politische Konsequenz - Minderheitenpolitik oder Assimilation?
Was folgt daraus? Internationale Migration, die Anwesenheit fremdethnischer Gruppen und die kulturelle Pluralisierung der (Aufnahme-) Gesellschaften sind inzwischen zum Normalfall geworden. Die damit mögliche kulturelle Vielfalt ist ein hohes Potential für die Innovationskraft und Dynamik der jeweiligen Gesellschaften und der weltweiten Entwicklungen insgesamt, das aber durch die Entstehung ethnischer Schichtungen und Fragmentierungen oft nicht ausgenutzt werden kann oder neue Problemlagen schafft. Die Gefahr für die Entstehung ethnischer Schichtungen hat unmittelbar mit dem Migrationsgeschehen selbst zu tun: Jeder Wechsel der alltäglichen Lebensbezüge und des kulturell-institutionellen Kontextes bedeutet eine - mehr oder weniger gravierende - Entwertung oder gar den Verlust des mitgebrachten (kognitiven, kulturellen und sozialen) Kapitals und oft fehlen dann die Möglichkeiten, diesen Verlust durch erfolgreiche Investitionen in ein (wieder) besser verwertbares Kapital auszugleichen. An der Sprache wird das Problem offensichtlich: Ihre Nutzbarkeit ist kontextgebunden und so gut wie alles andere, vor allem soziale Kontakte, Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg, hängt davon ab, ob es gelingt, diesen Verlust auszugleichen.

Für die Lösung des Problems werden im Grunde zwei verschiedene Perspektiven diskutiert: eine, die auf die Aufwertung des von Verlust bedrohten (sprachlichen) Kapitals in dem neuen Kontext abzielt und die ethnischen Gruppen als neue und eigenständige kollektive Einheiten und soziale (Unter-) Systeme „anerkennen“ und damit die jeweilige soziale Differenzierung der Aufnahmegesellschaft um eine ethnische Dimension erweitern möchte; und eine, die an den individuellen Prozessen der Investition in ökonomischen Erfolg und sozialen Aufstieg orientiert ist und die ethnischen Besonderheiten nur als ein weiteres sozio-demographisches Merkmal der sozialen Ungleichheit wertet. Die erste Perspektive läuft auf eine - mehr oder weniger konsequente - Minderheitenpolitik für die verschiedenen ethnischen Gruppierungen hinaus, die zweite auf eine - fallweise - Unterstützung und „Kompensation“ von erkennbaren individuellen Nachteilen und die Förderung der Integration in die Aufnahmegesellschaft, der (sprachlichen) „Assimilation“ also.

Die Ergebnisse zum Zusammenhang von Sprache und Integration zeigen, wenigstens in der Tendenz und über die Generationen hinweg, dass die individuelle sprachliche Assimilation tatsächlich und nach wie vor der empirische Regelfall ist, und das weitgehend unabhängig von der jeweiligen Migrations- und Integrationspolitik der Einwanderungsländer. Von ähnlichen Wirkungen kollektiver Förderungen kann nicht ausgegangen werden, und es gibt sogar Hinweise, dass eine ethnische Minderheitenpolitik die (sprachliche und sonstige) Integration eher erschwert. Das heißt freilich keineswegs, dass die intergenerationale Integration kein Problem darstellt und man nur lange genug abzuwarten brauche.

Das Problem und die Gefahr einer sich verfestigenden ethnischen Schichtung hat gerade damit zu tun, dass es, anders als die alte Assimilationstheorie angenommen hatte, einen „unvermeidlichen“ Weg in die soziale Integration nicht gibt, auch nicht in (primär) meritokratisch organisierten und (vergleichsweise) offenen Gesellschaften. Das Problem der durch die Migrationssituation meist unvermeidliche Verlust an spezifischen Fertigkeiten und die damit einhergehenden kulturell und ethnisch verteilten Startnachteile in den (formal) meritokratischen Prozessen. An der Bedeutung des Zweitspracherwerbs für die Integration in Bildung und Arbeitsmarkt wird das überdeutlich.

Gravierend werden diese Gefährdungen des Integrations- und Aufstiegsprozesses vor allem an bestimmten kritischen biographischen Schnittstellen, vornehmlich solchen, an denen die Migranten (-kinder) oft noch nicht wettbewerbsfähig sein können, wie bei der schulischen Bildung, oder an denen die oft vorhandenen Tendenzen zur sozialen Distanz oder Diskriminierung nicht kompetitiv gebremst werden, wie bei der beruflichen Bildung - auch wenn dafür die wirklich belastbaren empirischen Belege bislang fehlen, speziell für die Vermutungen über institutionelle und andere Diskriminierungen in Schulen und Betrieben. Hinzu kommt, dass an exakt an diesen beiden Schnittstellen ein Kollektivgutproblem auf Seiten der einheimischen Bevölkerung besteht: Die Verbesserung der schulischen Chancen für die Migranten (-kinder) geht - wenigstens teilweise - nicht ohne die Hinnahme gewisser Zugeständnisse an die Privilegien der einheimischen Kinder vonstatten, etwa durch die Zulassung bestimmter ethnischer Mischungen in den Vor- und Grundschulen oder den Verzicht auf die Meidung „problematischer“ Schulen. Und bei der Annahme von Bewerbungen auf Lehrstellen durch die Betriebe und Arbeitgeber kann es, weil Fehlplatzierungen dort für die einzelnen Unternehmer nicht besonders folgenreich sind beziehungsweise weil sich die berufliche Ausbildung für die Betriebe und Arbeitgeber oft nicht (mehr) auszahlt, zu leistungsfremden Diskriminierungen kommen, die es auf stärker kompetitiven Feldern nicht geben würde (und in der Tat auch weitgehend nicht gibt).

Insofern es jeweils um sehr entscheidende Verzweigungen in den biographischen Chancen der Migranten (-kinder) geht und weil aufgrund des Kollektivgutcharakters des Problems eben nicht zu erwarten ist, dass sich diese Probleme von alleine lösen, kann man hier auch politische Vorgaben und Eingriffe ins Auge fassen. Zu denken wäre etwa an Quoten für Ausländerkinder in Vor- und Grundschulen und bei der Vergabe von Lehrstellen und eine deutlich stärkere Unterstützung der Migranteneltern bei der Schul- und Berufswahl ihrer Kinder. Diese für funktional differenzierte Gesellschaften eigentlich „systemfremden“ Eingriffe erhalten ihre Rechtfertigung aus der damit vermutlich tatsächlich wirksamen Vermeidung von ethnischen Schichtungen - die Voraussetzung also für die Nutzung der Potentiale der ethnischen und kulturellen Vielfalt und all der Talente, die die Migranten im Prinzip stets mitbringen.

Alles andere kann man dann getrost der Initiativkraft, den Ambitionen und den Talenten der Migranten und ihrer Kinder überlassen. Sie brauchen weder motiviert noch beschützt, betreut, belehrt oder gar erzogen zu werden, etwa über „Integrationskurse“. Und sie müssen, wie alle Mitglieder der „civic society“ einer funktional differenzierten, modernen Gesellschaft, auch in keiner Weise noch in irgendeiner kollektiven Identität „anerkannt“ werden. Ebenso wenig wie man verlangen müsste, dass sie sich selbst mit irgendwelchen kollektiven Werten, etwa nationaler oder religiöser Art, identifizieren müssten, die über das hinausgehen, was dort als „Leitkultur“ selbstverständlich sein sollte: die Anerkennung der Prinzipien von Liberalität, Individualität und ausgleichender Gerechtigkeit.

 

Der Beitrag beruht auf der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus: Hartmut Esser, Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten, Frankfurt/M. und New York 2006 (Campus Verlag) 

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Hartmut Esser ist Professor für Soziologie und Wissenschafts- lehre an der Universität Mannheim. Er gehört dem Rat für Migration an, dem bundesweiten Zusammen- schluss von Migrations- forscherInnen in Deutschland.