Katja Kinder beschreibt Prozesse: von der Notwendigkeit als Schwarze Frauen zusammenzukommen, über Zeiten von gescheiterten Bündnissen mit weißen Feministinnen hinweg bis hin zur Positionierung als Schwarzer als feministische Aktivistin in der Schwarzen Bewegung.
von Katja Kinder
Schwarze Aktivistinnen in Deutschland des 20. Jahrhunderts formierten sich in Bewegungen und erhoben ihre Stimmen. Mir geht es hier nicht darum, ein vollständiges Bild dieser Bewegung wiederzugeben. Vielmehr ist es mein Anliegen, eine traditionsbewusste, subjektive Erfahrung zu beschreiben. Ich beziehe mich auf meine 20jährige Erfahrung als Schwarze Aktivistin in Deutschland und als Gründungs-Mitfrau des Vereins ADEFRA e.V. Diese Erfahrung hat mich tief geprägt und ist verantwortlich für meine heutige Positionierung.
Damit möchte ich nicht, die Schwarzen Aktivistinnen vor unserer Zeit ausblenden. Im Gegenteil, ein grundlegendes Merkmal Schwarzer Geschichte ist es, sich auf diejenigen zu beziehen, die bereits vor uns existierten und ihr Wissen an uns weitervermittelt haben. Es geht mir auch um die Beschreibung eines Prozesses. Den Prozess, von der Notwendigkeit als Schwarze Frauen zusammenzukommen, über Zeiten von gescheiterten Bündnissen mit weißen Feministinnen hinweg bis hin zur Positionierung als Schwarzer als feministische Aktivistin in der Schwarzen Bewegung, beschreibe ich in drei Schritten.
Schritt eins: Von der Notwendigkeit uns als Schwarze Aktivistinnen zu vereinen
Ein zentrales Motiv mit anderen Schwarzen Frauen zusammenzukommen war sicherlich der Wunsch, diesen spezifischen Teil unserer Identität offen zu legen, der in der weiß dominierten Öffentlichkeit nicht vorkam. Die gemeinsame Enttäuschung unterschiedlicher Women-of-Color Aktivistinnen in der weißen feministischen Bewegung keinen Fuß fassen zu können, war der Motor für die Suche nach separaten Räumen für Schwarze Frauen. Langanhaltende, zum größten Teil redundante, Auseinandersetzungen um Definitionen von Macht, Rassismus, Hierarchisierungs- und Ausschlusspraxen im Rahmen der weißen Frauenbewegung wurden immer mühsamer und für beide Parteien letztlich nicht mehr produktiv.
Viele der Schwarzen Anfangs-Aktivistinnen hatten das Gefühl Lagen über Lagen raumausfüllenden Weißseins mit sich zu tragen. Wir wollten alles Weiße abschütteln, um vollkommen Schwarz und endlich "befreit" zu sein. So naiv dies heute erscheinen mag, so existentiell war diese erste Phase für die Bewusstwerdung und Formung einer eigenen Schwarzen Identität. Wir wollten unsere eigene Geschichte, Literatur und Kunst entdecken und erzählen. In unserem Kampf um Selbstbestimmtheit und Empowerment blickten wir sowohl auf den Kontinent als auch auf die USA, deren radikale Aktivistinnen-Persönlichkeiten viele von uns heute noch prägen. Wir trafen uns regelmäßig, organisierten Konferenzen und Austauschprogramme, begannen unsere Sichtweisen zu veröffentlichen und kämpften derweil gegen eine weiße "Übermacht". Auf dieser Grundlage erfolgte Schritt zwei.
Schritt zwei: Schwarzes Bewusstsein und „das Dafür und Dagegen im Kampf gegen den Mainstream“
In unserem Bestreben aufzubegehren, grenzten wir uns von als gewaltvoll und einschneidend empfundenen weißen Herrschaftsstrukturen und Praxen ab. Es ist allerdings mühsam gegen etwas zu kämpfen, ohne genau zu wissen, wofür ich mich erhebe. Eine Feindin auszumachen und gegen sie zusammenzuhalten, scheint unendlich einfacher zu sein, als das Beschreiten eines autonomen Weges. Kennzeichnend für Bewusstseinsprozesse sind Abgrenzungen. In der Abgrenzung besteht ein enormes Energie-Potenzial, welches für lange Zeit das Rebellieren und Aufbegehren gegen ein Ziel ermöglicht. Widerstand wird indes nur Bestand haben, wenn er zum einen langfristig mit selbstbestimmten Inhalten gespeist wird und zum anderen sich nicht, bei allen Verlockungen, dem Mainstream unterwirft.
In diesem Zusammenhang ist die Frage zentral, ob es überhaupt möglich ist, eine Außenposition einzunehmen. Denn auch unsere Widerstandsstrategien speisen sich aus einem Herrschaftssystem, welches von Schwarzen Frauen letztlich auch durch historische Strukturen verinnerlicht wurde. Die Verinnerlichung von Herrschaftsstrukturen und die daraus entstandenen Widerstandsstrategien machten im Zuge der Professionalisierung vor den weißen Feministinnen nicht halt. Je etablierter und somit selbstbewusster die weiße Frauenbewegung wurde, desto stärker schien sie ihre eigenen ursprünglich abgelehnten und abgewehrten Normen für sich in Anspruch zu nehmen.
Der Objektivitätsglaube setzte sich offensichtlich immer mehr durch. Die Norm blieb somit weiß und unzertrennlich mit dem Glauben an Objektivität verbunden. Die Konstruktion von Objektivität=weiß=Norm kann als gelungen benannt werden und ist konkret in seinen sozialen Auswirkungen. Bislang galt das Bestreben weg vom subjekthaften Blick hin zu einem objektiven Außenstandpunkt als eine weiße männliche Allmachtsphantasie. Weiße Männer eignen sich durch ihre hegemoniale Position wohl am wenigsten dazu, einen "objektiven" Blick einnehmen zu können - weder im realen Leben noch in der Forschung. Sie halten schließlich die "Elfenbeintürme" unserer Gesellschaft fest in ihrer Hand. Jede Herrschaftsbeziehung basiert auf Gewalt. Das Moment der Gewaltanwendung als alleiniges Erklärungsmuster für Herrschaft reicht jedoch nicht aus. Die unsichtbare institutionalisierte Macht etwa in den Elfenbeintürmen der Wissenschaft muss nicht auf physische Gewalt zurückgreifen. Sie ist aber ein gutes Beispiel dafür, gegen welche Art von symbolischer Gewalt wir als Schwarze AktivistInnen kämpften.
So verweist Bourdieu, der als einer der wenigen weißen männlichen Theoretiker die politischen Implikationen der Wissenschaften aufgriff und in seine gesellschaftskritischen Theorien umsetzte (Bourdieu, 1998; Die Männliche Herrschaft), auf eben jene symbolischen Einschreibungen. Mit der Argumentationslinie der symbolischen Macht verweist er darauf, dass die Durchsetzung von symbolischer Macht auf alltäglichen und stillschweigenden Vorgängen und eben nicht allein auf physischer Stärke basiert. In ihrer Wirkung ist sie genauso konkret wie real.
Das Aufkommen der aktivistischen Lesben- und Schwulenbewegung, später die Queere-Bewegung und die Beschäftigung mit Gender wurde als eine große Befreiung empfunden und gefeiert. Dennoch birgt die Etablierung dieser Diskurse durch Gendermainstreaming das Potenzial, in sich eine Falle zu werden. Den Mainstream zu ersetzten (Heteronormativität/Weißsein) geht einher mit der Neusetzung eines Status Quo (weiße Queere Normativität). Der Status Quo ist allerdings nicht dafür geeignet, Machtstrukturen abzubauen, weil der Mainstream sich im höchsten Maße eignet, hegemoniale Denklinien unmerklich und unspektakulär in die sozialen Beziehungen zurück einzuschreiben. Dadurch wird ein System installiert, welches der Rechtfertigung nicht bedarf. An den unterschiedlichen Bewegungen zeigt sich m. E., dass die Struktur, also das Beziehungsgeflecht wandelbar ist, die Ordnung (Schwarz/weiß) bleibt hingegen durchgängig starr hierarchisch und somit herrschaftsaffirmativ.
Schritt Drei: Der Schritt zum autonomen Subjekt im Kontext der politischen Widerstandsstrategien Schwarzer Menschen in Deutschland
Es ist dennoch lohnenswert, das Scheitern der Bündnisebene mit weißen Feministinnen zu reflektieren. Es ist zentral, weil das Erfassen der Gründe für den Prozess und das Verständnis, warum bestimmte Bündnisse wenig fruchtbar waren und sein werden, zukunftsweisend ist. Weißen Feministinnen ist offenbar fundamental daran gelegen, sich in den Mainstream einzuschreiben. Es ging dem Anschein nach vordergründig um Partizipation und Gleichstellung in einem als übermächtig antizipierten weißen männlichen System und nicht um das Infragestellen desselbigen. Der Postmodernismus und seine Bestrebungen hegemoniale Strukturen zu dekonstruieren und damit zu verschleiern, schien verlockender zu sein, als ein Entgegenwirken auf die symbolischen Einschreibungen und die Auswirkungen von Rassifizierung und Geschlecht.
Das Durchlaufen des oben beschriebenen Prozesses war m. E. nach nicht umsonst, sondern grundlegend notwendig. Daraus erwuchs bei vielen von uns das untrügliche Wissen von Machtprozessen und ihre verheerenden Auswirkungen. Durch das Ausblenden Schwarzer Realitäten in weißen Institutionen hat die Schwarze Bewegung durchaus die Möglichkeit genutzt sich „außerhalb“ zu positionieren und so eine eigene Perspektive einzunehmen. Daraus entstanden Gegendiskurse und Gegenstrukturen Schwarzer Aktivistinnen, die auch Brüche in hegemonialen Diskursen verursachten. Aus dieser Analyseperspektive erwachsen neue Handlungsräume. Schwarze Aktivistinnen sind im Mainstream nicht existent und genau dieser Umstand eröffnet die Chance, den Raum neu zu besetzen und die viel zitierte symbolische Ordnung Stück für Stück zu zersetzen.
Katja Kinder, geboren 1966 in Berlin-West, ist Gründungsmitfrau von ADEFRA - Schwarze Frauen in Deutschland e.V. Sie lebt in Berlin, wo sie als Konfliktmediatorin, Dozentin für Deutsch als Zielsprache, Workshop-Facilitator arbeitet.