PHOENIX „HipHop-Trainings“: HipHop und Rassismus-Geschichte

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von Mutlu Ergün 


PHOENIX wurde 1996 in Duisburg gegründet und ist eine anti-rassistische NGO, welche sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene tätig ist. Mittlerweile hat PHOENIX über 220 Mitglieder, weltweit und bietet verschiedene Trainings an, die ein breiteres Bewusstsein über den alltäglichen (institutionalisierten) Rassismus zu schaffen versuchen. Die „White-Awareness“-Trainings oder auch „Learning-to-be-White“-Trainings sollen Weißen helfen, sich intensiv und kritisch mit ihrer Weißen Frühsozialisation auseinanderzusetzen. Die „Empowerment“-Trainings richtet sich an People of Color, also an Menschen, die im politischen Sinne nicht-weiß sind. Sie sollen Menschen Unterstützung anbieten, die von Rassismus betroffen sind und sie in die Lage versetzen, konstruktiv mit einem System umzugehen, das People of Color zu unterdrücken und zu dominieren versucht.

Wofür HipHop-Trainings?

Die HipHop-Trainings in PHOENIX sind eine spezielle Form von anti-rassistischen Trainings (mit Elementen sowohl aus den White-Awareness- als auch aus den Empowerment-Trainings), den Interessen und Bedürfnissen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zugeschnitten. An einem Wochenende sollen sie die Möglichkeit bekommen mehr über HipHop zu erfahren.

Durch die starke Popularisierung und Kommerzialisierung von HipHop-Musik, ist vielen Jugendlichen nicht bewusst, dass HipHop ursprünglich als Protest-Kultur entstanden ist. HipHop-Musik und -Kultur sind für viele Jugendliche ein alltäglicher Bestandteil ihres Lebens geworden.

Sie konsumieren HipHop, doch die politischen Dimensionen, welche darin enthalten sind, bleiben für viele unbekannt.
Fragen wir die Jugendlichen, wann HipHop entstanden ist, so schätzen sie meist richtig das Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ein. Doch die provokative These, die die Trainings einleiten, ist:: „HipHop ist 500 Jahre alt“.
Schritt für Schritt versuchen wir mit den Jugendlichen eine foucaultsche „HipHop-Genealogie“ herzustellen. Im Training entdecken dann die Teilnehmer die Verbindung zwischen HipHop und afrikanisch-amerikanischer Geschichte. Die historischen Kontinuitäten von Kolonialismus, der Entwicklung der rassistischen Ideologie im europäischen Zeitalter der Aufklärung, die die Versklavung Millionen von Afrikanern rechtfertigte, führen uns bis zur Entstehung der „Ghettos“ im urbanen US-Amerika, wo HipHop-Kultur geboren wurde. Wir tauchen tief in die Geschichte der „Middlepassage“, dem berüchtigten Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika, bei dem mehr als 10 Millionen afrikanische Menschen als Sklaven in die „neue Welt“ verkauft wurden und weitere 10 Millionen Afrikaner ihr Leben verloren (auch bekannt als „Black Holocaust“). Wir veranschaulichen die Verbindung Breakdance und capoeira, der in der Kolonialzeit von versklavten Afrikanern praktizierten brasilianischen Kampfkunst, deren Wurzeln in Westafrika vermutet werden, analysieren gemeinsam HipHop-Texte von verschiedenen HipHop-Künstlern (Tupac, Queen Latifah, DeadPrez etc.), die „Black History“, „Weiße Vorherrschaft“ und Genderproblematik sozial-kritisch thematisieren.Dabei werfen wir auch einen kritischen Blick auf die verschiedenen Entwicklungen in der Rap-Musik, wie „Gangsta-Rap“ und andere entpolitisierte, stark kommerzialisierte Formen von Rap, die unreflektiert Sexismus und Homophobie reproduzieren.
Paulo Freire schreibt in „Pädagogik der Unterdrückten“, dass kritisches Denken im Grunde „nur“ Denken in Gesamtzusammenhängen ist. Wir versuchen diesen Grundgedanken bei den jungen Erwachsenen anzuregen, um u.a. die Entwicklungen des Musikmarktes kritisch hinterfragen zu lernen.

Reflexion über Rassismus und Diskriminierung

Im weiteren Verlauf des Trainings erarbeiten wir gemeinsam mit den Jugendlichen, inwiefern sich der amerikanische Diskurs über „Rasse“, „Weiß-Sein“ und Rassismus auf Deutschland übertragen lässt. Wir definieren den Begriff „Rassismus“, untersuchen die verschiedenen Machtdimensionen, die mit rassistischer Diskriminierung verbunden sind und reflektieren durch die Analyse verschiedener Texte deutscher Rapper und Rapperinnen (Toni L., Brothers Keepers etc.) wie Rassismus durch Kultur ansozialisiert und reproduziert wird, blicken aber auch auf verschiedene Formen von positivem Widerstand und Alternativen zum rassistischen System.

In der Gruppe analysieren wir zum Beispiel alltägliche Situationen, veranschaulichen sie mit Rollenspielen und versuchen so zu verdeutlichen, wie jeder und jede von uns im rassistischen System positioniert ist und welche Privilegien oder Hindernisse ihm oder ihr diese Position bietet. Damit geben wir den Jugendlichen die Möglichkeit zu begreifen, in wie weit politische Ideologien (wie „Weiß-Sein“ und „weiße Vorherrschaft“) unseren Alltag bestimmen und gestalten.

Im zweiten Teil bekommt das Training einen Workshop-Charakter. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen nicht nur etwas über HipHop erfahren, sie sollen HipHop machen. Sie haben die Möglichkeit eine Rap- oder Tanz-Perfomance zu kreieren, ein Graffiti oder ein Poster zu malen, welches am Ende der Trainings ausgestellt und besprochen wird. Die Performances werden aufgezeichnet und den Jugendlichen zugänglich gemacht.

Der Phoenix-Weg: Kultur der Verständigug

Der Grundgedanke der PHOENIX-HipHop-Trainings ist, bei den Jugendlichen ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln. Natürlich ist ihnen klar, dass es vor 500 Jahren keine Rapper und Breakdancer gab, aber sie begreifen, dass HipHop durch verschiedene historische und kulturelle Entwicklungen entstanden ist. Rassismus gestaltete und gestaltet unsere Gesellschaft und hat verschiedene Formen von Kultur hervorgebracht, die versuchen, mit Rassismus umzugehen und Widerstand zu leisten.

Im Idealfall wird ihnen bewusst, dass die Strukturen, die sie gelernt haben, als gegeben oder natürlich zu akzeptieren, in einem geschichtlichen Prozess konstruiert worden sind und auch wieder de-konstruiert werden können. Wir versuchen ihnen deutlich zu machen, dass Menschen historische Wesen sind, damit sie mehr Verständnis für sich selbst und die Kultur, in der sie leben, entwickeln können, und damit sie wie Archäologen die verschiedenen (Ge-)Schichten ihres alltäglichen Lebens erkennen lernen.

PHOENIX steht für eine Kultur der Verständigung. In den HipHop-Trainings arbeiten wir mit gemischten Gruppen aus weißen und nicht-weißen Jugendlichen zusammen. Iin den White-Awareness- und Empowerment-Trainings achten wir auf eine stärkere Trennung, um zunächst geschützte Räume zu schaffen, um dann später in gemischen Räumen bestimmte Themen gemeinsam zu reflektieren.

Zwar gibt es auch in den HipHop-Trainings verschiedene Einheiten, die veranschaulichen sollen, wie verschieden Weiße und People of Color im rassistischen System positioniert sind, aber wir legen einen besonderen Wert darauf eine respektvolle und positive Atmosphäre herzustellen und nicht Traumata zu reproduzieren oder auf der Schuld-Ebene zu arbeiten. Später haben die Jugendlichen die Möglichkeit sich aktiv in PHOENIX zu engagieren, sie können auch ein HipHop-Folge-Training machen oder ihre Reflexionen in einem der anderen PHOENIX-Trainings vertiefen.

Zusammenfassung
In den HipHop-Trainings kombinieren wir Geschichts-, Deutsch-, Musik-, Sozialkunde- und Kunstunterricht. Durch die Analyse von Rap-Texten und HipHop-Geschichte lernen die Jugendlichen gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge besser zu verstehen. Durch die Produktion eigener Rap-Texte und Performance von HipHop-Kultur geben wir den Jugendlichen die Möglichkeit ihre Gedanken und Gefühle auf eine kreative Art und Weise auszudrücken, zu verstehen und sich zu vernetzen.

Die PHOENIX-HipHop-Trainings können einen Beitrag leisten Jugendliche und junge Erwachsene zu politisieren und die Kultur in der sie leben kritischer betrachten zu lassen, um neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln. Um es mit den Worten von den DeadPrez auszudrücken: „This is bigger than HipHop!“

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Mutlu Ergün, studierte Erziehungswissenschaften in Berlin und seit 2006 „Race and Ethnic Relations“ am Birkbeck College in London, UK. Seit 2001 ist er aktives Mitglied in PHOENIX e.V. und Trainer für HipHop-Trainings, White-Awareness und Empowerment.