Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sind Teil der gesellschaftlichen Realität überall - auch in allen EU-Mitgliedsstaaten. Über ihre Zahl gibt es nur Schätzungen. Für Deutschland liegt sie irgendwo zwischen 100.000 und einer Million Menschen.
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus werden gemeinhin als "illegale" oder "irreguläre" MigrantInnen klassifiziert, was ihren rechtlichen Status beschreibt, den sie in der Regel nicht selbst gewählt oder gar angestrebt haben. Denn nur ein kleiner Teil (15 -30%) von ihnen hat unautorisiert Grenzen übertreten.Nach Schätzungen für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind etwa ein Drittel der irregulären MigrantInnen de facto Flüchtlinge, die aufgrund der niedrigen Anerkennungschancen erst gar keinen Asylantrag in den EU-Ländern stellen (Morrison/Crosland 2000). Den Großteil jedoch stellen Menschen, die auf die eine oder andere Weise ihren legalen Status verloren haben. Sie sind als TouristInnen, StudentInnen, SaisonarbeiterInnen, geduldete Flüchtlinge etc. eingereist und erst mit Ablauf ihres Visums oder der Ablehnung ihres Asylantrags bzw. dem Auslaufen einer Duldung irregulär geworden.
Bis in die 1970er Jahre war es in den meisten europäischen Ländern kein Problem, erst nach der Einreise eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Heute ist das anders. Ein Visum muss bereits im Herkunftsland beantragt werden und selbst TouristInnen, Studierende oder hochqualifizierte ArbeitsmigrantInnen wissen ein Lied davon zu singen, wie schwer es ist, die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Das Abdriften in die Illegalität für viele EinwandererInnen ist ein Resultat der Abschottungspolitik Europas der letzten Jahrzehnte, in denen die EU-Staaten reguläre Einreisemöglichkeiten vor allem für Menschen aus den Ländern des Südens sukzessive abgebaut und gleichzeitig ihre Außengrenzen durch immer schärfere Kontrollen undurchlässiger gemacht haben. Doch diese Maßnahmen haben letztlich die Einwanderung nicht unterbinden können.
Die Zahl der irregulären MigrantInnen ist stetig gewachsen. Erfahrungen aus Ländern wie den USA oder Spanien zeigen, dass irreguläre MigrantInnen, die früher für kürzere Perioden ins Land kamen, jetzt länger im Land bleiben, weil verstärkte Einreise- beschränkungen und Grenzkontrollen die Wiedereinreise erschwert haben.
Politisch wird das noch ungelöste Problem der irregulären Migration immer wichtiger. Doch bislang hat dies nicht zur Verbesserung der schwierigen Lebenssituation der illegalisierten MigrantInnen geführt, sondern eher als Vorwand genutzt, um das ausgeworfene Netz der Migrationskontrollen immer dichter zu knüpfen. Im Dritten Jahresbericht "Migration und Integration" der Europäischen Kommission vom September 2007 kommt das Thema der Illegalität von MigrantInnen allerdings nicht vor - weder als sicherheits- oder ordnungspolitisches Problem der Migrationskontrolle, noch als humanitäres Problem. Das überrascht. Rangiert das Thema doch sonst ganz oben auf der europäischen Agenda. Fast täglich berichten die Medien von Ertrunkenen im Mittelmeer, von den patrouillierenden Booten der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, von Aktionsplänen gegen "illegale Migration", aber auch von Kommunen, die nach Wegen eines humanitären Umgangs mit der wachsenden "unsichtbaren" Bevölkerung suchen.
Dieses Dossier gibt Einblicke in die prekären und zum Teil menschenunwürdigen Lebensverhältnisse illegalisierter MigrantInnen mitten in unserer Gesellschaft:
- Der erste Teil "Illegalisierung" widmet sich dem politischen Umgang mit irregulärer Migration in Europa und den USA. Analysiert werden die Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, dass MigrantInnen in die Illegalität getrieben werden. Ihre Lebenssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie durch politische und mediale Diskurse mal sichtbar mal unsichtbar gemacht wird - z.B. auch durch Spiel- und Dokumentarfilme, die das Leben irregulärer MigrantInnen thematisieren.
- Der zweite Teil wendet sich den für den Alltag von Erwachsenen wie Kindern "ohne Papiere" wichtigen Lebensbereichen Gesundheit, Bildung, Erwerbsarbeit zu. Hier wird deutlich, dass elementare Menschenrechte für diese Menschen nicht gelten. Da insbesondere Kommunen mit den Alltagsproblemen illegalisierter MigrantInnen konfrontiert sind, wird hier auf deren Umgang mit dem ,Problem' der Illegalität näher eingegangen.
- Im dritten Teil zur "(Selbst-)Organisierung und Zivilgesellschaft" geht es schließlich um zivilgesellschaftliche Mobilisierung für die Rechte von illegalisierten MigrantInnen. Es werden sowohl Selbstorganisationen undokumentierter MigrantInnen wie auch die vielfältige Arbeit und die Diskussionen kirchlicher, gewerkschaftlicher und anderer Lobbyorganisationen und Aktionen vorgestellt.
Aufgrund seiner negativen und kriminalisierenden Konnotation vermeiden die meisten AutorInnen dieses Dossiers den Begriff 'illegal' als Beschreibung für MigrantInnen. Stattdessen bevorzugen sie es, von 'illegalisierten' oder 'irregulären' MigrantInnen oder von "MigrantInnen ohne Papiere" zu sprechen.
Das Dossier wurde konzipiert und redigiert von der Sozialwissenschaftlerin Helen Schwenken unter Mitarbeit von Caren Kunze.
Verantwortlich: Olga Drossou, MID-Redaktion.