von Deniz Akpinar
Junge Vorbilder“ ist ein Mentoring Projekt, das sich an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund der 9. bis 11. Klasse richtet und das Ziel verfolgt, diese SchülerInnen beim Wechsel auf eine weiterführende Schule bzw. Oberstufe zu unterstützen und das Abitur zu erlangen. Diese Unterstützung wird von MentorInnen geleistet.
Wer sind die MentorInnen?
Die MentorInnen beim Projekt „Junge Vorbilder“ sind erfolgreiche Absolventen des Schulsystems, die selbst einen Migrationshintergrund haben und mit den Handikaps und Widrigkeiten des Schulsystems zu kämpfen hatten. Unterstütz durch den geringen Altersunterschied sind sie Erfahrungsexperten, die den SchülerInnen (Mentees) als Vorbild dienen. Sie sind zwischen 19 und 26 Jahre alt und haben denselben Migrationshintergrund.
Woher kommt die Idee?
Die Idee des Projektes stammt aus den Niederlanden und den USA.
Übertragen wurde das Mentoringprojekt bei verikom 2004 als Pilotprojekt mit dem Namen „Kendi“ und läuft seit 2007 unter den Namen „Junge Vorbilder“.
Der Begriff Mentoring kommt ursprünglich aus den Universitäten, wo ältere Studierende die Erstsemester unter ihre Fittiche nehmen und von ihren Erfahrungen profitieren lassen.
Was ist Mentoring?
Das Mentoring bietet durch seine Flexibilität der Antwortmöglichkeiten auf die tatsächlichen Probleme in der Schule mehr als eine „klassische Nachhilfe“. Bei vielen Schülern sind es nicht mal die mangelnden Fachkenntnisse in Mathematik, Englisch oder Deutsch. Mangelndes Selbstbewusstsein, fehlende Motivation oder Zukunftsängste sind häufige Faktoren, die eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Das Mentoring kann mit drei verschiedenen Arten der Begleitung die Richtung der Spiralbewegung umdrehen:
- Sozial- emotionale Begleitung
- Nachhilfe
- Orientierung im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn und berufliche Perspektive
Das Mentoring findet generell in einer 1:1 -Betreuung bei den Mentees zu Hause statt, damit die MentorInnen den direkten Kontakt auch zu den Eltern haben, um die Vermittlung zwischen ihnen und der Institution Schule zu stärken.
Das Projekt setzt mit seinen Inhalten und Zielen einen Akzent gegen den in Bildungsdebatten über SchülerInnen mit Migrationshintergrund vorherrschende „Katastrophendiskurs“ und beweist das Potenzial von SchülerInnen mit Migrationshintergrund, angeleitet durch ihre motivierten und qualifizierten Erfahrungsexperten und Vorbildern. Durch die interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen der MentorInnen profitieren nicht nur die Mentees, sondern auch die Eltern, die durch die MentorInnen wichtige Ansprechpartner gewinnen.
Was hat sich bis jetzt verändert?
Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass sich das Klassenklima in denjenigen Klassen, die mit Mentoring in Berührung kamen, zum positiven verbessert hat. Die bessere Schulleistung des Mentees wirkt sich nicht nur positiv auf sein Selbstwertgefühl aus, sondern auch auf seine Einstellung und Motivation zur Schule, und somit auf das Lernklima im Unterricht.
Alle Mentees konnten - zumindest subjektiv - ihre Leistungen verbessern und eine Perspektive entwickeln. Nicht immer ließen sich aber die positiven Veränderungen auch unmittelbar an den Noten ablesen. Viele der betreuten SchülerInnen schafften den Übergang in die Oberstufe, andere erreichten immerhin einen guten Realschulabschluss.
Was macht verikom?
Zu Beginn des Projekts übernahm verikom folgende Aufgaben:
- Ausbildung der MentorInnen
- Vermittler zwischen Schule und Mentees
- Ansprechpartner für Mentees, MentorInnen und Schulen.
Diese Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen war in der Pilotphase noch möglich, da die Anzahl der Bewerber übersichtlich war. Es handelte sich um drei integrierten Haupt- und Realschulen in den Stadtteilen Altona-Altstadt, Altona-Nord und Kirchdorf-Süd mit etwa 20 SchülerInnen der 10. Klasse. Heute, nach fast drei Jahren, ist das Interesse am Projekt und damit der Umfang so sehr gestiegen, dass die Koordinierung den Schulen überlassen wurde.
Das Pilotprojekt startete bei verikom mit MentorInnen, die einen türkischen Migrationshintergrund hatten. Heute hat sich das Spektrum ausgebreitet und das Angebot an vielen weiteren sprachlichen Kapazitäten wächst konstant. verikom beschäftigt sich nun vielmehr gezielt mit der Ausbildung der MentorInnen. Abgesehen von einem Mentorentraining (Basistraining), die unter der Leitung von Sozialpädagogen stattfindet, muss jede/r angehende/r Mentor/in weitere Fortbildungsseminare besuchen um letztendlich den Mentorenschein erwerben zu können. Diese Fortbildungen sind spezielle Hilfen für die MentorInnen, in den ihnen fachliche Didaktiken, Lernmethoden oder Orientierung für die Schullaufbahn vermittelt werden, das sie ihren Mentees weiterleiten.
Außerdem findet in regelmäßigen Abständen ein Mentorentreffen statt, bei denen Erfahrungen ausgetauscht werden. Die Suche nach MentorInnen geschieht durch die Universität, über die drei Stadtteilstandorte von verikom und per Mund-zu-Mund-Propaganda. Zusätzlich versucht verikom kontinuierlich weiter Schulen zu werben, um sie mit dem Mentorenprojekt vertraut zu machen. Dafür wird das Projekt auf Wuschen an Lehrerkonferenzen oder Elternabenden vorgestellt.
Was ist das Ziel des Projekts?
Ziel ist es, in den kommenden drei Jahren 150 SchülerInnen am Mentoring teilnehmen zu lassen - und das Projekt stärker an die Schulen zu bringen. Das bedeutet vor allem, dass es die Schulen selbst sind, die die beteiligten Mentees auswählen und ihnen aus einem vorhandenen Pool MentorInnen vermitteln.
Statistik
Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind im deutschen Schulsystem nicht gleichmäßig vertreten. Während 32% aller SchülerInnen mit Migrationshintergrund in die 9. Klasse einer Hauptschule gehen, bei den türkischstämmigen ist es sogar fast die Hälfte, besuchen bundesweit knapp 17% SchülerInnen ohne Migrationshintergrund die Hauptschule.
Umgekehrt besucht ein Drittel aller SchülerInnen ohne Migrationshintergrund das Gymnasium, während dies bei SchülerInnen mit einem Migrationshintergrund wiederum nur ein Viertel, und bei türkischen Jugendlichen sogar nur ein Achtel ist.
Die Ursachen, weshalb SchülerInnen mit Migrationshintergrund überproportional in den Schultypen wieder zu finden sind, die eine geringe Chance für einen beruflichen Aufstieg bieten - also den Hauptschulen - sind vielfältig.
Während die schlechte Beherrschung der Sprachkenntnisse oder die mangelnde Kenntnis der Eltern über das deutsche Schulsystem hier zu nennen sind, spielt die von der IGLU Studie festgestellte „Bildungsdiskriminierung“, eine immanente Rolle, nämlich das SchülerInnen mit Migrationshintergrund, aufgrund gleicher Leistungen(!) schlechter benotet werden bzw. eine schlechtere Empfehlungen für die weiterführende Schulen erhalten.Ihnen wird weniger zugetraut, und deshalb werden sie häufig auch weniger gefördert und gefordert. Dieses wirkt sich auf das Selbstwertgefühl aus und auf den Mut die Zukunft in die eigene Hände zu nehmen.
Untersuchungen in den Niederlanden haben allerdings gezeigt, dass sich auch innerhalb der Gruppe der Migrantenkinder relevante Unterschiede auftauchen.
Der statistische Rückstand bei den schulischen Leistungen gilt nämlich vor allem für die Erstgeborenen, während er bei jüngeren Geschwistern viel weniger ins Gewicht fällt. Der Hauptgrund dafür ist, dass diese von den Schul- und Lernerfahrungen ihrer älteren Geschwister profitieren können. Offensichtlich sind diese in der Lage, die im Vergleich zu Familien ohne Migrationsgeschichte schlechtere Unterstützung durch die Eltern weitgehend auszugleichen (s. Maurice Crul: De Sleutel tot Success, Amsterdam 2000). Bei schulisch erfolgreichen älteren Geschwistern kommt noch die Vorbildfunktion als Rollenmodell hinzu.
Aus diesem Ergebnis wurde in den Niederlanden die Idee geboren, die Weitergabe von Schul- und Lernerfahrungen durch ältere Geschwister gewissermaßen zu "institutionalisieren": Es entstanden so genannte "Mentoring-Projekte", in denen erfolgreiche Absolventen der höheren Schulbildung aus bestimmten Migrantengruppen die Schulleistungen von Jugendlichen mit gleichem oder ähnlichem Migrationshintergrund zu verbessern versuchten - mit so großem Erfolg, dass die Projekte inzwischen von staatlicher Seite finanziell gefördert werden. Wie sich in der Evaluation der Projekte herausstellte, spielte bei diesem Erfolg die Vorbildfunktion der Mentoren, alle erfolgreiche ältere Schüler und Studierende, eine wichtige Rolle. Häufig scheint der Schulerfolg vor allem an mangelndem Selbstvertrauen und der auch unter den Schülerinnen und Schülern selbst weit verbreiteten Auffassung zu scheitern, als "Ausländer" sowieso kaum eine Chance auf schulischen und beruflichen Erfolg zu haben.
Februar 2008
Deniz Akpinar, Kind türkischer Migranten, beschäftigt sich neben dem Studium der Romanistik und Erziehungswissenschaften mit Themen wie Migration, Integration und Interkulturalität und ist Projektmitarbeiterin bei verikom.