von Ekkehard Thümler
Auf der Tagung „Schule mit Migrationshintergrund“ wurde darüber nachgedacht, wie sich Schule unter den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft verändert, vor welche neuen Herausforderungen Schüler, Lehrer, Eltern und Verwaltung gestellt sind und wie Schule unter diesen Voraussetzungen gelingen kann. In den vergangenen Jahren hat sich auf diesem Gebiet eine Menge getan, eine Vielzahl Projekte sind ins Leben gerufen worden und eine Reihe grundlegender Forschungsvorhaben gibt uns Auskunft darüber, wie Schule sich ändern muss, damit sie auch Migrantinnen und Migranten alle Chancen auf eine erfolgreiche Bildungsbiografie eröffnet. Mein Eindruck ist, dass wir nun in Hinblick auf diese Fragen an einen Punkt gelangen, an dem die allgemeine Diskussion über Schule und Schulreform schon vor einiger Zeit angekommen ist. Kurz gesagt: wir haben in Deutschland - zumindest kein grundsätzliches - Erkenntnisproblem; wir haben ein Umsetzungsproblem. Wir wissen heute schon eine ganze Menge über die Voraussetzungen, unter denen Schule mit Migrationshintergrund gelingen kann. Wir müssen die Erkenntnisse nun auch umsetzen. Ich möchte Ihnen heute einige Überlegungen vorstellen, wie eine erfolgreiche Umsetzung aussehen kann.
Die Vodafone Stiftung unterstützt diese Tagung auch deshalb sehr gerne, weil sie inhaltlich ganz hervorragend an unser internationales Symposium „Integration by Education in the 21st Century - A Challenge for Public Private Partnerships“ anknüpft, das wir im Oktober vergangenen Jahres im Auswärtigen Amt in Berlin veranstaltet haben. Auch damals ging es uns ganz zentral um die Frage, wie Integration durch Bildung - nicht nur in der Schule, aber auch in der Schule - gelingen kann. Es ist dabei sehr deutlich geworden, dass sich dafür in der Schule einiges ändern muss - Sie kennen die wichtigen Baustellen, deshalb will ich sie an dieser Stelle nicht noch einmal aufzählen. Ich bin überzeugt, dass für den erforderlichen Umbau des Schulsystems public private partnerships - also öffentlich-private Partnerschaften - eine ganz wichtige Rolle spielen können und möchte gerne erläutern, worin diese Rolle besteht. Dabei will ich mich hier nicht auf die Perspektive der Wirtschaft beschränken, zumal es mir als Stiftungsvertreter schwer fallen würde, dazu repräsentative Aussagen zu treffen; es geht mir vielmehr darum, wie ein substanzieller Beitrag von Wirtschaft und Zivilgesellschaft aussehen kann.
Zunächst einmal eine kurze Begriffsklärung: Was ist mit PPP gemeint? Grundsätzlich bezeichnen sie in einem ganz allgemeinen Sinn die Zusammenarbeit zwischen Staat und Akteuren aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft um gemeinsam öffentliche Leistungen auch in denjenigen Aufgabenbereichen bereitzustellen, die traditionellerweise allein in staatlicher Hand liegen. Etwas weiter gefasst ist eine solche - sinnvoller Weise übrigens: langfristige und verbindliche - Zusammenarbeit insbesondere auf den folgenden beiden Gebieten vorstellbar: Erstens in der gemeinsamen Übernahme von Verantwortung an den Schnittstellen des staatlichen Systems, also dort, wo die staatliche Kompetenz, nicht aber die staatliche Verantwortung endet.
Ein prominentes Beispiel dafür, das alle kennen, ist das System der dualen Berufsausbildung in Deutschland. Ein zweites Einsatzgebiet ist die partnerschaftliche Qualitätsentwicklung des im eigentlichen Sinne staatlichen Systems, z.B. durch gemeinsame innovative Pilotprojekte. Alle beteiligten Akteure sind dabei vor drei zentrale Aufgaben gestellt:
- die Entwicklung neuer, kreativer Lösungsmodelle für die Herausforderungen der Zukunft
- die praktische Erprobung und Umsetzung neuer Modelle in die Praxis
- die flächendeckende Verbreitung von erfolgreichen Pilotmodellen und die entsprechende Ergänzung und Überarbeitung gültiger Regelsysteme.
Was macht diesen Ansatz so interessant? Schon eine kurze Bestandsaufnahme bildungs- und integrationspolitischer Herausforderungen zeigt, dass die komplexen Aufgaben des anstehenden Systemumbaus - selbst auf einem staatlichen Kerngebiet wie der schulischen Bildung - nicht von staatlichen (und schon gar nicht von privaten) Institutionen alleine bewältigt werden können. Im Bereich der frühkindlichen Bildung beispielsweise sind weithin nicht-staatliche Akteure als Träger aktiv. Bereits eine so sensible Phase wie der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule kann vom Staat alleine nicht hinreichend organisiert werden. Ein weiterer Punkt: die schulische Leistung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird maßgeblich von kulturellen und familiären Voraussetzungen beeinflusst, die sich staatlichen Interventionen weitgehend entziehen. Ähnliches gilt für den Übergang von der Schule bzw. der Hochschule in den Beruf. Auch hier stoßen staatliche Regelungen mangels Kompetenzen an ihre Grenzen und dem Handeln der Wirtschaft kommt entscheidende Bedeutung und entsprechende Verantwortung zu.
Sie sehen: bloßes Vertrauen auf staatliche Interventionen allein wird der Problemlage ebenso wenig gerecht wie die nicht minder einseitige Hoffnung auf eine stärkere Verlagerung von Bildungs- und Integrationsaufgaben auf private Akteure. Zudem stößt der Staat in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte häufig auch an seine Grenzen, wenn es über den Betrieb des bestehenden Systems hinaus um notwenige Innovationen bzw. die Qualitätsentwicklung des Systems geht.
Es scheint also eine Reihe guter Gründe zu geben, die dafür sprechen, die anstehenden Herausforderungen wirklich partnerschaftlich in Angriff zu nehmen. Dessen ungeachtet haben natürlich die beteiligten Akteure je ganz verschiedene eigene Interessen zu beachten. Was könnte für sie die Arbeit in PPPs attraktiv machen?
Ich mache mir die Sache einfach und fange mit denjenigen Akteuren an, mit denen ich mich am besten auskenne: mit den privaten Stiftungen. Die Stiftungen sind ganz einfach zu arm, als dass sie auf die Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren verzichten könnten. Was angesichts des Milliardenvermögens der großen Stiftungen erstaunlich klingen mag, wird leicht nachvollziehbar, wenn Sie sich die Relationen anschauen: Die Jahresausgaben der 50 größten deutschen Stiftungen im Jahr 2006 im Bereich Bildung erreichten rund 78 Mio. € bzw. 8,1% der Jahresausgaben. Für Projekte im Bereich Migration/ Integration gaben die Stiftungen gar nur rund 10 Mio. € aus. Dies entspricht einem Anteil von rund 1,0% ihrer Jahresausgaben.1
Um es anschaulich zu machen: was alle Stiftungen gemeinsam in einem Jahr für Bildung ausgeben, gibt der Staat an einem Vormittag aus. Wilhelm Krull, der Generalsekretär der Volkswagen Stiftung hat deshalb festgestellt, dass Stiftungen zwar „Inseln des Gelingens“ schaffen können. Für die flächendeckende Umsetzung sind sie indes auf starke Partner angewiesen.
Welches Interesse könnte die Wirtschaft an einem weitergehenden und gemeinsamen Engagement haben? Auch hier liegt ein begründetes Eigeninteresse auf der Hand. Der demografische Wandel führt dazu, dass Arbeitgeber sich schon heute Gedanken darüber machen müssen - und dies häufig auch schon tun - wie sie morgen noch qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen können. Und damit sind nicht nur die high potentials und Topmanager gemeint, sondern Arbeitskräfte auf jeder Qualifikationsstufe. Und zugleich hat natürlich auch die Wirtschaft ein ganz vitales Interesse daran, dass in unserer Gesellschaft der soziale Zusammenhalt nicht verloren geht und dafür ist kaum ein gesellschaftlicher Sektor so entscheidend wichtig, wie der Bildungsbereich. Auch hier gilt deshalb: Akteure aus der Wirtschaft sind gut beraten, sich für ihr Engagement staatliche Partner zu suchen, die eine sehr viel größere inhaltliche Kompetenz auf diesem Gebiet haben und mit denen gemeinsam sich eine ganz andere Wirkung erzielen lässt, als bei ganz unabhängigem Handeln.
Wo das staatliche Interesse liegt, hatte ich bereits angedeutet. Private Akteure verfügen über „frisches Geld“ für innovative Vorhaben sowie über einen Flexibilitäts- und Geschwindigkeitsvorteil und eine höhere Risikobereitschaft als staatliche Institutionen. Sie haben häufig größere Erfahrungen, wie Innovationen in die Welt kommen und umgesetzt werden können, als die staatliche Verwaltung. Sie können deshalb neue Entwicklungen und Problemstellungen schneller aufnehmen, und effektiver oder zumindest: umstandsloser bearbeiten und so den Reformprozess staatlicher Institutionen wirksam unterstützen.
Es scheint also nicht nur gute Argumente für PPPs zu geben - auch das schlichte Eigeninteresse der beteiligten Akteure spricht dafür. Wie können solche innovativen Partnerschaften nun konkret aussehen? Statt vorhandene Beispiele aufzuzählen will ich Ihnen einen Vorschlag machen, wie hier in Hamburg eine spannende öffentlich-private Partnerschaft Veränderung in die Schule bringen könnte. Ich stelle mir vor, dass sich eine Stiftung, Migrantenverbände, die Wirtschaft, die Schulbehörde zusammenschließen um ernst zu machen mit der Forderung, die so oft zu hören und so schwierig zu verwirklichen ist: no child left behind - kein Kind darf zurückgelassen werden. Stellen Sie sich vor, dass die Beteiligten erklären: wir akzeptieren es nicht länger, dass so viele Jugendliche in unserer Stadt ohne Abschluss die Schule verlassen und ihre Zukunft dann schon hinter sich haben. Stellen Sie sich vor, dass diese Beteiligten sich das anspruchsvolle Ziel setzen und sagen: bis 2020 oder 2025 gibt es in Hamburg keine Schulabbrecher mehr. Wir senken die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, auf Null. Und dafür bündeln wir unsere Stärken und Kompetenzen, bringen wir alle unterschiedlichen Instrumente in Anschlag, die wir zur Verfügung haben und nehmen uns gemeinsam die wesentlichen Stellschrauben vor, von denen wir heute schon wissen, dass sie für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund - aber auch für andere Risikogruppen - ganz zentral sind:
- Wir entwickeln ein Konzept, wie ein früher Start ins Bildungssystem glücken kann, weil schon in der Kita - aber dann auch durchgehend, über die ganze Schulzeit hinweg, der Spracherwerb gezielt und dauerhaft gefördert wird, und setzen es wirklich flächendeckend um.
- Wir sorgen dafür, dass die wesentlichen Weichen für die Laufbahn der Kinder nicht schon zu einem so frühen Zeitpunkt gestellt werden, wie es heute der Fall ist, sondern wir sorgen dafür, dass sie länger zusammen lernen und erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die unterschiedlichen Schulformen aufgeteilt werden.
- Wir schaffen Gelegenheiten für eine zweite oder auch dritte Chance für diejenigen Jugendlichen, die mehr Zeit benötigen als andere und investieren noch mehr als bisher in Unterstützung in der kritischen Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf um gerade den schwächsten Schülern eine echte Perspektive zu geben.
Das scheint mir, wäre ein wirklich herausforderndes, anspruchsvolles und ehrenwertes Vorhaben und würde deutlich machen, welch einen Schwung öffentlich-private Partnerschaften in die Bildungs- und Integrationspolitik bringen könnten.
Zugleich würde solch ein Programm eine ganz wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung partnerschaftlicher Formen der Zusammenarbeit im Bildungs- und Integrationsbereich erfüllen und deutlich machen: PPPs dürfen nicht dazu dienen, lediglich einen Rückzug der öffentlichen Hand zu kompensieren. Sinnvoll sind sie vielmehr dann, wenn sie ein echtes verstärkendes Zusatzangebot bereitstellen. Wichtig ist zudem, dass geeignete Modelle nicht nur als kurzfristige Projekte, sondern als mittel- bis langfristige Programme angelegt werden, um teure und wirkungslose ‘Strohfeuereffekte’ zu vermeiden. Und wichtig ist außerdem, dass es tatsächlich nicht darum geht, das staatliche Regelungsmonopol im Bereich schulischer Bildung aus der Hand zu geben, sondern vielmehr der Staat sich Unterstützung bei einem Umbau des Bildungssystems sucht, bei dem die Verwaltung alleine sich bisweilen schwer tut.
Öffentlich-private Partnerschaften sind keineswegs eine triviale Angelegenheit. Ganz im Gegenteil: die Zusammenarbeit ist für die Beteiligten in mancher Hinsicht eine echte Zumutung. Ganz unterschiedliche Arbeitslogiken und Arbeitskulturen stoßen dabei aufeinander. Auf staatlicher Seite wird misstrauisch beobachtet, dass Private auf einmal in traditionell staatlichen Regelungsbereichen mitreden wollen und dass hier sozusagen der Schwanz mit dem Hund wackelt. Auf Seite der Wirtschaft oder zivilgesellschaftlicher Akteure wird kritisiert, dass der Staat zwar Geld und Initiative gerne sieht, aber weniger bereitwillig ist wenn es darum geht, genuine Mitsprachemöglichkeiten zu ermöglichen und dass im Zweifelsfall politische Empfindlichkeiten sehr schnell das gemeinsame Interesse in den Hintergrund treten lassen. Die Zumutung ist aber eine notwendige und eine produktive - und wenn es gut geht, dann addieren sich die Stärken der Beteiligten, dann entstehen echte Erfolgsgeschichten - und davon kann es angesichts der anspruchsvollen Aufgaben, die noch vor uns liegen, wenn die Schule mit Migrationshintergrund ein Erfolgsmodell werden soll, gar nicht genug geben.
Anmerkung
1. Die 50 größten Stiftungen repräsentieren hinsichtlich ihrer Jahresausgaben etwa 30% des gesamten Stiftungssektors. 10% ihrer Ausgaben gelten Bildungsprojekten, 1% ihrer Ausgaben fließen in Projekte im Bereich Migration und Integration.Sie liegen deutlich unter den Aufwendungen, die Stiftungen etwa im Bereich Wissenschaftsförderung verzeichnen.
Februar 2008
Ekkehard Thümler ist Projektleiter des Förderbereichs Bildung der Vodafone-Stiftung in Düsseldorf.