Die Literatur von Sinti und Roma im deutschsprachigen Raum - Betrachtungen eines jungen Phänomens

Strassenaufnahme im Vordergrund unscharf Kisten mit Büchern vor einem Geschäft, im Hintergrund ein Mann dessen Bild sich in der Scheibe des Geschäfts spiegelt

von Deike Wilhelm

„Meine Wahl zu schreiben – ich kann es nicht“ – so lautet der Titel des Gedichtbandes der österreichischen Romni Ceija Stojka (2003). Diese mutige, offene und zugleich selbstbewusste Aussage trifft mit ihrer Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit nicht nur auf die Gedichte von Stojka zu, sondern versinnbildlicht die Entstehung und Entwicklung einer noch jungen Literatur: die Literatur von Sinti und Roma im deutschsprachigen Raum. Jahrhundertelang als ‚Zigeuner‘ stigmatisiert und ausgegrenzt, veröffentlichen Sinti- und Roma-AutorInnen seit nun fast fünfundzwanzig Jahren ihre Werke1.  Sie haben – parallel zu den erwachenden Bürgerrechtsbewegungen und deren erster politischer Erfolge wie 1982 die erstmalige offizielle Anerkennung des Völkermords an Sinti und Roma – den Mut gefunden, für sich zu sprechen und sich der Mehrheitsgesellschaft selbst zu präsentieren2

Literarisches Schweigen durch die Geschichte der Ausgrenzung

Seit ihrer Ankunft in Europa im Spätmittelalter wurden Sinti und Roma in die Rolle des Fremden gedrängt und zum Symbol des ‚Anderen‘. Insbesondere die traumatischen Verfolgungen im Dritten Reich und die anschließend nicht stattgefundene Wiedergutmachung verbunden mit einer Kontinuität der Diskriminierungen begründen das lange gesellschaftliche und literarische Schweigen. Der Bildungsrückstand aufgrund von Internierung in Konzentrationslager im Schulalter, beziehungsweise Schulverbot für Sinti und Roma während des Dritten Reichs, sowie der erschwerte Schulbesuch wegen des gezwungenermaßen nomadischen Lebens bis in die späten Nachkriegsjahre hatten zur Folge, dass es hier lange keine Literatur von Sinti und Roma gab.

Weitere Gründe für die späte und noch geringe literarische Produktion sind die noch nicht erfolgte Standardisierung des Romanes – der Sprache der Sinti und Roma (siehe Glossar) – als Schriftsprache und die Abhängigkeit von den Nationalsprachen, der literarischen Sozialisation in einem deutschsprachigen Schulsystem, sowie von literarischen und politisch-ökonomischen Prozessen der deutschsprachigen Mehrheitsgesellschaft.

In den letzten Jahren sind allerdings Initiativen von Sinti und Roma zu beobachten, die zu einem stärkeren Selbstbewusstsein und einer bedeutenderen literarischen Produktivität führen sollen. So wurde zum Beispiel 2002 die International Roma Writers Association (IRWA) gegründet, deren Projekt „Romani Library“ mit dem Ziel der europaweiten Verbreitung von Roma-Literatur in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist. Auch das steigende Interesse an dieser jungen Literatur und deren stärkere Förderung durch Herausgeber könnten zu einem Anstieg literarischer Selbstdarstellungen von Sinti- und Roma-AutorInnen führen.

Obwohl im deutschsprachigen Raum bis zum Ende des 20. Jahrhunderts keine Literatur von Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen veröffentlicht wurde, bedeutet dies jedoch nicht, dass bis dahin keine Erzählungen existierten: Sinti und Roma haben eine starke orale Erzähltradition und diese reiche mündliche Kultur wurde von Generation zu Generation weitergegeben. So blieben die Mythen, Legenden, Geschichten und Märchen, aber auch Bräuche und Sprache erhalten. Die große Bedeutung von Mündlichkeit lebt in vielen Werken dieser jungen Literatur heute noch fort.

Selbstdarstellungen statt Fremdkonstruktion

Viele Sinti- und Roma-AutorInnen geben in ihren oft autobiographischen Werken Einblicke in ihre Erfahrungen, ihr Leben als ausgegrenzte und negativ beschriebene Minderheit und zeichnen so ein neues Bild ihrer Kultur. Ausgrenzung, Verfolgung, persönlich erlebte Erfahrungen in Konzentrationslagern während des Dritten Reichs, Trauer um den Verlust vieler Familienangehöriger während der NS-Zeit, mangelnde Wiedergutmachung und somit große wirtschaftliche Not im Nachkriegsdeutschland, ein Leben als Fahrende aus Mangel an Alternativen, aber auch die erschreckende Kontinuität von Stigmatisierung und Ausgrenzung – das sind häufig die Themen dieser jungen Literatur.

Doch nicht nur: viele Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen nutzen ihre Randposition auch für eine interkulturelle Darstellung ihrer eigenen Kultur, verarbeiten die Fremdbeschreibungen, indem sie diese zerbrechen und sich neu konstruieren.  In vielen Werken wird sehr deutlich, inwieweit die SchriftstellerInnen sich selbst als ‚Andere‘ verinnerlicht haben, wie stark sich diese Fremdkonstruktion festgesetzt hat und wie wichtig es den AutorInnen ist, gegen dieses Bild anzuschreiben, sich neu zu präsentieren und den ‚Gadje‘ (Nicht-‚Zigeunern‘ auf Romanes, siehe Glossar) mitzuteilen.

„Reisende auf dieser Welt“: Differenzierung des ‚reisenden Zigeuners‘

„Lustig ist das Zigeunerleben“ lautet das bekannte Volkslied, das alle tief verankerten Vorurteile gegen Sinti und Roma beinhaltet. Die Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen nehmen ausgesprochen häufig in ihren Werken Bezug auf eben dieses Lied und verdeutlichen so den Einfluss, den diese Fremddarstellung auf sie hat.

Ceija Stojka – eine der bekanntesten Roma-AutorInnen im deutschsprachigen Raum – wählt für ihre Autobiographie den Titel „Reisende auf dieser Welt“ (Stojka 1992), zerbricht jedoch gleichzeitig die dadurch hervorgerufene Vorstellung vom ‚reisenden Zigeuner‘ mithilfe verschiedener literarischer Instrumente. Sie bedient sich dabei – auf inhaltlicher Ebene – der Vorurteile, die sie mit den eigenen lebenswirklichen Erfahrungen konfrontiert und somit die Unangemessenheit dieser Stereotypen betont. So wird das Vorurteil des ‚lustigen Zigeunerlebens‘ nicht einfach abgestritten, sondern durch Angabe von Hintergründen und Erklärungen ständig hinterfragt und in ein neues Licht gerückt.

Die Reise wird im Verlauf der Erzählung zum abstrakten Symbol für das Leben an sich: Das Leben als Reise. Somit sind nicht nur ‚Zigeuner‘, sondern alle Menschen „Reisende auf dieser Welt“. Trotz einer sehr heterogenen und differenzierten kulturellen Selbstdarstellung, die Brüche und Widersprüche innerhalb der eigenen Kultur nicht negiert, werden gleichzeitig angesichts der Vergänglichkeit dieser Reise, beziehungsweise dieses Lebens, alle Unterschiede relativiert. Die Reise wird zur Brücke und der ‚reisende Zigeuner‘ zum reisenden Menschen.

„Zimmer und Rad“: Neu-Inszenierungen in der fiktionalen Roma-Literatur

Im deutschsprachigen Raum geborene Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen haben bisher vor allem Autobiographien veröffentlicht. Roma-AutorInnen hingegen, die in Osteuropa – meist im ehemaligen Jugoslawien – aufgewachsen sind und nun hier leben und schreiben, schaffen überwiegend fiktionale Literatur. Das ist auf ihre meist bessere Schulbildung innerhalb der kommunistischen Systeme und älteren literarischen Tradition zurückzuführen. Sie nutzen die Möglichkeiten der fiktionalen Literatur, um abstrakter und komplexer mit der stereotypen ‚Zigeuner‘-Darstellung umzugehen. Die starren Vorurteile dienen hier als kreatives Motiv-Repertoire und werden ästhetisch verwirrt und variiert. Literatur kann den SchriftstellerInnen somit ein passendes Instrument zum Aufbrechen und Neu-Inszenieren der Konstruktion als Rom bieten.

Dies wird am Beispiel des Gedichts „Zimmer und Rad“ von Jovan Nikolić (2004, S. 22) aus dem Kosovo besonders deutlich, wenn Bilder wie das Zimmer als unvollständiger Wagen („Hab ich dir gesagt, dass deinem Zimmer die Räder fehlen?“) oder das Zimmer als Pferd („reitet das Zimmerchen bis ans Ende der Nacht“) verwendet werden. Nikolić entwirft in diesem Gedicht – neben einer irrealen Traumebene – eine metaphorische Ebene, die auf das kollektive Schicksal der Roma, das Reiseleben, Reiten, die Unwahrscheinlichkeit des Zurückkehrens in eine nicht-existierende Heimat eingeht. Dadurch geht er mit seiner Kunst und Poesie nicht auf die Fremddarstellung ein, nutzt jedoch die Elemente der ‚Zigeuner‘-Konstruktion – vermischt mit leicht verschobenen Bildern –, um homogene, starre Konzepte an sich zu hinterfragen. Bekannte Konstruktionen werden ihrer allgemeingültigen Bedeutung entleert. Damit wird die Annahme jeglichen abschließenden Wissens und jeglicher starrer Vorstellungen verunsichert.

Die Bedeutung der mündlichen Tradition

Jahrhundertelang wurden die Geschichten der Sinti und Roma mündlich auf Romanes (siehe Glossar) weitergegeben. Die Vergangenheit lebte nur in der mündlichen Überlieferung fort, auch Lebenshilfen und geheime Wegzeichen wurden von Generation zu Generation oral tradiert. Der große Einfluss einer lebendigen oralen Erzählkultur zeigt sich in vielen Werken von Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen, indem diese Erzählungen häufig sehr narrativ und sprachlich einfach gehalten sind, sowie oft auch mündlich überlieferte Geschichten eingeflochten, beziehungsweise Erzählungen innerhalb von Erzählungen integriert sind.

Der Erzählstil ist meist spannend, lebendig und eigenwillig gestaltet, indem selten linear erzählt wird. Es wird sehr oft generationsübergreifend auf die Vergangenheit der Familie zurückgegriffen und immer wieder darauf zurückverwiesen. Das lässt sich an der Struktur der jüngst erschienenen Autobiographie „Gypsy. Die Geschichte einer großen Sinti-Familie“ von Dotschy Reinhardt (2008) zeigen, deren Kapitel einzelne Erzählungen darstellen und immer wieder in sich geschlossene Teile über verschiedene Protagonisten ihrer Familie beinhalten. Dabei sind diese eingefügten Erzählungen teilweise über zwei bis drei Seiten sogar vollständig in wörtlicher Rede gehalten.

Sprachlich auffallend ist die häufige Verwendung der gesprochenen Sprache, wodurch die Erzählungen einen hohen Grad an Lebendigkeit erreichen. Dazu gehören auch Fragen als retardierende Füllformeln oder ein Wechsel hin zur direkten Ansprache der LeserInnen. Der interaktive Kommunikationsvorgang zwischen ErzählerIn und ZuhörerIn, wie er für mündliches Erzählen charakteristisch ist, wird zum Beispiel in „Die Befreiung des Latscho Tschawo. Ein Sinto-Leben in Deutschland“ von Latscho Tschawo sehr deutlich:

„Ich frage Sie: Als was betrachten die uns überhaupt? In sämtlichen Städten, wo ihr eure Kläranlagen habt, wo ihr eure Schutthalden habt, genau in deren Nähe siedelt ihr immer Sinti an. […] Warum ist noch nie einer auf den Gedanken gekommen, daß wir auch schön wohnen wollen? Ist das ein Vorrecht für euch?“ (Tschawo 1984, S. 106)

Diese Beispiele für die Bedeutung von Mündlichkeit in der Literatur von Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen zeigen, dass auch der Schreibstil auf ein eigenes Konzept der Selbstdarstellung hinweist: Es geht hier nicht um reine Integration in ein bestehendes Literaturverständnis. Sinti- und Roma-AutorInnen arbeiten stattdessen Elemente ihrer eigenen Kultur in bestehende Literaturmuster ein und drücken dadurch ein neues Selbstbewusstsein aus.

Sprache als Raum

„Wir haben kein eigenes Land auf dieser Erde, keinen eigenen Staat, keine eigene Regierung. Wir haben nichts als unsere Kultur und unsere Sprache, die uns zusammenhält, auf die wir uns berufen und mit der wir uns auch abgrenzen können. Unsere Sprache ist das einzige Terrain, auf dem wir uns frei und ungehindert, unbeobachtet und diskret bewegen können. Sie ist unser Rückzugsgebiet, unser über die Jahrhunderte gehüteter Schatz.“ (Reinhardt 2008, S. 47)

Wie bei den meisten Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen übernimmt das Romanes (siehe Glossar) auch bei Dotschy Reinhardt eine identitätsstiftende Funktion. Sprache wird zum Raum und besetzt somit die kollektive Leerstelle der fehlenden Heimat. Die große Bedeutung, die Reinhardt der Sprache als Identifikationsmerkmal beimisst, wird deutlich, wenn sie schreibt: „Ich bin dagegen, dass Deutsche Romanes lernen – was ohnehin so gut wie nie vorkommt.“ (Reinhardt 2008, S. 47) Sie zieht somit klare Grenzen. Dennoch bietet sie gleichzeitig – wie auch Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen vor ihr – ein Kommunikationsangebot, indem sie alle Wörter und Sätze auf Romanes innerhalb ihres Werkes ins Deutsche übersetzt. Die LeserInnen soll Einblicke in die eigene Kultur erhalten. Diese Einblicke werden noch vertieft, wenn Reinhardt die Funktion des Romanes stärker thematisiert als sonst AutorInnen vor ihr. Sie erläutert beispielsweise die Gründe für die Geheimhaltung der Sprache, die wieder insbesondere in den negativen Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft liegen. Die LeserInnen erfahren außerdem, dass die Romanes-Dialekte so unterschiedlich sind, dass sich die verschiedenen Gruppen zum Teil nicht über die scheinbar gemeinsame Sprache verständigen können. Damit wird die Heterogenität der Sinti und Roma verdeutlicht und über das Mittel Sprache die Fremdkonstruktion als homogene ‚Andere‘, als einheitliche Gruppe der ‚Zigeuner‘ ad absurdum geführt.

Kulturelle Identität in der Literatur

„Ich bin eine Sintiza. Sintizza. Sintitsa. Sinteza. Sintezza. Ich weiß nicht, wie man das schreibt, denn das ist ein Ausdruck in Romanes oder Romani, oder Rommenes.“ (Reinhardt 2008, S. 37)

Die Sinti- und Roma-SchriftstellerInnen nutzen die Möglichkeiten literarischen Schreibens für eine eigene Identitätskonstruktion. Gerade auch die künstlerischen Ambiguitäten werden ausgeschöpft, um sich selbst darzustellen und sich kulturell zu repräsentieren. Dabei entwickelt sich diese Darstellung immer stärker weg von den homogenen und durch die Mehrheitsgesellschaft festgeschriebenen Kultureinheiten hin zu einer in sich höchst differenten und heterogenen, auch prozesshaften und sich verändernden Konstruktion einer kulturellen Identität.

Während sich das erste veröffentlichte Werk von Latscho Tschawo noch sehr stark in binären Kulturvorstellungen bewegt, zeigt insbesondere die Autobiographie von Dotschy Reinhardt, dass kulturelle Identitätskonstruktionen geschaffen werden, die sich nicht mehr zwischen der traditionell festgeschriebenen ‚Zigeuner‘-Kultur auf der einen und der westeuropäischen Identität auf der anderen Seite bewegt, sondern dass eine hybride Form kultureller Identität gezeichnet wird. „[…] wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, sage ich immer, dass ich eine Sintezza bin, eine Frau aus dem Volk der Sinti. Aber auch eine Ravensburgerin, oder eine Berlinerin, zumindest zur Zeit.“(Reinhardt 2008, S.11) Diese Identitätsdefinition ist vielseitig, widersprüchlich und prozesshaft. Kulturelle Identität ist für Reinhardt, als erste Repräsentantin der jungen schreibenden Generation von Sinti, nicht absolut und fest definierbar, sondern variabel und relativ. 

Die SchriftstellerInnen befreien sich schreibend aus einer Opferrolle, aus einer  Objekt-Position und aus Fremdrepräsentation, sie verunsichern so die jahrhundertealte ‚Zigeuner‘-Darstellung der Mehrheitsgesellschaft, schreiben sich selbst neu und werten Widersprüche auf, die ein Aushandeln und eine Dialogbereitschaft von allen Beteiligten fordern. Sinti- und Roma-AutorInnen schreiben nicht nur gegen die Fremdbeschreibung an, sondern sie nutzen ihre Situation „zwischen den Kulturen“ für eine neue Konzeption von kultureller Identität, die sich nicht ausschließend, sondern einschließend und grenzüberschreitend definiert.

 

 

Endnoten

1 1984 wurde das erste Werk eines Sinto im deutschsprachigen Raum veröffentlicht: Latscho Tschawo: Die Befreiung des Latscho Tschawo. Ein Sinto-Leben in Deutschland. Bornheim-Merten 1984.

2 So fordert auch Romani Rose, Vorsitzender des Verbandes deutscher Sinti und Roma eine Öffnung der eigenen Kultur: „Wir haben nur eine Chance, als Sinti zu überleben, mit unserer Kultur, unserer Eigenständigkeit in Sprache und Brauchtum, wenn wir uns öffnen, Einblick geben in unsere Vorstellung vom Leben. Unsere Lebensweise, unsere Kultur ist kein Geheimnis.“ Vgl. Rüdiger Vossen: Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung. Katalog zur Ausstellung des Hamburgischen Museums für Völkerkunde. Frankfurt am Main/ Berlin/ Wien 1983, S. 12.


Glossar

Hinweis: Es werden hier nur die wichtigsten Begriffe in Zusammenhang mit diesem Artikel erläutert. Die jeweilige Schreibweise dieser Bezeichnungen ist in der Literatur nicht einheitlich. Für diesen Artikel wurde die jeweils am häufigsten vertretene Version ausgewählt. Die Informationen des Glossars stammen aus verschiedenen Quellen (weitere Informationen dazu im Literaturverzeichnis als pdf-Datei), wie Danzer (2001), Dietrich (2001), Eder-Jordan (1993), Tebbutt (2001) und Vossen (1983).

Gadje [Plural] Bedeutet wörtlich „Bauer“ und „Fremder“ auf Romanes und bezeichnet die Nicht-Zigeuner auf Romanes. Zur Wahrung wissenschaftlicher Neutralität wird der Begriff hier immer in einfachen Anführungszeichen verwendet. Singular maskulin: Gadjo; Singular feminin: Gadji.

Roma [Plural] Bedeutet wörtlich „Mann“, Bezeichnung für die aus Osteuropa kommenden Gruppierungen. Sie sind geprägt durch rumänisch-orthodoxe Einflüsse (500jähriger Zwangsaufenthalt als Leibeigene in der Walachei und in der Moldau). Nach der Sklavenbefreiung 1855/56 in Rumänien haben sie sich zunächst in ungarische, russische, bulgarische oder serbische Sprachgebiete verbreitet und sind von dort in andere Gebiete Europas und der übrigen Welt weitergewandert. Gleichzeitig wird dieser Begriff auch von der Weltorganisation der Roma als Überbegriff für alle ‚Zigeuner’-Gruppierungen verwendet. Singular maskulin: Rom; Singular feminin: Romni.

Romanes Die Sprache der Roma, auch als „Romani“ bezeichnet, besteht aus sehr vielen unterschiedlichen Dialekten, die aber alle auf gemeinsame Wurzeln zurückgehen. Es gilt als das älteste lebendige Beispiel der indo-europäischen Sprachen. Das Romanes ist mit dem altindischen Sanskrit, dem mittelindischen Pankrit, dem Pali und Hindi verwandt. Sprachvergleiche zeigen, dass die Vorfahren der Sinti und Roma vor 1300 den Nordwesten Indiens aus unterschiedlichen Gründen in voneinander unabhängigen Gruppen verlassen und sich auf ihren Wanderungen längere Zeit in Persien, Armenien und im Byzantinischen Reich aufgehalten haben.

Sinti [Plural] Vor allem im deutschen Sprachraum lebende Zigeunergruppe. Sie hielten sich wahrscheinlich im Zeitraum vom 11.-14./ 15. Jahrhundert in ihrer griechischen Zwischenheimat „KleinÄgypten“ auf und sind unter türkischem Druck nach Mittel- und Westeuropa gewandert. Singular maskulin: Sinto; Singular feminin: Sintizza.

Zigeuner Exonym der Nicht-Roma und sollte aufgrund seiner historischen Belastung und den häufig assoziierten Vorurteilen nicht mehr verwendet werden.

Literatur

  • Jovan Nikolić: Zimmer mit Rad. Klagenfurt 2004, S. 22
  • Dotschy Reinhardt: Gypsy. Die Geschichte einer großen Sinti-Familie. Frankfurt am Main 2008
  • Ceija Stojka: Meine Wahl zu schreiben – ich kann es nicht. Gedichte (Romanes, deutsch) und Bilder. Landeck 2003
  • Ceija Stojka: Reisende auf dieser Welt. Wien 1992
  • Latscho Tschawo: Die Befreiung des Latscho Tschawo. Ein Sinto-Leben in Deutschland. Bornheim-Merten 1984
  • Rüdiger Vossen: Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung. Katalog zur Ausstellung des Hamburgischen Museums für Völkerkunde. Frankfurt am Main/ Berlin/ Wien 1983

Überblick über Veröffentlichungen zur Literatur von Sinti und Roma Bild entfernt.  (5 Seiten, 1.390 KB)

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Deike Wilhelm veröffentlichte 2008 eine kulturwissenschaft- liche Arbeit über Literatur von Sinti und Roma und ist zurzeit neben ihrer Anstellung bei Betafilm freiberuflich als Autorin und Regisseurin für Dokumentarfilme tätig.