Das Globale°- Festival für grenzüberschreitende Literatur

von Immacolata Amodeo

Der literarische Dialog zwischen den Kulturen wird in Bremen seit vielen Jahren in überregional bekannten Veranstaltungen gepflegt und kommt in renommierten Ereignissen wie z.B. „Poetry on the Road“ zum Ausdruck. Sie haben Bremens Ruf als einer Stadt, die Brücken zwischen den Kulturen in Europa und anderen Kontinenten baut,

internationale Anerkennung gebracht. An diese kulturpolitisch untermauerte Tradition möchte das neue Festival anknüpfen.  Bild entfernt.

Es steht in der hanseatischen Tradition von Weltoffenheit und Toleranz. Zum Selbstverständnis der BürgerInnen der Freien Hansestadt Bremen mit ihrer Öffnung zur See – und damit zur „weiten Welt“ – gehört seit Jahrhunderten der Wagemut der Seefahrer ebenso wie das hohe bürgerschaftliche Verantwortungsgefühl der Kaufleute und UnternehmerInnen. Der traditionsreiche Stadtstaat steht auch für bürgernah geprägte Willensbildung und für Internationalität.

Vom 30. Oktober bis zum 5. November 2008 veranstaltete die Jacobs University Bremen – unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Immacolata Amodeo – an acht verschiedenen Standorten in Bremen und Bremerhaven das zweite Globale°-Festival für grenzüberschreitende Literatur. Das Globale°-Festival für grenzüberschreitende Literatur findet seit 2007 in Bremen jährlich statt und will der Vielfalt der Literaturen, die sprachlich, kulturell oder topographisch auf Deutschland verweisen, ein Forum bieten. Das Festival Globale° 2008 hatte als Forum für mehrsprachige AutorInnen mit interkulturellem biographischem Hintergrund, die überwiegend in Deutschland leben und auf Deutsch schreiben, vor allem die internationalen Dimensionen von Literatur im Blick.

Der Name Globale°-Festival für grenzüberschreitende Literatur spielt darauf an, dass die bei dem Festival präsenten AutorInnen als literarische WeltbürgerInnen betrachtet werden können. Sie haben in ihrem Leben auf vielfältige Weise sprachliche und kulturelle Grenzen überschritten, und diese Grenzüberschreitung schlägt sich auch in den li-terarischen Texten nieder. Die meisten Globale°-AutorInnen haben das Deutsche – und nicht ihre Erstsprache Türkisch, Italienisch usw. – als Sprache ihres literarischen Schaffens gewählt. Zugleich möchte dieses Festival zur Überschreitung von kulturellen und sprachlichen Grenzen und mentalen Einengungen, wie z.B. das Festhalten and stereotypen Vorstellungen über die „Ausländer“ und die „Inländer“, anregen.  Radio Bremen unterstützte die Globale° konzeptionell und als Medienpartner. Verantwortlich für die Globale° bei Radio Bremen war Libuse Cerna.

Ein Forum für literarische WeltbürgerInnen

Dieses Festival wurde ins Leben gerufen, um der interkulturellen Gegenwartsliteratur in Deutschland ein Forum zu bieten und zugleich um Gelegenheiten der Begegnung für AutorInnen und Publikum, aber auch für die AutorInnen untereinander zu schaffen. Zwölf AutorInnen aus elf Nationen, die in Deutschland und in der deutschen Sprache eine Heimat gefunden haben, stellten bei der Globale° 2008 in Lesungen ihr Werk vor und gaben in moderierten Literaturgesprächen – etwa zu den Themen „Sprachräume, Sprachträume“, „Kindheit anderswo“ oder „Macht und Literatur“ – Auskunft über ihr Leben und ihre Arbeiten. Die Auswahl der AutorInnen wurde so getroffen, dass mög-lichst ein breites Spektrum von unterschiedlichen Tendenzen und Positionen auf dem Festival repräsentiert sein sollte. Zu den Globale°-AutorInnen zählten preisgekrönte SchriftstellerInnen wie die Japanerin Yoko Tawada, Zsusanna Ghase aus Ungarn, Franco Biondi italienischer Herkunft und die in Bremen lebende indische Dichterin Sujata Bhatt. Aber auch junge AutorInnen wie die Deutsch-Iranerin Sudabeh Mohafez, der Deutsch-Iraker Sherko Fatah oder der im deutschen Exil lebende Kubaner Carlos Agui-lera, der über die chinesische Seele schreibt, stellten sich vor. Gemeinsam haben die Globale°-AutorInnen die Vertrautheit mit verschiedenen Sprachen und kulturellen Räumen. 

Durch die von Radio-Bremen-RedakteurInnen moderierten Lesungen erlebten die Festi-valbesucher nicht nur die Literatur, sondern auch die außergewöhnlichen AutorInnen-persönlichkeiten hautnah. Die Festival-BesucherInnen konnten aus erster Hand erfahren, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur wesentlich von diesen literarischen WeltbürgerInnen geprägt ist. Anhand der literarischen Produktion der Globale°-AutorInnen wurde auf vielfältige Weise deutlich, dass eine große Vielfalt möglicher, miteinander verwobener Lebensstile das alte Konzept der homogenen, in sich geschlossenen Nationalkulturen abgelöst hat. Die Globale° präsentierte Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zu diesem neuen Verständnis von Kultur leisten und alternative kulturelle Modelle entwickelt haben.

Die Globale°-AutorInnen

Das Werk der Globale°-AutorInnen ist geprägt durch die Erfahrung der Migration, des Krieges, des Exils, des Verlusts der Heimat, aber auch des Findens einer neuen Heimat, des Schreibens in einer fremden Sprache oder in mehreren Sprachen, des Lebens in mehreren Kulturen. Literatur ist hier ganz selbstverständlich den Anforderungen der Globalisierung gewachsen; die AutorInnen zeichnen sich durch Mobilität, Mehrspra-chigkeit und interkulturelle Kompetenz aus.

Die beteiligten AutorInnen waren im einzelnen:

  • Carlos Aguilera. *1970 in Havanna, Kuba. Studierte Romanistik. Mitherausgeber der regimekritischen Zeitschrift „Diáspora(s)“. Reiste 2002 auf Einladung des deutschen P.E.N. aus Kuba aus. Lebt z. Zt. in Frankfurt am Main.
  • Esmahan Aykol. *1970 in Edirne, Türkei. Jurastudium. War als Journalistin und Barkeeperin tätig. Schreibt seit 2001 Romane in türkischer Sprache, wobei sie die Übersetzungen ins Deutsche persönlich durchsieht. Lebt in Istanbul und Berlin.
  • Carmen-Francesca Banciu. *1955 in Lipova, Rumänien. Die Verleihung des Internationalen Kurzgeschichtenpreises der Stadt Arnsberg hatte ein Publikationsverbot in Rumänien zur Folge. Zahlreiche weitere Preise und Stipendien, u.a. „Craig-Kade Writer in Residence“, Rutgers University, New Jersey. Lebt in Berlin.
  • Sujata Bhatt. *1956 in Ahmedabad, Indien. Wuchs in Indien und den USA auf. Studium an der University of Iowa. Lyrikbände in englischer Sprache. Übersetzte u.a. Gedichte von Günter Grass. Mehrfach preisgekrönt (u.a. Commonwealth Poetry Prize und Cholmondeley Award). In über 20 Sprachen übersetzt. Lebt in Bremen.
  • Franco Biondi. *1947 in Forlí, Italien. Kam 1965 als Gastarbeiter nach Deutschland. Psychologiestudium in Frankfurt am Main. 1980 Mitbegründer der Herausgebergruppe „südwind gastarbeiterdeutsch“ und Mitinitiator des Polynationalen Literatur- und Kunstvereins „PoLiKunst“. Romancier, Lyriker, Dramatiker und Essayist. 1987 Adelbert-von-Chamisso-Preis (ex aequo mit G. Chiellino).
  • Marica Bodrožic. *1973 in Svib, Kroatien. Seit 1983 in Deutschland. Studium u.a. der Kulturanthropologie in Frankfurt am Main. Langjährige Aufenthalte in Paris und Zürich. Viele literarische Stipendien und Preise, u.a. Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2003. Lebt in Berlin.
  • Sherko Fatah. *1964 in Ost-Berlin. Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen. Die Familie siedelte zunächst nach Wien und dann nach West-Berlin um. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte. Preise: u.a. Aspekte-Literaturpreis 2001. Kritikerpreis 2002. Hilde Domin-Preis für Literatur im Exil 2007. Lebt in Berlin.
  • Léda Forgó. *1973 in Kazincbarcika, Ungarn. Zog 1994 nach Deutschland. Studierte Geschichte und Figurentheater in Stuttgart und „Szenisches Schreiben“ in Berlin. Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2008 für ihren Debütroman „Der Körper meines Bruders“. Lebt in Berlin.
  • Zsuzsanna Gahse. *1946 in Budapest, Ungarn. 1956 Flucht aus Ungarn mit den Eltern. Publiziert seit 1983 in deutscher Sprache. Viele Auszeichnungen, u.a. Aspekte Literaturpreis 1984, Poetikdozentur an der Universität Bamberg 1993, Adelbert-von-Chamisso-Preis 2006. Lebt z. Zt. in Mühlheim, Schweiz.
  • Steffen Möller. *1969. Der Deutsche Steffen Möller lebt seit 1994 in Polen. Den preisgekrönten Kabarettisten kennt heute dort jeder. Sein Buch „Viva Polonia“ ist eine Sammlung von Glossen über die polnische Mentalität.
  • Sudabeh Mohafez. *1963 in Teheran, Iran. Zog 1979 nach West-Berlin, wo sie u.a. Musik studierte. Arbeitete bei Nichtregierungsorganisationen im Bereich Migration und Gewaltprävention. Auszeichnungen: u.a. Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2006; Poetikdozentur an der Fachhochschule Wiesbaden 2007; MDR-Literaturpreis 2008. Lebt nach einiger Zeit in Lissabon heute in Stuttgart.
  • Yoko Tawada. *1960 in Tokio, Japan. Studium der Literaturwissenschaft in Tokio u. Hamburg. Auszeichnungen: u.a.1999 Max Kade Distinguished Visitor am Massachusetts Institute of Technology; 1996 Adelbert-von-Chamisso-Preis;1998 Poetikdozentur an der Universität Tübingen; 2001 „Writer in Residence“ im Literaturhaus Basel. Schreibt in deutscher und japanischer Sprache. Lebt in Berlin.

Eine Ausstellung zu Leben und Werk von Libuše Moníková rundete das Programm ab:

  • Libuše Moníková. *1945 in Prag; † 1998 in Berlin. Studierte in Prag Anglistik und Germanistik, bevor sie 1971 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte. Von 1978 bis 1981 war sie Lehrerin in Bremen-Lesum. Ab 1981 lebte sie in Berlin. 1981 erschien ihr Roman „Eine Schädigung“. Es folgten „Pavane für eine verstorbene Infantin“ (1983); „Die Fassade“ (1987); „Treibeis“ (1992); „Verklärte Nacht“ (1996); und das Roman-fragment „Der Taumel“ (2000, posthum). Sie erhielt u.a. den Döblin-Preis 1987; den Franz-Kafka-Literaturpreis 1989, den Adelbert-von-Chamisso-Preis 1991. 1997 verlieh ihr der tschechische Präsident Václav Havel den Orden des Weißen Böhmischen Löwen und die Masaryk-Medaille.

AutorInnen hautnah

Weitere Veranstaltungsformate rundeten das vielseitige Festivalprogramm ab. Die Autorenwerkstatt. Das von Immacolata Amodeo moderierte Podiumsgespräch verfolgte die Absicht, von den teilnehmenden AutorInnen (Marica Bodrociz, Zsuzsanna Gahse, Yoko Tawada und Franco Biondi) Auskunft zu erhalten zu einigen poetologischen Fragen, zur Art und Weise, wie die AutorInnen ihre literarischen Texte produzieren, zum Wie, Warum und Wann Literatur entsteht. Ein zentraler Themenkomplex war auch die Frage, wie ein mehrsprachiger Autor mit den verschiedenen Sprachen umgeht, die ihm zur Verfügung stehen, auf welche unterschiedliche Weise also die biographische Mehrsprachigkeit in die literarische Kreativität einfließt.

In einem Schüler-Workshop diskutierte die Autorin Sudabeh Mohafez mit Jugendlichen über das Verfassen literarischer Texte; die Autorin leitete die SchülerInnen an, eine kurze Geschichte zu schreiben. In einem Medienprojekt mit Jugendlichen wurde eine Passage aus dem Roman „Karussellkinder“ von Franco Biondi verfilmt; unter Anleitung der Filmemacherin und Medienberaterin Edina Medra waren die Jugendlichen beteiligt an Textauswahl, Erstellung des Drehbuchs, Dreh, Schnitt und Vertonung. Ferner fand die Präsentation der Publikation der START-Stipendiaten der Hertie-Stiftung („Ihr seid Deutschland, wir auch“. Suhrkamp Verlag) und eine Ausstellung zur Schriftstellerin Libuše Moníková, die vor ihrem frühen Tod viele Jahre in Bremen lebte, statt.

Resümee

Das Globale°-Festival präsentierte einige wichtige Tendenzen der interkulturellen Gegenwartsliteratur in Deutschland. Alle AutorInnen machten deutlich, dass sie häufig mit Klischeevorstellungen von Literaturkritikern und allgemeinem Lesepublikum konfrontiert werden. Dazu gehört beispielsweise das Etikett „Migrantenautor“ und viele andere Kategorisierungen. Die Tendenz der Literaturkritik, eher eine vermeintliche „Fremdheit“ innerhalb der Biographie der AutorInnen hervorzuheben, statt die ästhetische Qua-lität der literarischen Texte ins Auge zu fassen, ist zwar im Vergleich zu den achtziger Jahren weniger stark ausgeprägt, ist jedoch noch nicht völlig verschwunden.

Die vielfältigen Veranstaltungen auf dem Festival umrissen ein Spannungsfeld zwischen ästhetischer Kreativität und politischer und kultureller Aktualität. Sie demonstrierten auf vielfältige Weise, dass die Literatur der Politik um mindestens einen Schritt voraus ist. Im Vergleich zu den Jahrzehnten davor, als AutorInnen mit Migrationsliteratur eher in folkloristische oder sozialpädagogisch ausgerichtete Veranstaltungen integriert waren, zeichnete sich beim Globale°-Festival eine entscheidende Veränderung ab: Die FestivalbesucherInnen waren, z.B. was ihr Alter oder ihre Nationalität betrifft, ganz verschieden. Das Festival sprach damit nicht nur ein breites, sondern auch und vor allem ein literarisch interessiertes Publikum an. Ein besonderes Augenmerk galt der Literaturvermittlung, besonders in Bezug auf SchülerInnen, Jugendlichen und StudentInnen.

Von vielen Seiten wurde betont, daß die Globale° – Festival für grenzüberschreitende Literatur 2008 eine sehr anregende und besonders breitenwirksame Veranstaltung an der Schnittstelle zwischen literarischem Leben, produktiver Literaturrezeption und Wissenschaft war. Es fand ein lebendiger Austausch zwischen AutorInnen, WissenschaftlerInnen und interessierten Laien. Die Globale° – Festival für grenzüberschreitende Literatur 2008 war mit ihren hohen Besucherzahlen, den kritischen und anregenden Diskussionen, die die AutorInnen untereinander und mit dem Publikum führten, und dem positiven Echo in den Medien eine erfolgreiche Veranstaltung. Offenbar ist das Interesse an AutorInnen, die sprachliche, kulturelle, politische Grenzen überschreiten, stark ausgeprägt. Das Festival hat – insbesondere durch die Autorenwerkstatt – auch ein Netzwerk unter den teilnehmenden AutorInnen gestiftet und konsolidiert. Gerade der Austausch zu poetologischen und schreibtechnischen Fragen im Gespräch mit WissenschaftlerInnen soll – so der dringende Wunsch der AutorInnen – fortgesetzt werden. Die teilnehmenden AutorInnen selbst haben ein außerordentliches Interesse gezeigt, die Kooperation und den Dialog mit den Veranstaltern fortzusetzen. Insofern hat die Globale° 2008 die Grundlage für die Etablierung einer neuen Bremer Tradition geschaffen.

Literatur

  • Ein Dokumentationsband erscheint unter dem Titel „Literatur ohne Grenzen. Interkulturelle Gegenwartsliteratur in Deutschland – Porträts und Positionen” (hg. v. Immacolata Amodeo, Heidrun Hörner, Christiane Kiemle) im Herbst 2009 beim Ulrike Helmer Verlag (Sulzbach/Taunus).

 

Weitere Beiträge der Autorin

Zum Thema "Betroffenheit und Rhizom, Literatur und Literaturwissenschaft" im DOSSIER Migrationsliteratur hier

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Immacolata Amodeo ist seit 2004 Professorin für Literatur an der Jacobs University Bremen. Ihre Forschungs- schwerpunkte sind deutsch- und italienisch- sprachige Literatur, Migrationsliteraturen sowie Medien- und Kulturtheorie. (Foto: Jacobs Univerity)