von Yue Zhang
Ob VietnamesIn, KurdIn oder Deutsche(r) – erfolgreich kann jeder sein, der es nur will. Mazlum, Ümit, Michael und Tammana berichten uns ihre Aufstiegswege.
Mazlum A., 21, kam als kurdisches Flüchtlingskind im Alter von 4 Jahren aufgrund von politischer Verfolgung seines Vaters in der Türkei im Jahre 1992 nach Deutschland. Er studiert Rechtswissenschaften im dritten Semester an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Ümit K., 20, ist in Deutschland geboren, seine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Zurzeit absolviert er ein Dualstudium bei der Firma Siemens IT Solutions and Services ebenfalls im dritten Semester zum Bachelor of Engineering in Informationstechnik mit betrieblicher Vertiefung.
Michael T., 22, ist ebenfalls in Deutschland geboren. Er studiert Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau an der Universität Paderborn im ersten Semester. Seine Eltern stammen aus Vietnam und sind in den 1980er Jahren nach Deutschland gezogen.
Tammana M., 22, kommt aus Afghanistan. Sie lebt seit 16 Jahren mit ihrer Familie in Deutschland. Sie studiert Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München im dritten Semester.
Yue Zhang: Ihr habt euch alle für das Studium entschieden. Wer und was hat eure Entscheidung beeinflusst?
Mazlum: Bei meiner Entscheidungsfindung schwankte ich lange Zeit zwischen den Fächern Rechtswissenschaften und Informatik, die ich als Leistungskurs in der Oberstufe belegt hatte und die mir auch viel Freude bereitet hat. Der Grund warum ich mich letztlich für die Jura entschied, besteht darin, dass meine älteren Geschwister in ihren Studiengängen sehr technisch ausgerichtet sind und es einen gewissen Reiz für mich darstellte, mich in meiner Bildung auf einen anderen Fachbereich zu spezialisieren. Außerdem interessierte ich mich auch schon in der Oberstufe sehr für internationales Recht und staatsorganisationsrechtliche Aspekte unseres Grundgesetzes. Meine Eltern haben sich natürlich auch dafür ausgesprochen, dass ich meine Bildung in der Hochschule fortsetze. Und das lag auch ganz in meinem Interesse.
Ümit: Im Laufe einer Persönlichkeitsentwicklung versuchen alle Jugendlichen verschiedene Werte, die ihnen von der Familie bzw. der Gesellschaft dargeboten werden, zu übernehmen. Die Entscheidung zum Studium ist hauptsächlich durch mein soziales Umfeld geprägt. In sozialen Einrichtungen bekam ich die Möglichkeit, Kontakt mit vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft aufzubauen, die verschiedenen Lebensphilosophien folgen; Resultate persönlicher, religiöser oder pädagogischer Überzeugungen. Schnell sah ich ein, dass nur ein wissender Mensch sich und die umgebende Welt ausreichend verstehen kann. Dieser Ansporn verleitete mich zum Abitur und im Anschluss zum Studium. Meine Familie hat meine Entscheidungen niemals in Frage gestellt, bezüglich eines Studiums zeigten sie Akzeptanz und Unterstützung.
Michael: Ich habe schon seit meiner Kindheit ein großes Interesse an Naturphänomenen und Maschinen. Ferner erhoffe ich mir von diesem Studienfach eine gute Karriere. Meine Eltern hatten mir schon sehr früh beigebracht, dass die Bildung eine wichtige Rolle spielt. Auch meine Freunde haben mich durch ihren Ehrgeiz und ihre Motivation positiv beeinflusst, weil ich unbedingt mit ihnen mithalten wollte.
Tammana: Ich habe nach dem Abitur ein einjähriges Praktikum bei Siemens absolviert und die Arbeit als Ingenieurin hat mir sehr gut gefallen. Ich denke, dass dieser Beruf sehr gute Aussichten hat. Später würde ich gerne nach Afghanistan zurückkehren, um mit meinen Kenntnissen mein Heimatland wiederaufzubauen. Meinen jetzigen Erfolg verdanke ich vor allem meinen Eltern, die mich immer motiviert und unterstützt haben.
Was sind Euren Erfahrungen nach die größten Probleme von Kindern mit Migrationshintergrund?
Mazlum: Leider lässt sich das Bildungsgefälle von Kindern mit Migrationshintergrund nicht monokausal erklären. Zum einen ist die soziale Durchlässigkeit trotz der Pluralisierung und Individualisierung in unserer Gesellschaft noch nicht so hoch, dass die sogenannten Milieus, in denen wir faktisch leben, als aufgelöst zu betrachten wären. Dies führt dazu, dass Kinder in ihren weitestgehend abgeschlossenen Gemeinschaften aufwachsen und dass diejenigen mit Migrationshintergrund wenig Kontakt zu deutschsprachigen Kindern aufbauen können. Sie ernähren, kleiden und verhalten sich und sprechen die Sprache, wie es in ihren Gemeinschaften üblich ist.
Das wird noch dadurch verstärkt, dass sich ihre Eltern vor einer vermeintlichen Assimilation fürchten und sich dadurch gesellschaftlich noch mehr abschotten. Die so entstehenden Subkulturen sind kaum sozial durchlässig. Kinder können die deutsche Sprache schwer oder zumindest nur fehlerhaft erlernen. Mit verminderten sprachlichen Fähigkeiten sind die schulischen Voraussetzungen im Gegensatz zu MuttersprachlerInnen deutlich geringer, weshalb dies für ihre Bildung und ihre berufliche Zukunft meist nicht ohne Folgen bleibt. Häufig legen ihre Eltern auch nicht den nötigen Wert auf die schulische Ausbildung, um Kinder zu mehr schulischen Leistungen zu motivieren. Diese ganze Problematik ist zudem von Kindern kaum beeinflussbar.
Ümit: Kinder mit Migrationshintergrund haben meist soziale Probleme aufgrund fehlender mentaler Unterstützung durch die Familie. Viele Eltern sind so stark mit sich selbst beschäftigt, dass fehlende Zuwendung und Rücksicht bei dem sich entwickelnden Kind psychologische Probleme verursachen. Identitätsverlust und die daraus resultierende soziale Isolation führen dazu, dass Migrantenkinder innerhalb des Entwicklungsprozesses kein Interesse mehr daran haben, moralische Werte anderer Menschen kennenzulernen. Viele sind in sich verschlossen und überfragt, wenn es um ihre Zukunft geht. Andere wiederum werden aufgrund ihrer Inaktivität innerhalb einer Gemeinschaft diskriminiert. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Jugendliche mit einem schwachen Selbstwertgefühl meist die Lösung in Diskotheken und in endlosen Partys finden. Generell kann die starke Tendenz zur Konsum- und Spaßgesellschaft als ein Problem betrachtet werden.
Michael: Es gab nicht viele AsiatInnen in der Schule, deshalb war ich schon immer anders aufgrund meines Aussehens und wurde in der Grundschule oft geschlagen. Ich habe mich zwar gewehrt, aber psychisch war ich durch die Diskriminierung so geschwächt, dass die LehrerInnen mir nicht zutrauten, dem Druck des Gymnasiums standzuhalten. Ein anderes Problem ist der soziale und finanzielle Aspekt. Ich bin in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen, weshalb ich mich immer benachteiligt gefühlt habe, wenn andere Kinder aus reicheren Familien mit ihren Spielzeugen angaben und ihren Geburtstag feiern konnten.
Auf der Spur von erfolgreichen MigrantInnen
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Besteht Eurer Meinung nach Chancengleichheit?
Mazlum: Es besteht zwar eine Ungleichheit bei der Förderung von Kindern. Diese ist aber auf materielle Ungleichheit zurückzuführen und nicht allein bei Migrantenfamilien wieder zu finden, sondern betrifft Deutsche gleichermaßen. Die Gleichheit in unserer Gesellschaft ist zwar noch nicht optimal, aber schon sehr fortgeschritten und jeder, der sich bemüht und Leistungsbereitschaft zeigt, hat grundsätzlich die gleiche Aussicht auf Erfolg. Verbesserungswürdig ist aber der multikulturelle Austausch. Dieser erfolgt aufgrund der ungleichmäßigen Zusammensetzung an Migrantenkindern von Schulklassen nur sehr schleppend. Je mehr Migrantenkinder einen kulturellen Austausch mit deutschsprachigen Kindern haben, desto mehr werden ihre sprachlichen Fähigkeiten und ihr Erfahrungshorizont erweitert.
Michael: Kinder aus anderen Kulturen haben sehr wohl eine Chance, solange Toleranz und Akzeptanz auf beiden Seiten existieren und Vorurteile vermieden werden. Im Moment sehe ich, dass die Situation stagniert, weil die meisten Einheimischen weiterhin sehr verschlossen gegenüber Ausländern sind und auch um. Meine asiatischen Bekannten, vor allem die älteren Generationen bleiben lieber unter sich. Aber deutsche Kinder, die mit Migrantenkindern aufgewachsen sind, werden meiner Meinung nach durch die Gewöhnung offener sein. Deshalb ist es wichtig, das Zusammenleben Aller bereits von Kindheit an zu fördern.
Tammana: Ich habe persönlich bisher keine merklichen Nachteile aufgrund meiner Herkunft gespürt. Ich denke, wer wirklich studieren bzw. aufsteigen will, hat auch immer die Möglichkeiten dazu. Die finanziellen Probleme sind unter anderem durch Stipendien, BAföG, Förderungsprogramme oder Dualstudium überwindbar. Ich bekomme zum Beispiel Kindergeld und muss keine Studiengebühr bezahlen. Alles, worauf ich mich konzentrieren muss, ist somit mein Studium.
Welche Ratschläge würdet Ihr anderen Migranten(kindern) auf den Weg geben?
Mazlum: Unsere intellektuelle Leistungsfähigkeit und folglich unser schulischer, wie beruflicher Erfolg hängt sehr stark von unseren sprachlichen Fähigkeiten ab. Der österreichisch-britische Philosoph Wittgenstein bringt diesen Zusammenhang mit dem Satz "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." auf den Punkt. Je mehr wir uns um sprachliche Präzision bemühen, desto besser vermögen wir Sachverhalte zu beschreiben und die Realität zu erfassen. Migrantenkinder sollten sich um die Steigerung ihrer sprachlichen Fähigkeiten und die Verwendung von möglichst präzisen und definierbaren Ausdrücken bemühen. Sie sollten sich selbst bei Rückschlägen oder Schwierigkeiten immer wieder von neuem motivieren und an ihren Problemen arbeiten.
Ümit: Geduld und Toleranz kann in vielen Situationen dämpfend wirken. Im Umgang mit Menschen kann jeder lernen, warum manche erfolgreich sind und wie man diese Lebensphilosophien übernehmen kann. Oftmals muss man älteren Menschen zuhören können, die mit ihrer Lebenserfahrung viel über die Balance innerhalb des Lebens erzählen. Die Identifikation mit der Gesellschaft ohne seine eigenen Werte zu verlieren, ist der beste Weg, sich den Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg zu legen.
Michael: Respektiere andere Kulturen, dann haben die Menschen auch Respekt vor deiner.
Tammana: Wenn man den Willen hat, schafft man sein Ziel auch. Deshalb sollen die Eltern den Ehrgeiz ihrer Kinder unbedingt im frühen Kindesalter fördern, damit sie sich besser in die Gesellschaft integrieren können.
Die Gespräche führte Yue Zhang.
Dezember 2009
Yue Zhang, 19, studiert Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München und versteht sich als chinesische Studentin in Deutschland.