von Bettina Jarasch
Die politische Partizipation von Menschen mit Migrationserfahrung spielt in der deutschen Debatte nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Zwar ist politische Beteiligung gewünscht; häufig wird diese Beteiligung aber auf das ehrenamtliche Engagement von MigrantInnen in Vereinen, Schulen und Nachbarschaft verengt. So spielt die Förderung freiwilligen Engagements auch im Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung (NIP) eine große Rolle. Zur Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen für politische Partizipation von MigrantInnen findet sich dagegen kaum etwas – bis auf die unverbindliche Empfehlung, die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatler zu prüfen. (vgl. auch den Beitrag von Dr. Norbert Cyrus: Politische Partizipation von EinwanderInnen)
Berlin mitgestalten! Grüner MigrantInnenkongress |
Politische Integration in einem umfassenden Sinn meint aber mehr: es geht dabei um die ernsthafte Mitwirkung von Menschen mit Migrationserfahrung an der politischen Willensbildung und an demokratischen Prozessen – Staat und Gesellschaft können diese Integration fördern, in dem sie volle politische Beteiligungsrechte gewähren, und indem sie sich um die Mobilisierung und Repräsentation von Menschen mit Migrationserfahrung in politischen Institutionen aktiv bemühen. Um Letzteres geht es in einem Kongress, den die Berliner Grünen veranstalten..
Politische Partizipation in der „Metropole der Vielfalt“
In Berlin leben Menschen aus mehr als 180 Ländern. Die Landesregierung schmückt sich mittlerweile gern mit dieser Tatsache. Im aktuellen Integrationskonzept des Berliner Integrationsbeauftragten wird Berlin als „Metropole der Vielfalt“ gefeiert; alle AutorInnen betonen die Potentiale und Chancen, über die die Stadt gerade durch die BürgerInnen mit Migrationserfahrung verfüge. (Vgl. Arbeit – Bildung –Chancengleichheit. Das ABC der Berliner Integrationspolitik)
Dennoch sind deutlich weniger Menschen mit Migrationserfahrung oder People of Colour in der Politik, der Verwaltung und den gesellschaftlichen Institutionen vertreten, als es in einer gleichberechtigten Gesellschaft der Fall sein müsste. Im neuen Bundestag haben 15 der 622 Abgeordneten Migrationserfahrung (Bündnis 90/Die Grünen: 5, SPD: 4, Die Linke: 2, FDP: 2, CDU/CSU: 1). Das sind immerhin schon vier mehr als in der Legislaturperiode davor.
Auf Berliner Ebene haben 14 der insgesamt 150 Abgeordneten Migrationserfahrung, 5 davon sind bei Bündnis 90/Die Grünen, 5 bei der SPD, 1 bei der CDU, 3 bei Die Linke; bei der FDP hat niemand Migrationserfahrung.
Der Anteil der Menschen mit Migrationserfahrung ist zwar in den letzten Jahren gestiegen, er entspricht jedoch bei weitem noch nicht ihrem Anteil an der gesamten Bevölkerung. Das gilt ebenso für die politischen Parteien. Auch bei Bündnis 90/ Die Grünen in Berlin sind längst nicht so viele Menschen mit Migrationserfahrung aktiv, wie es dem Selbstverständnis der Partei entspricht, die sich generell für Teilhabe und insbesondere für die politische Partizipation von MigrantInnen einsetzen. Wie kann das erreicht werden, wie muss die Partei sich öffnen, um attraktiver für Menschen mit Migrationserfahrung zu werden?
Um auf diese Frage Antworten zu finden, geht der grüne Landesverband jetzt einen neuen Weg: Am 26. und 27. März 2010 lädt er Menschen mit Migrationserfahrung zum Kongress Berlin mitgestalten! ein.
Parteien müssen eigene Haltungen ändern
Von folgenden Voraussetzungen geht der Kongress aus: Menschen mit Migrationserfahrung haben genauso unterschiedliche Interessen und Anliegen wie Menschen ohne diese Erfahrung. Unter ihnen gibt es viele Menschen, die ihr Lebensumfeld aktiv mit gestalten wollen, aber zu Parteipolitik ein distanziertes Verhältnis haben – wie auch ein großer Teil der restlichen Stadtbevölkerung. Für diese Distanz gibt es objektive Gründe: Menschen ohne deutschen Pass können zwar Parteimitglied werden und auch Parteiämter übernehmen; von den Wahlen sowie den Kandidatenaufstellungen für das Abgeordnetenhaus oder den Bundestag bleiben sie aber ausgeschlossen.
Diese Distanz zur etablierten Politik hat vielleicht aber auch etwas damit zu tun, dass PolitikerInnen und Parteien hierzulande Menschen mit Migrationserfahrung oft entweder ausgrenzend oder aber paternalistisch und vereinnahmend begegnet sind. Beide Haltungen verhindern politisches Engagement von Menschen mit Migrationserfahrung, auf das die Gesellschaft aber zunehmend angewiesen ist – insbesondere eine Stadt wie Berlin. Politisches Handeln verliert auf lange Sicht an Legitimität, wenn Menschen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, vom Zustandekommen dieser Entscheidungen ausgeschlossen sind.
Darüber hinaus ist Politik immer auch auf den Sachverstand und die Netzwerke aktiver BürgerInnen angewiesen. Im Sinne einer Politik der Vielfalt versteht der Landesverband auch die Vielfalt seiner Mitglieder als eine wichtige Ressource für neue Ideen. Der Kongress soll deshalb Menschen neugierig auf Politik machen und sie ermutigen, selbst aktiv zu werden, anstatt andere in ihrem Namen sprechen zu lassen. Umgekehrt sind auch die bündnisgrünen TeilnehmerInnen des Kongresses neugierig und bereit, dazu zu lernen.
Positionen gemeinsam weiter entwickeln
Im Vorfeld des Kongresses haben grüne Aktive zahlreiche Vorgespräche mit MigrantInnen und MultiplikatorInnen aus diversen Communities, Bezirken und Verbänden geführt. Ziel der Vorgespräche war es, gerade auch die zahlenmäßig kleineren und weniger organisierten communities anzusprechen und über die gezielte Ansprache von bereits aktiven MultiplikatorInnen auch jene zu erreichen, die bislang kaum oder keinen Kontakt zur Parteipolitik haben. Der Dialog soll beim Kongress in thematischen Foren vertieft und konkretisiert werden. Angeboten werden Foren zu den Politikfeldern
- Bildung
- Arbeitsmarkt / Hartz IV
- Gesundheit
- Umweltschutz
- Bürgerrechte
- Zusammenleben im Kiez
- Rassismus
- Frauen
- Partizipation / Aufenthaltsrecht / Staatsbürgerschaft
- Religionen im säkularen Berlin
Ziel ist es, neue Impulse zu bekommen und grüne Positionen gemeinsam mit den TeilnehmerInnen und Grünen aus Partei und Fraktion weiter zu entwickeln. Zentral ist die Offenheit für die Anliegen der TeilnehmerInnen. Die Moderation sollte grüne Positionen kennen und vertreten können, sie hat aber nicht die Aufgabe, grüne Politik an die Frau/ an den Mann zu bringen. Wesentlicher Bestandteil der Foren ist eine sorgfältige Dokumentation.
Das Berliner Abgeordnetenhaus wird in 2011 neu gewählt. Bündnis 90/Die Grünen diskutieren in den nächsten Monaten über ihr Wahlprogramm. Kritik, Ideen und Vorschläge, die beim Kongress diskutiert werden, sollen in dieses Verfahren eingehen. Auch konkrete Projekte oder Folgetreffen zu bestimmten Themen können sich aus diesem Prozess ergeben. Diversity erfordert in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft vor allem die Bereitschaft, die eigenen Strukturen, Positionen und liebgewordenen Gepflogenheiten zu überdenken und zu verändern. Insofern ist der Kongress Berlin mitgestalten! ein Praxistest – für eine Politik der Vielfalt.
Bettina Jarasch ist selbständige Projektberaterin und Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen Berlin. Die ausgebildete Redakteurin studierte an der FU Berlin Philosophie. Bis Januar 2009 arbeitete sie als Referentin im Bundestag.