Es geht auch anders: Die Projektarbeit des Archivs der Jugendkulturen

Schulkinder

von Monica Hevelke

Zurzeit sprechen und schreiben wieder alle über sie - die MigrantInnen. Es wird geschimpft, beleidigt und mit dem Finger auf sie gezeigt. Ganz selten wird mit ihnen gesprochen und noch seltener auf gleicher Augenhöhe mit ihnen zusammen gearbeitet. Jahr für Jahr werden mediale Pseudo-Debatten geführt, die kein ehrliches Interesse an der Thematik nach sich ziehen. Was bleibt, sind Vorurteile und die Luft ist weiterhin durch Alltagsrassismus verpestet. Initiiert durch das Bundesprogramm „Vielfalt tut gut“, sollte nun endlich mit ihnen gearbeitet werden. „Mit ihnen“ - das heißt als Zielgruppe, nicht etwa als Teil interkultureller Projektteams. Ein Widerspruch.
Und warum den MigrantInnen nicht einen eigenen Arbeitsplatz anbieten? Die pauschale Antwort: Nicht ausreichend qualifiziert. Und genau das ist ja das Problem!

Es geht aber auch anders: Zur Projektarbeit beim Archiv der Jugendkulturen

In der Projektarbeit des Archivs der Jugendkulturen e.V. läuft es anders. Es werden zwei grundlegende Ziele verfolgt, die sich seit drei Jahren bewährt haben: Zum einen funktioniert unsere Arbeit so gut, weil das Projektteam zur Hälfte aus jungen ReferentInnen besteht, die selbst Migrationserfahrungen haben und auch mehrsprachig aufgewachsen sind. Zudem werden alle ReferentInnen laufend weiterqualifiziert. Es finden beispielsweise Fortbildungen zu den Themengebieten Methodentraining, Empowerment, Islam und Islamismuskritik statt, so dass die ReferentInnen zu ExpertInnen und AnsprechpartnerInnen in eigener Sache werden und als kompetente VermittlerInnen interkultureller politischer Bildungsarbeit nicht nur in den Archivprojekten, sondern auch darüber hinaus zukünftig arbeiten können.

Aufhänger der Projektarbeit im Archiv der Jugendkulturen sind die Jugend- und Subkulturen. Über diese kommen wir mit den Jugendlichen ins Gespräch. Das Attraktive an den Jugend- und Subkulturen ist, dass sie dem Prinzip „each one teach one“ folgen und auf freiwilliger Basis funktionieren. Sie geben Raum für ähnliche Interessenslagen und lassen Gleichgesinnte zusammenkommen, erfordern aber auch zugleich ein hohes Maß an autodidaktischer Lernbereitschaft und Eigeninitiative, die die Jugendlichen mitbringen müssen.

Grundlegend setzen wir bei unserer Arbeit zunächst an dem Wissen der Jugendlichen über die Jugendkulturen, beispielsweise den HipHop, an und zeigen Felder und Tätigkeiten auf, die sie aus ihrer Freizeit kennen, die sie interessieren und begeistern. Häufig finden unsere Projekte und Fortbildungsangebote in den so genannten sozialen Brennpunkten statt. Wir touren durch geschrumpfte ländliche Regionen, genau wie durch deutschlandweit bekannte „Problemviertel“der Großstädte.

Einander zuhören und voneinander lernen

Unsere mobilen Projekttage sehen so aus, dass wir in einem Team von jungen authentischen Szene-Angehörigen und jungen politischen BildnerInnen an Schulen und zu Jugendeinrichtungen kommen. Die Workshop-Zusammenstellung erfolgt nach den Wünschen der SchülerInnen bzw. Jugendlichen, um sie von Anfang an in die Planung mit einzubeziehen und ihnen damit zu signalisieren, dass wir sie und ihre Meinung wertschätzen. Damit etablieren wir einen Raum frei von Bevormundung, in dem die Jugendlichen ihre(n) eigenen Projekttag(e) mitbestimmen und aktiv nach Interessenlage gestalten können.

Die „klassischen Workshops“ bestehen dabei aus einem Teil politischer Bildungsarbeit, gekoppelt mit einem jugendkulturellen Angebot. Zu Beginn gibt es eine Warm Up-Runde, die die Jugendlichen auf den Tag einstimmt. Dabei erfahren wir, welche konkreten Vorstellungen und Wünsche die Jugendlichen haben, die den Workshop, aber auch ihre Umgebung, die Schule, ihren Kiez oder die ganz persönliche Situation betreffen. Darauf aufbauend wird unsere Arbeitsmethode an die formulierten Bedürfnisse und Konfliktfelder angepasst, die die Jugendlichen im Bezug auf für sie zentrale Themen wie Schule oder soziales Umfeld artikulieren.

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Die Workshops beginnen mit dem inhaltlichen Einstieg in das jeweilige Themenfeld, von Punk über HipHop zu Metal, je nach Interessenlage der Jugendlichen. Neben den geschichtlichen Entwicklungen, den unterschiedlichen Genres und Ausprägungen, wichtigen Persönlichkeiten und KünstlerInnen oder Ereignissen, wird auch die gängige Philosophie der jeweiligen Jugend- oder Subkultur nähergebracht. Darüber entsteht zwischen Jugendlichen und „Szene-ReferentInnen“ oft ein intensiver Meinungsaustausch. Dabei geht es uns vor allem darum, einander zuzuhören und voneinander zu lernen sowie selbst gemachte Erfahrungen miteinander zu teilen. Das betrifft genauso uns als WorkshopleiterInnen, weil auch wir uns in unserer Arbeit stetig weiter entwickeln und viel von den Ansichten der Jugendlichen für unsere zukünftigen Workshops lernen können.

In der dritten Phase geht es schließlich um das Erlernen der praktischen „Skills“ und Techniken: Selbst an den Plattenspielern stehen, an den Reglern drehen, ein eigenes Bild sprühen, einen eigenen Text einrappen oder einsingen, den eigenen Manga entwerfen oder das eigene Video drehen und schneiden. Dieser Teil des Workshops ist bei den Jugendlichen besonders beliebt, weil man für sich persönlich kleine Erfolgserlebnisse feiern und sich Anerkennung und Respekt von der Gruppe für seine Leistungen und Fähigkeiten beim Rappen, Sprayen oder Zeichnen verdienen kann. Häufig zu beobachtendes Phänomen dabei: Bestehende Gruppenhierarchien werden aufgebrochen, und es schlägt dann die große Stunde für die sonst immer als „uncool“, „still“ oder „problematisch“ abgestempelten Jugendlichen.

Selbst ein Teil des Unkonventionellen

Die meisten ReferentInnen unseres Teams sind selbst in Jugendeinrichtungen groß geworden und aktiv gewesen. Zudem waren sie Teil einer Subkultur oder sind es in den meisten Fällen immer noch. Das hat den Vorteil, dass sie bestimmte Erfahrungen und Problemlagen mit den Jugendlichen auf Augenhöhe teilen, diese kennen und so zu glaubwürdigen AnsprechpartnerInnen und BeraterInnen für die Jugendlichen in unseren Workshops werden.

Eines unserer Hauptanliegen ist es, die jungen Menschen in ihren außerschulischen Aktivitäten zu stärken und ihnen endlich Wertschätzung für das, was sie tun und können, zu vermitteln. Leider werden außerschulische Berufsfelder und unkonventionelle Zukunftspläne von Bildungseinrichtungen, dem Elternhaus oder familiären Umfeld häufig belächelt oder übergangen. Besonders tragisch wird es dann, wenn Talente nicht erkannt oder bewusst missachtet werden. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass unsere Szene-ReferentInnen für die Jugendlichen sogar zu Vorbildern und HoffnungsträgerInnen ihrer eigenen Laufbahn werden, da sie sehen, dass man durchaus über unkonventionelle Wege seine Leidenschaft zum Beruf machen kann, sei es als TänzerIn, DJ oder MusikerIn.

Der Störenfried

In unserer Arbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen oft unter dem Mangel einer Lobby leiden, die sich für sie interessiert, einsetzt und im Notfall auch für sie spricht. Sie spüren ganz deutlich, dass ihre Interessen meistens wenig Beachtung finden und bei Entscheidungen über ihre Zukunft und Berufswahl nicht berücksichtigt werden. Sie nehmen sich wahr als eine Minderheit ohne Stimme. Das enttäuscht, frustriert und schürt Wut.

Beachtung und Aufmerksamkeit erfahren sie meistens nur, wenn sie öffentlich „negativ“ auffallen oder als „Problemfälle“ in Erscheinung treten. Dann werden „Stimmen“ über sie laut, und noch lauter werden diese „Stimmen“, wenn die Jugendlichen als AusländerInnen - pardon - als Jugendliche mit Migrationshintergrund geoutet werden. Meine Einschätzung dazu ist: Jugendliche sind und waren der Gesellschaft eigentlich immer ziemlich lästig, es sei denn sie funktionieren und erfüllen die in sie gesteckten, oft konventionellen Erwartungen.

Aus diesem Grund werden Jugend- und Subkulturen, neben dem spaßbringenden Faktor, auch oft als Medium für verschlüsselte, leise oder auch laute Botschaften von den Jugendlichen genutzt. Hier kommen sie zu Wort und hier werden sie von einem kleinen oder auch großen Kreis gehört und wahrgenommen.

Auszug eines Rockmusik-Songtextes von Faiza, der 2008, als sie 12 Jahre alt war, in einem „Mädchen in Jugendkulturen“-Workshop entstanden ist:

Faiza: Weil ich eine Muslime bin

Alle Kinder fragen mich, warum ich ein Kopftuch trage.
Das finde ich nicht gut,
damit verletzen sie meinen Stolz,
und ich habe wieder mal Wut.

Refrain:
Nur weil ich eine Muslime bin,
ist es egal was andere Leute über mich denken.
Ich liebe meine Religion,
und ich stehe dazu.

Ich bin so wie ich bin.
Alle starren mich an,
wie ich angezogen bin,
wenn ich in die Stadt gehe.
Das ergibt doch keinen Sinn.
Ich bin so wie ich bin.

Refrain:
Nur weil ich ein Muslime bin,
ist es egal was andere Leute über mich denken
Ich liebe meine Religion,
und ich stehe dazu.
Ich bin so wie ich bin.

HipHop immer noch die Artikulationsform Nummer 1

Besonders die Angebote aus dem HipHop–Spektrum, von Graffiti, Breaking, HipHop Dancing, Rap, digitale Musikproduktion bis hin zum DJing, sind nach wie vor bei den Jugendlichen sehr beliebt und werden häufig als eigene Artikulations- und Ausdrucksform gewählt. Grund dafür ist der integrative Charakter dieser kreativen Musik- und Subkultur, die zunächst allen eine Teilhabe ermöglicht. HipHop als offene Plattform bietet jede Menge Möglichkeiten sich zu beteiligen, einzubringen und mitzugestalten. Hier erfährt man Anerkennung für Leistungen, Fortschritte und Errungenschaften, die sich fernab normaler Bildungswege abspielen. HipHop beruht ausschließlich auf autodidaktischen Lernprozessen, die eine hohe Konzentration und Disziplin von den Jugendlichen erfordern. Bei unseren Workshops kann man ganz deutlich erleben, dass die Jugendlichen auch bereit sind, sie zu leisten.

Ein zentraler Faktor für die hohe Identifikation mit HipHop vor allem auch unter migrantischen Jugendlichen, die in sozialen Brennpunkten aufwachsen, ist sicherlich sein Entstehungskontext. HipHop in Deutschland entstand und formte sich als Musik- und Subkultur auf den Straßen, in für alle zugänglichen Nightclubs und später auch in den Community Centern und Jugendhäusern. Eine Bewegung, die im Untergrund zu sprießen begann und die Stimmlosen und Marginalisierten zu ihren Hauptakteuren machte.

Zunächst ging es vor allem darum, miteinander eine gute Zeit zu verbringen, sich kreativ auszutauschen und sein Können zu präsentieren. Man wollte die Umstände, in denen man aufwuchs und lebte, wenigstens für einen Moment vergessen. Doch die fehlende Teilhabe und Chancengerechtigkeit sowie die stets präsente Ohnmacht machten HipHop als Kunst- und Ausdrucksform zunehmend gesellschaftskritisch und politisch. Emotionen wie Wut und Aggression kamen verstärkt in Raptexten oder Graffiti-Aktionen zum Ausdruck. Wegen der zunehmenden Popularität dieser Musik- und Kunstform wurden ihre PtotagonitInne auf einmal wahrgenommen und gehört. Auch konnte man sich mit den KünstlerInnen identifizieren, weil sie das eigene Viertel, die eigenen Lebensumstände und die eigenen Wünsche in ihrer Sprache repräsentierten. Sie hatten dasGefühl, Teil von etwas Neuem und Erfolgreichem zu sein. Die ersten HipHop KünstlerInnen, die zudem auch noch Geld verdienten, steigerten die Motivation vieler Jugendlicher und machten HipHop zu einer greifbaren Alternative und einem Ausweg aus der Armut.

 

Neben dem Rap hat sich auch der Tanz als wichtige Ausdrucksform für viele Jugendliche etabliert. Gründe dafür lassen sich viele finden:

Die Bedeutung der Jugendeinrichtungen für die Entwicklung von B-Boying (Breaking) in Deutschland

Dazu der in der Szene weltweit bekannte Tänzer und Choreograph Niels „Storm“ Robitzky:
Die Jugendeinrichtungen sind nicht nur die größten Trainingsorte im Land, sondern auch gleichzeitig Hauptveranstaltungsorte der meisten HipHop-Jams. (1)

Der offene Charakter des Tanztrainings

Dazu Sofia von der Berliner B Girl Crew „Tatsumaki San“:
Du hast ´ne Möglichkeit zu trainieren, es kostet nichts, du musst dich nicht anmelden und bist keinem gegenüber verpflichtet. Da kann jeder hingehen. Man kriegt Tipps von Leuten, die schon länger tanzen, wenn man noch nicht so viel kann oder wenn man mal nicht weiterkommt. Man kann jeden fragen, dass ist wie so ´ne kleine Freundschaft, die da entsteht.

Die Erfolgsgeschichten aus der Breakdance-Szene

Dazu Mikel von den „Flying Steps“:
Die B-Towns haben auch im Haus der Jugend (einer Jugendeinrichtung in Berlin Wedding) angefangen (…) Man muss sagen, in der Gruppe sind Jungs dabei, die hätten es echt schwer gehabt in der Ausbildung, wenn sie überhaupt eine Ausbildung bekommen hätten. Und durch ihren Ehrgeiz haben sie sich in den Jahren so weit entwickelt, dass sie die Möglichkeit hatten, direkt nach der Schule zu sagen, dass sie vom Tanzen leben wollen. Einige haben sich richtig selbstständig gemacht, und leben heute vom Tanzen, die machen gerade Varieté-Shows. Und einer von den Jungs ist ja dann auch zu den Flying Steps in die Gruppe gekommen.

„Träum schön weiter“

Seit einigen Jahren bieten wir als Erweiterung für Jugendliche auch Fotografie- und Schreibworkshops an, damit sie sich auch über diese Kunstformen sicht- und hörbar machen können. Unter dem Motto „Träum schön weiter“ ließen sich in diesem Jahr 13 SchülerInnen eines Neuköllner Gymnasiums auf eine intensive Arbeitswoche ein und präsentieren im Frühjahr 2011 ihre Fotos und Texte in einer Wander-Ausstellung. (2)

Im Folgenden wird eine Auswahl an Texten aus „Träum schön weiter“ vorgestellt, die verschiedene Aspekte des Lebens der Jugendlichen beleuchten - von der Suche nach der eigenen Identität und Wurzeln in der Heimat der Eltern bis hin zur alltäglichen Lethargie, die Schule und Freizeit bestimmt:

Ömer: Ich bin faul

Ich bin faul, nutze jede Möglichkeit nix zu tun. Ich bin faul, warte bis die Gabel zu mir kommt. Ich bin faul, mache keine Hausaufgaben, obwohl ich die Lösung hab. Ich bin faul, mache Kraftsport, renn aber nie. Ich bin faul, ich wechsle nicht den Sender, quäle mich mit dem Zeug was läuft. Ich bin faul, schreibe nicht mit, lasse für mich schreiben. Ich bin faul, ich geh nicht zum Essen, das Essen kommt zu mir. Ich bin faul, melde mich nicht, warte, bis man mich rannimmt. Ich bin faul, ich benutze nicht die Treppen, sondern den Fahrstuhl, obwohl ich im Erdgeschoss wohn’. Ich bin faul, habe einen Bruder, der sich für mich bewegt. Ich bin faul, wenn der Lehrer mich rausschicken möchte, schick ich ihn raus. Ich bin faul, lass einfach Buchstaben und Wörter aus. Ich bin faul, erfinde Abkürzungen, die es nicht gibt. Ich bin faul, rede in Stichpunkten. Ich bin faul, schreib in jedem Satz „ich bin faul“.
Mir fällt noch vieles ein, aber ...
faul.

Idir: Kabylei– Ein Teil von mir

Jedes Jahr ist es soweit. SOMMER.
Also auch Ferien. Mal wieder, zum 15. Mal, geht’s nach Algerien. Stören tut mich das nicht. Denn dort bin ich heimisch. Die Kabylei ist in meinen Augen der schönste Ort, den es gibt. Um genauer zu sein Azazga/Cheurfa. Es ist natürlich gutes Wetter. Maximal 50° C im Schatten. Ich liebe diese Hitze, denn obwohl es heiß ist, ist es nicht schwül. Im Gegenteil, es ist komplett trocken. Ich lebe auf dem Land. Das heißt weit entfernt von lauten Autos, Idioten, die einen dumm anmotzen. Dort gibt es nur meine Familie, mein Motorrad und mich und natürlich mein Ferienhaus und Amin, auch Kabyle, bester Freund-Status. Dieses Land gibt mir alle Freiheiten, die ich möchte. Niemand sagt einem, was man tun und lassen soll. Es ist eine Naturlandschaft ohne Gesetze. 85 % Wüste, 15 % Gebirge und Meer. So soll das sein. Vergleichsweise wenig Bewohner und damit ist es, egal wo man ist, still.

Nebi: Ausländer im Heimatland deines Vaters

Ich als gebürtiger Berliner habe jeden Sommer das gleiche Problem. Das Problem im Urlaub in der Türkei als Fremder wahrgenommen zu werden. Als Ausländer, als nicht gebürtiger Türke. Merkwürdig. Hier in Berlin werde ich durch meinen Migrationshintergrund nicht vollwertig akzeptiert. Eigenartig. In Deutschland geboren, als Deutscher nicht anerkannt, als Türke Urlaub in der Türkei und kein vollwertiger Teil von ihnen.

Wut. Trauer. Verwirrung. Gemischte Gefühle. Die Identität schwächelt bei diesem Anblick. Deutscher, Türke, Muslim. Gut. Kein Deutscher. Kein Türke. Muslim in Deutschland? Nur im Bekanntenkreis. Keine Akzeptanz von beiden Staaten. Was bleibt einem übrig?

Abkapseln? Aggressive Haltung einnehmen?

Womöglich andere Beziehungsfaktoren entdecken? Es leben über 20 Millionen meiner Art nur in Deutschland. Doch was tun 20 Millionen Menschen so wie ich? Mehr Menschen als in unzähligen Kleinstaaten. Wer jetzt noch von Isolation spricht, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Die Isolation des Einzelnen hat so vielleicht eine neue Gemeinschaft entstehen lassen, die noch zu sich selbst finden muss. Bis dahin stellt meine Familie alles dar, worin ich mich wohl fühle.

Was am Ende bleibt

Unsere Erfahrung zeigt immer wieder: Jugendliche erleben viel und möchten sich mitteilen - wenn man sie nur lässt. Allerdings werden nicht alle Gruppen einer Gesellschaft gleichwertig wahrgenommen, stets werden die Interessen bestimmter Gruppen und Schichten mehr beachtet. Das schafft Unmut und Resignation. Die gesellschaftliche

Partizipation und Teilhabe, vor allem für junge Menschen mit Migrationshintergrund, wird dadurch an manchen Stellen blockiert.

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Um sich trotzdem selbst verwirklichen zu können, schaffen sich Jugendliche aber immer noch eigene Nischen der Selbstverwirklichung - so war es immer und wird es immer sein. In diesen Nischen haben Mehrwert und Leistung einen anderen Stellenwert. Entscheidend und bestaunt werden vor allem die eigene Kreativität, Initiative, Leidenschaft und Einstellung. Hier erfahren sie Anerkennung und Wertschätzung für ihr Können, ihre Talente und ihre Interessen, die sonst untern Tisch fallen würden. Das gilt es zu erhalten, anzuerkennen und zu fördern. Jugendeinrichtungen und jugendkulturelle Projekte sind eine wichtige Anlaufstelle dafür und zugleich Hilfesteller und wichtiger Fürsprecher jugendlicher Interessen. 

Oktober 2010

Endnoten

1  Die drei folgenden Interviewauszüge stammen aus der Publikation „HipHop in Berlin“ (2008). Archiv der Jugendkulturen e.V./ Gangway e.V.

2  Die Ausstellung wurde von den AutorInnen Anja Tuckermann und Guntram Weber sowie den FotografInnen Jörg Metzner und Ester Vonplon angeleitet.

Weitere Publikationen der Autorin

  • HipHop in Berlin. Hg.: Archiv der Jugendkulturen e.V./Gangway e.V. 2008.

  • Übersetzung der israelischen Graphic Novel „Spunk“ von Gabriel S. Moses. Hg.: Archiv der Jugendkulturen Verlag 2010.
     

Bilderquelle: Die Bilder sind der Ausstellung "Träum schön weiter" entnommen, die im Archiv der Jugendkulturen e.V. im Mai 2010 gezeigt wurde.

   

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Monica Hevelke studiert Polonistik und Hispanistik an der Uni Potsdam. Sie arbeitet als Referentin für das Projekt „Culture on the Road“ sowie im Archiv der Jugendkulturen und leitet Workshops zu Urbanem Tanz (Foto: Lidong Shao)