Migrantinnen mischen mit! Migrantinnenorganisationen in Deutschland

von Olga Zitzelsberger, Patricia Latorre Pallares und Iva Kocaman

Im Jahre 2005 untersuchten wir in Darmstadt im Kontext der aktuellen Diskussion um die Integration von Migrantinnen in der Einwanderungsgesellschaft bzw. deren Exklusion aus den zentralen gesellschaftlichen Bereichen, ob und inwieweit Selbstorganisationen von Migrantinnen die Partizipation von Migrantinnen in verschiedenen Bereichen der Einwanderungsgesellschaft unterstützen. Dabei haben wir Migrantinnenselbstorganisationen als Strategie zum Selfempowerment innerhalb der dominanten Systeme Mehrheitsgesellschaft und Migranten-Community betrachtet.

Wichtige Ergebnisse waren dabei, dass die Selbstorganisationen von Migrantinnen Frei-Zeit bieten, die Frauen entlastet und Freiräume schafft, in denen sich die Frauen frei bewegen und Bildungsangebote in Anspruch nehmen können (1). Vor diesem Hintergrund erhielten Rambøll Management Consulting GmbH und unser Institut für Pädagogik und Berufspädagogik der TU Darmstadt, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den Forschungsauftrag zu „Migrantinnen-Organisationen in Deutschland“. Die Zielsetzung des Forschungsauftrages war zunächst die Untersuchung von Organisationsstrukturen, Tätigkeitsfeldern sowie Netzwerk- und Unterstützungsstrukturen von Migrantinnenselbstorganisationen in Deutschland. Auf Basis von quantitativen und qualitativen Analysen sind anschließend politische Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeiten erarbeitet worden.

Die Gründung von Migrantinnenselbstorganisationen und ihre wissenschaftliche Beurteilung
Die Bildung von Migrantinnen- und Migranten-Communities gehört zur Normalität jedes Einwanderungsprozesses. Die Communities sind sehr unterschiedlich und differenzieren sich u.a. nach sozial-strukturellen, regionalen, ideologisch-politischen, religiösen, geschlechts- und generationsspezifischen Merkmalen. Zu den Strukturelementen von Migrantinnen- und Migranten-Communities zählen Verwandtschaft, ethnische Vereine, religiöse Gemeinden, politische Organisationen, informelle Netze und Treffpunkte, ethnische Medien und die ethnische Ökonomie. MigrantInnenselbstorganisationen (MSOs) werden als eines dieser genannten Strukturelemente von Communities bezeichnet. Unter einer Selbstorganisation werden dabei nicht nur formalisierte Beziehungen unter MigrantInnen in Form eingetragener Vereine, sondern eben auch nicht-formale Beziehungen wie Gruppen, Projekte und Netzwerke verstanden (2). Zu den Funktionen von Migrantinnen- und Migranten-Communities und ihren Selbstorganisationen gehört es, Information, Orientierung, Beratung und Unterstützung anzubieten sowie als Anlaufstelle bei Exklusion und Diskriminierung zu dienen.

Lange verharrte die Diskussion in der Migrationsforschung bei der Frage nach der integrativen bzw. segregativen Funktion von Migrantinnen- und Migranten-Communities und ihren Selbstorganisationen. Dabei standen sich polarisierende Auffassungen gegenüber: Auf der einen Seite wurde die These vertreten, dass die Mitgliedschaft in ethnischen Vereinen zu einer Abtrennung von der Mehrheitsgesellschaft führt und dadurch Integrations- bzw. Assimilationsprozesse umkehrt. Auf der anderen Seite wurden die integrative Bedeutung der Community und deren stabilisierende Wirkung auf ihre Mitglieder betont (3). Neben der Kritik an einer solch dichotomen und undialektischen Zuordnung besteht ein weiterer Kritikpunkt an der Migrationsforschung in der Fokussierung auf eine (unterstellte) nationale Zugehörigkeit aller Mitglieder einer Community, wodurch deren durch Schichtzugehörigkeit, Ethnie, Gender, Sexualität u.Ä. bedingte Heterogenität überdeckt wird.

Während der Aspekt der Schichtzugehörigkeit heute bereits teilweise in den Analysen von Selbstorganisationen von MigrantInnen berücksichtigt wird, findet der Gender-Aspekt bislang nahezu keinen Erörterung. Langsam setzt sich in Deutschland in der Migrationsforschung und in Teilen der Politik jedoch eine veränderte Perspektive durch, die den dichotomen Diskurs aufbricht und der Komplexität von MigrantInnen-Communities in der Einwanderungsgesellschaft Rechnung trägt. MigrantInnen werden nun als soziale AkteurInnen wahrgenommen, die den Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen Bildung, Arbeit, Wohnraum, Gesundheit und Politik in der Einwanderungsgesellschaft anstreben und sich zu diesem Zweck selbst organisieren. Durch diese Perspektivenverschiebung rücken MSOs auch für Bildungsfragen ins Blickfeld.

Die Selbstorganisationen beschränken sich nicht auf die Pflege der Herkunftskultur durch folkloristische Aktivitäten, durch das Ausüben der Religion oder das Sprechen der Herkunftssprache. In den Selbstorganisationen von MigrantInnen findet man darüber hinausgehend lokalpolitische sowie Selbsthilfeaktivitäten wie Rechts- und Sozialberatung. Viele MSOs bieten Nachhilfe, Computerkurse, herkunftssprachlichen Unterricht und insbesondere für Frauen Alphabetisierungs- und Deutschkurse, Computerkurse sowie Bewerbungs-Trainings bis hin zu Weiterbildungen an. Das Integrationspotential von MSOs belegen zahlreiche empirische Untersuchungen, die in der Multifunktionalität der MSOs ihren begrifflichen Ausdruck fand (4).

In den letzten Jahren lässt sich verstärkt – neben der Zunahme frauenspezifischer Aktivitäten in den MSOs - die Gründung eigenständiger Migrantinnengruppen und Migrantinnenselbstorganisationen feststellen. Diese Entwicklungen sind bis heute in der Migrations- und in der Genderforschung wenig aufgearbeitet worden (5). Schwenken spricht daher von der „publizistischen und wissenschaftlichen Nichtwahrnehmung“ (6) der Selbstorganisationen von Migrantinnen und Thränhardt kommt zu dem Schluss, dass in zukünftigen Studien der Rolle von Migrantinnen in den Selbstorganisationen weiter nachgegangen werden sollte (7).

Der Aufbau eigener Fraueneinrichtungen – als Gegeneinrichtungen zu den geschlechtlich gemischten MSOs ebenso wie zu den Fraueneinrichtungen der Mehrheitsgesellschaft – ist auch eine Konsequenz fehlender Entfaltungsmöglichkeiten in bestehenden Organisationen. Dies drückt sich darin aus, dass sich Migrantinnen in den gemischten MSOs in die traditionelle Rollenverteilung gedrängt sehen und frauenspezifische Themen weniger wichtig genommen werden. In gleichgeschlechtlichen Gruppen wird „Geschlecht" als Auswahlkriterium für die Teilhabe gesetzt. Dadurch eröffnen sich Frauen Freiräume, die es ihnen ermöglichen, ihre eigenen Themen, Interessen, Vorlieben und Strategien zu verfolgen. Frauengruppen ermöglichen eine Selbstverortung innerhalb gesellschaftlicher Organisationsstrukturen ohne Rücksicht auf die Einbindung in geschlechtskonforme Rollenerwartungen und Ordnungssysteme. Zahlreiche Fraueneinrichtungen können genau unter diesem Blickwinkel heute auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückschauen.

Gleichzeitig ist es diesen Einrichtungen jedoch nicht immer gelungen, Migrantinnen gleichermaßen zu integrieren. Einer der Gründe könnte darin liegen, dass in den Gründungsjahren der 1970er Jahre nahezu ausschließlich deutsche Mittelschichtsfrauen ihre eigene Arbeits- und Lebenssituation thematisierten. Deutsche Frauen forschten über deutsche Mittelschichtsfrauen und für deutsche Mittelschichtsfrauen. Ein Bezug zur Arbeits- und Lebenssituation von Frauen aus unteren sozialen Schichten sowie zu Migrantinnen wurde dabei vielfach unzureichend hergestellt (vgl. Bednarz-Braun 2004).

Migrantinnen fanden und finden keinen bzw. wenig Zugang zu den Fraueneinrichtungen der Mehrheitsgesellschaft, denn als heimliches Kriterium für den Zugang zu Gruppen, Räumen und Ressourcen wird weithin die deutsche Nationalität und Kultur angenommen bzw. erlebt. Belegt wird diese Aussage durch den geringen Anteil von Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund in den Fraueneinrichtungen der Mehrheitsgesellschaft und durch den Aufbau von Selbstorganisationen von Migrantinnen mit ähnlichen Tätigkeitsfeldern, z.B. Sexualisierte Gewalt, Bildungsveranstaltungen oder Qualifizierungen für den Arbeitsmarkt (8). Diese Separierung der Migrantinnen wird durch die feministische Theoriebildung nur nach und nach aufgenommen.

Die Herausbildung von Frauen-MSOs kann als paradoxe Intervention aufgrund der doppelten Ausgrenzungsstrukturen von Migrantinnen herausgearbeitet werden. Paradox, da das Ziel nicht die Separierung der Geschlechter darstellt, sondern deren Gleichstellung in allen individuellen und gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten in der Einwanderungsgesellschaft. Es bedarf paradoxerweise der Separierung, um dieses Ziel ins Auge fassen zu können.

Wie bereits in der Darmstädter Untersuchung waren auch bundesweit fehlende Angebote für Migrantinnen ein wesentlicher Grund für die Gründung von Frauen-MSOs. Als Hilfe zur Selbsthilfe bezeichneten interviewte Migrantinnen ihr Engagement, da Angebote der Mehrheitsgesellschaft zu selten den spezifischen Bedürfnissen von Frauen mit Migrationshintergrund gerecht würden (76%). In den Frauen-MSOs kämen die Frauen aus ihrem teilweise sehr engen familiären Umfeld heraus, die Selbstständigkeit der Migrantinnen könne gefördert werden. Kontakt mit anderen Migrantinnen (51 %), Übernahme von Verantwortung für Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen (46 %) und politische Interessensvertretung (48 %) für die Anliegen von Migrantinnen waren wesentliche Aspekte für die Gründung.

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Abb.1: Gründungsanlass der Frauen-MSOs (vergrößern)
Quelle: Reinecke et al.: Migrantinnenorganisationen S. 39

Gelebte Partizipation – Ziele und Inhalte der Bildungsarbeit von Frauen-MSOs
Das Ziel der MSOs ist, allgemein gesprochen, die gleichberechtigte Partizipation. Der Beitrag, den die Frauen-MSOs für die gleichberechtigte Partizipation der Mitglieder in der Mehrheitsgesellschaft leisten wollen, zielt vor allem auf Formen der allgemeinen Partizipation wie dem Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (66 %) und der Sicherung gleicher Rechte für Migrantinnen (62 %). Spezifische Unteraspekte sind der gleiche Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und zu Bildung (57 % bzw. 48 %) sowie die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (51 %). Letztere Aspekte wurden auch in den geführten Interviews noch einmal betont. Dabei wurde in einem Interview auf die Erfahrung verwiesen, dass Musliminnen mit Kopftuch bei der Arbeitssuche besonders diskriminiert seien, sodass die Arbeitsmarktintegration als ein Handlungsschwerpunkt der MSO gewählt wurde. Die Erfahrung, dass ihre Kinder häufig über schlechtere Bildungschancen verfügen, hat dazu geführt, dass MSOs sich explizit diesem Thema widmen.

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Abb.2: Beitrag der Frauen-MSOs für gleichberechtigte Teilhabe (vergrößern)
Quelle: Reinecke et al.: Migrantinnenorganisationen S. 44

Die Tatsache, dass „gleiche Rechte für Frauen und Männer"(37 %) und „Gleichberechtigung für Mädchen und Jungen" (17 %) seltener als angestrebte Beiträge genannt werden, kann mit den gegebenen Rahmenbedingungen in der Einwanderungsgesellschaft gedeutet werden. Die ethnische Herkunft der Migrantinnen und die damit verbundene (Diskriminierungs-)Erfahrung und mangelnde Partizipation haben einen deutlich größeren Einfluss auf die Forderungen als geschlechtspolitische Erwägungen.

Nach unseren bisherigen Erkenntnissen in Darmstadt spielen Bildungsangebote – Informations- und Wissensvermittlung und Kurse für Mädchen, junge Frauen, Mütter und ältere Frauen – sowie politische Aktivitäten eine zentrale Rolle bei allen untersuchten Frauen-MSOs. Diese Ergebnisse werden in der bundesweiten Untersuchung bestätigt: So können auch hier diese Art der Aktivitäten als die am stärksten von den Frauen in den Selbstorganisationen in Anspruch genommenen Angebote bezeichnet werden. Die Zielgruppen der Angebote sind insbesondere junge Erwachsene und Menschen im mittleren Alter. Spezielle Zielgruppen sind darüber hinaus Mütter sowie Personen mit dem gleichen Migrationshintergrund. Bei insgesamt etwa der Hälfte der MSOs dürfen Männer (eingeschränkt) an den Angeboten teilnehmen. Die am häufigsten durchgeführte Aktivität ist die Beratung (76%), wobei die Frauen-MSOs hier eine Brückenfunktion zwischen Migrantinnen und Mehrheitsgesellschaft einnehmen, indem sie Migrantinnen in andere Beratungsangebote vermitteln, zu denen die Frauen selber nicht finden würden. Weitere Aktivitäten sind Veranstaltungen (72%), offene Begegnungen (71%), Gesprächsrunden (67%) und Angebote im kulturellen Bereich (64%).

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Abb.3: Art der durchgeführten Aktivitäten und Angebote (vergrößern)
Quelle: Reinecke et al.: Migrantinnenorganisationen S. 56

Die Arbeit der Frauen-MSOs enthält mehrere Elemente: Zunächst werden Fachwissen, Sprachkenntnisse und Kompetenzen vermittelt. Diese tragen dazu bei, dass die Migrantinnen Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein entwickeln und ihre Angst und Unsicherheit im Umgang mit Institutionen der Mehrheitsgesellschaft und ihren VertreterInnen überwinden. Verstärkt wird die neue Selbstsicherheit durch die Sicherheit, die die Gemeinschaft von Frauen vermittelt, die die gleichen Benachteiligungserfahrungen teilen und die diese Benachteiligung überwinden möchten.

Diese Gemeinschaft motiviert die Frauen, die Bildungsangebote in Anspruch zu nehmen. Diese Bildungsangebote sind niedrigschwellig angelegt und orientieren sich an den geäußerten Bedarfen und den besonderen Lebensumständen von Migrantinnen. Rahmenbedingungen wie die Abstimmung der Uhrzeit und des Ortes für den Kurses betrifft dies ebenso wie das Lerntempo und die Berücksichtigung der Lernhintergründe und -situation. Für diese Angebote werden keine großen finanziellen Ressourcen benötigt, sie werden von den ehrenamtlich tätigen Aktivistinnen durchgeführt. Aktivitäten, die einen größeren Aufwand und einen entsprechend höheren Ressourceneinsatz erfordern (wie z.B. Angebote im Erziehungs- und Bildungsbereich für Kinder und Jugendliche oder Angebote im Bildungsbereich für Erwachsene) können angesichts der schwierigen finanziellen Lage der MSOs – sowie auch oftmals der Frauen – von vielen MSOs nicht geleistet werden, so dass gewünschte Angebote nicht durchgeführt werden können.

Im Vergleich zu den Aktivitäten, die bereits durchgeführt werden, zeichnen sich die von den Frauen-MSOs zusätzlich gewünschten Angebote dadurch aus, dass sie eines höheren Aufwands bedürfen (Angebote im Bildungsbereich für Erwachsene 40% sowie für Kinder und Jugendliche 32%) und stärker auf die Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet sind (Angebote zum interkulturellen Austausch und Begegnung beide 34%). Die tatsächliche Umsetzung dieser Aktivitäten scheitert vor allem an fehlenden finanziellen Möglichkeiten, an fehlenden Räumlichkeiten und fehlendem Fachpersonal. In den Interviews ist deutlich geworden, dass häufig eine Vielzahl an Überlegungen zu weiteren Aktivitäten bestehen und auch entsprechende Bedarfe von der Zielgruppe geäußert werden. Gleichzeitig muss jedoch beachtet werden, welcher Ressourcen ein Angebot bedarf und wie diese Ressourcen akquiriert werden können.

Vielfach scheitert die Ausweitung des Angebots daran, dass es keinen Zugang zu entsprechenden Fördermöglichkeiten gibt. Darüber hinaus ist darauf hingewiesen worden, dass teilweise keine Expertinnen mit dem nötigen Fachwissen zur Verfügung stehen, um die Angebote durchführen zu können. Vor dem Hintergrund der oft mangelnden Möglichkeiten zur finanziellen Entlohnung für die Angebote sind MSOs auf das freiwillige Engagement von Expertinnen angewiesen. Als einer der Erfolgsfaktoren für die Etablierung von neuen Angeboten haben sich insbesondere Kooperationen mit andern Organisationen erwiesen.

Frauen-MSOs wollen mehr Kontakte und Kooperationen auf Augenhöhe!
Bislang ist es – wie die Ergebnisse der Studie zeigen – den Frauen-MSOs nicht gelungen, in die Mitte gesellschaftlicher Institutionen vorzudringen. Sie arbeiten vor allem mit KooperationspartnerInnen aus dem Migrationsbereich zusammen: Am häufigsten wird der Kontakt mit Integrations- bzw. Ausländerbeauftragten (66%), Wohlfahrtsverbänden (60%), Ausländer- bzw. Integrationsbeiräten (59%) sowie Migrationsberatungsstellen (57%) gesucht, auch Ämter bzw. Behörden wie das Jugendamt oder die Ausländerbehörde spielen eine wichtige Rolle (54%). Jeweils etwa die Hälfte der MSOs hat Kontakt zu anderen gemischten MSOs sowie zu anderen Frauen-MSOs (je 47%), weitere 44% pflegen den Kontakt zu Frauenorganisationen von deutschen Frauen ohne Migrationshintergrund. Kaum eine Rolle spielen Wirtschafts- und Unternehmensverbände bzw. Kammern und Sportvereine. Stärker als zu anderen (gemischten) MSOs besteht der Kontakt zu (halb-)staatlichen bzw. staatlich finanzierten Stellen der Migrationsarbeit.

In diesem Zusammenhang ist die Form der Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung, da ein solcher Kontakt zum einen der Professionalisierung dient, zum anderen aber auch eine Abhängigkeit hinsichtlich des Zugangs zu Ressourcen bedeuten kann. Die Initiative für eine Kooperation geht in der Mehrheit von den Frauen-MSOs aus. Nur in etwa einem Fünftel der Fälle kam der/die KooperationspartnerIn auf die MSO zu. Mit Blick auf die Form der Zusammenarbeit ist zu erkennen, dass es sich bei über der Hälfte vor allem um punktuelle Kontakte handelt. Immerhin etwa ein Drittel der Kooperationen beinhaltet zwar keinen Kooperationsvertrag, dafür jedoch zumindest regelmäßige Absprachen. Nur in weniger als 10% der Fälle existiert ein Kooperationsvertrag, der zudem den Zugang zu finanziellen Ressourcen ermöglichen kann.

Frauen-MSOs wollen mit Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft und hier insbesondere auch mit Frauen bzw. Frauenorganisationen kooperieren und dies nicht nur zu migrationsspezifischen Themen. Um tatsächlich eine (interkulturelle) Öffnung der Mehrheitsgesellschaft anzustoßen, könnte auf kommunaler bzw. regionaler Ebene ein verstärkter Kontakt aktiv von den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft mit den Frauen-MSOs gesucht werden. Hinsichtlich der Wahrnehmung von MSO innerhalb der Zusammenarbeit wäre es zudem wichtig, auch auf politischer Ebene ernst genommen und entsprechend auch in die Umsetzung politischer Vorhaben eingebunden zu werden.

Endnoten

(1) Vgl. Latorre/Zitzelsberger 2006
(2) Vgl. Thränhardt 2005:31; Schwenken 2000:154
(3) Vgl. dazu die „Elwert/Esser-Kontroverse“ (Elwert 1982; Esser 1986) sowie die Diskussion um die Entstehung ethnisch segregierter Stadtviertel in deutschen Städten (siehe z.B. Heitmeyer/Dollase 1998; Diehl/Urbahn/Esser 1998; auch Hunger 2002; Fijalkowski/ Gillmeister 1997; Sen/Thränhardt 1999).
(4) Vgl. Ministerium für Arbeit und Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport NRW (Hrsg.) (1999): Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW. Wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Düsseldorf.
(5) Vgl. dazu Sánchez-Otero 2003, Vermeulen 2005, Diehl 1998, Schwenken 2000
(6) Schwenken 2000: 133
(7) Vgl. Thränhardt 2005:33
(8) Vgl. Autonomes Frauenhaus Hannover 2009, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 2008:27 ff. , Latorre/Zitzelsberger 2006

Literatur

  • Autonomes Frauenhaus Hannover (2009): Warum Quote? (Zugriff am 10.12.2009).
  • Diehl, C./Urbahn, J./Esser, H. (1998): Die soziale und politische Partizipation von Zuwanderern in der
    Bundesrepublik Deutschland. Hrsg.: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.
  • Elwert, G. (1982): Probleme der Ausländerintegration. Gesellschaftliche Integration durch Binnenintegration. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 34/1982. 717-734.
  • Esser, H. (1986): Ethnische Kolonien: "Binnenintegration" oder gesellschaftliche Integration? In: Hoffmeyer-Zlotnik, J. (Hrsg.): Segregation und Integration. Die Situation von Arbeitsmigranten im Aufnahmeland. Mannheim, 106-117.
  • Fijalkowski, J./Gillmeister, H. (1997): Ausländervereine – ein Forschungs7.Bericht des Bundes über die Funktion von Eigenorganisationen für die Integration von Zuwanderern in eine Aufnahmegesellschaft – am Beispiel Berlins. Berlin.
  • Heitmeyer, Wilhelm/Dollase, Reiner (Hrsg.) (1998): Die bedrängte Toleranz. Ethnisch-kulturelle Konflikte, religiöse Differenzen und die Gefahren politischer Gewalt. 2. Auflage. Frankfurt am Main.
  • Hunger, U.(2002): Von der Betreuung zur Eigenverantwortung. Neuere Entwicklungstendenzen bei Migrantenvereinen in Deutschland. Working Paper
    Latorre Pallares, P./ Zitzelsberger, O. (2006): Selbstorganisationen von Migrantinnen – ihre Bedeutung für die Partizipation in der Einwanderungsgesellschaft. Darmstadt. Projektbericht.
  • Ministerium für Arbeit und Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport NRW (Hrsg.) (1999): Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in NRW. Wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Düsseldorf.
  • Sanchez-Otero, J. (2003): Der Beitrag von sozialer Netzwerkbildung bei Migranteneltern; des Beispiel der spanischen Elternvereine. Landeszentrum für Zuwanderung NRW, Solingen.
  • Schwenken, H. (2000): Frauen-Bewegungen in der Migration. Zur Selbstorganisierung von Migrantinnen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Lenz, Ilse; Mae, Michiko; Klose, Karin (Hrsg.): Frauenbewegungen weltweit. Aufbrüche, Kontinuitäten, Veränderungen. Opladen, 133-166.
  • Sen, Faruk/Thränhardt, Dietrich (1999): Handbuch zu den Selbstorganisationen von Migrantinnen in NRW. Erstellt im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales, Stadtentwicklung und Sport NRW vom Zentrum für Türkenstudien und dem Institut für Politikwissenschaft. Münster, Essen.
  • Thränhardt, D. (2005): Spanische Elternvereine schaffen Sozialkapital: Selbsthilfe-Netzwerke und Integrationserfolg in Europa. In: Weiss, Karin/Thränhardt Dietrich (Hg.), SelbstHilfe. Wie Migranten Netzwerke knüpfen und soziales Kapital schaffen, Freiburg im Breisgau: Lambertus,S. 93-110.
  • Reinecke, M./ Stegner, K. (Rambøll Management Consulting) Zitzelsberger, O./Latorre, P./Kocaman, I. (TU Darmstadt) (2010): Migrantinnenorganisationen in Deutschland – Abschlussbericht. Erschienen bei: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Niestetal.

Eine längere Version dieses Artikels erschien im MAGAZIN erwachsenenbildung.at (Nr. 10/2010).

Über die Autorinnen

Olga Zitzelsberger, Dr. phil., Erziehungswissenschaftlerin und Soziologin, arbeitet alas wissenschaftliche Mitarbeiterin des Praxislabors am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der TU Darmstadt.
Patricia Latorre Pallares, Dr. phil., - Kulturwissenschaftlerin, ist Leiterin des Interkulturellen Büros der Stadt Darmstadt.
Iva Kocaman, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitsbereichs Berufspädagogik am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der TU Darmstadt.

 

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Olga Zitzelsberger (oben), Patricia Latorre Pallares (Mitte) und Iva Kocaman (unten)