Interview mit Jasmin Ramadan
2006 erhielten Sie den Förderpreis für Literatur der Hamburger Kulturbehörde. Ihr Debutroman „Soul Kitchen“ wurde 2009 veröffentlicht. Ihre Kurzgeschichten sind in verschiedenen Medien veröffentlicht worden und Sie haben einen Beitrag zum „Manifest der Vielen“ geschrieben. Wie genau hat Ihre Karriere angefangen oder wann wussten Sie, dass Sie Autorin werden würden?
Als Kind dachte ich mir andauernd Geschichten aus, schon bevor ich schreiben konnte. Ich erzählte sie mir selbst, wenn ich abends im Bett lag oder mit meiner Familie beim Essen saß. Als ich schreiben gelernt hatte, begann ich, Geschichten aufzuschreiben und sie anderen Kindern vorzulesen. Im Kindergarten sagte ich mal, bei einem Elterntag auf einer Bühne, ich wolle Schriftstellerin werden – das ist überliefert, da ich mit meinen Milchzähnen stark lispelte und das Wort »Schriftstellerin« somit wohl besonders lustig aussprach. Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Ich schrieb ab und zu Tagebuch und las es dann sofort anderen vor. Mir war dabei stets wichtig, dass die Darstellung meiner Erlebnisse interessant war und nicht unbedingt zu 100 Prozent der Realität entsprach. Meine Jugend verlief schwierig und chaotisch, die Zeugnisse waren oft voller Fünfen und Sechsen. Ich blieb sitzen, schmiss die Schule schließlich und stellte ziemlich viel Unsinn an. Mit 19 meldete ich mich wieder an und mit 23 machte ich Abitur. Irgendwann während des Studiums war dann endlich genug Ordnung in meinem Kopf, um meinen ersten Roman zu schreiben.
Sie sind studierte Philosophin und Germanistin. Arbeiten Sie neben Ihrem kreativen Schreiben auch in der Wissenschaft oder lassen Sie Ihren akademischen Background in das kreative Schreiben mit einfließen?
Ich studierte zwar 16 Semester, machte aber keinen Abschluss! Als ich meinen ersten Roman fertig hatte, wurden gerade Studiengebühren eingeführt. Meine Überlegungen, es endlich ernsthaft als Schriftstellerin zu versuchen, wurden dadurch beschleunigt. Seminare hatte ich mir aber ohnehin immer eher wild nach meinen Interessen ausgesucht. Ich habe nie auf einen Abschluss hin studiert, ich wollte mich bloß mit etwas beschäftigen, das zu meinem eigentlichen Ziel passte und das meinen Kopf im Sinne meiner Interessen auf Trab hielt. In diesen beiden Fächern dreht sich ja alles um Sprache. Autodidaktisch trieb ich das fiktionale Schreiben voran. Ich komme nicht aus einem Bildungshaushalt, meine Mutter ist Chemielaborantin, mein Vater Offizier a. D. Es gab nicht viel Geld, ich arbeitete jahrelang in der Gastronomie, zum Kulturbetrieb hatte ich keinen Zugang und lange nicht mal Interesse daran. Erst, als ich mich bewusst für meinen Beruf entschied, setzte ich mich damit auseinander.
Für mich hat Akademisches in der Literatur nichts zu suchen, zumindest will ich niemanden etwas lehren. Schon gar nicht gezielt. Was ich außerhalb der Uni gelernt habe, scheint mir dienlicher für einen Roman, für das spätere Erlebnis der Leser. Wenn ich etwas zu lernen wünsche, lese ich selber ja auch keine Romane.
»Soul Kitchen« ist kommerziell und zusammen mit dem Film auch ein Mainstream-Erfolg gewesen. Wie sehr beeinflusst das Ihre nachfolgenden Arbeiten? Ist der Erwartungsdruck höher oder erlaubt Ihnen dieser Erfolg im Gegenteil mehr Freiheiten und eröffnet neue Möglichkeiten?
Mich interessiert immer nur, was ich grad mache. Wenn ich an einem Text arbeite, denke ich nur an diesen Text. Der Rest ist mir zunächst völlig egal. Ich habe auch ohne Veröffentlichung ständig und genauso an meinen Texten gearbeitet wie jetzt. »Soul Kitchen« musste ich allerdings in wenigen Monaten schreiben, ein Schreibtrip war das. Ich freue mich, dass ich nun mehr Zeit für meinen nächsten Roman habe.
Bei meinen ersten Versuchen, einen Verlag zu finden, musste ich mir teilweise anhören, schön, aber es würde das Migrationsthema fehlen. Name und Aussehen schienen wichtiger als meine Texte, dabei bin ich allein mit meiner deutschen Mutter aufgewachsen, ich bin nicht muslimisch, kann mit Religion überhaupt nichts anfangen und ich spreche kein Arabisch. Mit »Soul Kitchen« gab es dann das Thema. Allerdings habe ich mir das nicht von einem Verlag aufdrücken lassen, sondern von meinem Kumpel Fatih. Damit kann ich sehr gut leben. So bin ich eben bekannt geworden und jetzt mache ich mein Ding.
»Soul Kitchen« ist geprägt von Chaos. Der Held versinkt fast ständig im eigenen Leben oder wird von den Geschehnissen überrumpelt. Einige sagen, Zinos sei ein liebenswerter Held. Mich persönlich macht er wahnsinnig mit seiner Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Wie stehen Sie zu Ihren Figuren oder wie viel (Auto)biografisches steckt in so einem Roman?
Bei diesem Roman half mir sehr, dass ich selber lange nicht wusste, wohin mit mir und ich mich in meiner Jugend mit allen Entscheidungen ziemlich allein gelassen fühlte.
Wie schätzen Sie die Lage als junge weibliche Schriftstellerin in Deutschland ein? Welche strukturellen Hürden und Einschränkungen gibt es (immer noch)?
So wie überall – egal ob Mann oder Frau – ist es vermutlich leichter, mit Beziehungen und einem entsprechenden Elternhaus den Fuß in die Tür zu kriegen. Alles Weitere sind individuelle Geschichten, Glück spielt eine Rolle. Die Vorraussetzung für Qualität und Erfolg ist, neben Talent, natürlich Disziplin, Leidensfähigkeit. Lebensfreude schadet auch nicht. Hätte ich es als Mann leichter gehabt? Werden Schriftstellerinnen diskriminiert? Ich habe mich nie damit beschäftigt. Ich hatte immer ganz andere Probleme.
Bei meiner Recherche habe ich so gut wie alle im Netz verfügbaren Rezensionen und Buchbesprechungen gelesen. Besonders aufgefallen ist dabei der Titel „Geschichte mit Migrationshintergrund“. Wissen Sie, was dieses Label letztlich bedeutet und warum es in Ihrer Arbeit „gefunden“ wird?
Na klar, die Hauptfigur ist Grieche, das reicht. Dabei ist es für die Geschichte eigentlich relativ egal. Man könnte problemlos einen deutschen Jungen aus Zinos machen, wenige inhaltliche Korrekturen würden reichen.
Auf der Suche nach Infos zu Ihnen tauchen immer wieder verschiedenste Labels auf: jung, Frau, Mutter Deutsche, Vater Ägypter...Welche Funktion haben diese Labels im Literaturbetrieb Deutschlands und fühlen Sie sich dadurch eingeschränkt, auf bestimmte Rollen festgelegt oder reizt es Sie sogar damit zu spielen und sich bewusst bestimmten Klischees entgegenzustellen?
Jung? Witzig. Ist man als Schriftstellerin mit 37 jung? Da bin ich froh, dass ich nicht Leistungssportlerin oder arbeitslose Biochemikerin bin. KünstlerInnen und PolitikerInnen haben es wirklich gut in Bezug auf diese Altersschubladen.
Nein, diese Ausländer-Klischees reizen mich nicht, sie öden und widern mich an. Mich verstört es immer wieder, dass es für sehr viele Deutsche wesentlich ist, deutsch auszusehen und einen deutschen Namen zu tragen. Ich bin es auch leid, immer gleich meine Familiengeschichte erzählen zu müssen. Ich spreche kein Arabisch, da mein Vater, als ich fast noch ein Baby war, auf und davon ist. Das ist ja im Grunde eine sehr persönliche Information. Ich fühle mich schon mein ganzes Leben wie im Karneval, als Ausländerin verkleidet. Ich kenne mich also sehr gut mit Rassismus in Deutschland aus. Ich habe Rassismus sogar in meiner eigenen deutschen Familie erlebt. Zum Thema Migration habe ich keine Insiderinformationen, ich habe nämlich keine Migration oder Integration erlebt. Und für mich spielt es auch keine Rolle, woher die Eltern meiner Freunde kommen, obwohl mein Freundeskreis schon immer bunt gemischt war. Diese Herkunftsgeschichten spielen immer eine übermäßig große Rolle für Menschen, die sich privat nur oder fast nur unter „rein“ Deutschen bewegen.
Haben Sie (literarische) Vorbilder? Inwiefern haben diese Ihr Schreiben beeinflusst?
Die Beatliteratur gefiel mir mit Anfang zwanzig sehr. Auch Hemingway, Nabokov, Philip Roth und Bret Easton Ellis habe ich in dieser Zeit für mich entdeckt. Dann haben mich die ersten Bücher von Houllebecq beeindruckt. Ich bevorzuge einen nüchternen Stil, mag das Schräge, Kaputte und das Tragischkomische. Ich mag es nicht elegisch, geschwallert, verschnörkelt, und mit Metaphern kann man mich jagen, selbst wenn eine sehr gut gelungen ist, verspüre ich Abneigung. Falls es Metaphern in meinen Texten gibt, dann aus Versehen. Ich mag keine Romane, in denen Schriftsteller vorkommen, in Filmen hingegen gefällt mir das, z. B. „The Wonderboys“ ist großartig. In Filmen stören mich Autisten und Sportlerfiguren.
Filme haben mich schon immer sehr zum Schreiben angeregt. Ich mag z. B. Todd Solondz, Tim Burton, Woody Allen, Claude Sautet, Chabrol, Jim Jarmusch, manchmal Haneke. Anfang zwanzig beeindruckte mich der Kitsch, die Theatralik und Leidenschaft in den Filmen Almodovars. Ich liebe den Kitsch in der Musik, eine platte Melodie groß produziert, wie bei Rihanna, Beyoncé und so, haut mich um. In der Literatur gefällt mir das nur mit mehr Distanz und Ironie. Aber eigentlich steckt auch in der Popmusik oft viel Ironie.
Können Sie uns einen Vorgeschmack auf Ihr nächstes Buch geben? Worum geht es und wann können wir das Werk in den Händen halten?
Das Buch erscheint im Februar 2012 bei Tropen. Der Titel wird »Das Schwein unter den Fischen« lauten. Der Verlag wird das Buch – und ich finde, das trifft den Kern - folgendermaßen vorstellen:
Hamburg, rund um den elterlichen Imbiss: Eine exaltierte lesbische Tante, eine dauerbetrunkene, bauchtanzende Stiefmutter, ein einfach gestrickter, aber ziemlich bauernschlauer Mentholzigaretten rauchender Vater, und eine sich an Zwiebelmett zu Tode fressende Katze namens Friedrich: Celestine, genannt Stine, hat es nicht leicht, sich in dieser sonderbaren Familie ihren Weg zu bahnen. Doch sie unternimmt den abenteuerlichen Versuch, wenn nicht sich selbst, so doch zumindest eine Perspektive zu finden.
Nirgends schmeckt das Zwiebelmett so gut wie bei Reiner Fehrmann. Nach dem Tod seiner geizigen Mutter, die sich beim Bohnern der spiegelglatten Treppe das Genick brach, erfüllte sich Reiner seinen Traum vom eigenen Imbiss: Er eröffnete gemeinsam mit seiner großen Liebe Ramona, Tankstellenpächtertochter, Dauersäuferin und passionierte Bauchtänzerin, seine eigene Mett- und Frittenbude. Inmitten dieser Verhältnisse wächst Celestine, genannt Stine, auf, deren Mutter, ein ehemaliges Au Pair aus Frankreich, sich kurz nach der Geburt aus dem Staub gemacht hat und Stine bei ihrem kauzigen Vater im schrägen Hamburger Unterklassen-Milieu zurückgelassen hat. Stine liebt ihren Vater. Doch sie ist klüger und gesitteter als ihre durchgeknallte Familie und will nicht im Imbiss versauern. Und so beginnt sie nach Möglichkeiten zu suchen, ein Leben unabhängig von ihren sonderbaren Angehörigen zu führen.
Wenn Sie die Wahl hätten, welche Frage sollte Ihnen endlich mal gestellt werden - und was ist Ihre Antwort darauf?
Ich freue mich grundsätzlich, etwas gefragt zu werden, das mich zum Nachdenken anregt. Das war als Kind schon so.
Das Interview führte Julia Brilling im Juli 2011.
Jasmin Ramadan - Bild: Ali Yavani
„Soul Kitchen”
Leseprobe von Jasmin Ramadan (weiter)
Über Jasmin Ramadan
(weiter)