„...wir sind nur zweisprachig“ – Kinder und Jugendliche als Dolmetscher im schulischen Kontext

von Vera Ahamer

In Österreich, wie auch in anderen Einwanderungsländern, gehört mehrsprachige Kommunikation zum Arbeitsalltag öffentlicher Institutionen. Charakteristisch für die damit einhergehende Sprachvermittlung in österreichischen Ämtern, Krankenhäusern oder etwa Schulen ist, dass in Ermangelung von (semi-)professionellen bzw. „kommunalen“ Dolmetschangeboten häufig auf die „Hilfe“ von Lai_innen zurückgegriffen wird. Gedolmetscht wird dabei nicht nur von Erwachsenen (z.B. Reinigungs- oder Pflegepersonal in Krankenhäusern). Auch Kinder, die sich gerade im Zweitspracherwerbsprozess befinden oder durch ihre schulische Sozialisierung die Sprache der „Aufnahmegesellschaft“ erlernt haben, kommen mitunter in die Situation, für ihre Eltern bzw. Vertreter_innen genannter Institutionen zu dolmetschen. Diese Praxis wurde in der Dissertation „Wenn nicht ich, dann meine Kinder“(1) untersucht, auf der auch folgende Ausführungen beruhen. 

Einzelfälle oder strukturell bedingter Usus?
Sofern überhaupt Kommunikationsproblemen in diesen Bereichen (mediale) Aufmerksamkeit zuteil wird, geschieht dies höchstens, wenn diese zu unmittelbaren gravierenden Folgen, etwa im medizinischen oder juridischen Kontext führen. Eine der primären Fragestellungen der Untersuchung lautete somit: Handelt es sich bei Kommunikationsproblemen in öffentlichen Institutionen um Einzelfälle oder treten diese dermaßen gehäuft auf, dass von strukturell bedingten Mängeln die Rede sein kann? Und falls dies zutrifft, in welchem Ausmaß werden wiederum Kinder und Jugendliche zu „Dolmetschdiensten“ herangezogen? Werden letztere doch in diesem Zusammenhang kaum erwähnt und auch in der Forschung haben sich in Österreich bislang erst einige wenige Studien eingehend mit dem Dolmetschen durch Minderjährige (Pöchhacker 2000, Rajič 2006) beschäftigt, wonach jedoch mitnichten von einigen wenigen Ausnahmefällen die Rede sein kann. (2)

Dieser Umstand findet auch bei Akteuren aus der Praxis seine Bestätigung. So kommt etwa eine Studie des Boltzmann Institutes für Menschenrechte (Evrensel & Hobart 2004) über Migration im Österreichischen Roten Kreuz zu dem Schluss dass „[d]er Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Dolmetscher_innen sehr häufig [ist], da diese die deutsche Sprache meist rasch erlernen.“ Aus dem Spitalsalltag ist zu erfahren, dass zur „Überwindung der Sprachbarrieren [...] im Spitalsalltag hauptsächlich Angehörige, vor allem die eigenen Kinder und Reinigungspersonal herangezogen [werden]“ (Wimmer & İpsiroğlu, 2001: 617). Psychologen wiederum weisen auf die psychischen Folgen des Dolmetschens bei Kindern sowie Eltern hin (vgl. Kuljuh, 2003).

Inwieweit „Mehrsprachigkeit“ dazu führt, für Erwachsene dolmetschen zu müssen und in welchem Ausmaß mehrsprachig sozialisierte Kinder und Jugendliche dies tatsächlich tun, war ausgehend von diesen - zunächst rein quantitativen - Fragestellungen Gegenstand der empirischen Untersuchung. Diese basiert auf Interviews mit 42 in Wien und Vorarlberg (dem westlichsten Bundesland Österreichs) lebenden Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 22 Jahren, welche zunächst nach dem Kriterium „mehrsprachig“ (und nicht aufgrund eventueller Dolmetscherfahrungen) zum Gespräch eingeladen wurden. Dabei stellte sich heraus, dass bis auf einen Jugendlichen sämtliche Befragten bereits Erfahrungen mit Übersetzen oder Dolmetschen gemacht hatten, einige davon sogar häufig bzw. regelmäßig für (in erster Linie) ihre Mütter, aber auch Verwandte, Bekannte der Familie, Kolleg_innen, Freund_innen oder auch Unbekannte übersetzen/dolmetschen.

Was also die Quantität betrifft, so kann aus dem Sample unter Berücksichtigung der biographischen Hintergründe der Befragten der Schluss gezogen werden, dass bilinguale Jugendliche mit den Erstsprachen Türkisch, B/K/S, Tschetschenisch und Urdu aus dem Arbeitermilieu oder mit Flüchtlingshintergrund mit hoher Wahrscheinlichkeit Dolmetscherfahrungen im öffentlichen institutionellen Kontext machen.

Welche Probleme können dabei auftreten?
Eine weitere Fragestellung der Untersuchung richtete sich auf die eventuell mit dieser Praxis verbundenen negativen Implikationen. In diesem Zusammenhang wurde von den Befragten eine Reihe von Problemen angesprochen, die sich auch mit Ergebnissen mehrerer Studien aus dem angloamerikanischen Raum (vgl. Chao 2001, Hall 2001, Faulstich Orellana 2006) decken. Eine Hürde bilden sprachliche, insbesondere lexikalische Anforderungen, die den Dolmetschprozess wesentlich erschweren können: So sprachen die Befragten beispielsweise von „irgendein[em] Wort, wo sehr viel Meinung drin steht“, „komplizierte[n] Sachen“, „die ganzen Fremdwörter“, „Fachchinesisch“ oder „Paragraphen“, die ihnen Schwierigkeiten bereiten.

Sich allein auf die sprachlichen Probleme, also lediglich auf die Ebene der Kommunikationssituation zu beschränken wäre allerdings ein allzu reduktionistischer Ansatz und würde weitere Folgen ausblenden. So werden etwa dolmetschende Jugendliche durch die ihnen übertragene Verantwortung oft in eine Erwachsenenrolle gedrängt, was zu einer Rollenumkehr innerhalb der Familie und damit einhergehenden Konflikten führen kann: „Schulanmeldung habe ich selbst machen müssen“, „die Mama ist schon mitgegangen, aber ich habe es selber machen müssen“, „eigentlich bräuchte ich keine Eltern dafür“ , „das ist ein komisches Gefühl, wenn deine eigene Mutter auf dich angewiesen ist“, lauteten diesbezügliche Aussagen. Ein weiterer Faktor ist der damit verbundene Zeitaufwand auf Kosten der Freizeit („Ich würde gerne Freunde, Freundin treffen“), der Arbeitszeit („ich muss freinehmen, wenn ich [dolmetschen] gehen muss“) oder des Schulunterrichts. Werden besonders sensible Inhalte gedolmetscht, etwa medizinische Diagnosen wie Krebs oder fremdenpolizeiliche, finanzielle Angelegenheiten, so besteht die Gefahr einer hohen psychischen Belastung. Diese muss aber nicht unbedingt aus dem Gesprächsinhalt resultieren sondern kann allein durch die Gesprächskonstellation bedingt sein. So etwa Scham aufgrund der Exponiertheit („wenn ich unter so vielen Augen bin“, „es ist – unangenehm“), der mangelnden Sprachkenntnisse der Mutter, oder des mangelnden Prestiges der eigenen Erstsprache („Wenn ich so Türkisch rede [beim Dolmetschen] schauen sie immer voll komisch“).

Aufgrund der spezifischen Fachterminologien, deren Komplexität nicht nur den Erfahrungshorizont und das Weltwissen von Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Erstsprache übersteigt, sondern auch deutschsprachigen Erwachsenen Probleme bereiten können oder sogar professionellen Dolmetscher_innen vorangehende Recherchen abverlangen, entsteht auch oft das Gefühl, die Sprachen nicht richtig zu beherrschen.

Weshalb werden diese Risiken in Kauf genommen?
In Großbritannien, Schweden und Australien beispielsweise wurden bereits in den vergangenen Jahrzehnten spezielle Lehrgänge, eigene Akkreditierungsverfahren und ein weitgehend flächendeckendes Angebot von „Community Interpreting“ bzw. „Public  Service Interpreting“ etabliert. Weshalb aber gibt es in Österreich keine vergleichbare Infrastruktur? Wohl kaum wegen des mangelnden Bedarfs.

Zum einen ist dies auf ein fehlendes Bewusstsein im Bezug auf das Dolmetschen an sich sowie die spezifischen Anforderungen in diesen Settings zurückzuführen, obwohl sich  auch hier die notwendigen Grundkompetenzen (Dolmetschtechniken, Terminologie) nicht wesentlich von jenen der professionalisierten Sphäre unterscheiden. Dies wiederum resultiert aus der Fehlannahme, zwei Sprachen zu „beherrschen“ befähige automatisch zum Dolmetschen, insbesondere in diesen „alltäglichen, banalen“ Bereichen. Was bedeutet aber überhaupt „eine Sprache beherrschen“? Es handelt sich um Settings, in die sich mitunter selbst professionelle Dolmetscher einarbeiten, terminologisch vorbereiten müssen, um Inhalte, die auch „Muttersprachler“ vor Verständnisprobleme stellen können. Wodak et al. (1989) zeigen letzteres in der Untersuchung Sprachbarrieren auf und kommen zu dem Schluss, dass institutioneller „Fachjargon“ per se als sozialer Ausgrenzungsmechanismus fungieren kann.

Darüber hinaus sind hier Dolmetscher_innen mit weiteren Herausforderungen konfrontiert, welche sich aus der besonderen Gesprächskonstellation ergeben: So sind Dolmetscher_innen in diesen Settings direkt ins Gespräch miteinbezogen, in diesem Zusammenhang ist sogar die Rede von einem „Trialog“ (Wadensjö 1992). Charakteristisch dafür ist ein Machtgefälle in der hierarchischen Interaktionssituation, innerhalb dessen Dolmetschern eine sehr aktive Rolle zukommen kann und die Lenkung des Gesprächs ermöglicht. Eine mangelnde Reflexion dieses Umstandes kann zu Lasten der Autonomie der Gedolmetschten gehen, im Extremfall sind sie sogar aus dem Gespräch ausgeschlossen und damit in ihrer Entscheidungskompetenz eingeschränkt: Etwa wenn Arzt und dolmetschende Person über sie sprechen; oder wenn ihnen im Gespräch mit Lehrer_innen wichtige Informationen in Bezug auf den Schulverlauf vorenthalten werden. Umgekehrt können die Dolmetschenden vor einem Loyalitätsdilemma stehen. Nun ist es durchaus möglich, dass sich Lai_innen im Zuge jahrelanger Praxis die für den Umgang mit dieser Herausforderung notwendigen Kompetenzen durch „Learning by doing“ aneignen. Doch um dies nicht dem Zufall zu überlassen, wären oben erwähnte professionelle Strukturen unabdingbar.

Neben diesen Fehlannahmen kommt ein weiterer Faktor zum Tragen: Die Maxime des gegenwärtigen Integrationsdiskurses in Österreich lautet „Deutsch lernen“ bzw. „Deutsch beherrschen“. Gemäß Integrationsvereinbarung haben sich Immigrant_innen in „Eigenverantwortung“ den kommunikativen Herausforderungen zu stellen und laut „Integrationsvereinbarung“ mittels Spracherwerb auf die „Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben“ sowie „Bürokratiebewältigung“ vorzubereiten. Die Einrichtung von Dolmetschdiensten erweist sich bei näherer Betrachtung und dem Vergleich mit der Situation in anderen Einwanderungsländern als Variable der jeweiligen Sprachen- und Einwanderungspolitik. In Australien etwa ging die Einrichtung von Dolmetschdiensten für Immigrant_innen mit einer Wende in der Minderheitenpolitik einher. In Österreich war der Status autochthoner Minderheiten lange keine Selbstverständlichkeit, nicht zu sprechen von den Sprachen der Immigranten etwa gegenwärtig im Zusammenhang mit dem äußerst umstrittenen muttersprachlichen Unterricht – sowie dem „Community Interpreting“.

Mehrsprachige Kommunikation in der Schule
Wie die oben angesprochenen Aspekte in der Praxis zur Geltung kommen, soll im Folgenden anhand eines konkreten Bereiches veranschaulicht werden, nämlich der Schule als Ort mehrsprachiger Kommunikation. Neben den 42 Jugendlichen wurden neun Lehrpersonen bzw. Schuldirektoren zur Praxis des Dolmetschens durch Kinder befragt. Die hier zitierten Interviewauszüge stehen repräsentativ für daraus ableitbare Tendenzen auf drei Ebenen: jener der Gesprächssituation und den unmittelbar für die Beteiligten resultierenden Implikationen; jener des Community Interpreting; sowie der Integrations- und Sprachenpolitik bzw. des gesellschaftlichen Diskurses.

Die von den Jugendlichen genannten Dolmetschsettings umfassen ein breites Spektrum und es blieb so gut wie keine öffentliche Institution unerwähnt. An erster Stelle wurden offizielle Briefe und Formulare genannt (23 mal), an zweiter Stelle stehen Arztbesuche (fast die Hälfte der Befragten). Als weitere Settings wurden genannt Bank, Finanzamt, Arbeitsamt, Krankenkasse und Sozialamt, sowie der eigene Arbeitsplatz oder der Mutter. Sogar in Bereichen, die als professionalisiert gelten, kommen den Angaben zweier Befragter zufolge auch Minderjährige als Dolmetscher zum Einsatz, nämlich bei Gericht. Der Bereich Schule gehört zu den am häufigsten genannten. Mit 18 Befragten hat hier fast die Hälfte der Jugendlichen Erfahrungen als Dolmetscher gemacht, wobei jüngere Geschwister wie auch sie selbst Gegenstand des Eltern-Lehrer-Gesprächs bildeten.

Auf den ersten Blick scheinen dolmetschende Schüler_innen aufgrund ihrer „Gatekeeper-Funktion“, also der potenziell möglichen Einflussnahme und Steuerung des Gespräches im Vorteil zu liegen. Dies als „Manipulation“ zu bezeichnen hieße allerdings, ihnen Macht zuzusprechen, welche durch die daraus resultierenden Konsequenzen sich in weiterer Folge ins Gegenteil kehrt. Tatsächlich berichteten mehrere Befragte offen von dieser „Technik“, welche, neutral betrachtet, einer hohen sprachlichen Leistung gleichkommt: Eine Aussage verstehen, modifizieren und schließlich in einer glaubhaften Art und Weise in der Zielsprache wiedergeben. „Soll ich ehrlich sein? Ich habe gelogen“ oder „Ich erkläre dem Vater, dass alles gut ist, dann habe ich nach dem Elternsprechtag zu Hause keine Probleme gehabt“ lauteten zwei diesbezügliche Aussagen. Sowohl Eltern als auch Lehrern bleibt dadurch der Zugang zu wichtigen Informationen verwehrt, was langfristig negative Auswirkungen auf den Bildungsverlauf zeitigen kann. Ein befragter kurdischsprachiger Jugendlicher, der sich im Nachhinein, nach Absolvierung der Schulpflicht der Konsequenzen der „Glättung“ bewusst geworden war, gab an, nun für seine kleinen Geschwister zu lügen. Allerdings in eine andere Richtung: Er dolmetscht nun „noch schlimmer“, etwa indem er sagt „sie seien faul“, denn „ich habe bessere Dinge wollen für meinen Bruder, dann wird es noch was“. Aber auch andere Faktoren können den Eltern-Lehrer-Kontakt erschweren: Sprachliche Schwierigkeiten, etwa Formulare („Bemessungsgrundlage für Nachmittagsunterricht“) oder Elternbriefe, die „zu komplex, zu lang“ sind und „man weiß nicht, was kommt real an“, so zwei Lehrer_innen; Scham aufgrund der Exponiertheit in der Gesprächssituation („Ich fühle mich komisch“, „Prickeln im Bauch“, „unter so vielen Augen“); Scham für die Sprachkenntnisse der Eltern; Scham für die finanzielle Situation, familiäre Krisen, etc. wodurch der Schule wichtige, für die pädagogische Arbeit relevante Hintergrundinformationen etwa zur Biographie der einzelnen Schüler_innen (z.B. prekäre Lebenssituationen in Flüchtlingsfamilien) vorenthalten werden. Aber auch der Zeitaufwand für Dolmetscheinsätze außerhalb der Schule kann der schulischen Leistung abträglich sein,  All diese Faktoren können die Einbeziehung der Eltern in schulische Fragen erschweren oder sogar unmöglich machen, was im Extremfall und letzter Konsequenz „natürlich auch einen Systemaustritt bedeuten“ kann, „dieses Kind wird jetzt austreten und zum Hofer gehen und dort Regale putzen“, so zwei Lehrpersonen.

Dolmetschen ist nicht gleich Dolmetschen – geschützter und ungeschützter Kontext.
Bisher war die Rede von Problemen und Risiken. Dies muss aber nicht immer der Fall sein und manche der befragten Jugendlichen konnten dem Dolmetschen auch durchaus Positives abgewinnen: „Es hat mir schon viel gebracht“, „man lernt immer etwas Neues dazu“, „am meisten habe ich gelernt, als ich viel sprechen, also übersetzen musste.“ Daraus abzuleiten, Dolmetschen sei nützlich für den Spracherwerb und somit ein ideales „Übungsfeld“, wäre allerdings angesichts der oben skizzierten Probleme ein Fehlschluss. In der institutionellen Sphäre, dem „ungeschützten“ Kontext, überwiegen tendenziell die Nachteile, weshalb positive Folgewirkungen keineswegs zur Rechtfertigung dieser Praxis herangezogen werden dürfen. Unter anderen Vorzeichen kann hingegen das Dolmetschen sehr wohl von Nutzen sein, nämlich in einem „geschützten“ Umfeld, in einer ungezwungenen, vertrauten Atmosphäre, in der Mehrsprachigkeit als Kompetenz wahrgenommen und gefördert wird: „Es kommt darauf an, was gedolmetscht wird [...] Am Tag der offenen Tür führt das Kind die Eltern durchs Haus und übersetzt, das fällt dann auch positiv auf die Schule zurück. In solchen Situationen nimmt das dem Gespräche die Strenge“, so ein Schuldirektor. Ähnlich lautet die Einschätzung einer weiteren befragten Lehrperson: „Wenn es um Fakten geht, Sportwoche und so, das machen sie gerne, aber Sprechtagsdinge, das nicht“. Auch aus den Aussagen der Jugendlichen geht hervor, von welcher Bedeutung Kontext und Gesprächsinhalt für Dolmetscherfahrungen sind. Eine sehr erfolgreiche Schülerin berichtete „für mich war das lustig, die Lehrer haben sich gefreut, wenn ich mitgekommen bin.“ Auch das Dolmetschen unter den Schüler_innen geschieht unter gänzlich anderen Bedingungen: „Das ist eine andere Ebene, da begegnet man sich auf Augenhöhe, da wird nichts vermischt.“ Besonders deutlich wird dieser Widerspruch angesichts des paradoxen Umstandes, wonach gerade jene Jugendlichen, denen der Gebrauch der Erstsprache an der Schule verboten wurde, immer wieder an derselben Schule dolmetschen mussten: „Wenn ich Türkisch geredet habe, musste ich im Kämmerchen Strafe schreiben.“

Dolmetschdienste – die einzige Alternative?
Befragt nach der Alternative, Dolmetschdienste für die genannten Bereiche einzurichten, wurde dies sowohl von den Jugendlichen als auch von den Lehrer_innen eindeutig bejaht – wenn auch mit Einschränkungen. So wurde von ersteren mitunter die Vertrauensfrage gestellt und die Befürchtung geäußert, professionelle Dolmetscher_innen könnten sich auf die Seite der Institutionen stellen. Auch von den Lehrpersonen wurde diese Alternative prinzipiell als wünschenswert und notwendig betrachtet, dort, wo bereits ein vergleichbares Angebot besteht (3), wird dieses auch genutzt. Gleichzeitig wurde allerdings betont, dass Dolmetschen im schulischen Bereich zwar eines, aber nicht das einzige Instrument für einen guten Eltern-Lehrer-Kontakt darstellt. Als mindestens so wichtig wurde mehrfach der Umgang mit Mehrsprachigkeit an der Schule bewertet sowie die Signalisierung von Kommunikationsbereitschaft, selbst wenn die Eltern „gebrochenes Deutsch sprechen“. „Diese Sprachlosigkeit, die Übersetzung braucht, entsteht zum Teil aus der Spiegelung, du kannst etwas nicht...Es geht darum, will ich überhaupt kommunizieren und wie will ich kommunizieren.“ Als weitere Voraussetzung für die Einbeziehung der Eltern wurden Zusatzangebote genannt, die das fehlende Angebot an Ganztagsschulen kompensieren: „Durch die Nachmittagsbetreuung sind wir nahe an den Eltern, sie dürfen ins Schulgebäude und wir haben einen sehr guten Kontakt zu ihnen.“

Insgesamt stellt die Praxis, Minderjährige in so sensiblen Bereichen dolmetschen zu lassen, aber nach wie vor ein strukturelles Problem dar. Ob Lösungen gefunden werden, ist dabei einzig und allein von Einzelpersonen – Lehrer_innen, Ärzt_innen, Beamt_innen – und deren persönlichem Engagement abhängig. In der Mehrzahl der Fälle scheint aber die Haltung zu dominieren, wonach Kommunikation Sache der Migrant_innen ist. Dem gegenwärtigen öffentlichen und politischen Diskurs zufolge obliegt ihnen die Bringschuld, nämlich „Deutsch zu lernen“. Dass auch während des Spracherwerbsprozesses vielleicht ein Arzt oder Amt aufgesucht, das Kind eingeschult werden muss, wird dabei ausgeblendet. Solange die Maxime der Integrationspolitik „Deutsch“ lautet, werden wohl auch weiterhin Kinder und Jugendliche dolmetschen.

Fußnoten
(1) Publiziert unter dem Titel Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmetscher. Integration durch „Community Interpreting“ im transcript Verlag, Bielefeld 2013.
(2) Im Rahmen der Studie Kommunikation Nichtdeutschsprachiger im Krankenhaus (Pöchhacker 2000) gaben von über 500 befragten Angehörigen des medizinischen Personals 73 Prozent an, es kämen „häufig“ oder „fast immer“ Kinder zum Einsatz. 
(3) Entsprechende Angebote, die von NGO’s initiiert wurden, sind nur punktuell und nicht flächendeckend. Als Beispiel sei hier die Initiative okay zusammenleben genannt, welche eine Basisausbildung für Bilinguale anbietet und semiprofessionelle DolmetscherInnen bei Bedarf auch an Schulen vermittelt. (http://www.okay-line.at)

 

Weiterführende Literatur:

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Vera Ahamer arbeitet derzeit als OeAD-Lektorin an der Nationalen Forschungsuniversität Vysshaya Shkola Ekonomiki sowie der Linguistischen Dobroljubov-Universität in Nizhny Novgorod/Russland