Legalisierungskampagnen: „Der zu realisierende Gewinn ist eine andere Gesellschaft“

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von Frank John

Die Erklärung der Gesellschaft für Legalisierung (gfl) bei ihrem ersten Aktionstag in Berlin am 24. Oktober 2003 endete mit dem eindeutigen und gleichzeitig so ungewöhnlich ultimativ klingenden Satz „Der zu realisierende Gewinn ist eine andere Gesellschaft.“ Der Aktionstag führte von der Ausländerbehörde über den Ver.di– Bundeskongress zur Berliner Charité, ging weiter mit einem Hochzeits-Autokorso zur Revue Papers Royal und endete in einem rauschenden Fest. Einige weitere Aktionstage und Shows folgten. Vier Jahre später stellt sich die Frage, ob und wo dieser Gewinn eingelöst ist.

Die Forderung nach Legalisierung hat in Deutschland eine lange Geschichte, die bereits Anfang der 1970er Jahre von illegal gewordenen ArbeitsmigrantInnen in Frankfurt am Main gestellt wurde. Mit der Parole „Wir sind keine Sklaven!“ gingen sie in einer großen Demonstration auf die Straße. Im Gegensatz zu Spanien, Frankreich oder der Schweiz gewann die Forderung nach Legalisierung  allerdings nie eine annähernd große öffentliche und politische Resonanz.

Rote Ampeln auf den Strassen zur Legalisierung überfahren

Wer noch im Jahre 2003 im deutschen Google Legalisierung eingab, landete zuerst bei diversen Webseiten rund um Cannabis und Hanfanbau. Kein Jahr später verwiesen die Ergebnisse auf die Situation von Migrantinnen in Deutschland und der EU. 2004 markiert auch das Jahr, in dem die katholische Kirche mit dem Forum Illegalität (vgl. den Beitrag von Weihbischof Dr. Josef Voss) eine Lobby für die Rechte der Papierlosen in Deutschland gründete, die am 2. März 2005 mit einem Bischofsbrief das Thema schlagzeilenträchtig auf den Titelseiten der Tagespresse platzierte.

Mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ war auf Bundesebene die Tür für eine umfassende politische Lösung der prekären Statuten von Bürgerinnen ohne Aufenthalts- oder Arbeitspapiere geschlossen (siehe Rechtsgutachten). Nichtsdestotrotz ist die Bundesrepublik ein Land, das Papierlosen Möglichkeiten - und im europäischen Vergleich sogar Vorteile – bietet, da es häufig leichter ist, eine Wohnung zu mieten, flächendeckende Straßenkontrollen in Großstädten sind überschaubar und Massenabschiebungen bisher die Ausnahme. Somit hat sich abseits der Bigotterie des parlamentarischen Diskurses schon seit Jahren ein administrativer Umgang mit der Situation etabliert, der Illegalisierten Chancen bietet, sich niederzulassen; und diese Chancen werden trotz der Rechtsunsicherheit und Verfolgung auch genutzt. (siehe Text von Kanak Attak)

Inzwischen ist durch die Hintertüren der Kommunal- und Gesundheitspolitik die Lebenssituation von Papierlosen auf die Bundesebene zurückgekehrt. Im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen wurde auch ein Prüfauftrag an das Bundesinnenministerium (BMI) aufgenommen, der im Februar 2007 fertiggestellt, bisher aber nicht offiziell veröffentlicht wurde. Parallel dazu ist der Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit und Illegalität (BAG) erschienen, einem Projekt von kirchlichen und Wohlfahrtsverbänden sowie Bürgerrechts- und antirassistischen Gruppen. (vgl. Beitrag vom MediBüro Berlin)

Aus ordnungspolitischen Gründen wird im politischen Diskurs in der Bundesrepublik der Begriff „Legalisierung“ gescheut. Nichtsdestotrotz war im Herbst 2007 der Jahrestag einer kleinen Legalisierung, der sog. Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz (IMK). Sie führte bisher zu folgendem Ergebnis: Von über 100.000 Personen mit Duldung erhielten bisher knapp 20.000 AntragstellerInnen eine Aufenthaltserlaubnis. Weitere 100.000 Personen mit Duldung waren nicht antragsberechtigt, da sie noch keine sechs Jahre im Land lebten, 30.000 werden weiterhin geduldet, knapp 20.000 warten noch auf einen Bescheid, 8.000 wurden – oft wegen fehlender Passpapiere - abgelehnt (Stand, Oktober 2007).

Wir sind unter euch

In der Kampagne für dieses Bleiberecht begann sich eine neue Generation von Aktivistinnen zu etablieren. Hervorgegangen aus lokalen Bleiberechtskampagnen und Initiativen gegen Abschiebungen von Mitschülerinnen oder zur Verteidigung ihrer Eltern, aufgewachsen in den rechtlichen Grauzonen von behördlicher Duldung und Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis fassen Leute in der politischen Arbeit Fuß. Diese neue Generation unterscheidet sich von der, die sich über die Kampagnen für die Erhaltung des Asylrechtes 1992/1993 politisierte. Ausgestattet mit fundierten bildungspolitischen und -pädagogischen Materialien über die Globalisierung von Migration, Rassismus in Europa, transnationale Wertschöpfungsketten und glokale Arbeitsmärkte wird mit den deutschen und europäischen Lebenslügen aufgeräumt.

Bereits die Gesellschaft für Legalisierung (gfl) hatte sich nicht mehr auf die Verteidigung des Grundrechtes auf Asyl konzentriert. Im Gegenteil, sie rückte die Praktiken in den Vordergrund, die das rechtliche Diktat des OFF LIMITS an den europäischen Grenzen zur Kenntnis nehmen und nicht nur trotzdem, sondern deswegen eigene soziale Basen und Praxen etablieren.

Viele MigrantInnen in den Detention- und Refugee-Camps an den Grenzen Europas fliehen in die informellen Netzwerke klandestiner Arbeit der Metropolen Europas, anstatt auf eine Entscheidung ihres Asylantrags zu warten. MigrantInnen, die an den nördlichen Küsten Afrikas auf ihre Passage in schwimmenden Särgen warten, verbrennen ihre Papiere und treten damit in ein Leben ein, dass sie de facto außerhalb jeder Politik der Sichtbarkeit versetzt.

BILD dir deine Meinung – Praktiken der Legalisierung

„Muss Erim sterben, weil seine Eltern arm sind?“, so titelte 2005 die BILD-Hamburg. Eine mazedonische Familie hatte sich mit einer Auslandskrankenversicherung und ihrem todkranken Kind im Gepäck auf nach Deutschland gemacht und lieferte ihr Kind in der Universitätsklinik Eppendorf ein. Ein Hin und Her begann, nachdem prompt klar war, das die Auslandsreisekrankenversicherung das nicht abdeckt, das Touristenvisum abgelaufen und das Kind transportunfähig bzw. in Mazedonien zum Tode verurteilt war. Streitgespräche zwischen Ärzten und Schwestern in der Klinik: “Die sind ja nur gekommen, um ihr Kind behandeln zu lassen“. „Eben. Das würdest du doch für dein Kind genauso tun,“ machten die Geschichte im UKE rund. Schließlich bekam BILD Wind von der Sache und übernahm die Behandlungskosten von über 105.000 € gegen die Exklusivrechte für die Story.

Bei den oben angeführten Berichten des BMI und der BAG begeben sich die Autorinnen gern in die wahlweise ordnungspolitische bzw. menschenrechtliche Ecke. Doch ähnlich wie bei der Verteidigung des Grundrechtes auf Asyl werden dort Schlachtordnungen der Vergangenheit eingenommen. Auf der Tagesordnung stehen nicht Staatsräson vs. Menschlichkeit im Nationalstaat, sondern die Neukonstituierung der gesellschaftlichen Verkehrsformen und Fragen von postnationaler Souveränität, Staatlichkeit und des Politischen selbst. (siehe Die Angst vor dem Elfmeter

Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten wird auf bis zu vier Millionen geschätzt; zu einem Großteil wird von illegalisierten Frauen mit mehreren Beschäftigungsverhältnissen ausgegangen (vgl. Interview mit TRUSTED Migrants). Das heißt an jeder dieser Wohnungstüren wird von Angesicht zu Angesicht oder über Maklerinnen der Arbeitspreis, ggf. Unterkunft, medizinische Versorgung und Kindeswohl, für die papierlose Arbeiterin vereinbart im Tausch gegen das Putzen und Führen des Haushalts, die Betreuung der Kinder oder die Pflege der Großeltern. De facto millionenfache gesellschaftliche Vereinbarungen, die sich den Gesetzeslagen rund um Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, Haushaltsschecks, Elterngeld und geschlechtliche Arbeitsteilungen verweigern oder entziehen
(siehe Global mit Besen und Schrubber).

Grips gefragt

In den Großstädten hat das Problem der medizinischen Versorgung von Kranken ohne Papiere oder Versicherungsschutz längst die Gesundheitsbehörden alarmiert. Nachdem kirchliche und antirassistische Initiativen seit 15 Jahren medizinische Beratungsstellen aufgebaut haben, um mindestens eine mangelhafte Versorgung zu gewährleisten, wird heute auch von Seiten der Gesundheitsbehörden offen darüber geredet, den allgemeinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung ohne Meldepflicht sicher zu stellen. Für Fragen der Finanzierung werden regionale, private wie öffentliche Fondslösungen erwogen. In Hamburg wird die Diakonie im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit ver.di eine belastbare empirische Studie zur Situation von illegalisierten Migrantinnen erstellen. In einem neu konstituierten übergewerkschaftlichen Arbeitskreis Undokumentiertes Arbeiten bei ver.di in Hamburg wird aktuell ein Musterprozess für eine Hausangestellte ohne Papiere auf Lohnnachzahlung vorbereitet. Die Gründung eines Papierlosenfonds in Hamburg durch einige sozialen Netzwerke und Beratungsstellen läuft gegenwärtig an.

Durch diese kommunal-, gesundheits-, arbeits- und familienpolitischen Hintertüren werden heute sowohl der Diskurs als auch ein realpolitischer Umgang mit den sozialen Realitäten der postindustriellen Gesellschaften verhandelt (vgl. den Beitrag von Simone Buckel).

Die Grenzen des Politischen und die Erosionen der gesellschaftlichen Vereinbarungen in Deutschland und der EU werden nicht nur durch die hier angeführten Beispiele schonungslos aufgedeckt. Sie lassen sich in x-anderen Lebenslagen wiederfinden. Die andere Gesellschaft existiert bereits. An ihren Eingangsportalen werden alltägliche Legalisierungsmaßnahmen durchgeführt. Es steckt darin ein utopisches Element, das weit über Stichtags- und Altfallregelungen hinaus weist, wie sie aus anderen europäischen Ländern durchaus schon bekannt sind. Es geht weiterhin darum, für diese andere Haltung einen anderen Stil und ein anderes Image zu etablieren. Denn nicht realisiert ist bisher, wie europäische Bürgerinnenschaft, globalisierte Rechte und eine Abrüstung der europäischen Grenzen in einer sozialen Bewegung, die das auf den Weg bringt, Gestalt annehmen.

 

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Frank John ist aktiv im PRECLAB, einem europäischen Netzwerk zur Erforschung von prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen, sowie in der "Gesellschaft für Legalisierung".