Mit Recht gegen Diskriminierung?! Zehn Jahre AGG in der unabhängigen Beratung

Wer kann mich unterstützen? Ist der Klageweg der richtige? Und wie weise ich Diskriminierung nach? Eva Maria Andrades berichtet von ihren Erfahrungen mit dem AGG aus 10 Jahren unabhängiger Antidiskriminierungsberatung.

Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB des TBB) wurde bereits 2003 gegründet – und somit drei Jahre bevor das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten ist. Ziel des Projektes ist es, Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren, durch Beratung, Bildungs-, Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit in ihrem Prozess der Selbstermächtigung (Empowerment) zu unterstützen und sich für ihre Gleichbehandlung auf allen Ebenen einzusetzen. Über die Jahre ist die Zahl der Ratsuchenden stetig gewachsen. 2015 dokumentierte das ADNB 250 Diskriminierungsmeldungen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen: Arbeit, Bildung, Behörden sowie Güter und Dienstleistungen. Das ADNB berät und unterstützt Ratsuchende zu der Frage, ob und inwiefern die erlebte Diskriminierung auch eine Diskriminierung im Sinne des AGG darstellt und wie eine Rechtsdurchsetzung aussehen könnte.

Ohne Frage ist das AGG ein Fortschritt für die Betroffenen. Allein die Existenz des AGG hat Auswirkungen auf die Position und die Handlungsoptionen sowohl der Betroffenen als auch der Beratungsstellen. In der Beratungspraxis weisen wir Arbeitgebende auf ihre Pflichten nach dem AGG hin und benennen Ansprüche von Betroffenen, wodurch deren Verhandlungsposition gestärkt wird. Im Beratungsverlauf stellen sich neben rechtlichen Fragen auch die Fragen nach dem Sinn, den Chancen und Risiken einer Klage. Die Erfahrungen aus den letzten zehn Jahren AGG-Beratung in der Praxis zeigen, dass für Betroffene zahlreiche Barrieren bestehen, vor Gericht zu gehen.

Einfordern von Recht setzt Wissen um Recht voraus

Noch immer wissen viele Menschen nicht, dass es ein Gesetz gibt, das beispielsweise gegen Diskriminierung durch Arbeitgebende schützt. Das Wissen ist mitunter sehr diffus und beschränkt sich darauf, dass „man nicht diskriminieren darf“. Was aber ist eine Diskriminierung – rechtlich gesehen? Wie kann ich diese nachweisen? An wen kann ich mich im Betrieb und außerhalb wenden? Welche Fristen gibt es?

Voraussetzung dafür, dass Betroffene ihre Recht wahrnehmen können – egal ob im Konflikt auf sie verwiesen werden soll oder ob sie letztlich vor Gericht durchgesetzt werden sollen – ist immer das Wissen darüber. Das Recht im Rücken ändert die jeweilige Position im Konflikt um Diskriminierung schlagartig. Es geht dann nicht um Bittstellung, sondern um ein/das Recht auf Gleichbehandlung.

Was bedeutet das konkret für das AGG? Das AGG verpflichtet Arbeitgebende, das Gesetz bekannt zu machen, geeignete Maßnahmen gegen Diskriminierung zu ergreifen und Beschwerdestellen einzurichten. Aus der Beratung wissen wir aber, dass nur die wenigsten Arbeitgebenden innerbetriebliche Beschwerdestellen eingerichtet, geschweige denn ein Beschwerdeverfahren entwickelt haben. Da die Einrichtung einer solchen Stelle weder überprüft wird noch behördliche Sanktionen bei Nichteinrichtung erfolgen – anders als zum Beispiel im Fall von Datenschutz im Betrieb – wird es den Arbeitgebenden leichtgemacht, sich über diese Pflicht hinwegzusetzen.

Information und Aufklärung über Diskriminierungsschutz sind aber nicht nur durch Arbeitgebende für den Bereich Beschäftigung zu gewährleisten, sondern müssen auch und insbesondere Aufgabe von Politik und Verwaltung sein. Wie werden beispielsweise Konsument/innen über ihr Recht auf Nichtdiskriminierung informiert? An wen können sich Betroffene wenden, wenn eine Bank sie als Girokund/innen ablehnt, weil sie kein Deutsch sprechen? Wissen ist Macht, Wissen über die eigenen Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten ist der erste Schritt zur Einforderung von Gleichbehandlung.

Wer kann mich beraten und unterstützen?

Neben der Frage des Wissens über die eigenen Rechte stellt sich auch die Frage der Zugänglichkeit von Recht. Unabhängige und qualifizierte Beratungsstellen, so wie sie im Dachverband Antidiskriminierungsverband Deutschland[1] und darüber hinaus organisiert sind, ermöglichen einen unkomplizierten und kostenlosen Zugang zu rechtlicher Beratung und sind daher unabdingbar, um zu gewährleisten, dass das AGG für Betroffene tatsächlich Anwendung finden kann.

In der Beratung können Betroffene ihre Erfahrungen artikulieren, ohne befürchten zu müssen, dass diese bagatellisiert werden. Sie erhalten hier wichtige Informationen und Unterstützung.

Ist das, was ich erfahren habe, eine Diskriminierung nach dem AGG?

Die Kenntnis des AGG und Möglichkeiten des Zugangs zu niedrigschwelliger Beratung sind also von zentraler Bedeutung. Allerdings ist auch das AGG selbst begrenzt: Nicht alle Bereiche, in denen diskriminiert wird, sind geschützt. In einer Vielzahl von Fällen melden uns Betroffene Diskriminierung durch staatliche Akteure, wie Behörden und Schulen. Diese Bereiche fallen aber nicht unter den Anwendungsbereich des AGG. Zwar untersteht jedes staatliche Handeln dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Grundgesetz, die Durchsetzung ist aber ungleich schwieriger als beim AGG, das beispielsweise eine Beweislasterleichterung vorsieht.

Selbst wenn im Beratungsgespräch festgestellt wird, dass die erfahrene Diskriminierung in einen der Bereiche des AGG fällt – also Arbeit und Alltagsgeschäfte – ist noch nicht geklärt, ob es sich hierbei rechtlich um eine Diskriminierung handelt. Diskriminierung liegt erst dann vor, wenn die Ungleichbehandlung auch ein „geschütztes Merkmal“ betrifft und kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. So sind beispielsweise Diskriminierungen aufgrund der sozialen Herkunft im AGG nicht verboten.  Lehnt also eine Vermieterin eine/n Mieter/in ab, weil sie ALG II erhält, ist das erlaubt.  Daneben gibt es weitere Schutzlücken in Bezug auf die unterschiedlichen im AGG genannten Merkmale.

Von der Schwierigkeit, Diskriminierung nachzuweisen

Aber selbst in den Fällen, in denen das AGG die erlebte Diskriminierung verbietet, gibt es für Betroffene weitere Hürden. In der Beratungssituation stellt sich die Frage, wie die Diskriminierung vor Gericht nachgewiesen werden kann. In aller Regel wird Diskriminierung nicht offen ausgesprochen. Im Bereich Arbeit heißt das, dass bei der Ablehnung eines Bewerbers oder einer Bewerberin keine oder nicht die wahren Gründe genannt werden. Wie aber dann die Diskriminierung nachweisen? Wer wurde statt meiner eingestellt? Und warum?

Fakt ist: Betroffene, die den Eindruck haben, sie seien aus diskriminierenden Gründen abgelehnt worden, haben keinen Anspruch auf Auskunft zu diesen Fragen. Es bleibt ein ungutes Gefühl, gerade wenn man trotz guter Qualifikationen immer wieder Ablehnungen erhält. Mittlerweile wissen wir durch Studien, dass zum Beispiel Bewerber/innen mit türkischen Namen sich häufiger bewerben müssen, um eine Anstellung zu finden, als Bewerber/innen mit herkunftsdeutschen Namen. 

In der Beratung stellen wir mitunter fest, dass ein rechtliches Vorgehen gegen die Diskriminierung aufgrund der schwachen Beweislage nicht erfolgversprechend ist. Detektivische Spurensuche und Instrumente wie Testing-Verfahren können nur in wenigen Fällen Abhilfe schaffen.

Was zudem als Indiz für eine Diskriminierung vor Gericht ausreicht, die dann zu einer Beweislastumkehr führt, ist vorab kaum sicher zu beantworten. In der Praxis zeigt sich hier eine große Unsicherheit.

Was möchte ich erreichen und ist der Klageweg richtig?

Im Beratungsprozess stellt sich die zentrale Frage, was das Anliegen der ratsuchenden Person ist. So wünschen sich beispielsweise Menschen, die bei der Arbeit rassistisch gemobbt werden, meist in erster Linie, dass dies unterlassen wird und sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können. Eine abgelehnte Bewerberin, die wegen ihres Kopftuches nicht eingestellt wird, möchte die Diskriminierung nicht hinnehmen und will entweder die Einstellung oder aber eine Entschädigung für die erlittene Diskriminierung. Häufig äußern sich Betroffene so, dass sie eine Verhaltensänderung der anderen Seite erreichen und damit bewirken möchten, dass diese zukünftig Diskriminierungen unterlässt.

Ratsuchende sind nicht selten enttäuscht, wenn sie in der Beratung erfahren, dass das AGG ihnen keinen Anspruch auf die Arbeitsstelle oder eine Wohnung bietet, sondern ihnen gegebenenfalls nur einen Entschädigungsanspruch zuspricht. Auch bei diskriminierenden Arbeitsbedingungen sind zwar die Arbeitgebenden bei Kenntnis darüber im Grunde verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, aber einen Anspruch hierauf formuliert das AGG nicht. Auch hier hat die betroffene Person bei Untätigkeit des Arbeitgebenden letztlich nur einen Anspruch auf Entschädigung.

Und eben diese Ansprüche müssen nun selbständig vor Gericht erstritten werden. In aller Regel entscheiden sich betroffene Arbeitnehmende für diesen Schritt aber erst dann, wenn sie beschlossen haben, nicht weiter bei dem entsprechenden Arbeitgeber zu arbeiten und außergerichtliche Lösungen gescheitert sind. Die Angst vor Nachteilen und Viktimisierung, auch wenn sie nach dem AGG verboten sind, ist groß.

Wie viel ist die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots wert?

Die Entscheidung über die Entschädigungssumme liegt weitgehend im Ermessen der Gerichte. Diese, so zeigt die nun zehnjährige Rechtsprechungspraxis zum AGG, sprechen in aller Regel sehr geringe Entschädigungssummen aus.  So führen beispielsweise Diskriminierungen beim Zugang zu Diskotheken zu einer Entschädigung von 500 bis 1.000 Euro. Die europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien sehen vor, dass die Sanktion gegen Diskriminierung angemessen und abschreckend sein muss. Dem wird im Allgemeinen die bisherige Rechtsprechung in Deutschland nicht gerecht.

Betroffenen von Diskriminierung wird dadurch signalisiert, dass ihre Verletzung "nicht so schlimm" sei. Damit wiederholt sich für die Betroffenen eine häufig schon gemachte Erfahrung, denn die Diskriminierung setzt sich hier in gewisser Weise fort.

Dass es auch anders geht zeigt im Übrigen ein Beispiel aus der Beratungspraxis des ADNB des TBB: Mehrere Kläger/innen hatten wegen diskriminierender Mieterhöhungen eine Vermieterin geklagt. Das Gericht sprach einer Partei 30.000 EUR Entschädigung zu, weil es bei der Bemessung der Höhe die Schwere der Verletzung (Dauer, Anzahl der Betroffene, Verletzter Lebensbereich) und den nach den europarechtlichen Vorgaben bestehenden Präventionsgedanken berücksichtigte.

Allein vor Gericht

Häufig ist die Klage der letzte Schritt, nachdem alle außergerichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Es bleibt zu befürchten, dass die Diskriminierung nicht gerichtsfest bewiesen werden kann und die Kosten des Verfahrens von den Klagenden getragen werden müssen. Darüber hinaus ist selbst bei erfolgreichem Prozessausgang nur eine geringe Entschädigung die Regel. In der Beratung wird hier das Für und Wider intensiv abgewogen. Als Antidiskriminierungsverband kann das ADNB des TBB Betroffene vor Gericht als Beistand im Sinne des § 23 AGG unterstützen und auch sonst an ihrer Seite stehen, an kompetente Anwält/innen vermitteln und den Prozess medial begleiten. Viele Kläger/innen melden uns zurück, dass sie diesen Weg nicht ohne die Unterstützung der Beratungsstelle gegangen wären.

Immer wieder erleben wir in der Beratungspraxis, dass Betroffene den Klageweg scheuen, auch in Fällen, in denen es aus strategischen Überlegungen heraus wichtig wäre, eine Klage zu führen, um offene Fragen zur Auslegung des AGG vor Gericht zu bringen. Da das AGG individualrechtlich ausgestaltet ist, können nur Betroffene selbst wegen Diskriminierung klagen. Verbänden steht keine Klagebefugnis zu, wie dies beispielsweise im Behindertengleichstellungsgesetz oder im Verbraucherrecht der Fall ist.

Die Beratungspraxis zeigt, mit welchen Fragen und Barrieren Betroffene von Diskriminierung konfrontiert sind und was sie an der Wahrnehmung ihrer Rechte nach dem AGG hindert. Einige Barrieren für die Inanspruchnahme liegen im AGG selbst begründet: Rechtsschutzlücken, zu kurze Fristen, keine Auskunftspflicht und kein Klagerecht für Verbände.

Über eine Reform des AGG hinaus bedarf es aber weiterer Maßnahmen, um den Diskriminierungsschutz zu stärken. So braucht es mehr und bessere Beratungsstrukturen zur Unterstützung von Betroffenen, die einen niedrigschwelligen Zugang zu rechtlicher und darüber hinaus gehender Beratung bieten.

Eine leicht veränderte und vorab gedruckte Fassung des Beitrags „Zehn Jahre Erfahrungen mit dem AGG in der unabhängigen Antidiskriminierungsberatung. Mit Recht gegen Diskriminierung?!“ finden Sie unter: IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung (Hrsg.) Alles schon fair? Mit Recht zu einem inklusiven Arbeitsmarkt! Dossier zu 10 Jahren Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). München, Herbst 2016.

 

[1] Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) ist ein Dachverband, dem unabhängige Antidiskriminierungsbüros/-stellen angehören – so auch das ADNB, das Gründungsmitglied des advd ist. Ziel des Verbandes ist es, zur Etablierung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland beizutragen und Qualitätsstandards für die Antidiskriminierungsberatung zu setzen.