Welche Diskriminierungsgründe braucht das AGG?

Die Juristin Doris Liebscher diskutiert, ob die vom AGG vorgenommene Einteilung geschützter Merkmale in ethnische Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung zeitgemäß ist.

Werden Frauen mit einem Body Maß Index über 30 diskriminiert? Ist die Ablehnung einer Bewerberin mit dem Vermerk „Kind, 7 Jahre“ eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts? Sind Ostdeutsche eine Ethnie? Solche Fragen werden mitunter vor deutschen Arbeitsgerichten diskutiert. Der Hintergrund: Im Unterschied zu offenen Diskriminierungsverboten zum Beispiel in der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der Katalog der Diskriminierungsgründe in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) begrenzt. Was heißt das für Betroffene von Diskriminierung? Welche Kategorien fehlen?

§ 1 AGG nennt genau sechs Diskriminierungsgründe. Ziel des Gesetzes ist es „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen”. Punkt. Die Aufzählung spiegelt die Erkenntnis wieder, dass in unserer Gesellschaft Benachteiligungen aufgrund von Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Ableism sowie Altersdiskriminierung besonders tief verwurzelt sind. Dem muss ein modernes Antidiskriminierungsrecht mit besonderem Schutz Rechnung tragen. Doch fehlen in dem abschließenden Katalog wichtige Diskriminierungsdimensionen, wie beispielsweise die Staatsbürgerschaft.

Betroffene von Diskriminierung, deren Diskriminierungserfahrung nicht auf den ersten Blick in diesen abgeschlossenen Katalog passt, haben drei Möglichkeiten. Sie können erstens im Wege der Auslegung nachweisen, dass ihre Diskriminierungserfahrung unmittelbar oder mittelbar in eine der in § 1 AGG genannten Kategorien gehört. Wenn das nicht gelingt, müssen sie – wie vor in Krafttreten des AGG – auf andere Rechtsvorschriften ausweichen. Schließlich bleibt drittens der rechtspolitische Weg, die Forderung nach einer legislativen Änderung des AGG. Auch hier gibt es zwei Möglichkeiten: das Hinzufügen weiterer Diskriminierungsgründe oder die Umwandlung in einen offenen und damit flexiblen Katalog.

Wer passt rein? Auslegung bestehender Diskriminierungsgründe

Eine Benachteiligung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gilt bereits nach dem Gesetzestext als unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung (§ 3 Absatz 1 AGG). Die sechs ausdrücklich in § 1 AGG normierten Gründe stehen darüber hinaus der Interpretation durch die Rechtswissenschaft und die Gerichte offen.

Die Benachteiligung einer Person durch einen Arbeitgeber oder eine Vermieterin mit der Begründung, er oder sie sei „Ausländer“, knüpft zum Beispiel nur formal an die Staatsangehörigkeit an. Tatsächlich basiert sie auf rassistischen Zuschreibungen beziehungsweise ethnischen Nationalitätsvorstellungen davon, wer „Ausländer“ ist und wer „Deutscher“. Auch die Vorlage eines deutschen Passes würde an dem Verhalten nichts ändern. Deshalb ist anerkannt, dass solche verdeckten rassistischen Diskriminierungen vom AGG erfasst sind.[1]

Ein feststehender Katalog von Gründen läuft Gefahr, gesellschaftliche Entwicklungen und Grenzfälle sozialer Kategorisierung und Diskriminierung nicht fassen zu können.

So ging es zum Beispiel einer in der DDR aufgewachsenen Frau, die 20 Jahre in Baden-Württemberg gelebt hatte und auf eine Bewerbung hin eine Ablehnung mit den Vermerken „Ossi (-)“ und „DDR (-)“ erhielt. § 1 AGG erfasst die regionale Herkunft nicht, ebenso wenig wie abwertende Zuschreibungen gegenüber Menschen aus der ehemaligen DDR. Ihr Anwalt versuchte daher nachzuweisen, dass sie wegen ihrer „ethnischen Herkunft“ diskriminiert wurde und zog dazu allerlei ethnologische Definitionen von Ethnie heran. Das Gericht schloss sich seiner Logik an, kam aber zu dem Schluss, dass „Ossis“ keine Ethnie seien und wies die Klage ab.2 Die Klägerin, die zweifelsfrei eine auf sozialer Stigmatisierung beruhende Diskriminierung erlitten hatte, ging leer aus.

Doch was, wenn sie gewonnen hätte? Dann hätte ein deutsches Gericht eine ethnologisch essentialisierende Definition von Ostdeutschen etabliert und damit diskriminierenden Vorstellungen von „den Anderen“ eine Legitimation geboten. Dass es sich bei den Diskriminierungskategorien nicht um „Merkmale“, sondern um gesellschaftliche Strukturkategorien handelt, entlang derer sich soziale Chancen und Positionen verteilen und Menschen stigmatisiert werden, wird im juridischen Diskurs oft nicht gesehen.[2] Die US-amerikanische Rechtsprofessorin Martha Minow hat dieses Problem als grundsätzliches Dilemma von Antidiskriminierungsrecht beschrieben: „It drags some people into categories who do not belong, or leave some out, all the while enshrining the categories as permanent and immovable.“[3]

Auch die Diskriminierung übergewichtiger Menschen, insbesondere Frauen, auf dem Arbeitsmarkt ist über das AGG nur über den Umweg der Geltendmachung einer Behinderung erfassbar, nämlich dann, wenn eine Adipositas-Erkrankung besteht.[4] Probleme mit der Einordnung in die existierenden Diskriminierungskategorien haben auch Menschen, die aufgrund uneindeutiger Geschlechtsidentität oder Geschlechtskörper diskriminiert werden. So verweigerte ein deutsches Gericht 2011 einem intergeschlechtlichen Menschen, der nicht in den Polizeidienst eingestellt wurde, Schutz durch das AGG: Es verneinte eine Diskriminierung aufgrund der Kategorien Geschlecht, sexuelle Identität oder Behinderung und sprach dagegen von einer “Krankheit”.[5]

Als mittelbare Diskriminierungen wegen des Geschlechts anerkannt sind Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Körpergröße. Klargestellt ist auch, dass die berufliche Anforderung deutsch auf einem bestimmten Niveau zu sprechen eine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft sein kann, wenn sie nicht wesentlich und entscheidend für die konkrete berufliche Tätigkeit ist.[6] Richterlich geklärt ist nunmehr auch, dass die Ablehnung einer Bewerberin mit dem Hinweis „Kind, 7 Jahre“ eine Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen kann. Der Vermerk, so das Bundesarbeitsgericht, begründe die Vermutung, dass die Regelung der Kinderbetreuung für die Ablehnung der Klägerin bedeutsam war. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass diese Frage für sie bei Männern und Frauen gleichermaßen eine Rolle spiele. Die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit sei nur für Frauen als Einstellungshindernis in den Blick genommen worden.[7]

Was fehlt? Den Katalog des AGG erweitern

Das AGG schützt nicht vor Benachteiligungen aufgrund der sozio-ökonomischen Lage oder der sozialen Schicht- beziehungsweise Klassenzugehörigkeit. Gleichzeitig sind solche Diskriminierungserfahrungen weit verbreitet, das zeigt eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Mehr als zehn Prozent der Befragten gaben an, sie hätten in den letzten 24 Monaten Benachteiligungen aufgrund ihrer sozioökonomischen Lage, zum Beispiel ihres Bildungsstands oder Einkommens, erlebt.[8]

Besonders im Bildungsbereich spielt zudem die soziale Herkunft eine andere Diskriminierungen verstärkende beziehungsweise damit intersektional verknüpfte Rolle. Ebenfalls nicht vom AGG erfasst sind Benachteiligungen von Obdachlosen, Überschuldeten oder Analphabet/innen oder Menschen mit vorgängigen Gefängnis- oder Psychiatrieaufenthalten. Die Aufnahme des sozialen Status als Diskriminierungskategorie würde diese Menschen vor Benachteiligungen aufgrund von negativen Stereotypisierungen zum Beispiel bei der Job- oder Wohnungssuche schützen.

Das AGG schützt jedoch nicht vor Benachteiligungen, die sich unmittelbar aus unterschiedlichen Besitzverhältnissen ergeben. Die Gruppe der sozioökonomisch benachteiligten Empfänger/innen von Arbeitslosenhilfe oder der Frauen, die in Altersarmut leben, kann sich nicht gegenüber Vermieter/innen auf das AGG berufen, wenn sie gekündigt werden, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können.  Auch Restaurantbesuche und Auslandsreisen bleiben von Einkommen und Besitzstand abhängig – ob mit oder ohne Antidiskriminierungsgesetzgebung. Hier zeigen sich die Grenzen des bürgerlichen Rechts bei der Beseitigung sozialer Ungleichheit. Der Entwurf für ein Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz, der “sozialer Status” als Diskriminierungsgrund enthält, verweist entsprechend darauf, dass es sich dabei häufig um strukturelle und institutionelle Diskriminierungen handelt, auf die besser mit strukturellen Maßnahmen als mit individualrechtlichen Ansprüchen reagiert werden sollte.[9]

Flexibilität und Begrenzung

Viele Probleme, die mit einem exklusiven Kategorienkatalog einhergehen, könnten durch eine nicht abschließende Aufzählung von Diskriminierungsgründen vermieden werden. Das ermöglicht es der Rechtsprechung, Recht fortzuentwickeln und „neue“ oder bisher nicht bedachte Kategorisierungen zu berücksichtigen. Einige EU-Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Art. 14 Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 21 der Europäischen Grundrechte Charta und Art. 8 der Schweizer Bundesverfassung enthalten ebenfalls offene Diskriminierungsverbote, die nach einer Auflistung bestimmter Diskriminierungsgründe weitere zulassen. Das deutsche Recht kennt ebenfalls bereits Beispiele für offene Listen, zum Beispiel in § 75 Betriebsverfassungsgesetz, der eine Benachteiligung „insbesondere“ aus den dort genannten Gründen untersagt.9 Gegen eine unbegrenzte Ausweitung auf beliebige Differenzen sollte der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung klarstellen, dass Diskriminierung an historisch verfestigte Ungleichheitsstrukturen anknüpft.[10] Diskriminierungen im Sinne des Rechts sind Stigmatisierungen, Benachteiligungen und Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe, die auf historisch, strukturell und diskursiv verfestigten Ungleichheiten beruhen.

Postkategoriales Antidiskriminierungsrecht

In vielen Rechtstexten ist von »Diskriminierungsmerkmalen« die Rede, ohne dass zwischen »empirischem« Anknüpfungsmerkmal, etwa der Hautfarbe oder der geschlechtsspezifischen Erscheinung und sozial hervorgebrachter Diskriminierungskategorie, zum Beispiel „Rasse“ oder „Geschlecht“ unterschieden wird. Die »Diskriminierungsgründe« des AGG markieren nicht unterschiedliche Eigenschaften, sondern gesellschaftliche Strukturkategorien, entlang derer sich soziale Chancen und Positionen verteilen und Menschen stereotypisiert und kategorisiert werden.  „Es ist die Produktion und Perpetuierung von Stigmas, auf die Antidiskriminierungsrecht reagieren muss, statt Merkmale per se anzuerkennen”, hat die britische Rechtswissenschaftlerin Iyola Solanke die Aufgabe richtig beschrieben.[11] Doch wird die Einteilung von Menschen in feste kategoriale Gruppen der sozialen Heterogenität dieser Gruppen überhaupt gerecht? Können Gerichte beschreiben, was es heißt, dass niemand „wegen seiner ‚Rasse‘“ oder „wegen des Geschlechts“ diskriminiert werden darf, ohne dabei selbst Unterschiede festzuschreiben und heterosexistische oder rassistische Zuschreibungen zu reproduzieren, die ihrerseits der Nährboden für Diskriminierung sind?

Angesichts solcher Fragen ist die Debatte um ein postkategoriales Antidiskriminierungsrecht entstanden. Postkategorialen Ansätzen geht es nicht darum, Diskriminierungskategorien als kritische Benennungs- und Analysebegriffe für soziale Ungleichheiten abzuschaffen. Ihre Prämisse lautet vielmehr: Nicht besondere Persönlichkeitsmerkmale oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind das Problem, sondern die essentialisierende Zuordnung zu sozialen hierarchisch angeordneten Gruppen mit benachteiligender Intention oder Wirkung. Susanne Baer, die den Begriff des postkategorialen Antidiskriminierungsrechts geprägt hat, fragt: „Warum nicht Recht [...] gegen Rassismus, [...] gegen (Hetero-)Sexismus?“[12]. Von unterschiedlichen rechtspolitischen Akteuren wird vorgeschlagen, das essenzialisierende und historisch belastete Merkmal „Rasse“ im AGG durch die Termini „rassistisch”, „rassistische Diskriminierung“ oder „aus rassistischen Gründen“ zu ersetzen.[13] Das Land Brandenburg ist diesen Weg bereits gegangen, in Artikel 12 Abs. 2 der Brandenburger Landesverfassung heißt es: „[Niemand darf …] aus rassistischen Gründen [bevorzugt oder benachteiligt werden].“

Die Frage, ob vermeintliche Merkmale durch Diskriminierungsverhältnisse ersetzt werden sollten, stellt sich aber auch für andere Kategorien. Es geht darum, Akteure des Rechts darin zu bestärken, Ungleichwertigkeitsideologien und soziale Ungleichheitsverhältnisse, also die strukturelle Dimension von Diskriminierung, zu adressieren. Im Sinne dieser Idee könnte § 1 AGG lauten: „Ziel des Gesetzes ist, rassistische, sexistische, heteronormative, ableistische und andere auf sozialen Stigmatisierungen beruhende Diskriminierungen zu verhindern oder zu beseitigen.”

Literatur


[1] Dagmar Schiek spricht von einem „ethnischen Inländerbegriff“: Schiek, in: Schiek, AGG Kommentar, Sellier 2007, S. 78.

[2] Vgl. Liebscher/Naguib/ Plümecke/Remus: Wege aus der Essentialismusfalle. Überlegungen zu einem postkategorialen 
Antidiskriminierungsrecht, KJ 2012, 204-218.

[3] Minow, Not only for myself: Identity, Politics and the Law, 1992, S. 79.

[4] EuGH v. 18.12.2014 – C-354/13 (Kaltoft), Rn. 59 f.; siehe auch ArbG Düsseldorf v. 17.12.2015 – 7 Ca 4616/15 –, juris Rn. 49 f., das im konkreten Fall das Vorliegen einer Behinderung letztlich ablehnte.

[5] VG Ansbach, 14.07.2011, Az. AN 1 E 11.01005, kritisch dazu Liebscher/Naguib/ Plümecke/Remus KJ 2012, 204-218, 206.

[6] Für viele: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 05. Oktober 2011 – 2 Sa 171/11 –, juris; Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Juni 2015 – 16 Sa 1619/14 –, juris.

[7] So BAG Urt. v. 18.09.2014 – 8 AZR 753/13, das den Fall an das LAG zurück verwies, mit der Auflage eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts zu prüfen. Das LAG war von mittelbarer Diskriminierung ausgegangen.

[8] Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminierungserfahrung in Deutschland, 2015.

[9] AGH Berlin - Drs. 17/2574.

[11] Iyiola Solanke, Putting Race and Gender Together. A New Approach To Intersectionality, in: The Modern Law Review 2009, S. 748.

[12] Vgl. Susanne Baer, Chancen und Risiken Positiver Maßnahmen, in: Heinrich Böll Stiftung, Positive Maßnahmen – Von Antidiskriminierung zu Diversity, 2010, S. 11-20.