Zwischen den einzelnen Diskriminierungsdimensionen variiert die Datenlage stark. Linda Supik diskutiert die Relevanz statistischer Erhebungen für eine erfolgreiche Antidiskriminierungspolitik
Rassistische Diskriminierung als gesellschaftliches Problem in Deutschland ist in seinen Ausmaßen schwer bestimmbar, weil die passenden Statistiken als Messinstrumente fehlen. Das Problem ist dabei nicht, dass gar keine Daten erhoben werden, sondern dass sie in unpassenden Kategorien erfasst werden. Daher ist derzeit die Herausforderung, angemessene Kategorien zu bestimmen, um eine Datengrundlage zur Bekämpfung von Rassismus zu schaffen.
Die Datenlage ist in den einzelnen Diskriminierungsdimensionen sehr unterschiedlich: Daten nach Geschlecht werden ständig und überall erhoben, ohne dass dies als Datenschutzproblem betrachtet wird; obwohl das Fehlen von Ankreuz-Alternativen zu „männlich“ und „weiblich“ Inter*Menschen immer wieder schmerzlich bewusstmacht, dass mit ihnen im wahrsten Sinne des Wortes niemand rechnet. Altersdaten sind unproblematisch, zur Erhebung von sexueller Orientierung gibt es erste Anläufe, bei Religion, Behinderung und ethnischer (zugeschriebener) Zugehörigkeit/Herkunft beziehungsweise rassistischer Diskriminierung gibt es größere Baustellen und Handlungsbedarf.
Gerade die indirekte Form der Diskriminierung, also scheinbar neutrale Vorschriften oder Regelungen, die sich auch unbeabsichtigt nachteilig auf eine geschützte Gruppe auswirken, ist häufig in keiner anderen Weise als durch das Zählen, Messen und Vergleichen zu erkennen. Liegt es zum Beispiel an meinem türkisch klingenden Nachnamen, dass ich zum x-ten Mal nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde?
In Testingverfahren wurde festgestellt, dass türkischer Herkunft zu sein (wofür der Nachname als Zeichen gelesen wird) sich in Bewerbungssituationen statistisch gesehen zum Nachteil auswirkt. Ob ich dabei vielleicht als deutsche Staatsangehörige in Deutschland geboren wurde, spielt keine Rolle, in der Statistik allerdings wären lediglich Staatsangehörigkeit und Geburtsort sichtbar, statistisch gesehen würde ich als „Deutsche“ gezählt – die ich zwar bin, jedoch zugleich wegen der türkischen Herkunft diskriminiert wurde. Die in Deutschland üblicherweise erhobenen Daten gehen also für den Zweck der Diskriminierungsmessung am Bedarf vorbei.
Hier ist nicht die systematische Registrierung von Diskriminierungserfahrungen gemeint, die ebenfalls geboten und auch deutlich weniger strittig ist. Manche Erfahrung der Würdeverletzung oder Ausgrenzung würde nicht unter Diskriminierung gefasst, oder Ereignisse, wie „keine Gymnasialempfehlung erhalten“ und „nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden“ werden nicht als Diskriminierung erfahren, obwohl sie es im Effekt sind. Welche Behandlung wer als Diskriminierung erlebt, und dies dann auch noch so benennt und einer entsprechenden Stelle meldet, ist sehr unterschiedlich.
Auch wenn subjektives Erfahrungswissen gerade für emanzipatorischen Aktivismus einen zentralen und unhintergehbaren Stellenwert hat, so wird seine Gültigkeit gerade von politischen Gegnern oft angezweifelt und gerade im Diskriminierungskontext als Empfindlichkeit abgetan. Angesichts dessen können sich trockene Zahlen durchaus als nützliche Alliierte erweisen. Es fehlen soziodemografische Strukturdaten; das heißt Zahlen darüber, wie viele Angehörige einer ethnischen Minderheit oder einer von Diskriminierung gefährdeten Gruppe in Deutschland (oder einer Region, Stadt, Stadtteil, Einzugsgebiet einer Schule oder eines Krankenhauses) leben und ob die Repräsentation dieser Gruppe innerhalb der jeweiligen Einrichtung der jeweiligen Umgebung nahekommt. Sind Kinder aus einer bestimmten Gruppe am Gymnasium angemessen repräsentiert? Wenn nicht, muss genauer nach den Ursachen geschaut und geprüft werden, ob Diskriminierung eine Rolle spielt und wie diese abgestellt werden kann.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erlaubt ausdrücklich die Verwendung von statistischen Daten zum Nachweis von indirekter Diskriminierung als Beweismittel vor Gericht. Hier wäre für den Gesetzgeber auch noch Spielraum, den Diskriminierungsschutz durch die Erlaubnis zur Datenerhebung zur Berichterstattungspflicht zu stärken, analog zur Geschlechtergleichstellung. In Großbritannien werden insbesondere öffentliche Arbeitgeber stärker als in Deutschland in die Pflicht genommen, mehrdimensionale Gleichstellung unter ihren Arbeitnehmer/innen sicherzustellen: Dort erlaubt der Equality Act nicht nur die Verwendung von Statistiken, er verpflichtet durch die sogenannten „public sector duties“ den öffentlichen Dienst ausdrücklich zur Erhebung von Statistiken und zur regelmäßigen statistischen Berichterstattung in Sachen Gleichbehandlung/Diskriminierung.
Auch in Deutschland sind jenseits der Anklagebank im wörtlichen Sinne statistische Daten aus politischen Diskussionen nicht wegzudenken. Es werden regelmäßig „Eckdaten“ benötigt, um für Orientierung hinsichtlich der Größenordnung eines Problems – etwa der rassistischen Diskriminierung – zu sorgen. Gerade gesellschaftliche Institutionen und Akteure, die sich der Entwicklung von Maßnahmen gegen Diskriminierung widmen und diese abbauen wollen, benötigen angesichts stets knapper Ressourcen im Sozialbereich Informationen darüber, wo und in welchen Feldern sich Diskriminierung bemerkbar macht, und wo der Einsatz am dringendsten ist. Zudem werden Daten benötigt, um nach einer erfolgten Maßnahme oder geänderten Regelungen beurteilen zu können, ob sich die erwünschte Wirkung zeigt.
Die freiwillige, anonyme Selbstauskunft über eine (zugeschriebene) Gruppenzugehörigkeit
Internationale Organisationen, die Grundrechteagentur der EU und Menschenrechtsaktivist/innen, wie etwa das Europäische Netzwerk gegen Rassismus ENAR oder die Open Society Foundation, fordern zur Dokumentation von Rassismus die freiwillige und anonyme Erhebung von Daten über die selbstbekundete, subjektive Zugehörigkeit zu einer von rassistischer Diskriminierung betroffenen Gruppe, wie zum Beispiel Schwarze Deutsche, People of Color, Jüd/innen, Sinte/zza und Rrom/nja oder anderer natio-ethno-kultureller Minderheiten. Seitens der UN-Kommission zur Beseitigung jeglicher Formen von Rassismus und Diskriminierung wurde die deutsche Berichterstattung bereits wiederholt dafür gerügt, keine überprüfbaren Daten zu liefern.
Gerade viele Grassrootsaktivist/innen stehen dem Thema der Datenerhebung und „Vermessung“ eher distanziert gegenüber, scheint die Statistik doch ein eher bürokratischer Zugang zu sein, der auch wieder nur mehr Papier und Zahlenkolonnen produziert, ohne an dem eigentlichen Problem etwas zu ändern. Der Forderung nach diesen Daten wird entgegnet, dass man auch ohne sie bereits viel gegen Rassismus tun könne und dass die Betonung sichtbarer Unterschiede kontraproduktiv wäre, da die Ungleichbehandlung auf ihrer Basis nur noch größer werden würde.
In der Mehrheit der Staaten weltweit wird eine Frage nach subjektiver Selbstauskunft bei Zensuserhebungen gestellt. Es gibt aus internationalen Erfahrungen keine Hinweise darauf, dass die statistische Sichtbar- oder Unsichtbarmachung innerstaatlicher Vielfalt Rassismus oder ethnische Spannungen und Konflikte per se positiv oder negativ beeinflussen würde. Es ist kein Allheilmittel gegen Rassismus, treffendere Daten zur Verfügung zu haben, sondern zunächst ein verbessertes Diagnoseinstrument gegenüber derzeitigen Möglichkeiten. Es würde die Thematisierung und Skandalisierung von Diskriminierungen auf der politischen Bühne erleichtern.
Antidiskriminierungspolitik im Blindflug
Die Forderung nach solchen Gleichheits- und Partizipationsdaten (auch als Equality Data oder Ethnizitätsdaten bezeichnet), wie sie beispielsweise das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) vorträgt, betritt heikles Terrain, denn solche Daten kommen den „Rassedaten“ nahe, die während des Nationalsozialismus erhoben wurden. So brachte es Hendrik Cremer (2008) vom Deutschen Institut für Menschenrechte vor einiger Zeit auf den Punkt, dass man unmöglich Menschen die Frage stellen könne „Welcher Rasse gehören Sie an?“ In der Tat gibt es keine Menschenrassen (auch wenn die Idee oder das Phantasma davon weiterhin in rechtsextremen und -populistischen Ideologien lebendig und wirksam ist), aber es gibt durch historisch gewachsene Zuschreibungsprozesse ungleich markierte Positionen von Menschen innerhalb einer rassistisch strukturierten Gesellschaft, die als weiße, als Schwarze, oder als People of Color wahrgenommen werden und/oder sich selbst entsprechend positionieren.
Solche Daten über (zugeschriebene) ethnische Zugehörigkeit oder Herkunft wären in jedem Fall als sensible Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes zu behandeln. In personalisierter Form; also so, dass eine konkrete Person einem Datensatz zuzurechnen wäre, dürfen sie nicht erhoben, gespeichert oder verarbeitet werden. Sie können jedoch benachteiligten Minderheiten nützen, wenn sie in anonymer Form im Rahmen eines Massendatensatzes erhoben werden, der der statistischen Auswertung dient und dessen Fallzahlen hoch genug sind, sodass keine Einzelpersonen identifiziert werden können.
Die Beispiele der USA und Südafrikas machen deutlich, dass die staatliche Erhebung solcher Daten noch nichts über die Absicht dahinter aussagt: In den USA wurde seit dem allerersten Zensus (Volkszählung) am Ende des 18. Jahrhunderts kontinuierlich die Bevölkerung nach „race“ klassifiziert, in Südafrika geschah dies während des Apartheidregimes. Gleichzeitig wurde in beiden Staaten diese Praxis nach dem Ende des staatlich legitimierten Rassismus unter umgekehrten Vorzeichen bis heute beibehalten, um Wiedergutmachungspolitik und Antidiskriminierungsmaßnahmen begleiten zu können.
Alternative zum „Migrationshintergrund“: Die Leute einfach selbst fragen!?
Die Daten, mit denen in Deutschland derzeit gearbeitet werden muss, wenn es um Fragen von Diskriminierung oder natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit geht, sind Daten zur Staatsangehörigkeit oder zum „Migrationshintergrund“. Der Migrationshintergrund setzt sich zusammen aus (objektiven) Fakten zum Geburtsort (auch der Eltern, teilweise Großeltern), der Staatsangehörigkeit und dem Zeitpunkt der Einwanderung. Das seit elf Jahren (ein Jahr älter als das AGG) im Gebrauch des Statistischen Bundesamtes befindliche Konzept steht zunehmend in der Kritik (Will 2016), unter anderem, weil es zur Messung von rassistischer Diskriminierung nicht geeignet ist. Kurz gesagt, können weiße Personen ebenso in die Kategorie der „Personen mit“ wie auch der „ohne Migrationshintergrund“ fallen, und das gleiche gilt für Schwarze Personen. Das heißt, das Aussehen und andere wichtige Marker, über die Diskriminierungen häufig wirksam werden, wie ein vermeintlich fremder Name oder ein hörbarer Akzent, liegen quer zu diesem statistischen Konstrukt und bleiben so unerfasst und statistisch unsichtbar.
Was kann die Alternative sein zum Migrationshintergrund? Dafür gibt es bisher im deutschen Kontext zwei Vorschläge, die sich gegenseitig ergänzen können: Relevant wären Daten über die Selbstidentifikation und die angenommene Fremdzuschreibung. Zum einen können Daten über die subjektive Selbstauskunft zur eigenen Gruppenzugehörigkeit oder Identität einerseits (auto perception) erhoben werden, und zum anderen Daten über die Selbstauskunft zu einer Fremdzuschreibung (auto hetero perception). Dabei bestehen Spielräume für die Frageformulierung: Eine mögliche Frage nach der Selbstidentifikation wäre zum Beispiel: „Staatsangehörigkeit und Geburtsort sagen nicht alles über einen Menschen. Wie würden Sie am ehestem ihre kulturelle Zugehörigkeit beschreiben?“ (Selbstidentifikation). „Werden Sie üblicherweise als weiße/r Deutsch/er wahrgenommen?“ wäre eine weitere Option (angenommene Fremdzuschreibung).
Die Frage nach der selbstbekundeten Fremdwahrnehmung wäre im Diskriminierungskontext die treffendere, denn es macht die Diskriminierung gerade aus, dass eine Person durch den fremden Blick ein- (oder aus-)geordnet wird und ungewünschte (Kurz-)Schlüsse aus oberflächlichen Eigenschaften gezogen werden. Es gäbe für diese Aussage kein weiteres Wahrheitskriterium als die Auskunft einer Person, die kontextspezifisch und im Zeitverlauf unterschiedlich ausfallen kann. Welche Antwortkategorien sollten jedoch vorgegeben werden? Dazu besteht gesellschaftlicher Diskussions- und Forschungsbedarf. Die Auswahl der vorgegebenen Kategorien muss durch von Diskriminierung betroffene Gruppen diskutiert und entschieden werden.
Die Erhebung solcher Daten wäre ein Signal des Staates an seine Bürger/innen, sie in ihrer Unterschiedlichkeit als gleichberechtigt und gleichzugehörig anzuerkennen. Wahrscheinlich kann die gesellschaftliche Bereitschaft dazu, Bevölkerungsstatistiken zu erheben, die über eine innergesellschaftliche kulturelle und ethnische Vielfalt Auskunft geben, als Gradmesser dafür angesehen werden, inwiefern diese Diversität als selbstverständlicher Normalzustand angesehen wird. Insbesondere geht es dabei um die Fähigkeit einer Nation, sich als „Einheit in Vielfalt“ zu sehen – und gut zu heißen.
Literaturliste
- Chopin, Isabelle, Lilla Farkas & Cathrine Germaine (2014): Policy Report. Equality Data Initiative. Ethnic origin and disability data collection in Europe: Measuring inequality – combating discrimination. Open Society Foundations, Brussels.
- Cremer, Hendrik (2008): ... und welcher Rasse gehören Sie an? Zur Problematik des Begriffs ‚Rasse’ in der Gesetzgebung. Policy Paper No. 10, DIMR, (2. Akt. Aufl. 2009).
- Diakonie (Hg.). (2015): Parallelbericht an den UN-Antirassismusausschuss zum 19.-22- Bericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 ICERD. Rassistische Diskriminierung in Deutschland. Erscheinungsformen und menschenrechtliche Verpflichtungen zum Schutz vor rassistischer Diskriminierung.
- ENAR (2014): European Network against Racism: Measure – Plan – Act. How data collection can support racial equality.
- Will, Anne-Kathrin (2016): Migrationshintergrund im Mikrozensus: Wie werden Zuwanderer und ihre Nachkommen in der Statistik erfasst?
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers "10 Jahre Diskriminierungsschutz in Deutschland".