Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit – Zusammenfassung einer Studie der OECD

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Eva Degler fasst die Ergebnisse und politischen Empfehlungen der OECD-Studie „Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit – Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland“ zusammen.[i]

Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit - Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland, OECD-Studie, März 2017

2015 und 2016 kamen ca. 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Wenn man dieser Zahl die bisherigen durchschnittlichen Anerkennungsquoten zugrunde legt, kann man davon ausgehen, dass ca. 700 000 Personen Schutz nach internationalem Recht erhalten werden.

Im Februar 2017 waren bereits 9 Prozent der als arbeitssuchend gemeldeten Personen Asylbewerber oder Flüchtlinge. Diese hohe Zahl an Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist eine Herausforderung. Forschung aus OECD-Ländern belegt, dass sich die Beschäftigungsquoten von Flüchtlingen teils erst nach 10 bis 15 Jahren an die Quoten der im Inland geborenen Bevölkerung angleichen (EU-OECD, 2016). Daher ist es wichtig, frühzeitig passgenaue Möglichkeiten zum Spracherwerb und zur Weiterqualifizierung zu schaffen und außerdem sicherzustellen, dass Integrationsangebote aufeinander abgestimmt und langfristig gedacht sind. Zudem sollten politische Rahmenbedingungen die Schlüsselrolle der Arbeitgeber/innen in diesem Prozess berücksichtigen.

Frühzeitigen Zugang zu Integrationsmaßnahmen und dem Arbeitsmarkt erleichtern

Ein entscheidender Faktor für langfristige Arbeitsmarktergebnisse ist ein frühzeitiger Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Integrationsmaßnahmen. In diesem Bereich wurde in Deutschland eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Der Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber wurde gelockert und ist unter bestimmten Voraussetzungen nach drei Monaten möglich – im OECD-Vergleich eine relativ liberale Regelung. Außerdem wurden mit der Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive – 2016 waren das Antragstellende aus Eritrea, Iran, Irak, Somalia und Syrien – weitere Schritte eingeleitet, um eine frühzeitige Integration für diese Gruppe zu erleichtern.

Der Fokus auf Sprachkurse ist in der Tat wichtig. Abbildung 1 verdeutlicht, dass Flüchtlinge mit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen deutlich höhere Beschäftigungsquoten aufweisen (65 Prozent) als Flüchtlinge mit Anfänger- bzw. Grundkenntnissen (28 Prozent).

 

Quelle: Berechnungen des OECD-Sekretariats auf der Basis des Deutschen Mikrozensus (die Daten wurden vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt und beziehen sich auf Flüchtlinge, die sich 2014 in Deutschland aufgehalten haben)
Im Rahmen der OECD-Studie (2017) ergab eine gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales durchgeführte Arbeitgeberbefragung, dass etwa 50 Prozent  der Teilnehmenden bereits für geringqualifizierte Tätigkeiten zumindest gute Deutschkenntnisse erwarten.[ii] Bei Tätigkeiten mit mittleren Kompetenzanforderungen (Facharbeiter/innen) steigt der Anteil auf über 90 Prozent.

Daher wird es in der Zukunft wichtig sein, das Angebot an Sprachkursen weiter auszubauen. Obwohl die Zahl der Integrationskurse deutlich erhöht wurde, besteht immer noch ein großer ungedeckter Bedarf. 2016 erteilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ca. 560 000 Teilnahmeberechtigungen für einen Integrationskurs. Im selben Jahr begannen allerdings nur etwa 320 000 Personen auch tatsächlich einen Kurs. Anders ausgedrückt konnten 240 000 Personen, die ihren Berechtigungsschein 2016 erhielten, in jenem Jahr keinen Sprachkurs beginnen. Dabei handelt es sich um eine konservative Interpretation, da die Teilnehmerzahlen auch Personen beinhalten dürften, die eine Teilnahmeberechtigung bereits vor 2016 erhalten hatten.

Gezielte Integrationsmaßnahmen entwickeln

Daten zu Asylbewerber/innen im ersten Halbjahr 2016 zeigen, dass ca. 17 Prozent eine Hochschule im Herkunftsland besucht hatten, während rund 20 Prozent lediglich Grundschulbildung und weitere 10 Prozent keine formelle Schulbildung aufweisen konnten (Neske und Rich, 2016).[iii] Dieses breite Qualifikationsspektrum stellt die Integrationspolitik vor eine entscheidende Herausforderung: Integrationsangebote müssen heterogene Bildungshintergründe und berufliche Kompetenzen berücksichtigen, um effektiv zu sein.

Als Reaktion auf diese unterschiedlichen Bildungshintergründe wurde bereits das Angebot für Alphabetisierungskurse deutlich erhöht. Für andere Gruppen, wie z.B. Höherqualifizierte, Eltern oder junge Migrant/innen, sind solche Angebote allerdings noch stark ausbaufähig. Außerdem sollten passgenaue Angebote über den Spracherwerb hinausgehen und auch berufliche Bildung und Qualifizierung miteinschließen. Daher wird es wichtig bleiben, solche Angebote auszuweiten und anzupassen. Ein Beispiel sind hier die sogenannten Einstiegsqualifizierungen, die junge Menschen in Betrieben auf eine Berufsausbildung vorbereiten. Im November 2016 waren bereits ca. 30 Prozent aller Teilnehmenden dieser Maßnahme Asylbewerber/innen oder Flüchtlinge, allerdings fällt die absolute Zahl mit 3 200 Teilnehmenden noch gering aus.

Erfahrungen aus anderen OECD-Ländern zeigen, dass gerade die Integration von niedrigqualifizierten Flüchtlingen einige Zeit in Anspruch nehmen kann und gezielte Qualifizierungsangebote erfordert. In Schweden und Norwegen werden zum Beispiel zwei- oder dreijährige Einführungsprogramme angeboten, die Sprachkurse mit beruflichem Training verknüpfen. In Deutschland wurde zwar durch eine Reihe von Initiativen versucht, die Arbeitserfahrung von Asylbewerberinnen und Flüchtlingen zu erhöhen. Allerdings sollten hier mehr zielgerichtete Maßnahmen, vor allem für Geringqualifizierte, entwickelt werden, die Sprachtraining und berufliche Qualifizierung eng miteinander verzahnen. Zudem wird es wichtig sein, gezielte Angebote für Frauen auszubauen, die niedrigqualifiziert sind und/oder keine Arbeitserfahrung haben. 

Die Arbeitgeberbefragung verdeutlicht nochmals, dass gezielte Weiterbildungsangebote für geringqualifizierte Flüchtlinge essentiell sind. Arbeitgeber/innen, die bereits Asylbewerber/innen oder Flüchtlinge eingestellt hatten, gaben an, dass sich die Mehrheit der vergebenen Stellen auf einem niedrigen Qualifikationsniveau befand. In der Zukunft sehen sie allerdings Beschäftigungschancen vor allem für Facharbeiter (50 Prozent der Teilnehmenden) und hochqualifizierte Fachkräfte (15 Prozent).

Die Koordinierung zwischen verschiedenen beteiligten Akteuren verbessern

Da Integration eine Querschnittsaufgabe darstellt, an der eine Vielzahl verschiedener Akteure beteiligt ist, stellt sich in allen OECD-Ländern die Frage, wie Arbeitsmarktintegration am besten koordiniert werden kann. In Deutschland beinhaltet die Arbeitsmarktintegration von Asylbewerber/innen und Flüchtlingen momentan einen Zuständigkeitswechsel, sobald Asylbewerber/innen einen positiven Asylbescheid erhalten. Die Bundesagentur für Arbeit, die während des Asylverfahrens zuständig ist, überträgt die Verantwortung auf die Jobcenter, die für Sozialhilfeempfänger/innen, einschließlich Flüchtlinge, zuständig ist. In der Verwaltungspraxis führt dieser Wechsel immer wieder zu Problemen, etwa in Bezug auf den Datentransfer und die Übermittlung von Informationen zu vorhergegangenen Maßnahmen. Jüngste Initiativen mit dem Ziel des Aufbaus zentraler Anlaufstellen, in denen mehrere Akteure (z.B. Jobcenter, Arbeitsagentur, örtliche Ausländerbehörden und Sozialdienste) unter einem Dach angesiedelt sind, stellen daher eine positive Entwicklung dar und sollten ausgeweitet werden. 

Diejenigen unterstützen, die Arbeitsplätze bereitstellen

Ohne die Bereitschaft von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Asylbewerber/innen und Flüchtlinge einzustellen, ist Arbeitsmarktintegration kaum möglich. Daher ist es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Arbeitgeber/innen so weit wie möglich erleichtern, Asylbewerber/innen und Flüchtlinge einzustellen. Ergebnisse der Arbeitgeberbefragung zeigen allerdings, dass Rechtsunsicherheit für viele Umfrageteilnehmenden ein Problem darstellt. Fast 70 Prozent betonten die Wichtigkeit einer erhöhten Rechtssicherheit für Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus als Voraussetzung für die Bereitschaft, sie einzustellen. Dies beinhaltet Asylbewerber/innen, Geduldete und Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz.[iv] Eine neue, sogenannte 3+2 Regelung adressiert dieses Problem teilweise und erlaubt unter bestimmten Umständen, dass Asylbewerber/innen und Geduldete während einer dreijährigen Berufsausbildung in Deutschland bleiben können. Finden sie anschließend ein Arbeitsplatz, wird die Erlaubnis um zwei Jahre verlängert. Allerdings wird diese Regel von den lokal zuständigen Ausländerbehörden nicht flächendeckend angewandt und gilt zudem nicht für subsidiär Schutzberechtigte. Hier besteht Handlungsbedarf.

Außerdem halten rund drei Viertel der Umfrageteilnehmer/innen berufsbezogene Sprachkurse während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses für sehr wichtig, um Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Bisher war das Angebot an solchen Kursen eher gering, im Jahr 2017 sollen allerdings ca. 175 000 Plätze in berufsbezogenen Sprachkursen finanziert werden.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Deutschland – mit starker Unterstützung der Zivilgesellschaft – relativ schnell reagiert und die politischen und bürokratischen Rahmenbedingungen angepasst hat, um die Arbeitsmarktintegration von Asylbewerber/innen und Flüchtlingen zu erleichtern. Dies betrifft vor allem den erleichterten Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber/innen und den Ausbau von Sprachkursen. Allerdings bleibt die Herausforderung eine koordinierte, längerfristige Integrationsstrategie zu entwickeln, die Sprachkurse und berufliche Weiterbildung eng verzahnen. Dies erfordert auch eine verbesserte Koordinierung zwischen den beteiligten Akteur/innen. Vor allem für geringqualifizierte Asylbewerber/innen und Flüchtlinge sollte ein längerfristiger Ansatz als Investition gesehen werden, um die Chancen dieser Menschen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Außerdem wird es auch in Zukunft essentiell sein, Arbeitgebende zu unterstützen, Rechtssicherheit zu erhöhen und berufsbezogene Sprachkurse weiter auszubauen.

 

Quellen:

EU-OECD (2016), How are refugees faring on the labour market in Europe? A first evaluation based on the 2014 EU Labour Force Survey ad hoc module, Working Paper, No. 1/2016, http://dx.doi.org/10.2767/350756.

Neske, M. und A.K. Rich (2016), Asylerstantragsteller in Deutschland im ersten Halbjahr 2016. Sozialstruktur, Qualifikationsniveau und Berufstätigkeit, BAMF-Kurzanalyse, Ausgabe 4/2016, Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg.

OECD (2016), Erfolgreiche Integration – Flüchtlinge und sonstige Schutzbedürftige, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264251632-de.

OECD (2017),  Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit. Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland, OECD Publishing, Paris, http://www.oecd.org/els/mig/Labour-Market-Integration-Refugees-Germany-2017-de.pdf.

Anmerkungen:


[i] Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der OECD-Studie „Nach der Flucht: Der Weg in die Arbeit – Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland“ (OECD, 2017), die von Eva Degler zusammen mit Thomas Liebig verfasst wurde. Die darin zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Argumente spiegeln nicht zwangsläufig die offizielle Einstellung der Organisation oder der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten wider. Online abrufbar unter http://www.oecd.org/els/mig/Labour-Market-Integration-Refugees-Germany-2017-de.pdf .

[ii] An dieser nicht-repräsentativen Befragung nahmen rd. 2 200 Arbeitgeber teil.

[iii] Asylbewerber aus Syrien und dem Iran sind generell besser qualifiziert als der oben genannte Durchschnitt.

[iv] Die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten erhält einen einjährigen, erneuerbaren Aufenthaltsstatus und kann eine Familienzusammenführung erst ab 2018 beantragen. Ihr Anteil an allen positiven Asylbescheiden ist stark gestiegen von weniger als 1% im Jahr 2015 auf ca. ein Drittel im folgenden Jahr.