Leseprobe von Zehra Çırak

Lesedauer: 4 Minuten
Portraitbild von Zehra Çırak

Zwei unveröffentlichte Gedichte von Zehra Çirak

Laut meiner Jürgenlosigkeit   

Tonlos sprachlos blicklos

und keine Berührung mehr

kein sinnlich sinnvolles

Glattstreichen der Gänsehaut

die aus Glück auf Glück bestand

Der Seelenzustandsanzeiger

dreht durch und durch

und droht in bewegter Gefahr

ohne der Liebesaufsicht zweifach

zischend ab und davon zu geraten

An jedem Morgen neu der Tau

Des leise furchtvollen Atmens

In Räumen voller Jürgenlosigkeit

Und der Zeittrost scheint wie Butter

Dem das Brot gestohlen

Die Lebensgeister gehen

mit den Totengeistern Hand in Hand

ziellos als ob sie gar nicht ahnten

mit wem in diesem Spaziergang

sie aussichtslos verbunden

 

 

Ich wollte so gern ein Stern sein

Seelenklimawandel

Das Dasein ist ein Riesenrad

Wir Menschen sind nur Zwerge

Trotzdem geht der Mond

auf und ab

im Nehmen

und die Sterne schauen

ab und zu

mit halbblinden Augen

der sorg-

losen Ohren wegen

Manchmal sie blinken

und tönen

als ob sie lauthals Leben wären

Ach man möcht so gerne

der Sterne Wegen

 nur

ein lautlos Lichtlein sein

 

 

Aus Vogel auf dem Rücken eines Elefanten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1991, Köln

KRAGENLOS

Er hat einen Kragen aus Seidenpapier

aus Federn sind seine Schuhe gemacht

Hüte trägt er nur

wenn sie unsichtbar sind

und Handschuhe

aus diesem gleichen Material

den Gürtel um die Hüften herum

das möchte sie sein

sie hat ein kragenloses Hemd

in ihren Schuhen rollen Glasmurmeln

ihre Hand schon ausgestreckt

der glänzende Lack auf ihren Fingern

das möchte er sein

 



Aus Fremde Flügel auf eigener Schulter, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1994, Köln

DER VERLORENE FREUND

Mich seinen Freund seinen guten

nennt er Nutznießer der Gemeine

der Hund und bellt mich an

Soviel Gutes sagt er böse

hätte er mir angetan

und wischt mit dem Ärmel

über meinen schaumigen Mund

ich solle bleiben wo die Pfeffermühle wächst

sagt er dreht sich um und weiß

daß ich noch gar nicht weiß wo das ist

er gibt mir seine Hand und eilt

zum Brunnen um sich die seine zu waschen

mit meinem Dreck

ruft er mir noch zu

könnte man Planeten

so groß wie mein Hirn versaun

er grunzt mir ins Gesicht

kennt mich von nun an nicht mehr

und beleidigt

durch seine Nichtanwesenheit mich

Ich denke ständig an ihn

ich war sein bester Freund

aber es ist nicht mehr der meine

so sehe ich die Sache

und schließe meine Augen

vor diesem Verlust

 



Aus In Bewegung, Verlag Hans Schiler, 2008-2015, Berlin

Als ich

Als ich mir die Lippen schminkte

die Augen bemalte

mich wie ein Krieger vorbereitete

zum Kampf

wusste ich nicht wer mein Gegner war

wen ich bekämpfen musste

aber als ich auf dem Schlachtfeld stand

sah ich diese Augen und Lippen

gleiche Farben und doch

jetzt auf dem Schlachtfeld wird mir bewusst

dass ich es bin

den ich zu bekämpfen versuche

und wie der Regen meine Kriegsbemalung

plötzlich die Fluten wegspült

wird mir bewusst dass ich

mit meinen Waffen mich selbst

zu vernichten versuche

 

Worte und Taten

Die Wahrheit sagt Eros sei wie Wasser

daraus Leben entsteht

Liebe sei wie Luft

die dem Leben Dauer gebe

und die Leidenschaft

sei diese Energie

die das Wasser zum Kochen bringe

und diese Liebe Blut und Wasser

schwitzen mache

der Rest sagt die Wahrheit

ist nur Dichtung

 

Vater

Das Lächeln des Vaters

das Tätscheln seiner Hand

seine Finger beim Ohrenlangziehen

sein erstes Brüllen und Schreien

beim Erblicken des neuen Lichtes

das trotzig aus dem Gesicht des Kindes prahlt

Vaterliebe in Vaterküssen auf Kinderaugen

Vaterohren für leise Kinderlügen

Muttertöne in Vatermahnungen

alles in des Kindes Furcht

Vatermutterzänke unter vorgehaltener Tür

seine Füße auf dem Kindersitz

ihre Hände auf dem Kinderkopf

Vaters Mund auf Mutters Tränen

und Mutters Wort für Vaters Müh

Vatergestöhn und Muttergeseufz

im ungestörten Kinderschlaf

Vaterhimmel auf Kindererden

die erste Anprobe des Spieles

Vaterhose ist versteckt

das heimliche Einsteigen in dieselbe

Vatergröße vom Kind gemacht

die letzte aus Vaterhose gestohlene Münze

die Erinnerung an Taschengeld

Vaterstolz auf Kinderfleiß

Ach der Vater der er ist

zu lange der Vater fort

zu kurz im Kinderzimmer

Vaterkloß im Kinderhals