Leseprobe von Zehra Çırak

Portraitbild von Zehra Çırak

Zwei unveröffentlichte Gedichte von Zehra Çirak

Laut meiner Jürgenlosigkeit   

Tonlos sprachlos blicklos
und keine Berührung mehr
kein sinnlich sinnvolles
Glattstreichen der Gänsehaut
die aus Glück auf Glück bestand

Der Seelenzustandsanzeiger
dreht durch und durch
und droht in bewegter Gefahr
ohne der Liebesaufsicht zweifach
zischend ab und davon zu geraten

An jedem Morgen neu der Tau
Des leise furchtvollen Atmens
In Räumen voller Jürgenlosigkeit
Und der Zeittrost scheint wie Butter
Dem das Brot gestohlen

Die Lebensgeister gehen
mit den Totengeistern Hand in Hand
ziellos als ob sie gar nicht ahnten
mit wem in diesem Spaziergang
sie aussichtslos verbunden

 

 

Ich wollte so gern ein Stern sein

Seelenklimawandel

Das Dasein ist ein Riesenrad

Wir Menschen sind nur Zwerge

Trotzdem geht der Mond

auf und ab

im Nehmen

und die Sterne schauen

ab und zu

mit halbblinden Augen

der sorg-

losen Ohren wegen

Manchmal sie blinken

und tönen

als ob sie lauthals Leben wären

Ach man möcht so gerne

der Sterne Wegen

 nur

ein lautlos Lichtlein sein

 

 

Aus Vogel auf dem Rücken eines Elefanten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1991, Köln
KRAGENLOS

Er hat einen Kragen aus Seidenpapier
aus Federn sind seine Schuhe gemacht
Hüte trägt er nur
wenn sie unsichtbar sind
und Handschuhe
aus diesem gleichen Material
den Gürtel um die Hüften herum
das möchte sie sein
sie hat ein kragenloses Hemd
in ihren Schuhen rollen Glasmurmeln
ihre Hand schon ausgestreckt
der glänzende Lack auf ihren Fingern
das möchte er sein

 

Aus Fremde Flügel auf eigener Schulter, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1994, Köln
DER VERLORENE FREUND

Mich seinen Freund seinen guten
nennt er Nutznießer der Gemeine
der Hund und bellt mich an

Soviel Gutes sagt er böse
hätte er mir angetan
und wischt mit dem Ärmel
über meinen schaumigen Mund
ich solle bleiben wo die Pfeffermühle wächst
sagt er dreht sich um und weiß
daß ich noch gar nicht weiß wo das ist
er gibt mir seine Hand und eilt
zum Brunnen um sich die seine zu waschen
mit meinem Dreck
ruft er mir noch zu
könnte man Planeten
so groß wie mein Hirn versaun
er grunzt mir ins Gesicht
kennt mich von nun an nicht mehr
und beleidigt
durch seine Nichtanwesenheit mich

Ich denke ständig an ihn
ich war sein bester Freund
aber es ist nicht mehr der meine
so sehe ich die Sache
und schließe meine Augen
vor diesem Verlust

 

Aus In Bewegung, Verlag Hans Schiler, 2008-2015, Berlin
Als ich

Als ich mir die Lippen schminkte
die Augen bemalte
mich wie ein Krieger vorbereitete
zum Kampf
wusste ich nicht wer mein Gegner war
wen ich bekämpfen musste
aber als ich auf dem Schlachtfeld stand
sah ich diese Augen und Lippen
gleiche Farben und doch
jetzt auf dem Schlachtfeld wird mir bewusst
dass ich es bin
den ich zu bekämpfen versuche
und wie der Regen meine Kriegsbemalung
plötzlich die Fluten wegspült
wird mir bewusst dass ich
mit meinen Waffen mich selbst
zu vernichten versuche

 

Worte und Taten

Die Wahrheit sagt Eros sei wie Wasser
daraus Leben entsteht
Liebe sei wie Luft
die dem Leben Dauer gebe
und die Leidenschaft
sei diese Energie
die das Wasser zum Kochen bringe
und diese Liebe Blut und Wasser
schwitzen mache
der Rest sagt die Wahrheit
ist nur Dichtung

 

Vater

Das Lächeln des Vaters
das Tätscheln seiner Hand
seine Finger beim Ohrenlangziehen
sein erstes Brüllen und Schreien
beim Erblicken des neuen Lichtes
das trotzig aus dem Gesicht des Kindes prahlt

Vaterliebe in Vaterküssen auf Kinderaugen
Vaterohren für leise Kinderlügen
Muttertöne in Vatermahnungen
alles in des Kindes Furcht
Vatermutterzänke unter vorgehaltener Tür
seine Füße auf dem Kindersitz
ihre Hände auf dem Kinderkopf
Vaters Mund auf Mutters Tränen
und Mutters Wort für Vaters Müh
Vatergestöhn und Muttergeseufz
im ungestörten Kinderschlaf

Vaterhimmel auf Kindererden
die erste Anprobe des Spieles
Vaterhose ist versteckt
das heimliche Einsteigen in dieselbe
Vatergröße vom Kind gemacht
die letzte aus Vaterhose gestohlene Münze
die Erinnerung an Taschengeld
Vaterstolz auf Kinderfleiß

Ach der Vater der er ist
zu lange der Vater fort
zu kurz im Kinderzimmer
Vaterkloß im Kinderhals