„Wir gehören hierhin, wir haben eine Stimme und wir wollen mitreden“

Interview

Marcel Hopp ist seit 2011 Mitglied in der SPD und kandidiert in diesem Jahr erstmals als Direktkandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus. Im Interview mit Ngoc Bich Tran spricht er über seine Visionen einer postmigrantischen Gesellschaft und erklärt, warum es gerade für junge BIPoC so wichtig ist, die eigene Stimme zu nutzen und sich politisch einzubringen.

Portrait von Marcel Hopp
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Marcel Hopp ist Vorsitzender der SPD Gropiusstadt im Berliner Bezirk Neukölln. Bild: Maximilian Neudert

Marcel Hopp (33) ist in Berlin-Neukölln geboren und aufgewachsen. Er hat an der Humboldt-Universität Germanistik und Geschichte studiert und arbeitet seit 2015 als Lehrer an einer Neuköllner Oberschule.

Er ist seit 2018 Vorsitzender der SPD Gropiusstadt und stellvertretener Vorsitzender der SPD Neukölln. Als Bürgerdeputierter (sachkundiger Bürger) sitzt er im Ausschuss für Bildung, Schule und Kultur der Bezirksverordneten-versammlung von Neukölln. Darüber hinaus ist er seit 2020 kooptiertes Mitglied im Landesvorstand der SPD Berlin. Für die Berliner Abgeordnetenhauswahlen 2021 kandidiert er als Direktkandidat im Bezirk Neukölln.

Ngoc Bich Tran: Du kandidierst für das Abgeordnetenhaus für die Gropiusstadt, Buckow Nord und das nördliche Blumenviertel. Was sind deine Themen?

Marcel Hopp: Als Direktkandidat habe ich den Anspruch, die Themen des Wahlkreises zu sehen und zu vertreten. Hier in der Gropiusstadt, Buckow Nord und im nördlichen Blumenviertel sind für mich fünf Themen besonders wichtig: Das sind bezahlbarer Wohnraum, gute Bildung und Chancengleichheit, der Kampf gegen Armut, die Stärkung der Zivilgesellschaft und das Thema Sauberkeit und Sicherheit. All die Dinge, die einen lebenswerten Kiez ausmachen. Damit trete ich an und hoffe, diesen Wahlkreis direkt zu gewinnen.

Du sagst, dass du schon immer ein politischer Mensch gewesen bist. Was hat dich dazu bewegt, selbst politisch aktiv zu werden?

Politisch aktiv geworden bin ich mit 23 Jahren. Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Zu Hause am Küchentisch haben wir viel über Politik gesprochen und auch über die Frage, wie man die Gesellschaft und das Zusammenleben verändern kann. Auch die Aspekte von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben immer eine Riesenrolle in meinem Leben gespielt. Das fasziniert mich seit langem und irgendwann hat mir dieses politisch Interessiert- und Informiertsein nicht gereicht, sondern für mich war klar: Ich möchte mitsprechen, ich möchte mitgestalten.

… und bist daraufhin der SPD beigetreten?

Erst bei den Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Am Anfang bin ich erstmal offen an die Sache rangegangen. Aber in der Auseinandersetzung mit den Parteien fand ich die Grundwerte der SPD – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – total ansprechend und gesellschaftlich sehr relevant, sodass ich nach einem Jahr Mitgliedschaft entschieden habe, mich hier zu engagieren.

Eine weitere Motivation ist auch, innerhalb der SPD dazu beizutragen, dass diese Partei sich wieder stärker ihren Grundwerten zuwendet und echte soziale Politik macht und das natürlich auch aus einer BIPoC-Perspektive. Für mich nimmt die Frage, wie man die marginalisierten Gruppen in unserer Gesellschaft stärker abbildet, repräsentiert und einen Weg findet hin zu einer postmigrantischen Gesellschaft, eine ganz wichtige Stellung ein. Aus alldem bündelt sich meine Motivation, politisch aktiv zu sein und auch tatsächlich in der letzten Konsequenz, zu kandidieren.

Welche Erfahrungen machst du als Politiker of Color?

Bezogen auf meine Migrationsgeschichte muss ich sagen, habe ich nicht viele negative Erfahrungen machen müssen, aber ich muss da auch differenzieren zwischen Erfahrungen innerhalb der Partei und außerhalb. Innerhalb der Partei hat sich viel getan, sodass Strukturen geschaffen wurden, in denen Repräsentanz immer wichtiger geworden ist. Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam viel erreicht, um diese Strukturen diverser zu machen. Das ist ein Prozess und der geht natürlich einigen nicht schnell genug, aber ich muss sagen, da ist etwas in Bewegung.

Im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern glaube ich, dass ich als relativ junger Kandidat mit erkennbarer Migrationsgeschichte in diesem Wahlkreis sehr positive Rückmeldungen bekomme, sowohl von jungen Menschen, die hier zum Großteil Migrationsgeschichte haben, aber eben auch von vielen, die als Gastarbeiter*innen oder als Spätaussiedler*innen hergekommen sind. Als PoC bekomme ich am Infostand oder im Internet von rechter Seite auch Ablehnung oder Hass ab. Das ist leider Teil dieser Realität, aber bisher habe ich eher viel Zuspruch bekommen für meine Arbeit.

Man bekommt ja oft genug Fälle von Menschen mit, die politisch aktiv sind und dann aber so viel Gegenwind bekommen, dass sie wieder zurücktreten. Das schreckt natürlich auch Menschen davon ab, sich selbst politisch zu engagieren. Von daher ist es schön zu hören, dass es auch anders gehen kann.

Ich würde da auch immer selbstkritisch hinzufügen, dass es in unserer Zeit und Gesellschaft leider davon abhängt, was für eine Art von Migrationsgeschichte du hast. Orkan Özdemir, mein Genosse und auch Kandidat für Schöneberg, hat als Kandidat türkischer Herkunft ganz andere Erfahrungen und erlebt wirklich rassistische Bedrohungen und das ist auch Teil dieser Wahrheit. Und was sicherlich auch mitschwingt bei mir, ist so eine gewisse Art von Model Minority-Mythos, den asiatisch gelesene Menschen oft als Vorurteil erleben. Ich bin Halbasiate, das heißt, eine Art von White Passing wird da ebenso eine Rolle spielen. Das gehört mit dazu, das zu reflektieren, und zeigt auch, dass Rassismus ein vielschichtiges gesellschaftliches Problem ist, das wir bekämpfen müssen.

Als Lehrer unterrichtest du die Fächer Deutsch, Geschichte, Politik und Ethik und hast schon allein deswegen den Anspruch, Menschen mehr für Politik zu begeistern. Was sagst du zum Thema Politikverdrossenheit?

Aus einer BIPoC-Perspektive muss ich sagen, dass – und ich weiß, dass der Satz mit Vorsicht zu genießen ist – wir es uns nicht leisten können, politikverdrossen zu sein, auch wenn ich nachvollziehen kann, wenn es einzelne geworden sind. Aber als Teil einer neuen Generation in diesem Land ist es unsere Aufgabe und unser Recht zu sagen: Wir gehören hierhin, wir haben eine Stimme und wir wollen mitreden, auch wenn es immer wieder in öffentlichen Debatten in Frage gestellt wird. Das Mindeste, was wir wollen, ist Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen und das ist nicht zu viel verlangt.

Gleichzeitig ist es natürlich ein strukturelles Problem und ich glaube, das gilt für alle marginalisierten Gruppen – für BIPoCs, aber auch beispielsweise für Menschen, die sozial benachteiligt sind – dass sie nicht die Repräsentanz erfahren, die sie gesellschaftlich abbilden. Das führt dann auch oft zu Politikverdrossenheit, weil dieses Gefühl, auf mich achtet ja sowieso keiner, entsteht. Und aus der Perspektive ist es umso wichtiger, dass BIPoCs in diesem Land und in diesem Bezirk auch ihre Repräsentanz und Teilhabe finden. Jedes zweite Kind in diesem Wahlkreis hat eine Migrationsgeschichte. Am Ende des Tages kommen wir nicht umhin, diese Stimmen lauter und sichtbarer zu machen.

Das heißt, es braucht mehr Vorbilder?

Ja, ich glaube, es hat etwas mit Vorbildern zu tun, es hat aber auch was mit strukturellem Wandel zu tun. Wir sehen ja, dass die Gesellschaft der Struktur bereits voraus ist. Gesellschaftlich sind wir längst eine postmigrantische Gesellschaft. Wir sind die zweite, dritte Generation von Einwanderern, von Gastarbeiter*innen und Spätaussiedler*innen, die hergekommen sind. Gesellschaftlich haben wir bereits diesen Status quo einer postmigrantischen Gesellschaft, aber strukturell noch nicht. Und da müssen wir hin, sowohl in Parlamenten, in der Verwaltung, in Lehrerzimmern oder auch in der Presselandschaft oder bei der Polizei. Das ist unsere Aufgabe, weil dort auch Entscheidungen getroffen werden und wenn Perspektiven fehlen, sowohl BIPoC-Perspektiven als auch andere marginalisierte Perspektiven, dann ist das ein Problem für die Demokratie und unser Zusammenleben. Das wiederum führt auch zu mehr Politikverdrossenheit.

Hattest du politische Vorbilder?

Ich könnte jetzt Namen von Politiker*innen nennen, die mich beeindruckt haben, aber ich glaube, unterm Strich sind es einfach meine Eltern. Meine Mutter kommt aus Südkorea; als Krankenschwester ist sie mit keinem Wort Deutsch hergekommen zu einer Zeit, in der sich nicht viel darum gekümmert wurde, wie Menschen Deutsch lernen oder sich integrieren können. Meine Mutter hat sich ihren Platz in dieser Gesellschaft hart erkämpfen müssen und sie ist jetzt, würde ich sagen, zu 100 Prozent angekommen. Sie ist heute zum Beispiel sehr aktiv in der koreanischen Kirche, kümmert sich viel um die Gemeinde und ist immer total engagiert für andere.

Mein Vater ist als Heimkind und Schlosser über den zweiten Bildungsweg Diplom-Ingenieur geworden und ist absolut politisch. Er ist es, der mir auch sehr viel beigebracht hat, wie ich ein kritischer Mensch werde. Beide zeichnet eine absolute Kämpferbiografie voller Etappen in ihrem Leben aus, in denen sie sich durchboxen mussten, wo ihnen keiner geholfen hat und wo es auch ins Ungewisse ging. Beide waren nie parteipolitisch aktiv, aber in der Frage, wie man seine Stimme und seinen Weg findet und wer ich als politische Person bin, haben mich am meisten meine Eltern geprägt.

Drei Menschen sitzen auf einer Bank vor einer großen Foto-Wand mit vielen unterschiedlichen Gesichtern.

Portraitreihe: Repräsentation, Teilhabe, Empowerment

Die plurale Migrationsgesellschaft wird in deutschen Parlamenten weiterhin kaum oder viel zu wenig abgebildet. Das ist ein Problem für die repräsentative Demokratie und für gerechte politische Teilhabe und Partizipation. Mit der Portraitreihe junger Politiker*innen of Color, die sich erstmals auf ein politisches Amt auf Landes- oder Bundesebene bewerben, möchten wir Stimmen und Perspektiven stärken, die im politischen Betrieb immer noch zu wenig repräsentiert und sichtbar sind. Hier geht es zu allen Interviews der Portraitreihe.

Du betreibst zusammen mit zwei weiteren Personen den Podcast „Power of Color“. Worum geht es in diesem Podcast?

Mir ist wichtig zu betonen, dass unser Podcast unabhängig von meinem parteipolitischen Engagement ist. Vielmehr ist der Podcast, den ich mit Melis Yeter und Cindy Adjei zusammen monatlich mache, unser privater Safespace, den wir für uns im letzten Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, nach der Ermordung von George Floyd und der Black Lives Matter-Bewegung, aber auch nach dem Zuwachs des anti-asiatischen Rassismus während der Pandemie, geschaffen haben, um über unsere Perspektiven reden zu können. Denn was wir alle drei immer wieder gesehen haben, ist, dass in der öffentlichen Debatte immer noch viel über Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wird, aber wenig Raum geschaffen wird, in dem sie selbst über ihre Perspektiven sprechen können. Deswegen haben wir gesagt, möchten wir einen Beitrag dazu leisten, einen Raum zu schaffen – und zwar communityübergreifend.

Für mich persönlich war es auch wichtig, einen Raum zu haben, in dem ich über meine Migrationsidentität reden kann, weil ich vorher im Leben nicht viele Räume hatte, wo ich das konnte oder wo ich mich sogar teilweise damit zurückgenommen habe, vor allem in meiner politischen Arbeit, um nicht auf meine Migrationsgeschichte reduziert zu werden. Mittlerweile sind wir seit einem Jahr dabei und sind total glücklich über diese Entscheidung, weil wir auch richtig tolles Feedback und viel Zuspruch für unsere Arbeit bekommen.

Was würdest du jungen Politiker*innen, insbesondere Politiker*innen of Color, die sich engagieren möchten, mitgeben?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns als Politiker*innen of Color stärker vernetzen, und zwar parteiübergreifend. Eben weil wir Perspektiven mitbringen, die strukturell zu wenig gesehen werden. Wenn ich an meinem politischen Engagement der letzten Jahre etwas ändern würde, wäre es, mich noch mehr mit anderen aktiven BIPoCs zu organisieren und mich weniger in meinen eigenen Fachgebieten zurückzuziehen. Der Selbstanspruch einer Partei, diverser zu werden, hängt letztlich davon ab, wie stark unsere Organisationskraft innerhalb der Parteien ist. Und ansonsten würde ich grundsätzlich sagen, mutig sein. Am Ende des Tages können wir nur gewinnen. Und dafür müssen wir mutig sein. Wir müssen hörbarer werden und das schaffen wir nur, indem wir uns zusammentun und aus verschiedenen Perspektiven heraus mit einer lauten Stimme sprechen.