Communitybasierter Journalismus für Schwarze Frauen

Interview

Ciani-Sophia Hoeder ist Chefredakteurin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum, das sie 2019 gründete. Im Interview mit Ngoc Bich Tran spricht sie über communitybasierten Journalismus und die Frage, warum es ein Lifestyle-Magazin für Schwarze Frauen braucht.

Lesedauer: 8 Minuten
Portrait von Ciani-Sophia Hoeder
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Ciani-Sophia Hoeder

Ngoc Bich Tran: RosaMag ist das erste Online-Lifestylemagazin für afrodeutsche Frauen. Welche Themen deckt ihr ab?

Ciani-Sophia Hoeder: Unsere vier Kategorien sind Menschen, Leben, Kultur und Lifestyle, wobei der Schwerpunkt auf politischen und gesellschaftlichen Themen liegt. Wir machen eine Mischung aus Portraits von Schwarzen FLINTA(1), um zu zeigen, wie heterogen Schwarze FLINTA sind. Aber auch popkulturelle Phänomene wie „Wie pflegst du deine Afrohaare im Winter“ decken wir in unserem Magazin ab.

Du sprichst von Schwarzen FLINTA, anstatt von Frauen. Warum?

Wenn man sich als Magazin auf eine Gruppe fokussiert, die in weißen Strukturen Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen macht, kommt man irgendwann an den Punkt, dass man sagt, es gibt ja Mehridentitäten – es gibt nicht nur Schwarze Frauen, denn das Konzept von Frau ist auch heteronormativ: Frauen werden zu Frauen gemacht, um Simone de Beauvoir(2) zu zitieren. Eine Schwarze Frau kann queer sein oder eine Behinderung haben und wir wollen auf diese Nuancen eingehen. Klassische Lifestyle-Magazine sind meistens eher heteronormativ geprägt. Unser Anspruch war es nie, das alles zu machen, um die patriarchalen Strukturen zu bebauchpinseln, sondern wir wollten etwas schaffen, das empowernd und informativ ist. Wir waren schon immer ein feministisches Magazin. Wir hatten Situationen, in denen wir darüber diskutiert haben, was es bedeutet eine Frau zu sein und haben erkannt, dass es nicht reicht, nur von Schwarzen Frauen zu sprechen. Deshalb sprechen wir von FLINTA.

Warum braucht es ein Magazin für Schwarze FLINTA?

Im Prinzip ist die Idee aus einer Wut heraus entstanden. Es gab zumeist entweder nur eine sehr eindimensionale Berichterstattung von Schwarzen FLINTA oder auch gleichzeitig gar keine, so als würden sie gar nicht existieren. Schwarze FLINTA wurden überhaupt nicht mitgedacht mit dem Argument, dass es ja nur so eine kleine Gruppe sei, und darüber war ich total gefrustet. Ich wollte eine eigene Plattform schaffen und über all diese Themen berichten, die in anderen Redaktionen abgelehnt werden.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Herkömmliche Lifestyle-Medien decken nie Afrohaare ab. Es gibt auch keine Make-Up oder Haarpflege-Tipps für Schwarze FLINTA. Schwarze Frauen haben beispielsweise ein viel höheres Brustkrebsrisiko, weil ihre Pflegeprodukte chemisch belastet sind. Unser Anspruch dabei ist es, Dinge so simpel zu erzählen, dass auch wirklich alle erreicht werden können. Mit unserem Format Rosapedia gehen wir zum Beispiel auf soziale, soziologische und politische Phänomene wie Colorism oder Intersektionalität ein, die sehr akademisiert sind und versuchen, wissenschaftliche Konzepte auf Youtube ein bisschen unterhaltend mit cooler Musik und im Infotainment-Style runterzubrechen. Das kommt total gut an, weil es niedrigschwelliger ist und keine komplexen Anglizismen beinhaltet oder Fremdwörter verwendet werden. 

Ich glaube, im Journalismus wurde auch oft einfach füreinander geschrieben. Der Journalismus ist sehr weiß, heterosexuell und akademisch und es werden immer dieselben Geschichten erzählt. Ich habe vor kurzem gelesen, dass nur 30 Prozent der Deutschen Akademiker*innen sind. Und wenn man sich das vergegenwärtigt, dass diese 30 Prozent machtpolitisch die Gesellschaft definieren und die sehr von sich selbst ausgehen, ist das schon krass. Eigentlich müsste es genau andersherum sein. Und ja, es ist so verführerisch – je mehr ich in diese Bubble hineingeraten bin, desto mehr habe ich gemerkt, dass ich selbst auf einmal sehr viele Begriffe verwendet habe, die ich früher gar nicht verstanden hab. Wir sitzen in unseren Redaktionsmeetings und verstehen die Phänomene und hauen diese Wörter raus. Aber wenn wir so schreiben, wie wir in unseren Redaktionen sprechen, dann schreiben wir nur füreinander.

Wie sind die Reaktionen auf das Magazin?

Aus Perspektive der Zielgruppe kommt es darauf an, wen man fragt. Es gibt sehr politisierte Leser*innen, die sagen, dass wir zu soft seien und noch ein bisschen mehr knallen könnten. Dann gibt es Leute, die uns zu politisch finden und wiederum andere finden uns genau richtig.

Im medialen und journalistischen Kontext sind wir sehr beliebt und werden als Expertinnen sehr ernst genommen. Wir waren ja auch für den Grimme Online-Award nominiert. Mit der Nominierung kam schon auch die Anerkennung darüber, dass wir ein Teil der Medienlandschaft sind und eine Wertschätzung unserer Arbeit. Und ich glaube, für andere ist es auch eine Motivation gewesen, selbst ein Medienkonzept zu gestalten, weil sie durch unsere Nominierung gesehen haben, dass es funktionieren kann. Mein Wunsch ist es ja, dass es nicht nur das RosaMag, sondern dass es eine Auswahl an Magazinen gibt, die vielleicht einen ganz anderen Schwerpunkt setzen und vielleicht alles ganz anders machen als wir. Aber man sieht schon, dass so langsam ganz viele kleine Magazine entstehen, weil die pure Sichtbarkeit von uns schon dazu führt, dass Leute sagen: Wir finden es doof, wie die das machen, also machen wir es besser.

Der Name des Magazins ist angelehnt an Rosa Parks, der Schwarzen Bürgerrechtlerin aus den USA: Welche Bedeutung hat diese Referenz für euer Magazin?

Es geht um kollektive Veränderungen und es geht darum, sich als Kollektiv gemeinschaftlich Ziele zu setzen. Rosa Parks hat mit ihrem Busboykott dazu beigetragen, dass im öffentlichen Verkehr nicht mehr segregiert wurde. Sie war quasi diese eine Symbolkraft, die als Puzzleteil in einem größeren Kontext aus der Unsichtbarkeit herausgetreten ist und andere dazu motiviert hat, zu sagen: Wenn die das macht, mache ich das auch. Und so wurde, ganz pathetisch betrachtet, Rosa Parks zur Namensgeberin vom RosaMag, weil wir uns auch als ein Puzzleteil in diesem ganzen Kontext verstehen: Wir sind ein Teil davon und wir wollen dazu beitragen, aber wir sehen auch ein, dass wir das ohne alle anderen nicht können.

Was zeichnet eure Redaktion aus bzw. was fehlt deiner Meinung nach in den gängigen Redaktionen, sowohl inhaltlich als auch strukturell?

Ciani-Sophia Hoeder (sie/ihr) ist freie Journalistin, Autorin, SZ-Magazin-Kolumnistin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von RosaMag, einem Online-Lifestylemagazins für Schwarze FLINTA* in Deutschland. Sie studierte Politik und Journalismus in Berlin und London und berichtet über alltäglichen und institutionellen Rassismus, das Dasein als Millennial, intersektionalen Feminismus und Popkultur. Mit dem RosaMag war sie 2020 für den Grimme Online Award nominiert und gewann 2021 den Goldenen Blogger. Im Herbst 2021 erschien ihr Debütwerk „Wut&Böse“ im hanserblau.

Unsere Redaktion besteht nur aus Schwarzen FLINTA. Es gibt zwar Magazine, wo zum Beispiel nur People of Color in den Redaktionen sitzen, aber wir sind die einzigen, wo nur Schwarze FLINTA drinsitzen. Und wir sind ein sehr communitygetriebenes Magazin, das heißt, wir holen uns extrem viel Feedback von den Communities ein und wenn Leute schreiben, dass ihnen das nicht gefallen hat, was wir machen, gehen wir wieder zurück und rebooten uns. Ich glaube, viele alteingesessene Medienhäuser haben diesen Prozess nicht mitbekommen, dass wir demographisch einen krassen Wandel durchleben. Jeder dritte Deutsche hat einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Als Medien-Start-Up können wir da flexibler agieren, wir haben flache Hierarchien, jeder kann Ideen einbringen, jeder kann sich ausprobieren.

Was können andere Magazine oder Redaktionen von euch lernen?

Tatsächlich communitybasierter zu sein, also zu gucken, wen will ich erreichen und warum. Social Media ist ein unfassbar wichtiges Tool für uns, um einerseits die Leute zu erreichen, aber vor allem, um von ihnen zu lernen und von ihnen Input zu holen. Wir müssen intersektionaler sein und uns über unsere Privilegien bewusster werden. Cis sein ist ein Privileg. Wie sieht aber die Realität von trans* Frauen und trans* Männern aus? Sich selbst zu hinterfragen und zu gucken, aus welcher Perspektive schreibe ich das? Die ganze Zielgruppe, die all die großen Medienhäuser jetzt bespielen, wird es in 50 Jahren nicht mehr so geben. Als Journalist*in ist es für mich eine Verpflichtung, sich in die Veränderungen der Gesellschaft hineinzuversetzen, proaktiv zu sein und nicht darauf zu warten, dass ich kritisiert werde. Für Leute, die überhaupt gar keine Berührungspunkte damit haben, denke ich, ist es schwieriger zu realisieren, dass man nicht der Mittelpunkt der Erde ist und nicht zu denken, dass meine Wahrheit die einzige Wahrheit ist. Aber das marodiert sich zum Glück so langsam, weil durch Social Media direkte Kontakte entstehen und dadurch auch Feedback kommen kann. Es gibt viel schnellere Backlashes und viel mehr Kritik. Und das ist, glaube ich, auch der Grund, weswegen uns viele andere Medienhäuser einladen, um zu fragen, wie wir das machen, weil die Medienlandschaft sich extrem verändert.

Mit Blick auf euer Magazin: Was wünschst du dir für die Zukunft oder gibt es Projekte und Visionen, die du noch angehen möchtest?

Für uns ist Finanzierung ein großes Thema. Auch andere Medienhäuser und große Redaktion, die schon seit Jahrzehnten machtpolitisch verankert und schon richtig lange in diesen Strukturen sind, haben große Herausforderungen und diese haben wir natürlich noch umso mehr. Perspektivisch sind wir also immer noch auf der Suche nach neuen konzeptionellen Finanzierungsmöglichkeiten. Dann haben wir unseren ersten Afrohaar-Kalender rausgebracht und der läuft so gut, dass wir ihn nochmal rausbringen möchten. Und wir werden auf jeden Fall mehr Videoformate machen, weil wir merken, dass wir mit Video alle ansprechen und darauf möchten wir uns mehr fokussieren.


(1) FLINTA: Abkürzung für Frauen, Lesben, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen

(2) Verweis: https://www.bpb.de/apuz/302111/das-andere-geschlecht