Leseprobe von Katharina Oguntoye

Leseprobe aus "Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte", herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz, Neuauflage erschienen im Orlanda Verlag 2020.

Lesedauer: 10 Minuten
Buchcover von "Farbe bekennen"

Leseprobe aus "Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte", herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz, erschienen im Orlanda Verlag 2020 (erste Ausgabe: 1986)

Was ich dir schon immer sagen wollte

träume ich von einer gemeinsamen sprache, während mein herz unverdrossen schlägt, poch. poch. poch, und die angst meinen auf- bruch verhindert. 1984

»Heimat mal drei«

Also am besten fange ich am Anfang an.

Ich wurde im Januar 1959 in der Frauenklinik

in Zwickau, kaum hatten die Glocken

begonnen den Mittag einzuläuten,

geboren. Es war ein schöner Tag. (Und

soviel ich weiß, haben sich eine Menge

Leute über meine Ankunft gefreut.) Jedenfalls,

was mich betri_t, ich fühlte

mich pudelwohl. Nun, Zwickau, wo

liegt das denn, werden Sie mich fragen. Das ist eine Industrie stadt an

den Ausläufern des Erzgebirges gelegen und eine knappe Zug stunde

von Leipzig entfernt, wohin ich drei Wochen später übersiedel te und

die nächsten sieben Jahre verbrachte.

Leipzig ist die erste Station für die meisten afrikanischen Studenten,

die in der DDR studieren wollen. Dort lernen sie die deutsche Sprache,

bevor sie an den verschiedenen Universitäten des Landes ihr jeweiliges

Fachstudium beginnen. Aus diesem Grund gibt es in Leipzig eine recht

große afrikanische Studentengemeinde. Mein Vater und einige seiner

Verwandten studierten in Leipzig. Bei uns zu Hause wurde oft afrikanisch

gekocht, zu vielen gegessen und bis spät in die Nacht hinein

dis kutiert. Ich und mein zwei Jahre jüngerer Bruder wuchsen also mit

weißen und schwarzen Menschen in unserem Umfeld auf. Trotzdem

habe ich mich selbst wohl nicht als schwarz empfunden, denn als ich

einmal von der ratternden Straßenbahn aus einen Afrikaner die Straße

entlanglaufen sah, ich war kaum drei Jahre alt, rief ich ganz aufgeregt:

»Mutti, schau mal! Ein Neger.« Diese Episode, die meine Mutter oft

erzählte, lässt mich vermuten, dass ich meine Hautfarbe und die meines

Vaters nicht mit dem Ausdruck »Neger« in Verbindung brachte.

Leipzig, von dem ich jetzt weiß, dass es eines der kulturellen Zentren

der DDR ist, ist für mich ein von Erinnerungen und Gefühlen

umwo- bener Ort meiner Kindheit. Und ich bedauere, dass die Bilder,

die für lange Zeit meine Tages- und Nachtträume durchzogen, nun

nur schwer für mich greifbar sind. Ich erinnere die Schreberstraße,

in der wir wohnten, und den Weg zum Kindergarten vorbei an der

Metzgerei, und gegenüber den Bäcker. Gespielt haben wir im nahegelegenen

Stadtpark mit dem großen See, den eine alte Holzbrücke

überspannte und die zu überqueren ich mich fürchtete. Später dann

wagte ich es, durch ihre breiten Ritzen das im Sonnenlicht glänzende

Wasser zu beobachten. Leipzig ist für mich ein Ort, an dem ich Liebe

erfahren habe und selbst lernte zu lieben. Mutter hat viel gearbeitet,

und doch waren sie und Vater für mich und meinen Bruder da. Ich

fühlte mich geborgen.

Mit meinem Bruder und meiner Mutter fuhr ich nach Nigeria,

in das Land meines Vaters. Ich war sieben Jahre alt und mein Bruder

fünf, für uns war die dreiwöchige Reise auf einem Frachtdampfer ein

einziges Abenteuer, das uns fürs erste den Abschied vergessen ließ.

Als wir vor jetzt 20 Jahren in Lagos ankamen, vor dem Bürgerkrieg

und Öldollar-Boom, war das Leben dort ganz anders als heute – von

jeglicher Hektik weit entfernt, pulste es in bunter Geschäftigkeit und

Wohlsein.

Wir wohnten im komfortablen Wohnbereich der Universität, der

damals noch im Aufbau begri_en war. Da waren genug Kinder in unserem

Alter und verschiedener Nationalitäten, mit denen wir spielen

konnten. Für uns Stadtkinder ein Paradies der Freiheit. Wir genossen

es, in dem hinter unserem Haus liegenden dichten Wald oder dem

schon gerodeten, aber noch unbebauten Gelände herumzustreunen.

Unsere Spiele hießen »Expedition vorbereiten«, »Lehmhütte bauen«

oder ähnlich.

Im Gegensatz zu den Erwachsenen hatten wir Kinder kaum Anpassungsschwierigkeiten

an unsere neuen Lebensumstände. Die vielen

Eindrücke verarbeiteten wir, indem wir sie in unseren Spielen nachahmten.

Zum Beispiel machte es uns großen Spaß, unserer Mutter

den Nerv zu töten, indem wir sie, Verrenkungen machend, verfolgten

und in eintönigem Singsang den Ruf der Bettler wiederholten: »Please

Madam! Give me change! Please Madam! Give me change!«

Einmal sollte ich in meiner neuen Schule ein deutsches Gedicht

auf sagen. Ich war ganz in der englischen Sprache drin und musste lange

überlegen. Dann _el mir doch eines ein, das ich im Kindergarten

gelernt hatte und sehr mochte. Das ging so:

Meine Katz heisst Mohrle

hat ein schwarzes Ohrle

hat ein schwarzes Fell

und wenn es was zu schleckern gibt,

dann ist sie gleich zur Stell.

Als ich es aber übersetzen sollte, konnte ich das nicht, und ich hatte

ein ganz peinliches Gefühl. Irgendetwas war falsch an dem kleinen

von mir so sehr geliebten Vers. Auch wenn ich mit meinen sieben

Jahren nicht klar heraus_nden konnte, woran das lag.

Zwei Jahre später verließ ich zusammen mit meiner Mutter diese

mir immer vertrauter werdende Welt Afrikas, um wieder in meine

erste Heimat zurückzukehren. Wir lebten in Heidelberg. Aber das

war nicht mein Deutschland, in das ich zurückgekehrt war. Es war

Deutsch land. Und zunächst konnte ich auch kaum einen Unterschied

feststel len, denn dieses Land glich meiner ersten Heimat wie ein Ei

dem ande ren. Doch ein heimtückisches Verständigungsproblem in

der gleichen Sprache machte den Unterschied unübersehbar. Nach

und nach merk te ich, dass es eine Art gab, mit Menschen zu sein, nach

der ich mich sehnte und die für mich verloren war, wie es unmöglich

ist, die Zeit anzuhalten oder gar zurückzudrehen.

Ich bin froh über die Vielseitigkeit meiner frühen Erfahrungen,

so wie ich auch nicht mit meinem Leben als Afro-Deutsche hadere.

Mit der Mitarbeit an diesem Buch hat für mich ein Prozess begonnen,

in dem ich lerne, bewusst die Möglichkeiten zu nutzen, die sich aus

meiner Herkunft und meinem Leben ergeben.

toksi

ich hatte drei jahre in westdeutschland getrennt von meinem bruder

gelebt, in dieser zeit war ich die einzige afro-deutsche. ich erinnere

mich gut, dass ich die füße meines bruders am meisten liebte, als er

endlich da war. ich hatte mich die ganze zeit sehr nach ihm gesehnt,

aber jetzt war da eine ganz neue faszination. ich war sehr überrascht,

und ich guckte und guckte, ich konnte nicht genug davon kriegen,

sein feines jungengesicht, seine _gur und die hände, aber meine liebe

gehörte seinen füßen, es war einfach unglaublich, da kam er von weit

her und hatte (nein, das kann nicht wahr sein) die gleichen füße wie

ich.

in den vorangegangenen drei jahren hatte ich nach und nach

festge stellt, dass alles bei mir anders aussieht, jetzt wusste ich, was ich

vermisst hatte, dass da jemand war, der mir ähnlich sah. mein bruder.

es tat gut, dass die formen seiner hände und füße den meinen so ähnlich

sahen, ich liebte ihn dafür, dass er mir das gefühl gab, nicht die

einzige zu sein, nicht eine zufällige ausnahme. 1984

Spiegel

allein mit meiner verzwei_ung, schaue ich dir in die augen, meine

braune, ach so deutsche schwester, _nde keinen frieden, bist du mein

Spiegel? ist es die einsamkeit, vereinzelung, die ich wieder erkenne?

der weg zu dir ist weit und ungekannt. ich gehe unsicher.

erinnerst du dich, meine deutsche, ach so weiße schwester, an das

gefühl der verzwei_ung als du noch nicht wusstest, dass es andere frauen

gibt, die wie du nicht nur dienerinnen ihrer herren sein wollten,

frauen, die trotzdem ihren weg gehen, als sie dann für dich sichtbar

wurden, gaben sie dir mut für deinen eigenen weg. aber wie lange

hat test du trotz wachsender frauengemeinsamkeit das gefühl, nicht

aus atmen zu können, bis du entdecktest, dass du nicht die einzige bist,

die frauen liebt, dass es andere lesben gibt, die sich nicht länger gegen

andere frauen ausspielen lassen wollten.

jetzt sage ich dir, deine afro-deutsche schwester, dass du, indem du

mich wahlweise als frau ohne hautfarbe und ohne eigene vergangenheit

oder als fremdes rätsel-wesen bzw. exotik-objekt halb/nicht wahrnimmst,

bereit bist, mich in einer ähnlichen verzwei_ung zu belassen,

und es ist zynisch, wenn du sagst, dies ist nicht mein problem. das

geht nur afro-deutsche frauen etwas an. 1984

trennungs-schmerz

manchmal bin ich müde, dann denke ich, der kampf ist zu schwer,

und die schmerzen sind zu viele, aber noch während ich das denke,

weiß ich, dass sich die anstrengung lohnt, die freude, meinem ziel näher

zu kommen, ist so wunderbar, oft schon bin ich für mein überleben

be lohnt worden, und diese wärme, die ich dadurch in mir habe,

kann mir nicht mehr genommen werden, es gibt den schrecken und

die trauer des weggehens, aber gerade eben, weil da etwas war, was der

utopie nahe kam.

ich würde nicht aufgeben wollen, weil ich sie spüren will, diese

freude. ich möchte eintauchen in die wogen des meeres. ja, es ist ein

ganzes meer von liebe, das ich kenne, vielleicht die ahnung der ganzheit

in mir, das, wie es sein könnte in dir, was ich da fühle.

verlassen ist nicht weggehen für immer, sich trennen heisst nicht

alleine bleiben, nicht heute, nicht für uns. sind die herzen verbunden,

verhindern die kilometer nicht den _uss der gefühle. und ein geistiges

band unterstützt uns auf unseren verschiedenen wegen. 1984

wahr-sein

die art wahrzunehmen, wenn mir bewusst wird, ich werde wieder

weg gehen. wie ich dann anfange, alles in mich aufzusaugen, färben,

for men, licht, wie hier alles zusammenpasst, wie der rhythmus _ießt,

und ich weiß, so sollte ich immer leben, jedes ding, jede geste zu schätzen,

wissen und aufsammeln für die zeit danach, wenn meine wirklichkeit

eine andere ist und ich mich daran erinnere, dass ich glaubte,

es könne niemals anders sein, als in eben diesem moment, nur weil

ich ihn so stark empfand, aber die bilder verändern sich, sie werden

nicht mehr wirklich, wenn die bilder dann ganz vergangen sind, merke

ich erst, was ich mit ihnen eingefangen habe…. und wenn ich es

will, kann ich über die gerüche, die bäume oder den _uss von damals

zurück_nden zu meinem gefühl, als ich sie in mich aufzunehmen versuchte,

jeden ort nehme ich auf diese weise wahr, durch meine abschiede

habe ich diese art des wahrnehmens gelernt, es ist schwerer,

wenn ich einfach nur da sein will, manchmal ist eine illusion so perfekt,

dass ich selbst an sie glauben könnte. 1985

Frauenbeziehungen und Rassismus

Freundinnen oder worüber ich immer so gerne mit dir gesprochen hätte.

bis jetzt war rassismus in meinen beziehungen zu frauen kein thema

für mich, ich akzeptierte stillschweigend das tabu, das zwischen mir

und meinen freundinnen bestand, manchmal fühlte ich mich sicher

in dieser schattenzone des unausgesprochenen, konnte doch so jede

von der anderen nur das beste annehmen, keine peinlichen gespräche

brachten die freundlichen frau-zu-frau-schwingungen zwischen den

freundinnen in disharmonie. doch manchmal, und das mit den jahren

immer dringlicher, spürte ich eine bedrohung, die von diesem totschweigen

ausgeht, mir wird bewusst, dass das nichtwissen um die

äng ste der anderen, diese ängste noch anwachsen lässt, auf beiden seiten

werden sie übergroß und der versuch, sich darüber noch irgendwie

zu verständigen bzw. sich diese ängste gegenseitig mitzuteilen, muss

fehl schlagen. es wird schwieriger, umso enger, länger und näher eine

bezie- hung ist, denn keine scha_t mehr den sprung über den gedankenhaufen;

aber diese unausgesprochenen gedanken hinterlassen ihre wirkung

und die kann der freundinnenschaft ganz schön zusetzen.

für mich war es am schlimmsten zuzusehen, wie meine freundinnenschaften

am mangel an o_enheit langsam austrockneten. das ist wie

mitten in einer oase verdursten, weil wir sie für eine fatamorgana halten.

1984