2020 gründete sich die Hamburger Empowerment Plattform „OJB – Our Journey Beyond“. Sie bietet Schwarzen Frauen* einen Raum für Vernetzung, Austausch und Selbstfürsorge. Warum gerade Selbstfürsorge so wichtig ist und welche Herausforderungen OJB als migrantische Selbstorganisation begegnen, erläutern die Gründer*innen der Plattform im Interview mit Meron Mekalya Tadesse.
Meron Mekalya Tadesse: Wer ist OJB?
Ngozi Odenigbo: Wir sind fünf Schwarze Frauen* im Kern-Team, vier von uns in Hamburg. Und dann gibt es die Community, die über die letzten zweieinhalb Jahre ziemlich angewachsen ist.
Wofür steht Our Journey Beyond?
Ngozi Odenigbo: Der Prozess der Namensfindung war für uns gar nicht so einfach. Sophie ist Künstlerin und N‘joula und ich sind Ärztinnen. Wir haben also eigentlich beruflich erst mal nichts mit diesem großen Thema Empowerment zu tun. Auf unserer „Reise“ geht es uns darum, gemeinsam zu identifizieren, welche Themen uns wichtig sind. Dabei interessiert uns zum Beispiel, welche Einschränkungen wir als unterschiedlich positionierte Schwarze Frauen* in Deutschland erfahren und wie wir diese gemeinsam durch ein Gefühl von Verbundenheit, Community und gegenseitige Unterstützung überwinden können.
Gab es für eure Gründung einen bestimmten Auslöser?
Sophie Sy: Der Auslöser war ein rassistischer Vorfall an der Schule meines Sohnes. Ngozi und ich kannten uns zu dem Zeitpunkt nur flüchtig. In ihr habe ich – anders als in anderen Menschen, die ich vielleicht hier auf der Straße treffe und die sich darunter nicht viel vorstellen können oder den Impact nicht verstehen – eine Verbündete gefunden, die mir ganz viel Verständnis und Halt entgegengebracht hat. Gleichzeitig waren vor zweieinhalb Jahren George Floyd und die Black Lives Matter Demonstrationen überall in den Medien präsent. Es war wahrscheinlich ein Zusammenspiel von dieser Zeit und dem Druck, den wir verspürt haben, auch etwas für uns zu machen.
Ngozi Odenigbo: Uns beschäftigten einfach zum selben Zeitpunkt ähnliche Themen und die Erkenntnis, dass wir sie gut miteinander besprechen konnten – besser, als wir es vielleicht mit einem weißen Gegenüber gekonnt hätten. Das hat uns wiederum zu der Erkenntnis geführt, dass wir etwas für uns selbst tun müssen. So ist der Plan entstanden, das erste Sisters* Dinner zu gestalten und das traf auf viel Resonanz. Zum ersten Dinner haben sich auch gleich über 30 Frauen* angemeldet und es wurde sehr deutlich, dass auch Schwarze Frauen* in Hamburg Lust und das Bedürfnis haben, sich zu vernetzen.
Wie waren die Reaktionen auf OJB?
Ngozi Odenigbo: Erstmal begegnete uns ganz viel Interesse und Neugier. Gleichzeitig haben wir erkannt, dass auch Menschen kommen, die unsere Ansätze nicht teilen und dann wieder gehen. Das hat dazu geführt, dass wir intern viel reflektiert und uns überlegt haben, was eigentlich unsere Werte sind und wie wir miteinander arbeiten und kommunizieren möchten. Wir haben gemerkt, dass unser Weg in keinem Fall ein Weg der Härte ist. Wir arbeiten mit viel Softness und dem Versuch, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Jede Frau* ist willkommen und es gibt keine Vorgabe, wer wie viel leisten muss. Jede Person gibt so viel wie sie bereit ist zu geben, denn es ist klar, dass wir unterschiedliche Ressourcen besitzen – zeitlich, finanziell usw. – abhängig davon, in welcher Lebensphase wir uns gerade befinden. Letztendlich war es wichtig, zu unseren Werten zu stehen, denn so sind genau die Frauen* zu uns gekommen, die zu uns gepasst haben. Ich würde sagen, wir sind jetzt ein Kern, der sich wirklich gut aufeinander eingelassen hat und auf den wirklich Verlass ist.
Inwiefern ist Vernetzung mit anderen Initiativen und Organisationen wichtig für euch?
N’joula Baryoh: Ausgehend von unserem Selbstverständnis, verschiedenen Lebensrealitäten gerecht zu werden, besteht auch der Wunsch, mit unterschiedlichen Initiativen zu arbeiten. Wir könnten natürlich auch alles alleine schaffen, aber das würde auch mehr Energie und Zeit erfordern, als wenn wir uns zusammentun. Für uns ist auch klar, dass es Initiativen gibt, die schon länger bestehen und Expertisen haben, von denen wir lernen können.
Sophie Sy: Von „KOA“, dem „Kollektiv afrodeutscher Frauen“ in Kiel, sind wir beispielsweise von Anfang an sehr unterstützt worden.
Ngozi Odenigbo: Wir laden Frauen* dazu ein, auf uns zuzukommen, wenn sie eine Idee haben. Wir können dann schauen, wo wir Förderung bekommen, um die Idee zu realisieren. Es sollte nicht nur darum gehen, dass wir uns irgendwelche abgefahrenen Sachen ausdenken. Stattdessen möchten wir, dass auch Ideen von Menschen umgesetzt werden, die nicht die Ressourcen haben, Förderanträge zu schreiben.
Sophie Sy: Anfang des Jahres gab es auf Initiative von Teilnehmerinnen zum Beispiel einen Spa Day. Es gab auch den Wunsch nach Yoga-Kursen, die wir inzwischen regelmäßig anbieten.
Ngozi Odenigbo: Wir verstehen OJB auch als Plattform, um sich auszuprobieren. Das spiegelt sich auch in unseren Dinners wider, bei denen wir Frauen* dazu einladen, selbst geschriebene Texte, Songs oder auch Tanz zu performen. Die Sisters* Dinner sind der perfekte Ort, um einen Slot zu bekommen und mit der Gruppe zu teilen.
Wenn ihr euch vorstellt, dass es irgendwo in Deutschland Schwarze Frauen* gibt, die vielleicht ganz am Anfang von einer Idee oder dem Vorhaben stehen, gemeinsam etwas starten zu wollen, was würdet ihr ihnen mitgeben wollen?
N’joula Baryoh: Was OJB und uns als Kerngruppe ausmacht, ist, dass wir uns nicht aus dem Fokus verlieren. Es ist uns wichtig, immer wieder zu hinterfragen, ob wir den Fragen danach, wer wir sind, was uns ausmacht und was wir wollen, treu bleiben. Dazu gehört auch abzuwägen, ob wir uns zu viel zugemutet haben und gegebenenfalls einen Schritt zurückzugehen. Denn wenn etwas nicht funktioniert, hat niemand etwas davon.
Ngozi Odenigbo: Zweimal jährlich haben wir als Kerngruppe auch einen Vision Day, an dem wir uns den ganzen Tag füreinander Zeit nehmen. Jede kann dann erzählen, wie es ihr gerade in Bezug auf Beziehung, Arbeit und Kinder geht. So erfahren wir voneinander, wo wir jeweils stehen.
Natürlich haben wir unsere tollen Projekte, die wir verwirklichen wollen, aber gerade bei der ehrenamtlichen Arbeit ist es ja so wichtig, nicht außer Acht zu lassen, dass wir alle noch einen Beruf und Kinder haben – teilweise mit Special Needs – oder dass wir alleinerziehend sind. Wir haben viele Herausforderungen wie Klassismus, Ableismus, Rassismus und Sexismus in unseren Systemen zu bewältigen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren.
Wir können auch nicht von Empowerment, Wellness und Wellbeing sprechen, wenn wir uns das im Kern nicht selbst entgegenbringen. Darin sind wir uns alle einig.
Sophie Sy: Das Gleiche gilt auch für den Anspruch alles perfekt zu machen. Auch wir machen Fehler. Manche Aspekte, wie zum Beispiel Colorism, habe ich erst durch die Workshops verstanden. Wir haben uns dann Vorwürfe gemacht, wenn wir beispielsweise wegen bestimmter Formulierungen kritisiert worden sind, denn als Einladende haben wir den Anspruch, die Teilnehmenden nicht zu verletzen. Wir können aber nicht alle abholen und Verletzungen werden immer passieren. Wir sind menschlich und der Anspruch, mit den Veranstaltungen alle anzusprechen, ist nicht realistisch, weil wir als Schwarze Frauen* alle anders sind. Wir können zwar nicht alles perfekt machen, aber wir können Kritik zulassen und Probleme reflektieren – liebevoll mit dem Gegenüber und uns selbst.
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Ngozi Odenigbo: Hauptsächlich durch Förderanträge. Wir wollen alles so niedrigschwellig wie möglich halten, deswegen nehmen wir auch keinen Eintritt. Meiner Ansicht nach ist im Laufe der letzten zweieinhalb Jahre schon sehr deutlich geworden, dass die bestehenden Förderungen für migrantische Selbstorganisationen nicht niedrigschwellig genug sind. Es ist teilweise viel Arbeit so einen Antrag zu stellen. Ich halte es für eine Schande, auf einen Antrag die Antwort zu erhalten, dass der Antrag bedauerlicherweise nicht berücksichtigt werden könne, weil sich mehr als 300 Organisationen beworben hätten. In solchen Momenten merkt man, wie wenig Geld es für uns gibt und wenn es mal welches gibt, müssen sich alle bemühen, um ein paar Tausend Euro abzubekommen. Das finde ich bitter und armselig.
N’joula Baryoh: Zusätzlich existiert auch die Attitüde, dass diese Arbeit auch umsonst weitergeführt werden könne. In einem anderen Kontext habe ich mitbekommen, wie argumentiert worden ist, dass die Gruppe zu spezifisch und für die Zivilgesellschaft nicht zugänglich sei. In dem Fall gibt es auch nicht so gerne Gelder. Das ist auch eine bittere Pille, denn wir alle zahlen Steuergelder. Fragen danach, warum es für unsere Arbeit Geld brauche und warum sie unter antirassistische Arbeit falle und gefördert werden müsse, wenn doch weiße Menschen nicht angesprochen werden, begegnen uns immer wieder. Ebenso die Frage danach, wieso ein Empowerment-Raum ausschließlich für Schwarze Frauen* wichtig sei. Da fasst man sich an den Kopf und realisiert, dass etwas nicht verstanden worden ist. Und wieder gilt: We have to overachieve and we have to work for free.
Welche Herausforderungen begegnen euch darüber hinaus?
N’joula Baryoh: All das Schöne, das wir beschreiben, hat auch immer eine andere Seite. Wie erwähnt, entstehen manchmal Konfliktsituationen mit Teilnehmenden. In diesen Situationen bei sich zu bleiben und an einem liebevollen Miteinander festzuhalten, kann herausfordernd sein. Manchmal ist es besser, Dinge ziehen zu lassen, um persönlich und emotional zu wachsen.
Hinzukommt, dass wir als Schwarze Frauen* oftmals glauben keine Grenzen zu haben und alles stemmen zu können. Dieses Stereotyp ist auch ein Bild von außen, dem wir uns entgegenstellen wollen.
Welche Vision(en) habt ihr für OJB?
Ngozi Odenigbo: Konkret denke ich an drei Punkte: Zum einen wünsche ich mir für mindestens eine Person aus unserem Team eine Festanstellung. Ein weiterer Wunsch von mir ist, mit Partner:innenorganisationen in Ghana ein Communitycenter für Mädchen* und Frauen* zu errichten, denn mir persönlich ist es wichtig, meinen Zugang zu Ressourcen umzuleiten und etwas zurückzugeben. Mein dritter Wunsch ist, dass wir im nächsten Jahr alle gemeinsam mit unseren Kindern nach Ghana fliegen.
N’joula Baryoh: OJB has to go beyond borders. Und zwar nicht nur international, sondern auch hier in Deutschland. Uns ist manchmal gar nicht bewusst, wie toll OJB ist, wie wertvoll die Energie ist, die da transportiert wird und was es mit den Menschen macht, die dabei sind. Dieses Feedback bekommen wir von Menschen, die sich ein solches Angebot auch in ihrer Stadt wünschen. Das ist noch eine Vision, die ich in meinem Kopf manifestiere.