Worte können wie ein schleichendes Gift sein, schrieb der Philologe Victor Klemperer bereits 1947. Die Initiative „N-Wort stoppen“ setzt sich seit 2019 für die Ächtung des N-Wortes und die Verbannung rassistischer Sprache aus dem deutschen Sprachgebrauch ein. Sie klärt über die Entstehungsgeschichte rassistischer Begriffe und den Zusammenhang zwischen Sprache, Macht und Rassismus auf.
Sprache schafft Wirklichkeit. Aus diesem Grund kam Ende 2019 eine Gruppe Schwarzer Aktivist*innen sowie Kommunalpolitiker*innen aus Köln, Bonn, Wuppertal und Umgebung zusammen und gründete die Initiative „N-Wort stoppen“. Unsere ehrenamtliche Arbeit besteht darin, uns deutschlandweit zu vernetzen, Demonstrationen und Kundgebungen zu organisieren, antirassistische Aufklärungsarbeit zu leisten und mit Entscheidungsträger*innen in Kontakt zu treten. Unser Ziel, wie durch den Namen der Initiative bereits angedeutet: die Ächtung des N-Wortes und die Verbannung rassistischer Sprache aus dem deutschen Sprachgebrauch.
Was uns vereint: die schmerzhaften Rassismuserfahrungen, die wir seit unserer Kindheit mit dem N-Wort gemacht haben und bis heute machen. Anlass für die Gründung der Initiative war ein Urteil des Landesverfassungsgerichts von Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2019, in dem die Richter*innen zu dem Schluss gelangten, dass der Gebrauch des N-Wortes in der landtagspolitischen Debatte nicht per se als provokativ oder herabwürdigend anzusehen sei und dementsprechend nicht automatisch die „Würde des Hauses“ verletze. Vorausgegangen war eine Klage des Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Nikolaus Kramer, gegen einen Ordnungsruf, der ihm wegen wiederholter Verwendung des N-Wortes in einer Landtagsdebatte erteilt worden war.
Das Gericht beschloss, dass der Ordnungsruf des Landtagspräsidiums gegen die Landesverfassung verstoße. Das N-Wort sei nicht dazu in der Lage, die Würde und Ordnung des Parlaments zu verletzen. Das implizite Verbot, es auszusprechen, würde hingegen das Rederecht des Abgeordneten verletzen. Der ausführlichen Begründung des Urteils sind Auszüge aus dem Plenarprotokoll beigelegt, die klar die abwertende Verwendung des N-Worts durch Kramer belegen. Die rassistische Herabwürdigung im Landtagsplenum kann durchaus einen Ordnungsruf rechtfertigen – das sieht auch das Verfassungsgericht so. Jedoch wird in dem Ordnungsruf, der erst zwei Sitzungen später erteilt wurde, die konkrete Verwendung nicht kritisiert.1
Am 18.01.2020 versammelten sich daraufhin erstmals zahlreiche Personen in Köln, um auf den rassistischen und entmenschlichenden Charakter des N-Wortes aufmerksam zu machen. Ziel dieser ersten Versammlung war es, sich für die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung der grundlegend rassistischen Konnotation des Begriffs einzusetzen. Denn für Schwarze Menschen ist das N-Wort immer mit Leid und Diskriminierung verbunden. Deshalb möchten wir, die Initiative N-Wort Stoppen, mit unserer Arbeit einen Anstoß dazu geben, über den geschichtlichen und sozialen Kontext des Begriffs aufzuklären und zu reflektieren.
Der Zusammenhang von Sprache und Rassismus
Sprache beschreibt, definiert und organisiert unsere Welt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Sprache auch im Kontext rassistischer Ideologien eine zentrale Rolle spielt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als englische Auswanderer die erste dauerhafte Siedlung in den heutigen USA gründeten und die Vertreibung und Zwangsumsiedlung der indigenen Bevölkerung vorantrieben, galt es, die Dehumanisierung und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung zu rechtfertigen. Dafür wurden Begriffe wie „wild“, „unzivilisiert“ und „primitiv“ genutzt, um die indigene Bevölkerung zu beschreiben und sich so als „Europäer*innen“ von der indigenen Bevölkerung abzusetzen. Rassismus wurde so zur Rechtfertigungsideologie für die Sklaverei, den Kolonialismus und die systematische, ökonomische und politische Ausbeutung Amerikas, Asiens und des afrikanischen Kontinents. Diese rassistische Ideologie manifestierte sich auch in der Sprache.
Die Spuren der kolonialen Benennungspraxis sind bis heute sichtbar und zeigen sich in rassistischen Termini wie dem N-Wort, „Schwarzafrika“, „Mulatte“ oder „Mischling“. Diese „Andersmachung“ hält bis heute an, denn noch heute glauben bis zu 49% der deutschen Bevölkerung an die Existenz von Menschenrassen.2 Die Verwendung dieser diskriminierenden und abwertenden Bezeichnungen ist (re-)traumatisierend für Schwarze Menschen. Umso wichtiger ist es, rassistische Sprache als solche zu kennzeichnen und alternative Begriffe aufzuzeigen.
Der Philologe Victor Klemperer schrieb 1947 über die Wirkung der Sprache: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu haben, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“3 Für Menschen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, ist es häufig schwer nachvollziehbar, weshalb die Verwendung rassistischer Sprache so problematisch ist. Dies hängt auch damit zusammen, dass in Deutschland wenig über die eigene Kolonialgeschichte bekannt ist.
Der Zusammenhang der Entstehungsgeschichte rassistischer Ideologien und Begriffe wie dem N-Wort ist deshalb ebenfalls weitläufig nicht bekannt. Es ist der Entstehungskontext rassistischer Wörter einhergehend mit der Erniedrigung, Entmenschlichung und Unterdrückung Schwarzer Menschen, der ihre angeblich „wertfreie“ Reproduktion – wie von manchen AfD Politiker*innen behauptet – unmöglich macht. Es ist nicht tolerierbar, dass Menschen in unserer heutigen Gesellschaft als N-Wort bezeichnet werden und diese Handlung in der breiten Öffentlichkeit wie auch juristisch Legitimation erhält.
Problematik der Reproduktion rassistischer Sprache
Die Reproduktion rassistischer Sprache führt dazu, dass Rassismus in einer Gesellschaft weiterlebt. Es ist wie ein Gift, das einem Organismus immer wieder in kleinen Dosen verabreicht wird. Sie trägt dazu bei, rassistische Vorurteile in den Köpfen der Menschen zu nähren und zu verfestigen. Viel zu oft werden in Medien und Literatur immer noch rassistische Begriffe unkritisch reproduziert. Dies gilt sowohl für Polit-Talkshows als auch für publizistische Veröffentlichungen. Dabei ist es gerade im medialen Raum wichtig, auf die Reproduktion von Wörtern rassistischen Ursprungs zu verzichten und zu einer allgemeinen Sensibilisierung für den Gebrauch diskriminierender Sprache beizutragen.
Auch die Debatten um die Umbenennung von Lebensmitteln haben gezeigt, dass die Umbenennung von rassistischen Produktnamen, wie im Fall der „Dickmann Schaumküsse“ oder des „Sarotti-Magiers“ nicht zwangsläufig zu einem Umsatzeinbruch führt. Ähnliches gilt für Kinderliteratur, denn die Geschichte von Pippi Langstrumpf büßt weder an Originalität noch an Spaß ein, wenn die Rede vom Südseekönig ist. Diese Beispiele zeigen, dass der Gebrauch diskriminierungssensibler Sprache problemlos umzusetzen ist und es nur das Bewusstsein und den Willen hierzu braucht.
Um allen Menschen in einer vielfältigen Gesellschaft eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, bedarf es einer Auseinandersetzung mit diskriminierenden und rassistischen Strukturen und Denkmustern und hierzu zählt auch unsere Sprache. Gerade in Zeiten, in denen Wörter wie „Umvolkung“, „Lügenpresse“ oder auch „Sozialtourismus“ in politischen und öffentlichen Debatten kursieren, braucht es eine (rassismus-)kritische Reflexion unserer Sprache.
Einfluss der Sprache auf Marginalisierung und Rassifizierung
Es macht einen Unterschied, ob man eine Bevölkerungsgruppe als „Volk“ oder „Stamm“ bezeichnet. Denn die vorgefertigten Bilder, die im Kopf entstehen, wenn diese Begriffe fallen, sind nicht dieselben. So spricht man meist bei weißen Menschen von einem Volk oder einer Bevölkerung, während man im Fall von Schwarzen oder indigenen Menschen von Stämmen spricht. Mit diesen Bezeichnungen werden vorherrschende Konzepte reproduziert und verfestigt. Dass viele Schwarze Menschen selbst diese Bezeichnungen unkritisch übernehmen, ändert nichts an ihrer rassistischen Natur.
Gerade weil Begriffe wie z.B. „Schwarzfahren“ oder „Schwarzarbeit“ für viele zur Alltagssprache gehören, wird ihr Ursprung selten hinterfragt. Doch Worte haben Macht. Und wenn diese Worte mit negativen Konnotationen zu unserer Person einhergehen, dann verursachen sie auch in uns Verletzungen. Umso wichtiger ist es, auf alternative Formulierungen zu bestehen, wie z.B. „Zug fahren ohne Ticket“ oder „Arbeiten ohne gültige Dokumente“.
Zudem wirkt sich das Festhalten an kolonialer bzw. diskriminierender Sprache auf die psychische Gesundheit der Betroffenen aus und kann ihr Selbstwertgefühl nachhaltig beeinflussen. Aus psychologischer Sicht haben degradierende und rassistische Äußerungen negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit betroffener Personen. Grada Kilomba beschreibt diesen Umstand wie folgt:
„Rassismus wird selten als Trauma wahrgenommen und benannt. Die Absenz der Benennung von Rassismus als Trauma liegt daran, dass die Geschichte der rassistischen Unterdrückung und ihre psychologische Auswirkung innerhalb des westlichen Diskurses bisher vernachlässigt wurden. Schwarze Menschen und People of Color sind damit jedoch tagtäglich konfrontiert. Sie müssen nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch auf einer historischen und kollektiven Ebene mit den Traumata der Sklaverei und des Kolonialismus sowie dem Gefühl der Scham umgehen“.4
Für Betroffene von Rassismus bedeutet diese Erfahrung in einer weißen Mehrheitsgesellschaft oft, sich entscheiden zu müssen, ob man etwas sagt und eine Diskussion riskiert oder den Gebrauch rassistischer Sprache unkommentiert lässt. Deshalb braucht es Allies, die die ausgehende Gewalt erkennen, sie benennen und sich den Betroffenen gegenüber solidarisch zeigen.
Beitrag von Sprache zum Empowerment
Ob in der Fernsehwerbung, in Buchhandlungen oder dem Spielwarengeschäft – unterschwellig rassistische Botschaften zu Identität und Zugehörigkeit begegnen uns täglich. So auch in einem Werbespot der Firma Volkswagen aus dem Jahr 2020, in dem mit verschiedenen kolonialen Überbleibseln kokettiert wurde. Diese Werbung wurde infolge von Kritik nach einer halbherzigen Entschuldigung an die Schwarze Community aus den sozialen Netzwerken entfernt. Ein fader Beigeschmack blieb jedoch trotzdem. Ähnlich geschah es mit einer Werbekampagne des Drogeriemarktes Rossmann, in der eine Schwarze Frau mit einer Afrofrisur gezeigt wurde. Der dazugehörige Text: „Bad-Hair-Day“ bzw. „Wucherhaare“. Dies sind keine Einzelfälle, im Gegenteil: Die Liste von Beispielen rassistischer Sprache in Werbung ist lang.
Genau deswegen bedarf es eines bewussten und rassismuskritischen Umgangs mit Sprache und Bildsprache. Gleichzeitig ist das Empowerment rassismuserfahrener Menschen zentral. Dies kann auf vielfältige Art und Weise geschehen. Das Sichtbarmachen Schwarzer Menschen als Vorbilder oder Superhelden, wie es in der Disney-Neuverfilmung von „Arielle“ oder dem Science-Fiction-Actionfilm „Black Panther“ der Fall ist, kann insbesondere zum Empowerment Schwarzer Kinder beitragen. Es sind Geschichten, in denen die Protagonist*innen ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Aussehens – ob Schwarz, weiß, mit oder ohne Kopftuch – dargestellt werden, die es Kindern erlauben, frei von sozial konstruierten Bildern und Normen zu träumen.
Leider mangelt es in vielen Bundesländern trotzdem noch an rassismuskritischer Literatur auf dem Lehrplan und viele Bibliotheken führen weiterhin Literatur, die diskriminierende Sprache beinhaltet. Deshalb ist es nicht überraschend, dass viele der Anfragen, die wir als Initiative erhalten, aus dem schulischen Bereich stammen. Das zeigt uns, wie hoch der Bedarf an antirassistischer Sensibilisierung von Kindern, Jugendlichen und Lehrenden ist. Als Initiative können wir bereits erste Erfolge vorzeigen. So wurde das N-Wort bereits in Mönchengladbach, Kassel, Heidelberg, Bocholt, Köln und Bonn geächtet. Als erste Landeshauptstadt Deutschlands kam 2022 auch München hinzu, wo das N-Wort Anfang letzten Jahres als rassistisch eingestuft wurde.
Mit der Ächtung geht der Verzicht auf den Gebrauch des N-Wortes und rassistischer Sprache im Allgemeinen für alle Angestellten von Stadt und Kommune einher. Im Zuge der offiziell ausgesprochenen Ächtungen konnten wir außerdem beobachten, dass diese insbesondere BIPoC Schüler*innen und ihren Eltern die Möglichkeit einräumte, sich im schulischen Bereich erfolgreicher gegen rassistische Beleidigungen zur Wehr zu setzen. Zudem verpflichten sich die Städte und Gemeinden, die an der Initiative teilnehmen, dazu den Literaturbestand in Bibliotheken und städtischen Einrichtungen auf rassistische Sprache zu durchsuchen und diese zu kennzeichnen bzw. zu entfernen.
Dennoch ist die Ächtung des N-Wortes auf lokaler Ebene nur ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus braucht es eine vielfältige Erinnerungskultur, die deutsche Geschichte nicht nur aus einer weißen Perspektive erzählt. Die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen marginalisierter Gruppen müssen ebenso sichtbar gemacht und erzählt werden. Nur so können wir den Grundstein für eine antirassistische und diskriminierungssensible Gesellschaft legen.
(1) Urt. v. 19.12.2019, Az. LVerfG 1/19.
(2) DeZIM (2022). Rassistische Realitäten: Wie setzte sich Deutschland mit Rassismus auseinander? Berlin.
(3) Klemperer, V. (1947). LTI: Notizbuch eines Philologen. Reclam.
(4) Yeboah, A. (2017). Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland.
Literatur
Dhawan, Nikita: Ignoranz gegenüber der eigenen Ignoranz.In Deutschlandfunk Kultur 27.06.2020. - https://www.deutschlandfunkkultur.de/nikita-dhawan-zu-kolonialismus-und-rassismus-ignoranz-100.html. Aufgerufen am 18.12.2022
Do Mar Castro Varela, Maria: Rassistische Sprechpraxen - Kontinuitäten und Widerstand: in Sprache.Macht.Rassismus. ÜberBlick - Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen. Nr. 2 / 2019.
Dr. Attia, Iman / Keskinkılıç, Ozan Zakariya: Warum es keine “Rassen” gibt und sie ein Konstrukt von Rassismus sind. In renk Magazin 09.02.2021 - https://renk-magazin.de/warum-es-keine-rassen-gibt-und-sie-ein-konstrukt-von-rassismus-sind/. Aufgerufen am 20.12.2022.
Dr. Schiffer, Sabine: Rassismuskritische Ansätze für einen verantwortungsvollen Journalismus: in: Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch. Handreichung für Jurnalist_innen. S.7. 2014.
Gopalakrishnan, Manasi: Rassismus in der deutschen Sprache. In Deutsche Welle 14.07.2022. Rassismus in der deutschen Sprache | Deutschlehrer-Info | DW | 14.07.2022. Aufgerufen am 03.01.2023
Kretschmar, Daniel: Urteil zum N-Wort in Landtagsdebatte. Kontext ist alles. In taz 20.12.2020 - https://taz.de/Urteil-zum-N-Wort-in-Landtagsdebatte/!5651968/. Aufgerufen am 11.12.2022.
Nabizada, Fardina: Sprache und Rassismus. In be4change -https://bee4change.eu/2020/07/06/sprache-und-rassismus/. Aufgerufen am 13.01.2023.
Omar, Sami: Sprache und Rassismus: in Sprache.Macht.Rassismus. ÜberBlick - Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen. Nr. 2 / 2019.
S. Theresa: 8 rassistische Wörter und Redewendungen mit diskriminierendem Ursprung. In Babbel Magazin - https://de.babbel.com/de/magazine/rassistische-worter-und-redewendungen-mit-diskriminierendem-ursprung. Aufgerufen am 18.12.2022.