Seit dem Mord an George Floyd durch einen Polizisten in den USA wird auch in Deutschland vermehrt über rassistische Polizeigewalt gesprochen. Grund dazu gibt es genug, was nicht nur der Fall von Oury Jalloh oder rechte Chats von Polizeibeamt:innen zeigen. Was unter Racial Profiling zu verstehen ist, welche antirassistischen Widerstände es dagegen gibt und inwieweit Polizeistudien zur Lösung des Problems beitragen können, diskutiert die Sozialwissenschaftlerin Bafta Sarbo.
Seit 2020 wird in Deutschland und global vermehrt über rassistische Polizeigewalt gesprochen. Der Mord an dem Schwarzen US-Amerikaner George Floyd entfachte erst in den USA und dann weltweit erneut Proteste der Black Lives Matter Bewegung. In Deutschland gingen bundesweit mehr als 200.000 Menschen auf die Straße, um gegen den Polizeimord an George Floyd zu demonstrieren. Allein in Berlin versammelten sich am Alexanderplatz mehr als 80.000 Menschen für die Black Lives Matter Demonstration. Auf dieser Demonstration kam es allerdings wieder zu Polizeigewalt gegen Schwarze Jugendliche und knapp 100 vorwiegend migrantische Jugendliche wurden in Gewahrsam genommen. Viele Menschen fragten sich, wie es sein kann, dass es ausgerechnet auf einer Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt zu dieser exzessiven Polizeigewalt gegen migrantische Jugendliche kommen kann. Aber rassistische Polizeigewalt ist kein Phänomen, das nur in den USA stattfindet und so entsteht auch in Deutschland eine junge, zunehmend radikale Bewegung gegen Polizeigewalt.
Racial Profiling gehört zu den Lebensrealitäten der meisten Schwarzen Menschen in Deutschland dazu. Der Begriff kommt aus den USA und beschreibt das Erstellen von polizeilichen Täterprofilen auf Grundlage rassistischer Merkmale. In Deutschland bedeutet das, dass die Polizei bestimmten Schwarzen Menschen – insbesondere jungen Schwarzen und migrantischen Männern – unterstellt, bestimmte Straftaten vermehrt zu begehen. Diese Polizeikontrollen finden zumeist im öffentlichen Raum statt. Dabei gibt es Kontrollen durch die Bundespolizei, die vor allem Verkehrsknotenpunkte wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Züge kontrolliert, um festzustellen, ob sich Menschen illegal in Deutschland aufhalten, sowie Kontrollen durch die Landespolizeien, die an „gefährlichen Orten“ sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen.
Diese Kontrollen sind nicht harmlos: Gerade in Deutschland existiert ein recht großes Grundvertrauen in die Polizei und viele Menschen gehen davon aus, dass das Vorgehen der Polizeibeamten in der Regel seine Berechtigung hat. Wenn im öffentlichen Raum also zumeist Schwarze und andere migrantische Menschen kontrolliert werden, werden sie damit auch für die Öffentlichkeit als kriminelle und gefährliche Gruppe markiert. Das trägt zur weiteren gesellschaftlichen Stigmatisierung von ohnehin marginalisierten Menschen bei und dass dies auch tödlich enden kann, zeigte nicht zuletzt der Fall von Oury Jalloh, der unrechtmäßig von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde und in seiner Zelle verbrannte. Dass es sich dabei nicht, wie lange behauptet, um einen Selbstmord handeln konnte, zeigten eine Reihe unabhängiger Gutachten. Bei dem Schicksal von Oury Jalloh handelt es sich bei weitem nicht um einen Einzelfall: Laut Recherchen der Kampagne Death in Custody sind in Deutschland seit 1990 223 Menschen mit Migrationshintergrund in Polizeigewahrsam bzw. im Gefängnis zu Tode gekommen.
Racial Profiling ist in Deutschland verboten. Das wurde zum ersten Mal 2012 durch eine Grundsatzentscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz bestätigt. Bei diesem Fall wurde ein Junger Schwarzer Mann als einziger im Zugabteil aufgefordert sich auszuweisen, als dieser sich weigerte, wurde er zur Befragung mit aufs Revier genommen und anschließend wegen Beamtenbeleidung angeklagt. Erst in zweiter Instanz bekam der Betroffene recht, dass es sich bei dem Fall um einen Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot handelt und Racial Profiling eindeutig illegal ist. Wie ist es in diesem Zusammenhang möglich, dass diese Praxis trotzdem weiterhin ein alltäglicher Teil von Polizeiarbeit ist?
Oft wird Rassismus bei der Polizei von liberalen Organisationen der Zivilgesellschaft oder von staatlichen Antidiskriminierungsinstitutionen auf einen hohen Anteil von rechten und rechtsradikalen Polizeibeamt:innen zurückgeführt. Dass es diesen hohen Anteil gibt, zeigen die rechtsextremen Chats von Polizeibeamt:innen und Videos von rassistisch ausfälligen Polizist:innen, die immer wieder ans Licht kommen. Dabei muss man sich einerseits fragen, wie es sein kann, dass in einem bestimmten Berufszweig überhaupt so viele mit rechtsradikalen Einstellungen beschäftigt sein können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob rechte Polizeibeamt:innen als Erklärung für den strukturellen Rassismus bei der Polizei überhaupt ausreichen. Um diese Fragen zu klären, müssen wir uns die Geschichte der Polizei verdeutlichen und ihre Funktion in der Gesellschaft verstehen, denn Rassismus ist keine zufällige Begleiterscheinung von Polizeiarbeit, sondern in ihrer Strukturlogik verwurzelt.
Polizeistudie
Ob es sich bei diesen Fällen von Racial Profiling, Todesfällen in Gewahrsam oder den rechten Chatgruppen um Einzelfälle handelt, oder das Problem strukturell bedingt ist, ist auch seit den Demonstrationen um Black Lives Matter 2020 in Folge des Mordes an George Floyd in Deutschland vermehrt ein Thema. Dass rassistische Polizeigewalt in den USA ein Problem ist, haben viele Menschen mittlerweile anerkannt, ob das Problem in Deutschland genauso besteht, ist dagegen eine Frage, die seitdem viel diskutiert wird.
Dazu fordern immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen Studien, die Polizeiarbeit kritisch untersuchen und Ergebnisse liefern, aus denen sich auch Schlüsse für politische Maßnahmen ableiten lassen. Die Deutsche Hochschule für Polizei hat im Auftrag des Bundesinnenministeriums eine solche Studie durchgeführt und im April 2023 einige Zwischenergebnisse veröffentlicht. Der ehemalige Innenminister Horst Seehofer sowie die Polizeigewerkschaften wehrten sich lange gegen eine Studie, die Polizeiarbeit umfassend in den Blick nimmt. Die aktuelle Studie soll ein Kompromiss sein, mit vielen Zugeständnissen an die Polizei. Dafür steht sie sowohl von zivilgesellschaftlicher als auch von wissenschaftlicher Seite unter Kritik. Die Studie ist in ihren Ergebnissen nicht nur kaum repräsentativ, da es lediglich eine Rücklaufquote von 16 Prozent gibt, auch nimmt sie vor allem die alltäglichen Erfahrungen und Probleme der Polizeiarbeit in den Blick.
Politisch impliziert sie einen Zusammenhang zwischen rechten oder rassistischen Einstellungen, Praktiken bei der Polizei und einer allgemeinen Überlastung. Das lässt sich auch an den politischen Antworten auf die Zwischenergebnisse der Studie ansehen. So fordert die Innenministerin Nancy Faeser ein umfassenderes Ausbildungs-, sowie psychologisches Beratungsangebot. Dabei sind die Ergebnisse der Studie, was Rassismus angeht, zwar ambivalent. Einerseits wird von einem kleinen Kreis gesprochen, der demokratiefeindliche Ansichten besitzt, andererseits wird beschrieben, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt. Die Studie bestätigt vor allem eins, nämlich dass von zivilgesellschaftlichen Initiativen angeprangerte Probleme sich bestätigt haben, so sind zum Beispiel Muslime und Obdachlose zwei Gruppen, die besonders häufig abgewertet werden.
Antirassistischer Widerstand gegen Polizeigewalt
Aus den Erkenntnissen über die gesellschaftliche Rolle der Polizei und den Erfahrungen in der Arbeit gegen rassistische Polizeigewalt haben viele Organisationen der Schwarzen Community und andere Gruppen Forderungen herausgearbeitet, die sich nicht innerhalb der Strukturlogik der Polizeiarbeit bewegen. Das bedeutet konkret zum Beispiel, dass Forderungen nach mehr Antirassismustrainings in der Polizeiarbeit oder etwa nach einer diverseren Polizei hier nicht gestellt werden. Eine der Forderungen ist stattdessen, unabhängige Behörden zu schaffen, die gegen die Polizei ermitteln können, denn Anzeigen gegen die Polizei bringen oft wenig. Die Polizei ermittelt in den seltensten Fällen gegen sich selbst und auch die Staatsanwaltschaft ist nicht unabhängig, da die Polizei ihr zuarbeitet. Gerade der Fall um Oury Jalloh hat bewiesen, dass auf die kritische Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten, Gewalt und Rassismus durch die Polizei selbst kein Verlass ist. Auch deshalb setzte die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh zunehmend auf eigene Recherchen, die das bewiesen haben, was seine Freund:innen und Familie bereits zu Beginn ahnten. Sie konnten darüber hinaus auch auf andere Fälle aufmerksam machen, die ähnliche Rückschlüsse auf Polizeigewalt in Verbindung mit derselben Polizeiwache zulassen. Rechercheergebnisse, die nicht durch Polizeiermittlungen oder andere staatliche Institutionen zustande gekommen sind, sondern durch unabhängige Expert:innen.
Eine andere zentrale Forderung gegen Racial Profiling ist die Abschaffung sogenannter verdachtsunabhängiger Kontrollen. Darauf machte insbesondere die Kampagne Ban Racial Profiling von 2017 aufmerksam, die berlinweit die Abschaffung vermeintlich „Gefährlicher Orte“ forderte. Die Kampagne kritisierte nicht nur, dass es sich zumeist um migrantische und arme Viertel handelt, die aufgrund der vermehrten Kontrollen natürlich auch im Sinne einer self-fulfilling prophecy eine höhere Kriminalitätsrate aufweisen, sondern auch, dass dort vermehrt Racial Profiling stattfindet. Dadurch, dass die Kontrollen aber nicht durch einen besonderen Verdacht gerechtfertigt werden müssen, ist es für Betroffene fast unmöglich nachzuweisen, dass sie aufgrund rassistischer Zuschreibungen kontrolliert werden. Dies schließt an die Forderung um „defund the police“ an, denn anstelle der Bereitstellung weiterer Ressourcen für die Polizei wird die Einschränkung ihrer Kompetenzen gefordert. Zusätzlich soll auch ein anderes Verständnis von Sicherheit geprägt werden, denn es hat sich gezeigt, dass mehr Polizeipräsenz in den entsprechenden Stadtteilen in der Regel zu mehr Gewalt führt und nicht zu weniger.
Im Alltag stellt sich für viele Betroffene trotzdem häufig die Frage nach dem Umgang mit rassistischen Polizeikontrollen, denn die politischen Forderungen ließen sich bisher nicht lückenlos in konkrete Maßnahmen übersetzen. Ebenso stellt sich diese Frage häufig für Menschen, die nicht selbst kontrolliert werden, aber eine Kontrolle im öffentlichen Raum miterleben und unsicher sind, ob sie in eine Polizeikontrolle überhaupt intervenieren dürfen, auch wenn sie augenscheinlich nach rassistischen Kriterien abläuft. Wichtig ist es, dabei zuerst die betroffene Person anzusprechen und sie zu fragen, ob sie überhaupt Hilfe braucht oder will und nicht eigenmächtig einzuschreiten, weil das zu weiteren Konsequenzen für die Betroffenen führen kann. Einschreiten kann aber aus verschiedenen Gründen Positives bewirken: Zum einen, weil Betroffene sich während öffentlicher Kontrollen alleine gelassen und gedemütigt fühlen, zum anderen ist es wichtig, der Polizei zu signalisieren, dass diese willkürlichen Kontrollen nicht ohne sozialen Druck passieren. Selbst wenn selten dienstrechtliche Konsequenzen auf rassistische Polizeiarbeit folgen, so kann zumindest öffentlicher Druck zur Entnormalisierung solch eines Fehlverhaltens in der Öffentlichkeit beitragen.
Diese Diskussionen sind Teil einer breiteren Debatte um den Umgang mit rassistischer Polizeiarbeit. Während es auf der einen Seite viele, insbesondere konservative Stimmen gibt, die das Problem gänzlich leugnen, gibt es auf der anderen Seite zwar eine Anerkennung des Problems, aber sehr unterschiedliche politische Antworten hierauf. Audre Lorde sagte einmal: The master‘s tools will never dismantle the master‘s house. Das bedeutet, dass sich mit den Methoden eines Herrschaftssystems dieses nicht überwinden lässt. Ein Verständnis über die Funktion der Polizei und der Erfahrungen in der Aufarbeitung von Todesfällen in Polizeigewahrsam deuten darauf hin, dass es nicht ausreicht, die Polizei zu reformieren. Vielmehr müssen wir die Polizei selbst und die kapitalistische Gesellschaft, in der sie eine zentrale Rolle spielt, hinterfragen.