Transnationalisierung & neue Migrationsformen

Wahrscheinlich war die Vorstellung von geschlossenen und homogenen „Container-Gesellschaften“ oder -Kulturen schon immer falsch. Für viele nichtmigrierende Menschen hat sie aber immer noch etwas Beruhigendes, denn sie stellt keinerlei Ansprüche an sie, sondern verlangt von „den Anderen“, die von „außen“ dazukommen, dass sie sich an das Leben und seine normativen Grundlagen „hier“ anpassen. Die global vernetzte Welt lässt diese Vorstellung immer mehr die Wirklichkeit verfehlen, auch wenn mit ihr weiterhin erfolgreich Politik gemacht wird. Immer mehr Menschen leben hier und „außen“, sie entwickeln transnationale Netzwerke, erweitern ihre Lebensräume, Erfahrungen und Normen über nationale Grenzen hinweg und betreten die Weltbühne als global vernetzte Akteure der Zivilgesellschaft, die im jeweils nationalstaatlichen Raum selbstbewusst Mitsprache und Beteiligungsrechte fordern.

Neben der Globalisierung der Kapital- und Warenströme stellen diese Entwicklungen eine weitere, die soziale und kulturelle Globalisierung „von unten“ dar. Sie ist keineswegs nur an biografische Migrationserfahrungen gebunden, doch die transnationale Migration ist eine ihrer wichtigsten Triebkräfte. MigrantInnen überschreiten nationale Grenzen immer öfter und aus den unterschiedlichsten Gründen. Beispielsweise pendeln sie als flexible Arbeitskräfte oder bilden sich als Studierende oder Auszubildende in verschiedenen Ländern aus oder fort. Sie nutzen den neuen Bewegungsspielraum innerhalb der Europäischen Union oder kämpfen mit alten geopolitischen Grenzen wie denen zwischen globalem Norden und Süden. Ihre Verbindungen zur Herkunftsgesellschaft lassen sie zumeist nicht abreißen, sondern pflegen sie weiter. So fühlen sie sich mehreren Gesellschaften zugehörig. Sie praktizieren einen neuen Typus von transnationaler Migration und Mobilität.
 

Soziokulturelle Transformation & transnationale Räume

Im Zuge der weltweiten Migrationsbewegungen entstehen transnationale Räume durch das Knüpfen von Netzwerken zwischen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. MigrantInnen legen ihre Heimatkultur nicht ab, sobald sie sich an ihrem neuen Lebensort eingelebt haben, sondern  stellen in Auseinandersetzung mit den jeweils örtlichen Gegebenheiten neue Bezüge her, formen eine multipolare Identität und schaffen sich spezifische Lebensräume. Die Sozialwissenschaft geht davon aus, dass die gesellschaftliche Bedeutung dieser transnationalen Räume wächst.

Zwischen Deutschland und der Türkei ist beispielsweise ein ausgeprägter transnationaler Raum entstanden: Die Arbeitsmigration aus der Türkei nach Deutschland, der daran anschließende Familiennachzug, Deutschland als lange Zeit wichtigster Handelspartner der Türkei, die Türkei als beliebtes Reiseziel der Deutschen – dies sind Phänomene, die auf umfangreiche und differenzierte deutsch-türkische Netzwerke hinweisen, die sich abseits der internationalen Beziehungen zwischen StaatsvertreterInnen und jenseits politischer Steuerungsversuche entwickelt haben. Diese Netzwerke konstituieren den deutsch-türkischen transnationalen Raum, der Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit in beiden Ländern hat.

Vor allem in den Weltstädten manifestiert sich Transnationalität auch physisch in „Zwischenräumen“ – in Bahnhöfen, Flughäfen oder Hotels. Aber was bedeutet diese Entwicklung für die Menschen? Bedeutet sie eher Fragmentierung, Zerstörung fester Bindungen, solidarischer Nachbarschaften und verlässlicher sozialer Regeln? Oder wird durch den Aufbau neuer, mehrfacher Bindungen der städtische und der soziale Raum überlagert, ergänzt und erweitert?
 

Beiträge

 

 

 

Governance transnationaler Migration

Transnationale Migration und Mobilität im Zeitalter von Globalisierung und Klimawandel haben neue Formen sozialer Ungleichheit und Konflikte zwischen Arm und Reich, GewinnerInnen und VerliererInnen auf nationaler wie globaler Ebene hervorgebracht. Zugleich gewinnen weltweit menschenrechtliche Gleichheitsnormen und –erwartungen an Geltung, und immer mehr zivilgesellschaftliche AkteurInnen vernetzen sich unter Berufung auf die universalen Menschenrechte und fordern ihre Mitsprache- und Beteiligungsrechte ein.

Vor dem Hintergrund der Eigendynamik der Migrationsprozesse erweist sich die Steuerungsfunktion der bisherigen nationalstaatlichen Instrumente als ineffektiv. Dies stellt die Nationalstaaten und die Weltgemeinschaft vor neue rechtliche und politische Herausforderungen – eine globale Migrationsordnung ist gefragt.