"Ich möchte dazu beitragen, Barrieren einzureißen" - ein Gespräch mit Jana Pareigis

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Journalistin und TV-Moderatorin Jana Pareigis

Am 07. 09. zeigt die Heinrich-Böll-Stiftung die Dokumentation "Afro.Deutschland", in der Jana Pareigis ihren persönlichen Weg schildert, mit Ausgrenzung und Rassismus umzugehen. Wir haben mit der Journalistin und TV-Moderatorin gesprochen.

In ihrer Reportage „Afro.Deutschland“ macht sich Jana Pareigis auf eine Reise durchs Land, um einen Blick darauf zu werfen, wie es ist, als Schwarzer Mensch in Deutschland zu leben. Dabei schildert sie ihren persönlichen Weg, sich in ihrer Haut wohl zu fühlen und mit Ausgrenzung und Rassismus umzugehen. In der Dokumentation wird aufgezeigt, dass Rassismus nicht auf rechte Gewalt reduziert werden kann. Es geht um subtilere Ausprägungen, die zur Normalität in Deutschland geworden sind; diskriminierende Begriffe, die immer wieder verwendet werden, oder grenzüberschreitendes Verhalten gegenüber Schwarzen Personen. Gülcan Yücel hat mit der Journalistin und TV-Moderatorin über ihre Dokumentation "Afro.Deutschland" gesprochen.

Gülcan Yücel: Am Anfang deiner Dokumentation sagst du, dass du als Kind weiß sein wolltest und schließt dann die Dokumentation mit den Worten: „Ich würde um nichts in der Welt eine andere Hautfarbe haben wollen“. Was hat sich für dich verändert?

Jana Pareigis: Als Kind gab es immer wieder Momente, in denen ich weiß sein wollte, weil die Assoziation mit Schwarz-Sein in der Gesellschaft oft negativ ist. Man erlebt Rassismus. Man fällt immer auf. Mir wurde als Kind von fremden Leuten in den Afro gegriffen und gesagt: „Es fühlt sich an wie ein Vogelnest“.

Mir war dieses ständige Auffallen unangenehm, das hat mich sehr angestrengt. Das hat sich in den Jahren für mich verändert: Ich habe mich mehr damit auseinandergesetzt, mit Rassismus, damit, was Schwarz-Sein bedeutet. Im Laufe meiner Jugend hatte ich dann immer mehr auch Schwarze Freundschaften, mit denen ich mich über das Thema Rassismus unterhalten habe. Die Gespräche haben mich gestärkt, ich bin schließlich ins Ausland gegangen, nach London, nach Simbabwe, und dann nach New York. Dort, wo viele Schwarze Menschen leben, habe ich Erfahrungen gemacht, die mir viel Rückhalt gegeben haben.

Heute bin ich natürlich in einer Position, in der ich nichts an mir verändern wollen würde. Man ist, wie man ist und das ist auch gut so. Ich glaube, wenn man Ausgrenzung und Rassismus erlebt, ist es sehr wichtig, dass man sich damit auseinandersetzt, austauscht, sich solidarisiert, dass man weiß, man ist nicht alleine, dass man merkt, man selbst ist nicht das Problem, sondern die Leute, die rassistisch sind. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Entwicklung, gerade wenn man jünger ist.

Filmplakat der Dokumentation "Afro.Deutschland"

In Deutschland wird „Deutsch-Sein“ immer noch als eine schicksalhafte, unveränderliche, ethnisch-kulturelle Kategorie betrachtet. Dabei spielt das äußere Erscheinungsbild eine sehr wichtige Rolle, ob man als Deutsche/Deutscher betrachtet wird. Du sagst in deiner Dokumentation ja auch, dass man als Schwarzer Mensch oft über die Hautfarbe definiert wird. Wie gehst du mit Fragen nach deiner „eigentlichen“ Herkunft oder deinen Sprachkenntnissen um?

Es ist ein Problem, dass in Deutschland nach wie vor die Annahme verbreitet ist, es sei ein weißes Land; es wird imaginiert als weißes Land. Das war es nie. Es gab schon immer Migration und es gibt seit mehr als 400 Jahren Schwarze Menschen in Deutschland. Mittlerweile leben über eine Million Schwarze Menschen in Deutschland. Das Imaginieren als weißes Land hat für People of Color immer etwas Ausgrenzendes.

Die Frage, die ich in meinem Leben von fremden Leuten am meisten gehört habe, ist tatsächlich: „Wo kommst du her?“. Mich sprechen Menschen, die ich nicht kenne, auf der Straße oder im Supermarkt an. Dabei handelt es sich nicht um eine „normale“ Konversation unter Bekannten, bei der man fragt: „Wo kommst du her“ und die Antwort: „Ich bin aus Hamburg“ akzeptiert und nicht weiter nachgefragt wird. Sondern hier geht es darum einzuordnen, kategorisieren zu wollen. Auf meine Antwort „aus Hamburg“ folgt die Frage: „Wo kommen deine Eltern her? Deine Großeltern? Wo kommt deine Farbe her?“, darauf läuft es hinaus. Als ob es keine Schwarzen Menschen in Deutschland geben würde.

Was bedeutet es für dich, immer wieder das Gefühl vermittelt zu bekommen, in deiner eigenen Heimat nicht dazu zu gehören?

Das ist ein rassistischer Ausgrenzungsmechanismus. Das ist was, was ich auch immer kritisiere und mir ist es vor kurzem wieder passiert. Als ich in Berlin an der Ampel stand, hat ein Auto neben mir gehalten. Später konnte ich an dem Kennzeichen sehen, dass sie aus Brandenburg kamen. Ein weißes Ehepaar hat das Fenster runtergekurbelt und mich in ganz schlechtem Englisch gefragt: „Where are you from?“. Ich habe auch gar nicht darauf geantwortet. Ich habe fassungslos geguckt und dann haben sie sich zueinander umgedreht: „Ach ok, sie spricht noch nicht mal Englisch“.

Ich dachte mir, das kann doch nicht sein, wir haben 2017, mehr als 20 Prozent der Bevölkerung haben einen sogenannten Migrationshintergrund, oder Migrationserfahrung, oder sind People of Color und immer noch wird es in Frage gestellt, dass wir auch ein Teil der Gesellschaft sind und hierbleiben. In Zukunft wird dieser Teil der Bevölkerung noch größer, Migration wird nicht aufhören, nirgendwo auf der Welt.

Die Dokumentation verknüpft deine eigenen biografischen Erfahrungen mit der Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland. Was hat dich inspiriert, diese Dokumentation zu drehen?

Ich habe schon seit vielen Jahren von mir geschriebene Exposés zu diesem Thema in der Schublade liegen, da ich mich auch schon sehr lange mit dem Thema Schwarze Menschen in Deutschland beschäftige. Als die DW mich gefragt hat, etwas dazu zu machen, habe ich mich sehr gefreut.

Ich habe zu allen im Film gezeigten Personen einen thematischen oder persönlichen Bezug. Theodor Wonja Michael zum Beispiel, der die NS-Zeit in Deutschland erlebt hat, habe ich vor vielen Jahren kennengelernt. Er hat mich mit seiner Geschichte sehr berührt. Beim ISD (Initiative für Schwarze Menschen in Deutschland) bin ich selbst Mitglied. Zu Indira Paasch, die damals in Ostdeutschland zur Adoption freigegeben wurde, ist ein thematischer Bezug zu meiner Lebensgeschichte zu sehen. Es ist also eine sehr persönliche Doku und es war immer ein Traum, eine Doku zu diesem Thema zu machen.

Jana Pareigis mit dem südafrikanischen Streetartist Robin Rhode.

Es geht um die Bedeutung von Rassismus und Ausgrenzung, aber auch um Empowerment und Selfcare. Was willst du den Menschen in Deutschland, sowohl weißen Menschen als auch Schwarzen Menschen, mit der Dokumentation sagen?

Ich erlebe oft, wenn man von rassistischen Erlebnissen erzählt, dass Leute das relativieren und sagen, man würde übertreiben und es wäre ja alles gar nicht so schlimm. Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, sollten sich aber damit auseinandersetzen, wie es ist, von Rassismus betroffen zu sein. Es gibt nach wie vor viel rassistisches Gedankengut in der Gesellschaft, rassistische Begriffe sowie rechte Gewalt.

Die Doku gibt einen Einblick in die Lebensrealitäten der Menschen, die von Rassismus betroffen sind, um auch denen, die das selber nicht erleben müssen, einen Einblick zu gewähren. Wir müssen uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. In den letzten Jahren sind rassistische Übergriffe auf Geflüchtete oder Flüchtlingsunterkünfte gestiegen. Dann ist da noch die rassistische Mordserie des sogenannten NSU. Dies sollte uns auf jeden Fall aufmerksam werden lassen, was für ein Problem wir mit Rassismus in Deutschland haben.
Mir ist es dabei wichtig zu betonen, dass die Doku aber eben auch von Empowerment handelt. Schwarze Menschen und People of Color sollen sich empowert fühlen.

Es wird aufgezeigt, wie wichtig es ist, seine Erfahrung mit anderen Leuten zu teilen, dass man nicht alleine ist, dass es andere Menschen gibt, denen es ähnlich geht, es Wege gibt, damit umzugehen, dass man sich solidarisiert, dass man sich vielleicht vernetzen kann, wenn man möchte, oder in Organisationen eintreten wie etwa die Initiative Schwarze Menschen.

Auf dem Bundestreffen der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

Schwarze Menschen sind in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens in Deutschland immer noch unterrepräsentiert. In deiner Dokumentation sagst du: „Ich möchte dazu beitragen Barrieren einzureißen, so dass die nächste Generation Schwarzer Kinder sieht: Auch ich kann Nachrichtenmoderatorin werden!“ Was müsste sich in Deutschland ändern, damit dein Wunsch in Erfüllung geht?

Es gibt natürlich kein Geheimrezept. In Deutschland haben ungefähr 20 Prozent der Menschen Migrationserfahrung – im Journalismus sind es aber nur zwei bis drei Prozent. Das ist natürlich viel zu wenig und in anderen Berufen zeigt sich das auch. Alle Berufsfelder sollten die Gesellschaft widerspiegeln – sei es etwa in Bezug auf die Hautfarbe oder die sexuelle Orientierung. Denn natürlich ändert sich die journalistische Berichterstattung, wenn 50 Prozent der Belegschaft weiblich ist oder wenn 20 Prozent der Angestellten People of Color sind. Dadurch steigt auch eine Sensibilität gegenüber Sexismus bzw. Rassismus in den Redaktionen.

Dabei geht es auch um Begriffe, zum Beispiel, dass man zu Schwarzen Menschen nicht mehr „farbig“ sagt, sondern eben „Schwarze Menschen“ oder, wenn es zutrifft, „Afro-Deutsch“. Oder das man nicht von „Schwarzafrikanern“ spricht. Wir müssen unsere Sprache sensibilisieren. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass Rassismus oder Ausgrenzung damit verschwindet, sondern wir müssen Rassismus stärker thematisieren und auch juristisch bekämpfen. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind wichtig, rassistische Gewalttaten und rechte Gewalt muss immer juristisch verfolgt werden.

Die Aufklärungsquote solcher Gewalttaten ist aber nicht sehr hoch, es ist deshalb sehr wichtig, dass man ein Signal sendet – zum einen an diejenigen, die solche Taten begehen oder begehen wollen, dass so etwas klar verfolgt wird und zum anderen an die Menschen, die davon betroffen sind, damit sie wissen, man kann sie nicht einfach angreifen, bespucken, beleidigen und die Täter kommen damit durch. Bei der Mordserie des sogenannten NSU sind zehn Menschen ermordet worden, es wurden Sprengstoffanschläge verübt. Die Betroffenen und die Familien der Opfer wurden über Jahre von den Sicherheitsbehörden verdächtigt. Das ist katastrophal. Wir sollten uns mit der Geschichte auseinandersetzen: der NS-Zeit. Aber auch mit der deutschen Kolonialzeit und der Sklaverei, denn die Entstehung von Rassismus reicht weit zurück.

Was sind deine Pläne für die nahe Zukunft? Können wir uns über weitere Projekte, die sich mit dem Thema Rassismus und Empowerment beschäftigen, freuen, wird es vielleicht einen zweiten Teil zu Afro.Deutschland geben?

Einen zweiten Teil wird es jetzt nicht geben. Die Doku ist in dem Rahmen abgeschlossen. Aber ja, ich werde mich natürlich weiter mit dem Thema beschäftigen. Ich bin derzeit die Botschafterin für die Internationalen Wochen gegen Rassismus, die im März 2018 stattfinden werden. Denn in einer demokratischen Gesellschaft ist es wichtig, dass wir Rassismus und rechte Gewalt nicht tolerieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Gülcan Yücel.