Flüchtlingsrechte gelten auch auf hoher See

Tag des Flüchtlings 2007

Europa schottet sich auch mit illegalen Mitteln gegen Flüchtlinge und Einwanderer ab. Die von der EU-Agentur FRONTEX konzipierte Flüchtlingsabwehr missachtet menschen- und flüchtlingsrechtliche Verpflichtungen der EU-Staaten. Zu diesem Ergebnis kommt ein von amnesty international, der Stiftung Pro Asyl und dem Forum Menschenrechte in Auftrag gegebenes Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das die Organisationen  anlässlich des bundesweiten Tags des Flüchtlings am 28. September 2007 vorgestellt haben. Im folgenden dokumentieren wir die Ausgangsfragen des Rechtsgutachtens.

Thema und Fragestellung 

Nach Angaben des International Centre on Migration Policy Development überqueren pro Jahr etwa 100.000 bis 120.000 Schutzsuchende und Migranten das Mittelmeer, ohne dass sie im Besitz der für eine Einreise nach Europa notwendigen Papiere wären. Ca. 35.000 von ihnen stammen aus der Sub-Sahara, 55.000 aus den afrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten, 30.000 aus anderen Staaten (vor allem asiatische Länder und Staaten des mittleren Ostens). Dabei wird geschätzt, dass in den letzten zehn Jahren etwa 10.000 Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken sind.

Der Tod dieser Menschen steht im Kontext eines europarechtlich durchformten Migrationsregimes. Die grenzpolizeiliche und paramilitärische Abriegelung der europäischen Außengrenzen bedarf nicht nur nationaler, sondern europäischer Debatte und Gegensteuerung. Im Rahmen dieser bedarf es zum einen eines ganzheitlichen Ansatzes, der Maßnahmen der Entwicklungs- zusammenarbeit und der Legalisierung von Migration aufgreift.

Zum anderen muss sich die Durchführung von Grenzkontroll- maßnahmen an völker- und europarechtlichen Maßstäben des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes messen lassen. Letzteres ist umso wichtiger, als sich unter den Betroffenen regelmäßig auch Personen befinden, die nach geltendem Völker- und Europarecht als schutzbedürftig im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erachtet werden.

Das Gutachten greift diesen Aspekt aus aktuellem Anlass auf. In der aktuellen rechtspolitischen Diskussion wird von staatlicher Seite vereinzelt vertreten, staatliche Grenzkontrollen operierten insbesondere auf Hoher See in einem flüchtlings- und menschenrechtsfreien Raum. Das Gutachten untersucht darum die einschlägigen Rechtstexte und bewertet die darauf bezogene Staatspraxis. Aus beidem ergibt sich, dass die europäischen Grenzschützer auch bei exterritorialem Handeln an die internationalen Menschen und Flüchtlingsrechte gebunden sind.

Bei der Kontrolle der Außengrenzen der EU handeln die Grenzschutzorgane der Mitgliedstaaten in enger Kooperation miteinander. Sie werden unterstützt durch die mit VO 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 errichtete Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX. Die Grenzschutzagentur verfügt über eigenes Personal und hat über ein technisches Zentralregister derzeit Zugriff auf insgesamt 24 Hubschrauber, 19 Flugzeuge, 107 Boote sowie zahlreiches mobiles Gerät. Im Rahmen von durch FRONTEX koordinierten Operationen sieht die Verordnung zur Einrichtung eines Mechanismus zum Aufbau von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke eine maßgebliche Erweiterung der Exekutivbefugnisse vor. Danach können Grenzschutzteams für begrenzte Zeit in dringenden und außergewöhnlichen Situationen eingesetzt werden, wenn der jeweils betroffene Mitgliedstaat solche Unterstützungsmaßnahmen beantragt.

Bei FRONTEX wird zu diesem Zweck ein entsprechender Ad-hoc-Einsatzpool von 500 bis 600 Grenzpolizisten der Mitgliedstaaten eingerichtet. Weiter sieht die Verordnung vor, dass bei gemeinsamen Einsätzen unter der Ägide von FRONTEX alle vor Ort eingesetzten Kräfte, also bei einem Einsatz in Spanien oder Italien zum Beispiel auch Beamte der deutschen Bundespolizei, Eingreifbefugnisse haben und somit die Grenzpolizisten des jeweiligen Einsatzstaates unterstützen können. Die Mitglieder der Soforteinsatzteams müssen während der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ihre eigene Uniform tragen. Um sie als Teilnehmer eines Einsatzes eines Soforteinsatzteams auszuweisen, tragen sie auf ihrer Uniform eine blaue Armbinde mit den Abzeichen der Europäischen Union und der FRONTEX-Agentur. Die Mitglieder der Soforteinsatzteams sollen nach der Verordnung, die nach ihrem Art. 14 am 20. August 2007 in Kraft getreten ist, Aufgaben und Befugnisse für Grenzübertrittskontrollen oder Grenzüberwachung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) und die für die Verwirklichung der Ziele der genannten Verordnung erforderlichen Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen können. Entscheidungen zur Verweigerung der Einreise gemäß Artikel 13 des Grenzkodexes sollen nur von den Grenzschutzbeamten des Einsatzmitgliedstaats getroffen werden. Durch solche vertikal und horizontal arbeitsteiligen Maßnahmen werden auch deutsche Grenzschutzbeamte in Maßnahmen zum europäischen Grenzschutz im Mittelmeer einbezogen.

Vor diesem Hintergrund behandelt das Gutachten folgende Fragen:

  • Gelten die völkerrechtlichen refoulement-Verbote aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und weiteren für das Flüchtlings- und Migrationsrecht einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen jenseits des zum Landgebiet zählenden Territoriums der Vertragsstaaten (hierzu 3.1. des Gutachtens)?
  • Gelten die grund- und flüchtlingsrechtlichen refoulement-Verbote des europäischen Primär- und Sekundärrechts jenseits des zum Landgebiet zählenden Territoriums der Vertragsstaaten (hierzu 3.2.)?
  • Welche see-, menschen- und flüchtlingsrechtlichen Handlungs- und Unterlassungspflichten folgen aus den zu Frage 2. und 3. gefundenen Ergebnissen beim Umgang mit
    Schutzsuchenden und Migranten auf dem Meer (hierzu 3.3.)?

"Menschen- und flüchtlingsrechtliche Anforderungen an Maßnahmen der Grenzkontrolle auf See", Rechtsgutachten von Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M. und Tillmann Löhr (für das European Center for Constitutional and Human Rights) im Auftrag der Stiftung Pro Asyl, von amnesty international und des Forums Menschenrechte Download

Bild entfernt.

Bild: Schiffe der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX zur Abwehr von illegalen Einwanderern im Einsatz