„Älter werden in Deutschland“ - eine Informationsreihe für russischsprachige EinwanderInnen

von Dragica Baric-Büdel

Wegen Verständigungsschwierigkeiten oder Informationsdefiziten über die Angebote und Leistungen des Altenhilfesystems haben SeniorInnen mit Migrationshintergrund oft nicht den gleichen Zugang zu den sozialen Dienstleistungen wie die einheimische Bevölkerung. Zudem haben nach wie vor viele Dienste und Einrichtungen ihre Angebote nicht ausreichend auf die Bedürfnisse eingewanderter SeniorInnen ausgerichtet.

Die Informationsreihe “Älter werden in Deutschland“ greift diesen Informations- und Aufklärungsbedarf auf und geht auf die Bedürfnisse der eingewanderten SeniorInnen ein, um so  Hemmnisse und Zugangsbarrieren abzubauen. Die Konzeption der Informationsreihe „Älter werden in Deutschland“ wurde aus den Niederlanden übernommen und auf die Bedürfnisse der eingewanderten SeniorInnen in Deutschland angepasst. Dieses geschah zuerst für die größere Gruppe der türkischsprachigen SeniorInnen. In einem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) geförderten Projekt wurde die Konzeption der Informationsreihe und die Materialien und Medien (Filme und Fotokarten) von 2005 bis 2008 für die Gruppe der russischsprachigen SeniorInnen, zumeist (Spät-)AussiedlerInnen, angepasst und in über 30 Standorten erprobt und evaluiert.

Zielgruppenspezifischer Informationsbedarf

Hinter der Gruppe der älteren EinwanderInnen verbergen sich vielfältige Lebenssituationen und unterschiedliche kulturelle und soziale Prägungen. Den größten Anteil in der Gruppe der älteren EinwanderInnen bilden die sogenannten ArbeitsmigrantInnen, die ehemals angeworbenen „GastarbeiterInnen“ und ihre Familienangehörigen. Eine weitere große Gruppe sind die älteren (Spät-)AussiedlerInnen, die überwiegend aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion stammen sowie aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern.
 
Von 1990 bis 2006 reisten insgesamt 2.489.938 (Spät-)AussiedlerInnen (inklusive mitreisender Familienangehöriger) nach Deutschland ein (seit 1950 sind es über 4 Millionen). Mit 1,4 Millionen kommen die meisten (Spät-)AussiedlerInnen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – vor allem aus Russland (605.000) und aus Kasachstan (537.000). Die Zahl älterer (Spät-)AussiedlerInnen steigt weiterhin an. So waren 11,1 Prozent der (Spät-)AussiedlerInnen im Jahr 2006 über 65 Jahre alt, in 2005 waren es noch 7,0 Prozent . Umso aktueller und dringlicher sind Konzepte und Maßnahmen, um diese Zielgruppe zu erreichen und den zielgruppenspezifischen Informationsbedarf zu befriedigen.

Die Praxiserfahrungen bestätigen immer wieder den hohen Bedarf älterer Menschen mit Migrationshintergrund an Information und Aufklärung über das Altenhilfe- und Gesundheitssystem sowie über Gesundheitsthemen und Engagementmöglichkeiten. Sie haben das Bedürfnis nach Kommunikation, Geselligkeit und Bewegung. Viele wollen sich engagieren und aktiv Angebote mitgestalten, haben aber keinen Zugang zu entsprechenden Angeboten der Altenhilfe.

Ziele der Informationsreihe

Das langfristige Ziel der Informationsreihe ist es, einen Prozess zur interkulturellen Öffnung beziehungsweise Ausrichtung bestehender Angebote der Altenhilfe in Gang zu setzen. Ältere EinwanderInnen sollen das vielfältige Angebot für SeniorInnen (von der offenen Altenarbeit bis zur ambulanten und stationären Versorgung) kennen lernen und als Angebot nutzen können - in Ergänzung zu dem, was ihre Kinder für sie leisten. Örtliche Organisationen und Einrichtungen der Altenhilfe sollen für die Zielgruppe älterer EinwanderInnen und ihre spezifischen Fragen sensibilisiert werden und einen ersten Zugang finden.
Eines der wichtigsten Elemente der Informationsreihe ist die Berücksichtigung von Emotionen der SeniorInnen sowie der individuellen Lebensbiografien, der Migrationserfahrungen, der Einstellungen zum Älterwerden, der Erwartungen an und Erfahrungen mit dem Leben im Aufnahmeland.

Lebenslage und Lebensgeschichte russischsprachiger SeniorInnen

Die Informationsreihe berücksichtigt die Lebenssituationen und Lebensgeschichten älterer (Spät-)AussiedlerInnen, die individuell sehr unterschiedlich sein können. Dieses stellt die Durchführenden in der Praxis vor große Herausforderungen. Ältere (Spät-)AussiedlerInnen

„…sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus Ländern mit unterschiedlichen historischen und kulturellen Bedingungen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa zugewandert. Die Heterogenität dieser Gruppe wird durch Unterschiede nach Schichtzugehörigkeit, Bildungsstand, Erfahrungen in unterschiedlichen sozialen Kontexten und Abwanderungsmotivation weiter verstärkt. Da bei Spätaussiedlern Zuwanderungen häufig von ganzen Familienverbänden erfolgen, sind viele von ihnen erst als alte Menschen nach Deutschland gekommen. Obwohl sie Rentenleistungen in Anlehnung an das Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland erhalten und sozial abgesichert sind, kann das Problem der Altersarmut vor allem bei geschiedenen oder verwitweten älteren Frauen nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund ihrer Lebenserfahrungen als Angehörige einer Minorität sind viele von ihnen traditionalistisch orientiert, was sich in einem ausgeprägten Familismus und in Religiosität niederschlägt. Im Unterschied zu den Arbeitsmigranten, die häufig rückkehrorientiert sind, sind Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, um sich hier für immer niederzulassen. Ihre meist idealisierenden Erwartungen an Deutschland führen unausweichlich zu Enttäuschungen. Als ältere Menschen knüpfen sie besonders stark an die in einem anderen Kontext erworbenen Einstellungen an. Dies äußert sich in Ängstlichkeit im Umgang mit Behörden, in Unsicherheit und Passivität und in hohen Erwartungen an die staatlichen Fürsorgesysteme.“ (Sechster Familienbericht 2000, S.117)

Viele (Spät-)AussiedlerInnen erleben die Rückwanderung in die Heimat ihrer Urahnen als eine Heimkehr in die Fremde. Man muss heimisch werden in einem anderen Land, in einer anderen Gesellschaft, einer anderen Sprache, einer anderen Zeit, was zu einer tiefen Identitätskrise führen kann. Das Gefühl der Fremdheit kann lange anhalten und verlässt insbesondere die älteren Menschen manchmal nicht mehr (vgl. Netzwerk Älter werden in Deutschland 2006, S. 5 f.).

Voraussetzung, um die aktuelle Lebenssituation der SeniorInnen, die als (Spät-)AussiedlerInnen oder deren Ehegatten/PartnerInnen eingewandert sind, zu verstehen, ist die Kenntnis der Lebensgeschichten und der damit verbundenen Einflüsse.

Grundgedanken der Informationsreihe „Älter werden in Deutschland“

Die Informationsreihe wurde aus dem Gedanken entwickelt, dass Menschen erst bereit sind, Informationen aufzunehmen, wenn starke emotionale Barrieren abgebaut wurden. Diese Barrieren können in unterschiedlichen Aspekten begründet sein, wie:

  • der individuellen Lebensbiografie
  • den Migrationserfahrungen
  • den Einstellungen zum Älterwerden
  • den Erwartungen und Erfahrungen an das Leben in Deutschland

Aufgrund von Erfahrungen aus den (Spät)Aussiedlerberatungsstellen und der Umsetzung der Informationsreihe sind bei ausgesiedelten SeniorInnen und ihren nicht-deutschen EhegattInnen unterschiedliche Hemmschwellen in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Älterwerden zu erwarten, die je nach Gruppenzusammensetzung in unterschiedlichem Maße auftreten können:

  • Die Erwartungen an die Kinder sind groß und sie hoffen auf die Hilfe der Kinder. Zweifel können diese Hoffnung stören.
  • Die Erwartungen an die Kinder können nicht realisiert werden, da diese nicht in Deutschland leben.
  • Das Altwerden ist noch kein Thema, da alle Energien in die Unterstützung der Integration der Nachkommen oder von Verwandten im Herkunftsland fließen.
  • Das Altwerden ist für einige 60-jährige noch kein Thema, da die hochaltrigen Eltern noch leben.
  • Die Einwanderung liegt erst Monate oder einige Jahre zurück. Die Orientierungsphase und notwendige Trauerprozesse sind noch nicht abgeschlossen.
  • Im Alter verbleiben wenig Zeit und Kraft zum Lernen und zur Aufnahme von Informationen.
  • Die Trauer über das eigene Schicksal und die enttäuschten Hoffnungen an die neue Heimat nehmen so viel Raum ein, dass eine Auseinandersetzung mit anderen Themen nicht möglich scheint.
  • Die Ausreise war nicht unbedingt gewollt und geschah für die Zukunft der Kinder und EnkelInnen. Wenn dieses Opfer nicht gewürdigt wird, vergrößern sich Trauer und Enttäuschung.
  • Die Benachteiligungen der nicht-deutschen EhegattInnen können zu Gefühlen der Diskriminierungen führen.
  • Das Gefühl, in der Gesellschaft nicht willkommen zu sein (dort Deutscher – hier Russe) und fehlende gesellschaftliche Aufgaben können zum Rückzug in die Isolation führen.
    (Quelle: Netzwerk Älter werden in Deutschland 2006, S.11 f.)

Abbau von Zugangsbarrieren

Um die Barrieren abzubauen, will die  Informationsreihe einen dreistufigen Prozess anstoßen.

Zuerst werden die Emotionen bezüglich der oben genannten Barrieren angesprochen, soweit sie in der Gruppe zum Tragen kommen. Hierbei ist zu beachten, dass Ansprechen nicht gleich Lösen ist. Die Distanz zwischen den Angeboten der Altenhilfe und der Zielgruppe muss langsam überwunden werden. Dazu reichen Informationen, etwa über die Regelungen zur Grundsicherung oder zur Frage, wie man eine altengerechte Wohnung erhält, nicht aus. Hier stehen vielmehr so schwierige Fragen wie die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Geborgenheit und Sicherheitsgefühl innerhalb der Familie und innerhalb der Gesellschaft, Rechte, Pflichten und Erwartungen im Vordergrund.

Im zweiten Schritt werden Informationen über die Angebote für SeniorInnen am eigenen Wohnort gegeben. Die TeilnehmerInnen erfahren, wie alte Menschen in Deutschland ihren Lebensabend verbringen und welche Rolle die Kinder einnehmen. Sie lernen Alternativen kennen, wenn die Kinder nicht zur Verfügung stehen und sie erfahren von Möglichkeiten bestimmte Angebote mitzugestalten. Dies geschieht durch Methoden wie Gespräche, Einsatz von Bildern, Filmen und Exkursionen. Dabei wird nicht wertend vorgegangen, sondern die Akzeptanz verschiedener Lebensformen und die Möglichkeit zu wählen bilden die Grundlage.

Abschließend wird nach Wünschen der TeilnehmerInnen für Aktivitäten oder Dienstleistungen gefragt, was gegebenenfalls am bestehenden Angebot verändert, welche Elemente in dieses Angebot neu aufgenommen werden müssten und was sie selbst dazu beitragen möchten (vergl. Netzwerk Älter werden in Deutschland 2006, S.12 f.).

Voraussetzung für den erfolgreichen Informationsfluss zwischen den verschiedenen Systemen und Bereichen der Altenhilfe und Migrationsarbeit ist, dass so konkret und so nah wie möglich gearbeitet wird. 

Darüber hinaus sind Sicherheit und Vertrauen wichtige Schlüsselelemente. Sie ermöglichen, dass sich die TeilnehmerInnen bei diesem emotional belastenden Thema für Neues öffnen können. Daher sollte die Gruppe relativ klein sein, immer dieselben Personen die Leitung übernehmen (Kontinuität) und erst nach dem vierten Treffen Personen von außen hinzugezogen werden.

Die TeilnehmerInnen 

Die TeilnehmerInnen der Informationsreihe  sind über 55-jährige SeniorInnen  deutscher Abstammung aus der ehemaligen Sowjetunion und deren EhegattInnen / LebensgefährtInnen. Rund ein Drittel der TeilnehmerInnen sind älter als 70 Jahre. Die meisten leben erst seit fünf bis zehn Jahren in Deutschland. Ungefähr 80 Prozent der teilnehmenden SeniorInnen leben nicht mit den eigenen Kindern zusammen.

Die Umsetzung

Die Informationsreihe enthält die Phasen Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der sechs Informationstreffen 

Vorbereitung

In der Vorbereitungsphase wird vor Ort eine Arbeitsgruppe gebildet, die aus relevanten AkteurInnen der Altenhilfe und Migrationsarbeit sowie Selbstorganisationen der (Spät-)AussiedlerInnen besteht. Das Netzwerk ermöglicht den Zugang zur Zielgruppe und die Nutzung unterschiedlicher Ressourcen für die Durchführung der Informationsreihe (Raum, Material, Finanzen, DolmetscherInnen, ehrenamtliche HelferInnen usw.).

Durchführung

Die Materialien sind zweisprachig deutsch-russisch gestaltet. Mit Fotokarten und Videofilmen werden emotionale Themen aufgegriffen. Das Angebotsspektrum der Altenhilfe wird visualisiert, Exkursionen zeigen ausgewählte Angebote vor Ort. Begleitend zu der Durchführung gibt es einen Medienkoffer. Er enthält ein Handbuch, eine CD mit Materialien, zwei Videofilme, Folien, Plakate und Broschüren für die Gruppe.

Auswertung

Zum Abschluss beurteilen die TeilnehmerInnen die vorgestellten Angebote und formulieren Wünsche und Hinweise an die Einrichtungen. Nach einem halben Jahr findet ein Nachtreffen statt. Hier wird festgestellt, ob die TeilnehmerInnen die Angebote in Anspruch genommen haben oder nicht. Außerdem wird von der institutionellen Seite geprüft, welche Schritte unternommen wurden, um die Teilnehmerwünsche in die Praxis umzusetzen.

Ergebnisse und Empfehlungen

Die Informationsreihe umfasst sechs Treffen. Um zu erreichen, dass die TeilnehmerInnen nach den Treffen auch im privaten Rahmen über die Informationen sprechen, werden bei der Exkursion Fotos gemacht und zusammen mit wichtigen örtlichen Adressen in einem Fotoband zusammengestellt (zweisprachig). Nach dem sechsten Treffen erhalten die TeilnehmerInnen den Fotoband. Der Fotoband ist ein wichtiges Medium, das die TeilnehmerInnen anregt, ihren PartnerInnen, den Kindern und im Bekanntenkreis Informationen weiterzugeben und von den neuen Erfahrungen zu berichten. 
 
Die Evaluation zur Durchführung der Informationsreihe (seit 2005 in über 60 Standorten bundesweit) durch Befragung der TeilnehmerInnen hat die Wirkung der Informationsreihe diesbezüglich bestätigt. Rund drei Viertel der Befragten haben angegeben, dass sie mit ihren Kindern und Angehörigen über die Themen der Informationsreihe sprechen. In den Familien findet eine Auseinandersetzung mit dem Thema Alter und den Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung im Bedarfsfall statt. Die SeniorInnen setzen sich mit dem Älterwerden auseinander, werden motiviert und angeregt aktiv zu werden und Initiative zu ergreifen. Drei Viertel der Befragten geben an oder äußern den Wunsch, sich weiter als Gruppe treffen oder weitere Veranstaltungen oder Angebote nutzen zu wollen.
An vielen Standorten wirkt die Informationsreihe als Anstoß zur Entstehung von Seniorengruppen, die allerdings weiterhin insbesondere in der Anfangsphase eine Unterstützung der hauptamtlichen Seite benötigen.

Wünsche und Interessen älterer (Spät-)AussiedlerInnen

Viele TeilnehmerInnen der Informationsreihe können sich vorstellen, die vorgestellten Angebote zu nutzen beziehungsweise an Aktivitäten und Angeboten teilzunehmen wie zum Beispiel: Essen auf Rädern, Hausnotruf, Haushaltshilfen, Pflegedienste, Beratungsstellen, Seniorenwohnungen, Gehhilfen, Begegnungsstätten, Gymnastik, Kulturprogramme, Computerkurse, Mittagstisch oder Sprachkursee. Gewünscht werden zudem weitere Infoveranstaltungen zum Beispiel zu Themen wie Patientenverfügung, Krankheiten im Alter, praktische Ausführung/Hilfe bei Anträgen, mehr Infos und Erläuterungen zu den Gesetzen und Gesetzesänderungen in Deutschland, zur Geschichte Deutschlands und der Städte. Gewünscht werden auch mehr Begegnungen und Ausflüge.

An die Kommunen/ Gemeinden und die institutionelle Seite melden ältere (Spät-)AussiedlerInnen folgenden Bedarf: 

  • mehr Kontakte zu anderen Seniorengruppen und zu Einheimischen
  • mehr Begegnungsstätten für SeniorInnen
  • seniorengerechte Wohnungen
  •  mehr Ausflüge und Freizeitangebote
  • DolmetscherInnen bei den Ämtern und in öffentlichen Einrichtungen
  • Angebot von zielgruppenspezifischen Computerkursen
  • Russisch sprechende MitarbeiterInnen, denn Sprachprobleme erschweren den Kontak
  • Seniorenheime sollen für (Spät-)AussiedlerInnen zugänglich sein
  • Angebote sollen an die finanzielle Lage angepasst werden
  • mehr Infos zum Beispiel über Themen der Integration auf Russisch
  • mehr Betreuung für (Spät-)AussiedlerInnen am Anfang.

Nachhaltigkeit: Die präventive Wirkung der Informationsreihe

Die Informationsreihe hat in folgenden Bereichen eine präventive Wirkung:

  •  Engagement und der Austausch in einer Seniorengruppe beugt der Vereinsamung und Isolation vor.
  • Engagement und Aktivitäten in einer Gruppe wirken sich positiv auf die Gesundheit aus.
  • Die Auseinandersetzung mit dem Alter und Älterwerden lenkt den Blick auf unterschiedliche Aspekte und Sichtweisen und kann zu Einstellungs- und Verhaltensänderung führen.
  • Die erhaltenen Informationen über Angebote und Dienste der Altenhilfe und Altenpflege geben mehr Sicherheit und stärken die Entscheidungsfähigkeit der Teilnehmenden.
  • Die in der Exkursion vorgestellten Einrichtungen sowie die Gespräche mit ExpertInnen der Altenhilfe und Altenpflege tragen dazu bei, dass Vertrauen aufgebaut wird.
  • Die Einrichtungen und Dienste der Altenhilfe werden auf die Zielgruppe aufmerksam gemacht und lernen deren Bedürfnisse und Wünsche kennen. Sie können ihre Angebote und Leistungen entsprechend anpassen und sich auf diese Kundengruppe vorbereiten.

Die Durchführung der Informationsreihe für russischsprachige SeniorInnen hat auch zu der Erkenntnis geführt, dass (Spät-)AussiedlerInnen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, Unterstützung benötigen. Sie wissen nicht wo und wie sie sich engagieren können, in welchen Bereichen und welche Kompetenzen sie dazu benötigen. Hierzu wurden Seminare für ehrenamtlich engagierte (Spät-)AussiedlerInnen entwickelt, die eine große Resonanz bei der Zielgruppe finden (vgl. AWO Osnabrück 2008). 

Erste Schritte der interkulturellen Öffnung

In den Diensten und Einrichtungen der Altenhilfe wurde zum Teil festgestellt, dass es bereits ein gut entwickeltes Bewusstsein für den Bedarf an interkultureller Öffnung gibt. In Einzelfällen werden die Angebote bereits genutzt (zum Beispiel Tagespflege, technische Hilfsmittel). Andererseits sind bei vielen noch Ängste und Vorbehalte gegenüber den Einrichtungen der Altenhilfe vorhanden. Folgende Anforderungen  an die Altenhilfe formulieren ältere (Spät-) AussiedlerInnen, damit die Angebote von dieser Gruppe genutzt werden können:

  • Russischsprachiges Personal beziehungsweise MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund
  • Interaktionswillen muss auf beiden Seiten vorhanden sein.
  • Es sollten mehr Informationen über ältere (Spät-)AussiedlerInnen veröffentlicht werden.
  • Alle Angebote, die privat finanziert werden müssen, fallen weg.
  • Die Organisationen müssen den (Spät-)AussiedlerInnen gegenüber aufgeschlossen sein.
  • Die Altenhilfe muss kulturell sensibilisiert werden.  
  • Sprachbarriere ist groß und muss überwunden werden.

Vor Ort gibt es bereits viele Beispiele, die die Auswirkung der Informationsreihe auf die Einrichtungen und Dienste verdeutlichen, zum Beispiel:

  • Ein Koordinationspartner aus der Altenhilfe hat die Nutzung seiner Räumlichkeiten für zukünftige Veranstaltungen angeboten.
  • Der Leiter einer Einrichtung zeigte Interesse an der Weiterentwicklung seines Seniorenhauses für (Spät-) AussiedlerInnen.
  • Die Seniorenberaterin des Bezirks wird mit der Migrationssozialberatung zusammenarbeiten.
  • Angebote der offenen Altenhilfe werden bei der Migrationsberatung bekannt gemacht.
  • Eine Immobilienverwaltung und eine Aussiedlerorganisation möchten in Zukunft kooperieren.
  • Infomaterial über relevante Dienste der Altenhilfe wird erstellt.
  • Der persönliche Kontakte zur Migrationsberatung ist hergestellt.

Der Weg ist das Ziel: Interkulturelle Altenarbeit

Die Informationsreihe ist ein erster Schritt der Sensibilisierung der Altenhilfe für die Bedürfnisse älterer EinwanderInnen. Der Prozess der interkulturellen Öffnung und Ausrichtung der Dienste und Einrichtungen der Altenhilfe soll dabei angestoßen werden. Das langfristige Ziel ist die Entwicklung von migrationssensiblen und wohnortnahen Angeboten. Die Zusammenarbeit von Altenhilfe und Migrationsarbeit sowie die Einbeziehung örtlicher Migrantenorganisationen und Selbsthilfevereinen sind wichtige Voraussetzungen zur Unterstützung der interkulturellen Öffnung der Altenhilfe.

Ein großer Teil des für die interkulturelle Altenarbeit erforderlichen Wissens sowie professionelle Kompetenz sind bereits in unterschiedlicher Weise in den Systemen Altenhilfe und Migrationsarbeit vorhanden. Diese Kompetenzen werden in gemeinsamen Lernprozessen erweitert und ergänzt. Die Migrationsdienste sind wichtige Kooperationspartner für die Dienste und Einrichtungen der Altenhilfe, weil sie über interkulturelle und migrationsspezifische Kenntnisse verfügen sowie den Zugang zur Migrantenklientel haben (vgl. Rahmenkonzeption der AWO 2008).

Vor der Durchführung der Informationsreihe sollte deshalb sichergestellt sein, dass die Leitungsebene die notwendigen Rahmenbedingungen schafft und Ressourcen zur Verfügung stellt. Hierzu gehört, dass sich alle Beteiligten auf einen Prozess einlassen und eine künftige Vernetzung mit dem Ziel der interkulturellen Öffnung der Altenhilfe von den Trägern gewollt wird (vgl. Baric-Büdel / Barth 2011).

Ausblick
Auf der Grundlage des festgestellten Bedarfs an weiteren Themen wird die Informationsreihe um weitere zwei Module zu den Themen Vorsorge und Demenz erweitert. 

Die Materialien der Informationsreihe werden zur Durchführung an Träger vor Ort vom AWO Bundesverband gegen Zahlung einer Entleihgebühr ausgeliehen. Weitere Informationen unter

Literatur

  • AWO Bundesverband (Hrsg.): Rahmenkonzeption der AWO. Interkulturelle Öffnung (IKÖ) der ambulanten und stationären Angebote für ältere Menschen. Berlin 2008.
  • AWO Kreisverband in der Region Osnabrück (Hrsg.): Handreichung zur Durchführung eines Wochenendseminars für ehrenamtlich tätige Aussiedlerinnen und Aussiedler. Osnabrück 2008.
  • Baric-Büdel, Dragica / Barth, Wolfgang: Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe der AWO - wo stehen wir heute und wo geht es hin? In: ISS Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (Hrsg.): Zeitschrift für Migration und Soziale Arbeit, Heft 1/2011. Frankfurt a.M.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Sechster Familienbericht. Familien ausländischer Herkunft in Deutschland.
  • Leistungen – Belastungen – Herausforderungen. Deutscher Bundestag (Drucksache 14/4357). Berlin 2000.  Bundeszentrale für politische Bildung, aufgerufen am 06.12.2011:
  • Netzwerk “Älter werden in Deutschland” (Hrsg.): Broschüre für Fachkräfte. Osnabrück 2006.

 

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Dragica Baric-Büdel studierte zunächst Erziehungswissenschaften und später Sozialgerontologie mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe. Seit 2001 ist sie Referentin für Interkulturelle Altenhilfe beim AWO Bundesverband.