Interview mit Vu Quoc Nam von der „Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg“ über ein geplantes Wohnprojekt für ältere VietnamesInnen
Wo früher Mädchen und Jungen die Schulbank drückten, befindet sich heute das Stadtteilzentrum Lichtenberg Mitte. Das ehemalige Schulgelände in der Sewanstraße 43 nutzen inzwischen Menschen jeden Alters - die „KULTschule“ ist zum Nachbarschaftshaus geworden. Wer das Gelände betritt, liest Schilder wie „Bewegungskita Wolkenschaf“, Sportverein, Jugendfunkhaus, Lichtenberger Kulturverein, Hinweise auf Veranstaltungen und Ausflüge. Im zweiten Stock, am Ende des Ganges, hat auch die „Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg“ ihr Büro.
1992 im Frühjahr haben ehemalige VertragsarbeiterInnen den Verein gegründet, um ihre Interessen zu vertreten. Das erste und wichtigste Ziel war, einen dauerhaften Aufenthalt für sich zu erkämpfen. In dieser Zeit der Unsicherheit nach der Wende drohte jederzeit eine zwangsweise Rückkehr nach Vietnam. Viele VietnamesInnen haben sich in den 90er Jahren günstig Eigentum in ihrer Heimat gekauft, um im Rentenalter zusammen mit ihren Kindern zurückzugehen.
1997 dann bekamen die ehemaligen VertragsarbeiterInnen endlich ein Daueraufenthaltsrecht. Von da an widmete sich der Verein vorrangig der Integration seiner Landsleute in Berlin und Brandenburg. Derzeit realisieren zwei Hauptamtliche und 25 bis 30 Ehrenamtliche zwei große und viele kleinere Projekte. Sport und kulturelle Angebote stehen ebenso auf dem Programm wie Sozialberatung und Begleitung für vietnamesische BürgerInnen. Der Verein pflegt auch Kontakte mit anderen Vereinen, der Polizei und deutschen Behörden. Der Lichtenberger Alexander-Puschkin-Oberschule hat er geholfen, einen Schüleraustausch mit einer vietnamesischen Schule auf die Beine zu stellen.
Vu Quoc Nam kam 1973 zum Studium nach Weimar und machte dort sein Diplom als Ingenieur. Danach arbeitete er neun Jahre in Vietnam. Als Delegierter für eine Gruppe von VertragsarbeiterInnen kam er in die DDR zurück, nach der Wende hat er sich selbstständig gemacht. Im Verein arbeitet er schon viele Jahre ehrenamtlich. Sein aktuelles Projekt ist eines, wofür man einen langen Atem braucht: ein Wohnprojekt für ältere VietnamesInnen. Nam, selbst Mitte fünfzig, spricht bedächtig und ruhig über das Vorhaben – er ist der Projektleiter.
Seit wann und warum engagieren Sie sich für das Projekt?
Unsere Vertragsarbeiter gehen langsam auf die Rente zu. Die Vietnamesen sind ganz anders als die Deutschen in Hinsicht auf den Familienzusammenhalt. Aber wir sehen auch mit der Entwicklung der Kinder hier in Deutschland, dass unsere Kinder sich langsam weg von der Familie bewegen und gern so leben möchten wie die deutschen Jugendlichen. Praktisch sind unsere Kinder Deutsche geworden. Als ältere Generation müssen wir diese Wahrheit sehen und uns darauf vorbereiten, mit unserem Alter allein fertig zu werden.
Was waren die ursprünglichen Pläne ihrer Landsleute für die Zeit nach der Berufstätigkeit?
Viele unserer Leute haben anfangs gesagt, dass sie bis zum Rentenalter nach Vietnam zurückkehren und dort mit der Familie ihren Ruhestand erleben. Ich war auch dieser Meinung. Ich dachte, wenn meine Kinder studiert und einen Beruf haben, um selbstständig zu leben, fahre ich nach Vietnam zurück.
Aber in Wirklichkeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass einige Ältere im Rentenalter nicht nach Vietnam zurückkönnen. Eine Seite sind die Unterschiede in der Mentalität zwischen uns und unseren Leuten in Vietnam. Wir haben uns verändert. Man kann mit ihnen kurz sprechen, aber dann gibt es immer Probleme. Was wir von den Deutschen hier gelernt haben, ist in Vietnam noch nicht so weit entwickelt.
Wie sind Sie auf die Idee zu einem Wohnprojekt gekommen?
Wir haben einen türkischen Altenverein besucht vor zwei Jahren. Und sie sagten uns: „Ihr macht das richtig, ihr müsst euch vorbereiten. Wir sind Türken, wir sind genauso in diese Bedrouille gekommen. Am Anfang dachten wir auch, mit der Rente gehen wir zurück. Obwohl es nicht so weit ist wie nach Vietnam, sind die meisten hier geblieben. Unsere Kinder sind hier, unsere Familie ist jetzt hier. Wir können nicht in der Türkei leben und die Kinder hier. Und es gibt auch Unterschiede zwischen uns Türken aus Deutschland und den Türken in der Türkei. Und deswegen kommen die meisten zurück. Ihr habt noch Zeit, euch vorzubereiten, wir damals nicht. Wir wünschen euch, dass ihr euch gut vorbereiten könnt, damit ihr ein schönes Rentenalter in Deutschland verbringen könnt.“ Und so ist die Idee zu dem Projekt entstanden, ein Wohnhaus für ältere Vietnamesen in Berlin aufzubauen.
In rund zehn Jahren treten viele Vietnamesen ins Rentenalter ein. Wie sind die Zahlen für Berlin?
In Berlin leben rund 13.000 Vietnamesen offiziell. Ich glaube, so über die Hälfte sind Erwachsene. Also die Jüngsten, die hier nach Deutschland kamen damals, waren 18 Jahre alt. Das war von 1986 bis 1988. 20 Jahre in Deutschland – das heißt, die Jüngsten von uns sind schon über vierzig. Und wir sind die ältere Generation. Damals durften die Vertragsarbeiter nur bis zu 35 Jahre alt sein. Das heißt, die ältere Generation der Vertragsarbeiter ist so zwischen 56 und 58 Jahre alt. Deswegen kann man sagen, in ungefähr zehn Jahren werden 15 bis 20 % in Rente gehen.
Wie steht es mit der Sicherung der Rente?
Also in Vietnam sichern die Kinder die Rente der älteren Leute. Deswegen hat ein Vietnamese so vier oder fünf Kinder, um seine Rente zu sichern. Es gibt in Vietnam bisher auch kein funktionierendes Rentensystem. 100% der vietnamesischen Rente, selbst wenn ein Mann Minister ist, läuft über die Kinder.
Bei uns hier als Vietnamesen in Deutschland haben wir diese Gelegenheit nicht. Und wir wissen auch, wenn unsere Kinder erfolgreich wären, die können uns nicht jeden Monat 2000 oder 3000 Euro Rente geben. Weil das brauchen sie für ihr Leben. Wenn sie in eine höhere soziale Schicht kommen, steigt auch ihr Lebensstandard. Sie haben auch kein Geld für die Eltern. Und deswegen müssen wir uns selbst kümmern.
Sie wissen auch, die meisten Vietnamesen sind selbstständig hier. Weil sie keine Ahnung vom Rentensystem haben, zahlen sie nicht in die Rentenkasse. Deswegen rechnen wir damit, dass die meisten Vietnamesen im Rentenalter dann Grundsicherung bekommen werden.
Was schwebt Ihnen konkret für das Wohnprojekt vor?
Wir suchen ein Objekt, wo man später eine Wohngemeinschaft oder einen Wohnblock zusammen hat, wo die Vietnamesen nebeneinander wohnen, so dass sie sich gegenseitig helfen können. Wir können nicht wie die Deutschen allein in einer Wohnung leben, besonders wenn ein Teil des Ehepaars nicht mehr da ist. Wenn sie allein sind, gehen sie sofort kaputt. Man muss unter Menschen sein.
Ideal wäre ein Objekt, wo es Ein- bis Zwei-Zimmerwohnungen und Gesellschaftsräume gibt. Dann können die Menschen zusammenkommen und Selbsthilfegruppen bilden. Und wir können sogar eine traditionelle medizinische Versorgung der Alten anbieten. In diese Richtung wollen wir das Projekt entwickeln.
Haben Sie schon ein Objekt im Blick?
Entweder ein leerstehendes Gebäude, das nicht genutzt und preiswert an uns abgegeben wird. Oder jemand kauft ein Objekt, um in diese Richtung zu investieren. Dabei muss man überzeugen, dass sich diese Investition lohnt.
Wie wollen Sie das Projekt denn finanzieren?
Wir hoffen, dass jemand aus Vietnam hier in ein Objekt investiert. Das heißt, sie kaufen das Grundstück, kaufen das Objekt. Aber das Objekt muss sicher saniert werden. In dieser Hinsicht müssen wir das Projekt gut planen und umsetzen, um Förderungen für die Sanierung zu bekommen. Allein können wir das nicht leisten.
Ich habe schon den Senat angefragt, jede Behörde, die wir angesprochen haben, hat versprochen uns zu helfen. Aber bisher haben wir noch nichts Konkretes. Auf der anderen Seite gibt es in Vietnam auch viele reiche Leute, die in Deutschland investieren möchten. In dieser Richtung gucken wir uns um.
Eine neue Möglichkeit ist eine vietnamesische Bank, die sich hier niedergelassen hat. Wir hoffen, dass wir mit der Bank sprechen können, um Geld zu leihen, um dieses Projekt zu verwirklichen. Wenn wir nachweisen können, dass das Objekt auch Rendite bringt. Diese Bank ist schon in Frankfurt und will sich gern auch in Berlin niederlassen. Wir brauchen Leute, die in wirtschaftlichen Fragen Ahnung haben, um diese Überzeugungsarbeit zu leisten.
Es gab in Rostock schon mal den Versuch, ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen, das ist aber gescheitert. Kennen Sie die Aktiven dort?
Ja, ich habe mit jemandem dort Kontakt gehabt, aber er hat wirklich auch noch kein Objekt gefunden. Das Wichtigste ist, an ein Objekt zu kommen.
Wie sind denn die Rückmeldungen, wenn Sie mit anderen Vietnamesen hier in Berlin über das Projekt sprechen?
Die sind begeistert, aber sie sagen, wie können wir das realisieren? Das ist die Frage, erstens. Und zweitens sind die meisten noch berufstätig, die direkte Teilnahme ist noch nicht so groß. Aber ich denke in zwei-drei Jahren, wenn sich das Projekt weiterentwickelt hat, dann wird die Teilnahme zunehmen. Wenn wir ein Objekt haben und es bekanntmachen, dann werden die Leute kommen.
Ihr Verein ist über die Geschichte der Vertragsarbeiter entstanden, während die Vietnamesen in West-Berlin als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Wie ist das Verhältnis heute?
Natürlich wollen wir gerne mit diesen Vietnamesen zusammen sein. Aber die Feindlichkeit gegenüber uns ist noch sehr groß. Weil sie der Meinung sind, sie haben alles an uns verloren. Sie sagen, sie hatten früher auch alles in Vietnam und sie mussten fliehen. Was sie im Leben geleistet haben, ist verloren. Und wir, die wir in Vietnam geblieben sind, sind die Sieger. Die Geschichte des Krieges wirkt immer noch nach. Sie betrachten alle, die in Vietnam geblieben sind, als Kommunisten und das sind ihre Feinde.
Da wäre also die Zusammenarbeit für ein solches Projekt schwierig.
Ja. Aber Sie wissen auch, wenn wir ein Objekt in Ost-Berlin finden, dann kommen die aus West-Berlin nicht. Umgekehrt vielleicht auch nicht. Wir haben viele Sport-Aktivitäten organisiert und die Vietnamesen aus West-Berlin eingeladen, aber es kommt fast keiner.
Könnten Sie sich denn vorstellen, eventuell auch mit anderen Migranten-Gruppen zusammen das Vorhaben zu realisieren?
Ja, wenn es eine gleiche Zielstellung gibt, die Vorstellungen ähnlich sind und von der anderen Seite auch ein Interesse vorhanden ist.
Sie konnten schon Unterstützung für Ihr Projekt gewinnen. Wer will sich für Ihr Vorhaben einsetzen?
Da ist Herr Reeck. Wir kennen uns seit 1973 und sind befreundet. Herr Reeck leitet das Unternehmen HVR INTERNATIONAL, das seit 1992 mit Vietnam arbeitet und umfangreich im Gesundheitsbereich aktiv ist. Zudem ist er Initiator und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychologische Medizin e.V., die eine sehr positive Entwicklung in Berlin genommen hat und auch zunehmend Zuspruch von Vietnamesen aus anderen Bundesländern erlebt.Als ich mit ihm über unser Projekt gesprochen habe, hat er den Kontakt zur ehemaligen Gesundheitssenatorin Beate Hübner von der CDU hergestellt - sie war von 1996-99 Senatorin in Berlin. Gemeinsam mit dem Vorstand haben wir uns dann mit Frau Hübner getroffen, hier in unseren Vereinsräumen. Sie ist sehr begeistert von unserer Idee und deswegen sehr engagiert, uns zu helfen.
Sie hat uns in Kontakt mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, speziell dem Bereich Heimaufsicht, gebracht. Von dort wurde unsere Initiative sehr interessiert und positiv aufgenommen und uns auch Unterstützung zugesagt.
Konnten Sie auch schon deutsche Unternehmen aus diesem Fachbereich für Ihr Vorhaben interessieren? Welche Überlegungen gibt es dazu?
Wir stehen in ersten Kontakten zum Beispiel mit zwei Berliner Unternehmen, die solche Einrichtungen betreiben und auch eine Berufsakademie haben, wo man eigene vietnamesische Fachkräfte auszubilden könnte. Herr Reeck hat Arbeitskontakte mit diesen Unternehmen. Er unterstützt auch Initiativen, dass die traditionelle vietnamesische Medizin hier in Deutschland stärker angeboten wird. Und wenn wir unser Wohnobjekt haben, dann soll es auch eine kleine Klinik, eine kleine Abteilung für traditionelle Medizin geben, um die älteren Leute zu betreuen.
Eine Idee ist also, dass ausgebildete Krankenpfleger aus Vietnam hierherkommen und hier nachgeschult werden?
Es gibt diese Initiativen – sowohl das offizielle Interesse Vietnams am Export von Arbeitskräften, man sieht auch Deutschland als möglichen Einsatzort. Auch deutsche Partner sind daran bereits interessiert, noch sind aber die politischen Rahmenbedingungen dafür hier in Deutschland nicht gegeben.
Wir haben aber Informationen, dass man sich auf Ebene der Bundesregierung mit der Migration von Pflegekräften zum Beispiel aus Nicht–EU-Ländern aktiv beschäftigt. Wir haben uns deshalb mit Herrn Reeck jetzt schon um Kontakte zu Ausbildungseinrichtungen und deren Ausbildungsmodule in Vietnam bemüht.
Mit Vu Quoc Nam sprach Elisabeth Gregull
Vu Quoc Nam kam 1973 aus Vietnam zum Studium nach Weimar. Der Diplom-Ingenieur arbeitete erst in Vietnam, später kam er mit Vertragsarbeitern in die DDR zurück. Er arbeitet ehrenamtlich für die „Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg“.