Ein Gespräch mit der nigerianischen Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf über Sprache, afrikanische Literatur und das Kölner Literaturfestival stimmen afrikas.
Tina Adomako: Sie verlegen in Ihrem Verlag Cassava Republic Press seit 2006 Bücher afrikanischer Autor/innen. Welche Bedeutung hat das geschriebene Wort für Sie?
Bibi Bakare-Yusuf: Sprache ist unser höchstes Kulturgut. Wenn eine Sprache nicht genutzt wird, wenn daraus keine Schriftstücke, keine Literatur, keine Bücher entstehen, dann stirbt diese Sprache aus. Wie es bei vielen afrikanischen Sprachen geschehen ist, weil sie nicht verschriftlicht worden sind. Wenn ältere Menschen sterben, stirbt ein ganzes Stück Kultur. Das macht mich traurig.
Die englische Sprache ist ja im Literaturbetrieb sehr dominant.
Wer sich in einer Fremdsprache ausdrückt, bringt Vieles aus der eigenen Kultur in die andere Sprache ein. Das passiert seit Jahren mit Englisch. Sehr viele afrikanische Autoren schreiben auf Englisch und bereichern diese Sprache. Denn bei jeder Übersetzung wird auch kulturelle Sensibilität übertragen, das Englische wird dadurch vitaler und wächst. Das hat auch mit der kolonialen Vergangenheit zu tun. Die restliche Welt hat den Briten diesen Größenwahn erlaubt und zugelassen, sich – sprachlich – überlegen zu fühlen. Wir haben sie glauben lassen, sie seien die Masters of the Universe, weil Englisch sich über den ganzen Globus verbreitet hat. Auch an deutschen Universitäten wird heutzutage in englischer Sprache gelehrt. Aber dieser Fokus auf Englisch als Kultursprache tötet langsam alle anderen Kulturen. Und das dürfen wir nicht zulassen, denn es hat auch mit unserer eigenen Identität zu tun.
Und doch schreiben die meisten afrikanischen Autoren auf Englisch oder Französisch. Verlegt ihr Verlag auch Bücher in nigerianischen Sprachen?
Der Markt für muttersprachliche Literatur ist noch völlig unterentwickelt. Wir verlegen daher bisher nur auf Englisch. Aber dieser Markt ist da und birgt ein riesiges Potential. Sprachen wie Hausa, Yoruba und viele andere enthalten unglaubliche Schätze. In einer Sprache schwingt auch immer ein bestimmtes Weltbild mit. Selbst wenn man zwei Sprachen perfekt beherrscht, wie ich z.B. Englisch und Yoruba, muss ich Purzelbäume schlagen, wenn ich einen sehr komplexen Gedanken auf Yoruba ins Englische übersetze. Dabei geht immer etwas verloren. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen – neben Übersetzungen – auch Werke in der eigenen Sprache lesen.
Mit Werken in Hausa möchten wir anfangen, denn diese Sprache wird nicht nur in Nigeria gesprochen, sondern auch in vielen Nachbarländern in West Afrika wie Ghana, Senegambia, Mali. Selbst in China lebt eine große Diaspora von Hausa-Sprechern! Aber dafür müssen erst einmal Werke in dieser Sprache geschrieben werden.
Wie sieht denn der Markt für Bücher in afrikanischen Ländern wie Nigeria aus?
Bisher lag der Fokus in fast allen afrikanischen Ländern sehr stark auf Schul- und Fachbücher. Der Bildungssektor dominierte den Markt. Aber nun findet eine Veränderung statt. Der Markt für Fiktionales wächst kräftig. In den letzten zehn bis 15 Jahren gab es immer mehr Publikumsverlage, die zunehmend fiktionale Stoffe verlegen. Und die Leserschaft öffnet sich für Literatur aus dem eigenen Land und für Werke aus anderen afrikanischen Ländern. Der Appetit ist da!
Woher kommt dieser neue Appetit?
Menschen möchten sich in Literatur wiedererkennen, Parallelen entdecken, Bezüge zu ihrem eigenen Leben finden. Sie möchten sich gespiegelt sehen, möchten geschilderte Situationen wiedererkennen oder das Handeln einer Figur nachvollziehen können. Früher haben wir Werke englischer Autor/innen gelesen, wir lasen Geschichten über Welten, die nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hatten. Und diese literarischen Werke haben auch nur Menschen einer bestimmten sozialen Schicht gelesen. Wenn erst der Bezug zur eigenen Realität da ist, beginnt auch eine breitere Gruppe von Menschen zu lesen. Und dann wächst auch die Neugier für Neues. Dann beginnen sich Menschen für grenzüberschreitende Literatur zu interessieren. Sie wollen Ähnlichkeiten und Unterschiede entdecken. Der Zugang zu Literatur ist über die eigene Kultur einfacher herzustellen. Die Deutschen haben ja auch zuerst die eigene Literatur aufgenommen und über sie den Zugang zu russischen, französischen oder nordischen Autoren bekommen.
Warum kommt diese Entwicklung erst jetzt?
Die Möglichkeit, eigene Autor/innen zu lesen, gab es in Afrika lange Zeit nicht. Wer „gebildet“ war und lesen konnte, las europäische Autoren. Selbst heute ist die leicht zugängliche Literatur – ich nenne sie „Flughafen Literatur“– von westlichen Autoren wie John Grisham oder John Le Carré geprägt. Auch Trivialliteratur hat ihre Berechtigung, aber sie führt keine positiven Änderungen herbei, regt nicht zur Reflexion an, wird die Welt nicht transformieren. Für mich ist das Verlegen von Büchern eine zivilisatorische Aufgabe und zugleich eine ideologische. Wer besitzt die Ressourcen um bestimmte Narrative zu verlegen? Wer hat die Deutungshoheit? Bei Cassava Republic wollen wir die Produktionsmittel besitzen und sicherstellen, dass erst einmal Nigerianer miteinander in den kulturellen Dialog kommen, dann mit dem Rest von Afrika, mit der Diaspora in der Karibik, in den USA, in Europa – und dann mit der restlichen Welt. So sichern wir uns auch einen Platz am globalen literarischen Buffet und steuern ein Teil des Menüs bei.
Jede Kultur muss ein Gefühl von Selbstliebe entwickeln, und dazu gehört auch eine eigene literarische Stimme. Wir müssen den Stimmen Afrikas Gehör verschaffen.
Es ist an der Zeit, ein neues afrikanisches Literaturverständnis aufzubauen, das Autor/innen und Leser/innen von Benin bis Bahia verbindet.
Empfehlen Sie uns bitte drei Bücher aus ihrem eigenen Verlag.
Unser ganzes Sortiment ist lesenswert, aber besonders empfehle ich Elnathan Johns „Born on a Tuesday“. Darin erzählt er von dem realen Problem der Radikalisierung junger Männer in den Islam. Spannend finde ich auch „The Secret Lives of Baba Segi‘s Wives“, ein Roman von Lola Shoneyin über eine gebildete, studierte Frau, die sich freiwillig auf eine polygame Ehe einlässt. Man glaubt im Westen gerne, dass die Mehrehe Frauen aufoktroyiert wird. Dass dies auch die freie Entscheidung einer Frau sein kann, scheint unvorstellbar zu sein. Und als drittes, Teju Coles Roman „Everyday is for the thief“, der von einer Rückkehr nach Nigeria erzählt.
Sie kuratieren in diesem Herbst das Literaturfestival stimmen afrikas, das sein 10-jähriges Jubiläum feiert und vom 6. – 9. November unter dem Titel CROSSING BORDERS: translate - transpose – communicate im Kölner Kulturquartier am Neumarkt stattfindet. Was sind die Schwerpunkte des Festivals?
Ich möchte betonen, dass ich dieses Literaturfestival als Notwendigkeit betrachte. Es geht ernsthaft darum, afrikanischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Und dies ist absolut erforderlich, um unsere Kultur ins nächste Jahrhundert zu retten. Das Festival will Literatur aus Afrika wertschätzen und afrikanische Sprachen unterstützen. Wir wollen den Fokus auch auf die Mehrsprachigkeit in Medien und in den Bildungssystemen lenken und auf den Beitrag von Übersetzungen zum Erhalt von Literatur und Kultur. Letztendlich sollen auch der Reichtum und die Schönheit von Sprache gezeigt werden.
Wie sind Sie bei der Auswahl der Teilnehmenden vorgegangen?
Wir haben nach Autor/innen, Übersetzer/innen, Verleger/innen und andere Expert/innen aus dem Literaturbetrieb verschiedener afrikanischer Länder und der afrikanischen Diaspora gesucht, die in verschiedenen Muttersprachen arbeiten oder die als Übersetzer/innen sowie im Bereich des transnationalen Wissenstransfers tätig sind. Zu den über 40 Gästen, die im November in Köln dabei sein werden gehören u.a. Boubacar Boris Diop, Susan Kiguli, Mukoma Wa Ngugi, Zukiswa Wanner, Ebisse Rouw und Olumide Popoola.
Was sind Ihre Erwartungen an das Festival?
Wir hoffen, das Festival wird zu einem regen Austausch führen und Lernerfahrungen auf beiden Seiten fördern. Und natürlich wünschen wir uns, dass die Besucher/innen bei den Lesungen, Performances und der erlebten Vielfalt nicht nur sehr viel Spaß haben, sondern auch viele neue Erkenntnisse mitnehmen werden.
Danke, Bibi für das Gespräch!
Das Interview wurde geführt von Tina Adomako.
Tina Adomako ist tätig als freiberufliche Journalistin, Fachpromotorin für Empowerment und Interkulturelle Öffnung, sowie Vorstandsmitglied der Neuen deutschen Medienmacher