Lokales Bildungs- und Integrationsmanagement - Plädoyer für eine zielorientierte Schulentwicklungsplanung

Von Frank-Olaf Radtke

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand die Leistung des sozialstaatlichen Kompromisses darin, die Integration der Gesellschaft zu erhalten und dazu die Inklusion der Individuen in die Gesellschaft und ihre Funktionssysteme (Politik, Wirtschaft, Recht, etc.) zu erleichtern. Dennoch auftretende Erscheinungen sozialer Desintegration konnten „globalen“ (demographischen, ökonomischen und politischen) oder individuellen (sozialisatorischen, sozial-ökologischen) Ursachen zugerechnet werden: Desintegration wird dann als individuelles Risiko, aber auch als soziales Problem des Gemeinwesens erlebt bzw. konzipiert, das u. U. „lokal“ wohlfahrtsstaatlich bearbeitet werden muss.

Die operative Ebene des Sozialstaates ist im wesentlichen die Gemeinde (bzw. der Kreis) mit den jeweils zuständigen Ämtern, die um ihrer Funktionsfähigkeit willen an der sozialen Integration der Bevölkerung interessiert sein muss. In der Gemeinde wird die vertikale soziale und ethnische Schichtung der Bevölkerung horizontal „verräumlicht“. Dieser Prozess kann zu einer Konzentration sozialer Risiken/Probleme in einzelnen Stadtteilen führen. So genannte ‚Soziale Brennpunkte’ sind als Effekte sozialer und ethnischer „Entmischungsvorgänge“ aufzufassen, die nach geläufiger Auffassung der Sozialadministration möglichst früh erkannt und an den individuellen Symptomträgern vor Ort korrigiert werden sollen. Als Motoren der sozialen und ethnischen „Des-Integration“ oder der stadtteilbezogenen „Homogenisierung“ der Bevölkerung gelten gemeinhin der Arbeits- und Wohnungsmarkt. Will man also nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die Mechanismen außer Kraft setzen, die zur Verdichtung sozialer Probleme in einzelnen Quartieren führen, kommt es darauf an, eine präventiv angelegte lokale Arbeitsmarkt- bzw. Industrieansiedlungspolitik und eine vorsorgende Stadt- und Wohnraumplanung zu betreiben.

Hier1 soll nun die These vertreten und erläutert werden, dass auch das lokale Schulsystem einer Gemeinde oder eines Kreises ursächlich für die Erzeugung sozialer Probleme und deren unerwünschte sozialräumliche Verdichtungen oder zumindest deren Verfestigung sein kann. Vorgeschlagen wird eine eigenständige kommunale Bildungspolitik, die sich thematisch der sozialen Integration widmen und sich in einer problembezogenen Verzahnung von Schulentwicklungs- und Kinder- und Jugendhilfeplanung realisieren soll.

Strukturelle Benachteiligungen
Für die soziale Integration ist das Bildungssystem, das individuelle Bildungsanrechte und Qualifikationsansprüche zu verwalten und Zertifikate zu vergeben hat, von besonderer Bedeutung. Die Schule als der organisatorische Kern, um den sich weitere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gruppieren, hat dabei die Aufgabe übernommen, Voraussetzungen zu schaffen, dass Individuen zu Personen werden, die von den verschiedenen Funktionssystemen in komplementär angelegten Rollen (Lehrer/Schüler, Arzt/Patient, Arbeitgeber/Arbeitnehmer, Gewählte/Wähler usw.) in Anspruch genommen, das heißt inkludiert werden können. Dazu bedarf es der Bildung und der Qualifikation.

Die vielbeachteten PISA („Programme for International Student Assessment“)- Studien haben (in einem Nebenbefund) erneut gezeigt, dass gerade Schülerinnen und Schüler niedriger Einkommensschichten in Deutschland geringe(re) Bildungsaufstiegschancen haben. Diese hohe Herkunftsdetermination des Schulerfolgs trifft Migrantenkinder, die in den niedrigen Einkommensschichten überdurchschnittlich vertreten sind, auch in der dritten und vierten Generation noch über das erwartbare Maß hinaus. Andere Untersuchungen zeigen, dass nach einer Phase der Annäherung des Bildungsverhaltens von „deutschen“ und „ausländischen“ Schülern2 in den 1980er Jahren („Normalisierung“) und einer Stagnation dieser Entwicklung in den 1990er Jahren nun erste Anzeichen für ein erneutes Auseinanderdriften der Bildungsbeteiligungsquoten zu beobachten sind.

Spätestens seit der Diskussion um die PISA-Studien haben die Bildungsverwaltungen aber auch das Publikum gelernt, dass Schulleistungen nicht nur einzelnen Schülerinnen und Schülern, sondern auch Schulen und Schulsystemen kausal zugerechnet werden können. Bezogen auf definierte Leistungen können deshalb nicht nur die Kinder, sondern auch Schulen mehr oder weniger ‚erfolgreich sein’ oder ‚versagen’.Um dies feststellen zu können, müssen die Ziele der Organisation bestimmt werden, die sich dann als Erfolgsmaßstäbe - wie an Produktionsbetriebe - auch an das Schulsystem und seine verschiedenen Ebenen anlegen lassen. Auch hier ist die operative Ebene das lokale Schulsystem, die einzelne Schule und die Gestaltung des jeweiligen Unterrichts durch den Lehrer oder die Lehrerin.

Vor diesem Hintergrund ist andauernde Ungleichheit aufgrund sozialer und nationaler Herkunft nicht nur ein individuelles, den Kindern und ihren Familien zuzurechnendes Phänomen, sondern kann auch verstanden werden als ein Strukturproblem, das in der Organisation der Schule und des (lokalen) Schulsystems aufzusuchen ist. Diese Zurechnungsmöglichkeit ist an den Differenzen bezogen auf Bildungsbeteiligungsziffern von Migranten in den verschiedenen Schulformen abzulesen, die zwischen den einzelnen Bundesländern, sogar zwischen Städten desselben Bundeslandes oder als „lokalen Disparitäten“ sogar zwischen den Stadtteilen in einer Stadt bestehen.

Warum kann und soll die Intervention auf der lokalen Ebene ansetzen?
Das lokale Schulsystem kann als eine wichtige Integrations- und Verteilungsinstanz des begehrten öffentlichen Guts „Bildung“ betrachtet werden. Es ist der Ort, an dem Bildungsnachfrage (schulpflichtige Kinder) und Bildungsangebot (Plätze in den verschiedenen Schulformen und -stufen) in der Schulentwicklungsplanung alljährlich einander angepasst werden. Einmal im System werden die Schüler von der Grundschule auf die verschiedenen Bildungsgänge verteilt. Die Selektions- und Überweisungspraxis der Grundschulen berücksichtigt die Leistungen der Schüler, ist aber abhängig von den verfügbaren Optionen/Plätzen für weiterführende Schulen und Sonderschulen. Die stabilen Unterschiede in der Bildungsbeteiligung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die um begehrte Plätze konkurrieren, können als intendierte, aber vor allem als nicht-intendierte Effekte des Umgangs der Organisation Schule (kommunale Ebene und Ebene der einzelnen Schule) mit verschiedenen Schülergruppen verstanden werden (Selektion), die dem Platzangebot, seiner Struktur und Selektionspraktiken des lokalen Schulsystems eingeschrieben sind.

Das (in Länderhoheit betriebene) Schulsystem und die einzelne Schule sind aber nicht nur positive wirkende Integrationsinstanz („Schulerfolg“), sondern zugleich auch Produzenten von Ausschluss von begehrten Schullaufbahnen, also Verlierern („Schulversagern“). Das Schulsystem ist selbst nicht zuletzt durch die „Mehrgliedrigkeit“ abgestuft exklusiv und damit - aus der Sicht der Gemeinde - auch ein Problemverursacher. Mit den aus Schulversagen im doppelten Sinn des Wortes (!) entstehenden Problemen der Inklusion in andere Funktionssysteme der Gesellschaft, zumal das Beschäftigungssystem, ist die (in kommunaler Zuständigkeit) betriebene und finanzierte Jugendarbeit und -hilfe befasst. Schon deshalb liegen der qualifizierte Schulerfolg aller Schulkinder sowie die Erhöhung der Erfolgsquoten und damit der Inklusionschancen der Kinder und Jugendlichen im eigenen Interesse der Gemeinden. Entsprechend sollte ein kommunales Integrationsmanagement, das Desintegration zu vermeiden sucht, präventiv den Bildungssektor im Rahmen der kommunalen Zuständigkeiten mit einbeziehen.

Mechanismen der Entmischung und der institutionellen Diskriminierung
In einer Studie, die als Begleituntersuchung im Rahmen der Hessischen Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt/HEGISS zum Themenschwerpunkt „Migration und Bildung“ durchgeführt wurde, konnten die statistisch gemessenen Effekte sozialer Entmischung der Schulpopulation und ungleicher Schulerfolge auf die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen untersucht werden, die im Modus der Prozessierung/Verteilung der Schüler im lokalen Schulsystem und seiner Organisation vermutet wurden. Zu unterscheiden sind dabei (1) Mechanismen des Umgangs mit Heterogenität in der einzelnen Schule von (2) Mechanismen der Entmischung auf der Ebene des lokalen Schulsystems, die aus einem Zusammenspiel von Politik (Schulentwicklungsplanung), Schulen (Selektionsverhalten) und Eltern (Schulwahlverhalten) resultieren und im Effekt zu einer Ungleichverteilung von Bildungschancen führen: Schüler mit Migrationshintergrund finden sich nach wie vor überproportional häufig auf Haupt- und Sonderschulen (für Lernbehinderte) und erreichen keinen (qualifizierten) Schulabschluss; umgekehrt sind sie an Gymnasien weiterhin deutlich unterrepräsentiert.

(1)Die Organisation der Schule bevorzugt homogene Lerngruppen mit gleichen kognitiven, sozialen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen, um alle Schüler zugleich mit denselben Anforderungen adressieren zu können. Darauf sind Didaktik und Methodik des Unterrichts ausgelegt. Heterogenität der Schülerschaft einer Klasse wird schon bei der Einschulung/ Zurückstellung, dann bei Versetzungsentscheidungen, der Überweisung auf Sonderschulen (für „Lernbehinderte“) und schließlich beim Übergang in die weiterführenden Schulen zu vermeiden gesucht. An allen genannten Entscheidungsstellen haben Kinder mit Migrationshintergrund - als paradoxe Folge der Gleichbehandlung von Ungleichen - mit Blick auf ihre weitere Schulkarriere eher die Chance, zum Kandidaten für eine Zurückstellung, Nicht-Versetzung oder Überweisung/„Quer-Versetzung“ zu werden.
Als Beispiel kann man Mechanismen im Schulaufnahmeverfahren nehmen, in dem die Schule eine erste Interpretation der Schulpflichtigen bezogen auf die Erwartungen an die Schüler vornehmen kann. Sie beurteilt die Merkmale der Kinder, nämlich Sprache, Sprachfähigkeit, Schulfähigkeit, allgemeine Entwicklungsverzögerung, Dauer des Kindergartenbesuchs usw. nicht nur entlang einer Normalitätserwartung an den „Normschüler“, sondern zudem immer auch im Lichte ihrer eigenen Möglichkeiten, nämlich Klassengröße, vorhandene Plätze in der Regelklasse, in Auffangeinrichtungen, Vorhandensein von Vorklassen usw., und trifft danach die Aufnahme oder Abweisungsentscheidung.

Dieser Mechanismus der Abwägung von Handlungsoptionen lässt sich verdeutlichen an dem Zusammenhang von Vorschul- und Sonderschuleinweisungen. Als in den achtziger Jahren die sogenannten Vorbereitungsklassen für Migrantenkinder aufgelöst werden mussten, kam es gleichzeitig zu einem dramatischen Anstieg von Zurückstellungen bei der Schulaufnahme und der frühen Überweisung aus der Regelklasse in Sonderschulen für Lernbehinderte. Eine Möglichkeit der Ausgrenzung wurde durch eine andere ersetzt. Diese Praxis der Problemdelegation wird in dem Moment aufgegeben, in dem demographisch durch rückläufige Schülerzahlen bedingt, die Grundschulen unter der Furcht vor Schließung aus Schülermangel dazu übergehen, auch „schwächere“ und „ausländische Schüler“ zu halten und eben nicht abzuweisen3.

Die schulorganisatorische Bevorzugung von Homogenität, die durch die herrschenden Formen der Methodik und Didaktik abgestützt wird, benachteiligt Kinder aus dem unteren sozialen Spektrum mit Migrationshintergrund. Sie kann im deutschen Schulsystem besonders wirksam werden, weil sie in der Drei- bzw. Mehrgliedrigkeit und den vielfältigen weiteren Differenzierungsformen institutionalisiert ist. Nirgendwo auf der Welt, so wurde in der PISA-Diskussion argumentiert, gibt es so homogene Lerngruppen, aber nirgendwo wird so lautstark über die Heterogenität der Schülerschaft geklagt. Unter solchen Vorzeichen müssen Probleme, welche die Schule mit einem Schüler wegen dessen (schlechter) Leistungen hat, nicht von der Schule in der Schule gelöst werden, sondern können an andere Schulen oder außerschulische Einrichtungen delegiert werden. Darin mag eine Differenz zu den skandinavischen Schulsystemen liegen, die in den PISA-Studie auch wegen ihrer Integrationsleistungen positiv abgeschnitten hatten. Hauptsächlich betroffen von diesem Mechanismus der Homogenisierung von Lerngruppen sind Kinder mit Migrationshintergrund, die bereits in der Primarstufe auf einzelne Schulen und später in der Sekundarstufe auf einzelne Schulformen (Haupt- und Sonderschulen) konzentriert werden.

(2) Bei den Mechanismen auf der Ebene des lokalen Schulsystems handelt es sich um eine Mechanik der Entmischung der Bevölkerung, an der nicht nur, wie die Stadtsoziologie üblicherweise beschreibt, der Arbeitsmarkt bzw. die Arbeitsverwaltung, der Wohnungsmarkt und die Wohnungsverwaltung beteiligt sind, die durch ihre Entscheidungen soziale Brennpunkte schaffen, sondern auch das Schulsystem selbst mit der Schulentwicklungsplanung, der Schulentwicklung, den Selektionsentscheidungen der (Grund-) Schulen und dem Wahlverhalten der Eltern.

Die Vermeidung von Heterogenität der Schülerpopulation wird etwa durch die Schaffung kleiner Schuleinzugsbezirke der Grundschulen unterstützt, um sozial und ethnisch homogene Schülerpopulationen zu erreichen oder zu erhalten. Wo dies nicht gelingt, kann es innerhalb einer Schule zur Bildung sozial/ethnisch homogener Parallel-Klassen kommen, deren eine geschlossen ins Gymnasium empfohlen, deren andere in die Hauptschule „durchgeschoben“ wird. Das neue Instrument der „Profilbildung“ kann mit dem Ziel genutzt werden, bestimmte Schüler anzuziehen, um dann andere, die schwieriger zum Erfolg zu führen sind, ablehnen zu können. Die Tendenz zur Homogenisierung der Schülerpopulation einer Schule wird von interessierten Eltern, die „Problemschulen“ meiden wollen, durch Gestattungsanträge und deren Genehmigung durch die Behörde forciert. In der Sekundarstufe kann es zu einer Ablehnung von Migranten kommen, wenn etwa begehrte Gymnasien und Gesamtschulen zusätzliche deutsche Schülerinnen und Schüler im Umland anwerben und so eine Übernachfrage erzeugen4.

Eine solche Praxis der „Entmischung“ als Zusammenspiel von Schulen, Eltern und Schulverwaltung gibt nicht nur das rhetorisch immer wieder beschworenen Ziel der sozialen Integration auf, sondern verweist darauf, dass die Motive, die im Effekt zu Diskriminierung führen, nicht nur an den Rändern der Gesellschaft bei unaufgeklärten, vorurteilbehafteten Gruppen zu suchen, sondern in einer Leistungsgesellschaft unter Bedingungen der Konkurrenz als Streben nach individuellen wie organisatorischen Vorteilen in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sind. Die Situation der derzeit benachteiligten (Migranten-) Kinder wird sich nicht durch mehr individuelle Förderung verändern, sondern erst dann, wenn die Mechanik der institutionellen Diskriminierung durch Gleichbehandlung von Ungleichen durchbrochen werden kann.

Interventionsmöglichkeiten
Um die Mechanismen der Ungleichverteilung von Bildungschancen durchbrechen zu können, sind spezifische Interventionsstrategien zu entwickeln. Wenn man davon ausgeht, dass die Strategie des individuellen Förderns jedenfalls bezogen auf eine Angleichung der Bildungsbeteiligungsquoten nicht erfolgreich war, weil sie lediglich beim Kind und seiner Familie ansetzt, nicht aber berücksichtigt, dass auch die Qualität und Quantität des Angebotes und seine räumliche Lokalisierung zu andauernder Ungleichheit führt, dann ist es konsequent, nach neuen, geeigneten Interventionspunkten zu suchen, die bei der Überprüfung der Wirkungen der Organisation/ Struktur des Bildungsangebotes auf die Bildungsbeteiligung ansetzen. Mein Vorschlag 5 lautet, mit einem lokalen Bildungs- und Integrationsmanagement zu antworten, das verschiedene Elemente der direkten Einwirkung auf das lokale Erziehungssystem miteinander zu verbinden hätte.

Erstens ginge es um die Verbesserung der Selbstbeobachtung der Organisation Schule durch Einrichtung eines Monitoring-Systems, durch das regelmäßig geeignete stadtteil- und schulbezogene Daten über die Bildungsbeteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Verfügung gestellt würden.

Es geht darum, die Transparenz des schulischen Organisationshandelns von der Schulaufsicht abwärts über die Schulverwaltung bis zur einzelnen Schule zu erhöhen, um die (nicht-intendierten) Effekte der Entscheidungen im Prozess der Selektion und der Allokation von Ressourcen zu kontrollieren. Es kommt darauf an, dass das organisatorische Prozessieren von Schülern im Schulsystem für das Schulsystem selbst beobachtbar gemacht wird.

Zweitens wäre darauf zu achten, dass die zumeist schon in den großen Städten verfügbaren feingliedrigen Daten des Sozialatlas mit den für den genannten Zweck erhöhter Transparenz optimierten Schulstatistiken verknüpft werden. Hier hätten die statistischen Ämter auf Landes und Gemeindeebene Leistungen zu erbringen, die für die Nachvollziehbarkeit des Bildungs-, Selektions- und Distributionsgeschehens in einer Stadt von Bedeutung wären.

So identifizierte Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Stadt/eines Landkreises entlang kollektiver Merkmale können dann drittens bei der regelmäßigen, problembezogenen Schulentwicklungsplanung, das heißt, bei der qualitativen Strukturierung des Angebots in den Stadtteilen und der Plazierung/Allokation von (Förder- )Ressourcen berücksichtigt und gezielt adressiert werden. Hier wäre das US-amerikanische Konzept sogenannter „Magnetschulen“ zu erwägen. Das sind Schulen, die in Stadtteilen mit besonderen sozialen Problemen durch ihre materielle und personelle Ausstattung eine besondere Attraktivität über ihr direktes Einzugsgebiet hinaus entfalten und so der Entmischung der Schülerpopulation entgegenwirken sollen.

Eine problembezogene Schulentwicklungsplanung wäre viertens (stadtteilbezogen) mit der Kinder- und Jugendhilfeplanung zu verzahnen, wobei die „Vernetzung“ der Bereiche Schule und Kinder- und Jugendhilfe, die unterschiedlichen Handlungslogiken folgen, allerdings keine triviale, sondern selbst eine Entwicklungsaufgabe ist.

Schließlich fünftens, könnten die neuen Steuerungskonzepte aufgegriffen und auf die Frage der Integrationsleistung der Schule auf lokaler Ebene angewendet werden. Hier ginge es zum Beispiel darum, im Rahmen einer gemeindebezogenen Bildungs- und Sozialpolitik verbindliche Erwartungen zu etablieren. So könnten mit den einzelnen, mit stärkerer Autonomie ausgestatteten Schulen integrationsbezogene Zielvereinbarungen getroffen werden, in denen festgelegt würde, dass und in welchen Schritten/Zeiträumen die Ungleichheiten bezogen auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen oder bezogen auf verschiedene Stadtteile Zug um Zug abgebaut und wie die dafür notwendigen Ressourcen zugeordnet werden sollen. Dabei geht es nicht um die Vereinbarung von Quoten, aber man kann an Anreizsysteme für einzelne Schulen denken, die ihren „Output“ integrationsbezogen verbessern, oder z. B. besondere Leistung bei der Organisation des Übergangs von der Schule in den Beruf leisten etc. In diesen Komplex gehören aber auch wieder lokalpolitische Entscheidungen über die Struktur des Bildungsangebotes (Schulgründungen/-schließungen), oder über Zusatzangebote, die fehlgeschlagene Bildungskarrieren korrigieren helfen.

Insgesamt wäre - etwa unter der Federführung einer den Gerechtigkeitsnormen verpflichteten Ausländerbeauftragten der Gemeinde oder von Integrationsämtern/Dezernenten - eine regelmäßige Bildungsberichterstattung („Bildungsbericht”) als Teil eines lokalen Integrationsmanagements für anwesende und hinzukommende Migranten einzurichten, die den Integrationsauftrag („Inklusionshilfe“) der Schule in den Mittelpunkt rückte. Die Ergebnisse der lokalen Schulorganisation bezogen auf Migrantenkinder, die derzeit die größte Gruppe institutionell Benachteiligter stellen, würden so zum Gegenstand öffentlicher Erörterung unter Beteiligung der verschiedenen Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft, der Eltern und der Erziehungseinrichtungen gemacht. Der Bildungsbericht könnte den Effekt haben, die Schulentwicklungsplanung transparenter und zielorientiert(er) zu gestalten und Entscheidungs- und Begründungsroutinen in ihrer Selbstverständlichkeit infrage zu ziehen. Bereits dadurch würden Veränderungen in Richtung auf deklarierte Ziele der Gerechtigkeit und Integration zu bewirken sein.

Es besteht angesichts der aktuellen migrationspolitischen Situation Grund zu Optimismus. Der Wandel des öffentlichen Klimas in der Einwanderungsfrage, das vor allem in der Wirtschaft wachsende Interesse an den vorhandenen Bildungsreserven, zu denen auch die besondere Qualifikation der Mehrsprachigkeit in einem sich internationalisierenden/globalisierenden Markt zu rechnen ist, lassen erwarten, dass gerade auf lokaler Ebene nach effektiven Mitteln gesucht werden wird. Modellversuche, Migration als Potential aufzufassen. Modellversuche z. B. zum parallelen Spracherwerb von Eltern und Kindern („Mama lernt Deutsch”), Regionale Arbeitsstellen zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA) in NRW u. ä., Integrationskurse für Neuankömmlinge in Frankfurt am Main deuten in diese Richtung. Die Integration der bereits anwesenden wie der hinzukommenden Migrantenkinder und -jugendlichen wird als eine Zukunftsaufgabe des Sozialstaates im Allgemeinen und der Schule/der außerschulischen Bildungseinrichtungen im Besonderen angesehen. Indem die Gemeinden, die ja nicht nur für (Staats-)Bürger, sondern für Einwohner zuständig sind, Inklusionshilfe leisten, vermeiden sie Sozialhilfe an anderer Stelle.

Wie seinerzeit im Fall der Integration der Mädchen in das Bildungssystem wird die gleichberechtigte Teilnahme von Migrantenkindern ebenfalls nicht als Nullsummenspiel zu haben sein, das zu einer Verschärfung sozialer Spannungen führen müsste, sondern wieder nur durch Expansion, d. h. einer strukturellen Verbesserung des Bildungsangebotes. Die dafür aufzubringenden Kosten („Integrationsinvestitionen“) müssen zwischen den Gebietskörperschaften im Wege des Finanzausgleiches aufgeteilt werden.

Anmerkungen

1 Aktualisierte Fassung eines Beitrages für: vhw Forum Wohneigentum 1/Jan.-Feb. 2007, S. 19-22

2 So lauten die Unterscheidungen der amtlichen Statistik

3 Zu einer Vielzahl weiterer Mechanismen vgl. M. Gomolla/F.-O. Radtke: Institutionelle Diskriminierung.
Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule, Opladen 2002, 2. Auflage 2007, bes. Kap. 7-9

4 Zu einer Vielzahl weiterer Mechanismen vgl. F.-O. Radtke/M.Hullen/K. Rathgeb: Lokales Billungs- und Integrationsmanagement, Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung im Rahmen der Hessischen Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt (HEGISS), Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft, Forschungsberichte Bd. 6, Frankfurt am Main 2005
[http://www.unifrankfurt.de/fb/fb04/personen/radtke/Publikationen/Lokale…]

5 Hier greife ich auf Vorschläge zurück, die ich zuerst beim Forum Bildung im Juni 2001 vorgetragen
habe, vgl.: Bildungsreserve Migration. Plädoyer für eine Lokale Bildungspolitik, in: Materialien des Forum Bildung 11, Bonn 2001, S. 33-44

 

Bild entfernt.

Frank-Olaf Radtke ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.