Studierende der ersten Generation an deutschen Hochschulen gewinnen und fördern

von Katja Urbatsch

Mein Bruder und ich sind die ersten AkademikerInnen unserer Familie. In den USA nennt man unsere Gruppe „First Generation College Students“ und verleiht uns damit einen ermutigenden Pioniergeist. In Deutschland werden wir dagegen statt als Studienpioniere abwertend als „bildungsfern“, bestenfalls „nicht-akademisch“ oder „hochschulfern“ bezeichnet. Diese Begrifflichkeiten tragen dazu bei, das große Potenzial zu verkennen und zu unterschätzen, das in den aktuellen und angehenden Studierenden der ersten Generation schlummert und welches es insbesondere angesichts des demographischen Wandels und nahenden Fachkräftemangels dringend zu wecken gilt.

Vom Abitur zur Hochschule?

Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung, dass diejenigen, die die Hochschulreife erlangt haben, auch ein Studium aufnehmen, belegt die aktuelle 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks meine eigene Erfahrung: Lediglich die Hälfte aller AbiturientInnen aus nicht-akademischen Familien studiert. Während von 100 Akademikerkindern 71 ein Studium beginnen, sind es bei den Nicht-Akademikerkindern nur 24, obwohl immerhin 45 das Abitur erreichen. Folglich lässt sich die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der Eltern ablesen. Haben die Eltern studiert, ist auch für die Kinder ein Studium naheliegend; haben die Eltern eine berufliche Ausbildung absolviert, ist diese auch für die Kinder der eigentlich vorgezeichnete Bildungsweg.

Da inzwischen allgemein bekannt ist, dass die Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, durch die Erlangung des Abiturs steigt, ist das Abitur in nicht-akademischen Familien inzwischen durchaus erwünscht oder erwünschter geworden. Obwohl das Abitur vor allem die Hochschulreife bescheinigt, ist jedoch die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren, in vielen nicht-akademischen Familien kaum oder wenn überhaupt erst im Anschluss an eine „sichere Berufsausbildung“ denkbar. Daher rät das eigene familiäre Umfeld – unabhängig von der Abiturnote – häufig eher zu einer Ausbildung, da ihm dieser Weg vertraut ist und ein sofortiges regelmäßiges Einkommen und damit Sicherheit verspricht. Während eine Ausbildung mit finanzieller und langfristiger Sicherheit assoziiert wird, ruft das Studium Ängste bezüglich der Finanzierung, Anhäufung von Schulden durch BAföG, Studiengebühren oder Studienkrediten sowie vor Arbeitslosigkeit nach dem Studium hervor. Das Studium wird daher von Eltern, die selbst nicht studiert haben, häufig als sehr riskantes finanzielles Wagnis wahrgenommen.

Verstärkt werden diese Ängste durch ein großes Informationsdefizit bezüglich der Studienfinanzierung, des Studienablaufs sowie der Erfolgs- und späteren beruflichen Aussichten. Sind im eigenen Umfeld keinerlei Vorbilder oder Studienerfahrungen vorhanden, bleibt beispielsweise unbekannt, wie BAföG genau funktioniert, und dass es sich dabei um einen zinslosen Kredit handelt, der lediglich zur Hälfte und auch erst fünf Jahre nach dem Studium zurückbezahlt werden muss. Zudem ist beispielsweise auch die Möglichkeit, von den zwölf staatlich finanzierten Studienförderwerken unterstützt zu werden, unter SchülerInnen und Studierenden, die als Erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben, meist gänzlich unbekannt.

Darüber hinaus trauen sich viele AbiturientInnen aus nicht-akademischen Familien trotz hervorragender Noten ein Studium nicht zu, da sie nicht einschätzen können, was sie erwartet und sie Angst haben, den Leistungsanforderungen eines Studiums nicht entsprechen zu können. Selbst Jugendliche aus Nicht-Akademiker-Familien, die ein Einser- oder Zweier-Abitur erlangt haben, schätzen ihre eigene Leistungsfähigkeit und die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Studienabschlusses sehr pessimistisch ein. Ohne Vorbilder und Studienerfahrungen im persönlichen Umfeld können diese Ängste und Zweifel häufig nicht entkräftet werden.

In der Hochschule angekommen

Die fünfzig Prozent der AbiturientInnen, die sich schließlich doch für ein Studium entscheiden, sehen sich sowohl in der Bewerbungs- und der Studieneinstiegsphase als auch im Verlauf des Studiums mit einem großen Informationsdefizit und einem Mangel an niedrigschwelligen Beratungsangeboten konfrontiert. Auch, wenn Eltern dem Studium ihrer Kinder positiv gegenüber stehen und sie unterstützen möchten, fühlen sie sich häufig hilflos, da sie nicht über die notwendigen Informationen verfügen, nicht wissen, wo sie anrufen und Beratung erhalten können. Sie erleben es zum Teil sogar als Demütigung, dass sie ihre Kinder nicht mehr auf ihrem Bildungsweg begleiten können, insbesondere, wenn sie darüber hinaus auch nicht in der Lage sind, ihre Kinder finanziell zu unterstützen.

Studierende der ersten Generation sind daher an der Hochschule mit Schwierigkeiten konfrontiert, die zu einem geringeren Studienerfolg oder sogar zum Studienabbruch führen können: Mangelnde familiäre Unterstützung emotionaler und/oder finanzieller Art, fehlende Vertrautheit mit dem „System Hochschulstudium“ und den akademischen mündlichen und schriftlichen Ausdrucksweisen, Selbstzweifel, Zukunftsängste sowie Probleme bei der Studienfinanzierung sind häufig auftretende Probleme.

Erfolgreiche Studierende und AkademikerInnen der ersten Generation berichten häufig von einzelnen Menschen in ihrem Umfeld, zum Beispiel LehrerInnen, die sie explizit zu einem Studium ermutigt und sich intensiv für die Aufnahme eines Studiums eingesetzt haben. Um die Zahl der Studierenden der ersten Generation an den Hochschulen zu erhöhen, ist es daher von großer Bedeutung, bei allen Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein Bewusstsein zu schaffen, dass sie Weichensteller für die Bildungswege dieser Kinder und Jugendlichen sein können.

Insbesondere Lehrende, Berufs- und StudienberaterInnen gilt es für die Gruppe der potenziellen Studierenden der ersten Generation, deren Ängste und bestehende Informationsdefizite zu sensibilisieren. Um vor allem SchülerInnen aus nicht-akademischen Familien mit Informationen und Erfahrungsberichten über das Studium zu versorgen und sie zum Studium zu ermutigen, ist es wichtig, dass sie möglichst frühzeitig mit StudentInnen in Kontakt kommen. Dies kann beispielsweise durch Informationsveranstaltungen zum Studium mit Erfahrungsberichten von StudentInnen oder im Rahmen von Schulprojekten erfolgen, die von StudentInnen durchgeführt werden.

Die Initiative „ArbeiterKind.de“

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Studentin der ersten Generation habe ich 2008 die Initiative „ArbeiterKind.de – für alle die als Erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben“ ins Leben gerufen. Die Vision von ArbeiterKind.de ist es, dass in Deutschland kein Nicht-Akademikerkind trotz geeigneter Qualifikation aufgrund seiner Herkunft eine geringere Chance auf ein Studium hat. Deshalb möchten wir bundesweit und flächendeckend SchülerInnen und StudentInnen ermutigen und dabei unterstützen, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen. Dabei setzen wir vor allem auf die Vermittlung von Informationen sowie individuelle und ehrenamtliche MentorInnen-Unterstützung für SchülerInnen und Studierende aus nicht-akademischen Familien.

Innerhalb von zweieinhalb Jahren konnten wir bundesweit bereits über 1.500 ehrenamtliche MentorInnen gewinnen, die sich in 70 lokalen ArbeiterKind.de-Gruppen engagieren. Unsere Zielgruppen sind SchülerInnen gymnasialer Oberstufen und Studierenden der ersten Generation, aber auch Menschen, die sich auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg befinden sowie SchülerInnen in den Abschlussklassen der Real- und Hauptschulen. Letztere wollen wir bei vorhandenem Potenzial dazu ermutigen, den Weg zum Abitur einzuschlagen.

Das Internetportal ArbeiterKind.de will SchülerInnen auf niedrigschwellige und pragmatische Weise zum Studium ermutigen und ihnen die fehlenden Informationen an die Hand geben, damit sie den Studieneinstieg und ihren Studienabschluss erfolgreich bewältigen können. Durch ein bundesweites MentorInnen-Netzwerk stehen den SchülerInnen und Studierenden vor Ort ehrenamtliche MentorInnen mit Rat und Tat zur Seite und kompensieren die mangelnde Hilfestellung aus dem familiären Umfeld. Darüber hinaus führen die MentorInnen Informationsveranstaltungen an Schulen und Hochschulen durch, um die Zielgruppe zu erreichen und zu unterstützen. Insbesondere Menschen, die den Bildungsaufstieg bereits erfolgreich gemeistert haben, unterstützen die nachfolgenden Generationen pragmatisch mit Verständnis für die Situation, selbst erworbenen Kompetenzen und Informationen beim Studieneinstieg und während des Studiums.

Ein Schwerpunkt des Engagements von ArbeiterKind.de liegt darin, SchülerInnen und Studierenden die Stipendien der zwölf vom Bundesbildungsministerium geförderten Begabtenförderwerke vorzustellen, sie zur Bewerbung zu ermutigen und im Bewerbungsprozess zu unterstützen. Ohne ein Stipendium hätte beispielsweise Gerasimos Warmann niemals ein Studium begonnen, denn die Vorstellung, Schulden aufzunehmen – selbst mit BAföG – machte ihm zu große Angst. Jennifer Jasberg hatte bis zum diesbezüglichen Vorschlag ihres Professors nach der Zwischenprüfung noch nie von den Begabtenförderwerken gehört. Anja Möbus erfuhr von ihnen durch Zufall von einer Kommilitonin, und Isabell Klingert wurde bereits im ersten Semester durch Plakate auf Stipendien aufmerksam, doch beide trauten sich zunächst nicht, sich zu bewerben. Diese vier Studierenden stammen allesamt aus nicht-akademischen Familien. Inzwischen zählen sie zu den StipendiatInnen der Begabtenförderwerke und profitieren von deren finanzieller und ideeller Förderung. Ihre Reaktionen, Ängste und Bedenken sind repräsentativ für die Einstellungen und Probleme von SchülerInnen und Studierenden aus Familien, in denen bisher noch niemand studiert hat.

Die meisten von ihnen erfahren weder während ihrer Schul- noch ihrer Studienzeit von der Möglichkeit, sich um Stipendien zu bewerben. Und falls doch, sind sie im Studium schon viel zu weit fortgeschritten oder halten sich selbst mit sehr guten Noten für „nicht gut genug“, um eine Förderung zu erhalten, so dass sie noch nicht einmal versuchen, sich zu bewerben. Daher ermutigen diese vier Stipendiaten nun auf ArbeiterKind.de SchülerInnen und Studierende dazu, sich um Stipendien zu bewerben. In Interviews stellen sie ihre Stiftungen vor und räumen mit den gängigen Fehlinformationen auf, dass man beispielsweise nur mit einem Abitur von 1,0 aufgenommen wird oder als gesellschaftliches Engagement täglich Herausragendes vollbringen muss. Darüber hinaus engagieren sich viele StipendiatInnen der Begabtenförderwerke als MentorInnen, erzählen den SchülerInnen auch in Informationsveranstaltungen, wie sie zu einem Stipendium gekommen sind und wirken als Vorbilder.

Zielgruppenspezifische Stipendienprogramme

Um die Zielgruppe der potenziellen StipendiatInnen aus nicht-akademischen Familien zu erreichen, haben auch die Begabtenförderwerke selbst spezielle Programme entwickelt. Unter dem Motto „Mut machen, Perspektiven schaffen!“ spricht beispielsweise die Hans-Böckler-Stiftung mit dem Stipendienprogramm „Aktion Bildung“  begabte Studieninteressierte an, deren Familien sich ein Studium der Kinder nicht leisten können. Das neue Stipendienprogramm der Rosa-Luxemburg-Stiftung nennt sich „Lux like Studium – Zukunft statt Herkunft“, und „Mehr Sicherheit durchs Studium“ heißt es bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, die ebenso wie die Friedrich-Naumann-Stiftung Probestipendien für StudienanfängerInnen anbietet. Die Studienstiftung des deutschen Volkes schuf mit der Möglichkeit der Selbstbewerbung erstmalig einen weiteren Zugangsweg jenseits des traditionellen Vorschlagssystems und ermutigt explizit KandidatInnen aus nicht-akademischen Elternhäusern zur Bewerbung.

Zudem ermöglichen viele Begabtenförderwerke nun auch bereits StudienanfängerInnen die Bewerbung, wie zum Beispiel die Heinrich-Böll-Stiftung. Mit Kooperationspartnerinnen rief diese darüber hinaus ein Programm ins Leben, um jungen MigrantInnen den Weg zum Berufsziel Journalismus zu ebnen.  Um SchülerInnen bereits während der Oberstufe intensiv bei der Orientierung auf ein Studium zu unterstützen und auf dem Weg in die Hochschule zu begleiten, initiierte die Stiftung der Deutschen Wirtschaft das Stipendienprogramm „Studienkompass“, für welches sich SchülerInnen im drittletzten Schuljahr vor dem Abitur bewerben können. Weiterhin entwickeln mehrere Begabtenförderwerke spezielle Förderungsprogramme für ihre StipendiatInnen aus Familien ohne akademischen Hintergrund, um sie auch während des Studiums optimaler zu unterstützen.

Damit SchülerInnen sich durch diese Programme ermutigt fühlen, den Schritt an die Hochschule zu wagen, gilt es deren Bekanntheitsgrad in der Zielgruppe zu erhöhen. Zudem sollte das Bestreben fortgesetzt werden, die Auswahlprozesse auf Hürden für BewerberInnen aus der Zielgruppe zu durchleuchten und Auswählende für die Zielgruppe der angehenden Studierenden der ersten Generation zu sensibilisieren.

Von Stiftungen oder Hochschulen angestoßen, entstehen derzeit auch zahlreiche weitere Initiativen und Stipendienprogramme, von denen ich einige nennen möchte: Mit der gemeinsamen Initiative „Studium Lohnt“ ermutigen die Brandenburgischen Hochschulen SchülerInnen in ihrem Bundesland zum Studium. In Baden-Württemberg besuchen Studienbotschafter Schulklassen, um über das Studium zu informieren. Eine neue internetbasierte Art der Studienorientierung bietet das Internetportal „unischnuppern.de  – mit Videoclips durch den Unidschungel“, auf dem Interviews mit Studierenden und ProfessorInnen verschiedenster Fächer sowie Mitschnitte von Seminaren und Vorlesungen abgerufen werden können.

In Kooperation mit der Mercator Stiftung begleitet die Universität Duisburg-Essen mit dem Stipendien- und Förderprogramm „Chance hoch zwei: Das Förderprogramm für BildungsaufsteigerInnen“, SchülerInnen bereits ab der 9. Klasse auf dem Weg in die Hochschule. Ein spezielles Stipendienprogramm hat auch die Universität Mannheim mit den „Mannheimer MINT-Stipendien“ aufgelegt und vergibt diese Stipendien an leistungsstarke AbiturientInnen aus Nicht-Akademiker-Familien, die Wirtschaftsmathematik oder –informatik studieren möchten.

Im Rahmen ihres Stipendienprogramms „Vodafone Chancen“ möchte die Vodafone Stiftung Deutschland jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ein Studium an einer privaten Hochschule ermöglichen. Die Hertie-Stiftung vergibt unter dem Titel „Horizonte“ Lehramtsstipendien für MigrantInnen. Mit dem Projekt „self-made-students (sms)“ bietet das Service-Center-Lehre der Universität Kassel ein studienbegleitendes Zusatzangebot mit Workshops und Coaching.

Diversity Management und generelle Unterstützungsangebote

Der Begriff des „Diversity Managements“, das heißt das Management der vielfältigen und zum Teil neuen Studentengruppen an den Hochschulen, ist derzeit in Diskussionen und auf Tagungen über die zukünftige Ausrichtung der Hochschulen sehr präsent. Leider habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Begriff dazu verleitet, diese Aufgabe als Belastung statt als große Chance zu begreifen. Anstatt in Defiziten zu denken, die zum Teil vorhanden sein mögen, sollten wir dazu übergehen, die Kompetenzen wertzuschätzen, die diese neuen Zielgruppen mit in die Hochschulen bringen, wie zum Beispiel deren Praxiserfahrung. Diese Praxiserfahrung etwa könnte kreativ in den Lehrveranstaltungen zur Bereicherung aller Studierenden nutzbar gemacht werden.

Bezüglich studienvorbereitender und –begleitender Unterstützungangebote erlebe ich sogar, dass auch SchülerInnen und Studierende aus akademischen Familien diese sehr zu schätzen wissen und davon profitieren. Wenn ArbeiterKind.de direkt in die Schulen geht, um SchülerInnen auf unsere Beratungsangebote aufmerksam zu machen, bekommen wir deshalb häufig die Rückmeldung, dass die Informationen über Stipendien und Studienfinanzierung bei allen SchülerInnen auf großes Interesse stößt. Schaut man beispielsweise auf das zusätzliche Workshop-Programm der Universität Kassel zu Themen wie „Grundlagen wissenschaftlichen Schreibens“, „Erfolgreich präsentieren“, „Selbstorganisiertes Lernen“ oder „Rhetorik“, drängt sich der Gedanke auf, dass diese Kurse doch eigentlich für alle StudentInnen, unabhängig von deren Bildungshintergrund, sinnvoll und bereichernd wären. Eine generelle Verbesserung der Qualität der Studierendenbetreuung und der Lehre würde demnach allen StudentInnen zugute kommen.

Erfahrungen aus den USA

Inspirierend für die Entwicklung neuer Betreuungsangebote für Studierende wirkt ein Blick in die USA. Dort sind beispielsweise regelmäßige Gespräche mit einem so genannten Advisor über die belegten Kurse und den Studienverlauf fest etabliert, ebenso wie der obligatorische Besuch eines “Writing Centers“, in welchem man sich häufig ohne Anmeldung beim Verfassen einer Hausarbeit unterstützen lassen kann. Trotz des bereits sehr umfangreichen Angebots für ihre Studierenden verfügen viele Hochschulen zusätzlich über Service-Angebote für Studierende der ersten Generation und deren Eltern oder sprechen diese Zielgruppe gezielt auf ihren Internetseiten an.

Für großes Aufsehen sorgte kürzlich ein neues Programm der University of Cincinnati mit dem Titel „Generation-1-Theme House“, einem Studentenwohnheim speziell für Studierende der ersten Generation. Die BewohnerInnen leben nicht nur gemeinsam unter einem Dach, sondern verpflichten sich darüber hinaus beispielsweise, Workshops zu belegen, Nebenjobs auf eine bestimmte Stundenzahl zu begrenzen und festgelegte Ruhezeiten einzuhalten.

Ein weiteres Programm mit dem Titel „Fiat Lux Scholars“ richtete die University of California Merced ein, um Studierende der ersten Generation während des Studiums zu unterstützen. Die TeilnehmerInnen erhalten einen Nachlass von dreißig Prozent beim Kauf von Textbüchern, nehmen an Workshops zum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“ sowie einem so genannten „Erstsemester Erfolgskurs“ teil und werden durch das Studium hindurch persönlich beraten.

Gemein ist all diesen Programmen, dass sie die Hürden für Studierende der ersten Generation auf dem Weg an und durch die Hochschule analysieren und besondere Bedarfe dieser Studierendengruppe ermitteln. Wer die Perspektive eines (angehenden) Studierenden der ersten Generation einnimmt, wird schnell erkennen, wie voraussetzungsreich, sowohl finanziell als auch inhaltlich, ein Studium an einer deutschen Hochschule ist. In Deutschland gehen wir immer noch davon aus, dass Studierende aus einer sie stets unterstützenden Familie stammen, welche insbesondere zu Beginn des Studiums stark in finanzielle Vorleistung geht und auch sonst alle emotionalen Nöte der StudienanfängerInnen auffangen kann.

Es gilt daher ein Bewusstsein für die Hürden zu entwickeln, die Studierende der ersten Generation an deutschen Hochschulen überwinden müssen, und diese zu beseitigen sowie der Zielgruppe die Techniken beizubringen, mit denen sie die Hürden selbst überwinden kann. Es wäre wünschenswert, dass auch an deutschen Hochschulen weniger die angeblichen Defizite der neuen Studierenden betont würden und stattdessen ein Perspektivenwechsel vollzogen würde. Vor allem sollten wir Studierenden der ersten Generation vermitteln, dass sie an deutschen Hochschulen als Bereicherung gelten können und deshalb explizit erwünscht und willkommen sind. Damit wäre bereits ein erster Schritt getan.

Februar 2011

 

Bild entfernt.

Katja Urbatsch ist die erste Akademikerin in ihrer Familie und gründete die Initiative ArbeiterKind.de. Sie promoviert derzeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen.