Leben in der Warteschleife - Bleiberecht für Flüchtlinge

Bleiberecht für alle
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In Hamburg macht man sich für ein allgemeines Bleiberecht für Flüchtlinge stark

 

von Volker Maria Hügel

Viele Menschen leben in Deutschland mit einem prekären ausländerrechtlichen Status. Dazu zählen in erster Linie Menschen, die eine Duldung besitzen, aber auch Menschen mit einer Aufenthaltsgestattung während eines Asylverfahrens. Es kann sogar eine Aufenthaltserlaubnis sein, die aus bestimmten humanitären Gründen erteilt wird, z.B. zur Pflege eines nahen Verwandten. Stirbt dieser nahe Verwandte, so entfällt der Grund für die Aufenthaltserlaubnis und die Aufenthaltsbeendigung droht.

Eine Bleiberechtsregelung ist dringend notwendig, um die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit derjenigen zu beenden, die mit unsicherem Aufenthaltsstatus dauerhaft hier leben. In die Erarbeitung dieser Regelung müssen auch Menschen ohne aufenthaltsrechtliche Papiere mit einbezogen werden.

Die Duldung

Ein altes französisches Sprichwort besagt: „Nichts ist zählebiger als ein Provisorium.“ Und ein solches Provisorium ist die ausländerrechtliche Duldung. Wie das? Seit dem Ausländergesetz von 1965 gibt es das Instrument der Duldung. Die rechtliche Bedeutung der Duldung ist die „zeitweilige Aussetzung der Abschiebung“. Damit ist gemeint, dass aus unterschiedlichen Gründen derzeit auf eine Aufenthaltsbeendigung verzichtet wird. Werden dann diese Duldungen jeweils wieder verlängert – und dies oftmals über viele Jahre – spricht man von Kettenduldungen. Auch das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz – als Teil des Zuwanderungsgesetzes – enthält das Instrument der Duldung. Einwanderungspolitisch ist aber mit dem Zuwanderungsgesetz die Absicht verbunden worden, die Kettenduldung abzuschaffen. Dass dies keineswegs gelungen ist, belegen die Zahlen: Zum 31.12.2010 lebten 87.244 Menschen in Deutschland mit einer Duldung, davon 53.606 Personen länger als 6 Jahre, 29.285 Personen länger als 10 Jahre, 20.308 länger als 12 Jahre und 14.119 länger als 15 Jahre in Deutschland. (Quelle BT-Dr. 17/4791 v. 16.02.11)

Leben mit einer Duldung bedeutet folgendes: Man besitzt keinen rechtmäßigen Aufenthalt, man bleibt zur Ausreise verpflichtet, man kann jederzeit abgeschoben werden, sprich: Man sitzt auf gepackten Koffern. Geduldet sein bedeutet Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (ca. 35 % geringere Leistungen als Hartz IV - SGB II), eingeschränkte Krankenhilfe, eingeschränkte Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht), oftmals Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft.

Gründe für Duldungen

Das Asylverfahren scheitert, ins Herkunftsland kann aber nicht abgeschoben werden: Flüchtlinge scheitern in ihren Asylverfahren, weil ihre Fluchtgründe nicht anerkannt werden oder weil sie nicht in der Lage waren, ihre Fluchtgründe widerspruchsfrei und glaubwürdig vorzutragen.

Nach einem negativen Asylverfahren sind diese Menschen, wie es im Rechtsdeutsch heißt „vollziehbar ausreisepflichtig“. Das bedeutet, sie müssen ihre Ausreise vorbereiten und Deutschland verlassen. Die rechtlichen Möglichkeiten, eine Abschiebung zu verhindern, sind minimal. Es bleiben Anträge auf humanitäre Aufenthaltserlaubnisse, erneute Asylanträge, Petitionen und Härtefallkommissionsanträge. Auch Kirchenasyl wird als eine Möglichkeit gesehen, die eigene Schutzbedürftigkeit doch noch anerkannt zu bekommen.

Der Flüchtlingsstatus wird aberkannt, aber eine Abschiebung ist trotzdem nicht möglich: Zum Personenkreis der Geduldeten gehören nicht nur diejenigen, die in ihren Asylverfahren gescheitert sind, sondern auch Menschen, z.B. aus dem Irak oder aus Afghanistan, die in Deutschland einen Flüchtlingsstatus erhalten haben. Nach dem Sturz von Saddam Hussein bzw. der militärischen Intervention gegen die Taliban wurde vielen dieser Flüchtlinge in asylrechtlichen Widerrufsverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Flüchtlingsstatus aberkannt. Anschließend wurde ihnen die Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörden widerrufen und sie „landeten“ in der Duldung.

Die Ausreisepflicht besteht wegen Erteilungshindernissen im humanitären Aufenthaltsrecht: Ein weiterer Grund für die Duldungen sind die unzureichenden Regelungen des humanitären Aufenthaltsrechtes. Dieses konzentriert sich im Wesentlichen auf den § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes, der aber in seinen Sätzen drei und vier auf wesentliche Erteilungshindernisse hinweist: „Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.“ Damit reduziert sich die Anwendbarkeit dieser Schutznorm auf Schwerstkranke, Reiseunfähige oder Angehörige von Familienmitgliedern, die einen rechtmäßigen Aufenthalt besitzen. Ausländerrechtlich von Bedeutung ist dabei aber nur die Kernfamilie. Sie umfasst nach dem Aufenthaltsgesetz die Ehegatten und minderjährige, ledige Kinder, nicht jedoch volljährige Kinder, Großeltern oder Geschwister. Des Weiteren wird in der Regel vorausgesetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist und dass ein Pass vorliegt. Auch hieran scheitern viele.

Voraussetzungen für Bleiberecht

Stichtagsregelung

Alle bisherigen Bleiberechtsregelungen sind Stichtagsregelungen. Das bedeutet, dass man sich zu einem bestimmten Datum bereits in Deutschland befunden haben muss. Meist sind diese Fristen sechs Jahre bei Familien mit Kindern und acht Jahre bei Alleinstehenden oder kinderlosen Paaren. Wer diese Stichtage auch nur um einen Tag verpasst, fällt nicht unter diese Regelung und ist auf andere ausländerrechtliche Regelungen angewiesen. Diese sechs oder acht Jahre müssen zudem ununterbrochen in Deutschland verbracht worden sein. Eine zwischenzeitliche Ausreise nach z.B. Frankreich, Schweden oder Dänemark, weil die Betroffenen sich dort bessere Asylchancen erhofft hatten und dann auf Grund von EU-Regelungen wieder nach Deutschland überstellt wurden, stellen einen Ausschlussgrund für die Bleiberechtsregelung dar, auch wenn in der Summe der Aufenthaltszeiten zehn und mehr Jahre in Deutschland verbracht wurden.

„Integration“

Die Bleiberechtsregelungen, wie auch die gesetzliche Altfallregelung (§§ 104a und 104b des Aufenthaltsgesetzes), richten sich an „gut integrierte, langjährig hier lebende Ausreisepflichtige“. Eine der Grundvoraussetzungen, um in den Genuss der Bleiberechtsreglungen zu kommen, ist die geforderte, in vielen Fällen zumindest überwiegende, ansonsten vollständige Lebensunterhaltssicherung. Arbeitsunfähige, Kranke, Traumatisierte und alte Menschen müssen an dieser Voraussetzung scheitern. Dies wird billigend in Kauf genommen. Diese Nützlichkeitsbetrachtungsart von Menschen, die im Asylverfahren gescheitert sind, entspricht nicht einer humanitären Umgangsweise mit Flüchtlingen.

Deutschkenntnisse werden ebenso verlangt wie Straffreiheit, wobei Straftaten bis zu 50 Tagessätzen sowie Straftaten, die nur von AusländerInnen begangen werden können (Verstöße gegen das Aufenthalts- oder Asylverfahrensgesetz) bis zu 90 Tagessätzen unberücksichtigt bleiben. Letztere Regelung führt auch dazu, dass, wenn in einer Familie eine Person über dem Tagessätzelimit liegt, die ganze Familie von der Bleiberechtsreglung ausgeschlossen ist. Auch diese „Sippenhaftung“ ist rechtsstaatlich außerordentlich bedenklich. Ebenso bedenklich ist folgendes: Der § 104b des Aufenthaltsgesetzes regelt die „Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte geduldete Kinder von ausgereisten Eltern“. Das ist nichts anderes als eine staatlich verordnete Familientrennung. Dieser Paragraph belohnt die gut integrierten Kinder mit dem Trauma der Trennung von ihren Eltern. Letztere sind aus irgendeinem Grunde an der Bleiberechtsreglung oder am humanitären Aufenthaltsrecht gescheitert, beispielsweise weil sie den Lebensunterhalt nicht sichern konnten, straffällig geworden sind, kein Deutsch sprechen, nicht an der Abschiebung mitwirkten, über ihre Identität getäuscht oder ihren Pass nicht vorgelegt haben. Sie werden als nicht integriert angesehen, und selbst die erfolgreiche Kindererziehung kann das nach deutschem Recht nicht aufwiegen.

Die aktuelle Bleiberechtsregelung für Jugendliche und Heranwachsende

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels (Sommer 2011) steht ein neuer Paragraph 25a des Aufenthaltsgesetzes vor der Verabschiedung. Er verspricht ein Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende. Erfreulich daran ist, dass diese Regelung stichtagsfrei angelegt ist. Sie gilt für diejenigen, die minderjährig eingereist oder in Deutschland geboren sind, seit 6 Jahren ununterbrochen hier leben und entweder 6 Jahre erfolgreich zur Schule gegangen sind oder hier einen schulischen Abschluss erlangt haben. Anträge können ab Vollendung des 15. Lebensjahres und bis zur Erreichung des 21. Lebensjahres gestellt werden. Straftaten und Täuschung dürfen nicht vorliegen.

Diese Ermessensregelung betrifft auch die Eltern und minderjährigen Geschwister dieser jungen Menschen, die mitbegünstigt werden können, allerdings auch nur bei vollständiger Lebensunterhaltssicherung und ohne Vorstrafen (Ausnahmen, wie im oben dargelegten Fall, 50 und 90 Tagessätze) und ohne eigene Täuschungshandlungen. Die Ursprungsfassung aus dem Bundesrat war etwas großzügiger, denn sie forderte nur die überwiegende Lebensunterhaltssicherung und stufte Verurteilungen zu Gefängnisstrafen bis zu 3 Monaten als unschädlich ein. Durch die Verschärfungen wird die Zahl der Geduldeten nicht wesentlich verringert werden.

Der humanitäre Aspekt dieser Regelung scheint deutlich hinter dem Nützlichkeitsaspekt zurückzutreten. Noch deutlicher wird das beim zweiten Teil der Regelung. Für die Jugendlichen bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres besteht noch die Möglichkeit, einen großen Teil der Familie aufenthaltsrechtlich mit abzusichern. Für die Heranwachsenden fehlt diese Möglichkeit. Hier sind die Eltern und die minderjährigen Geschwister explizit nicht mitbegünstigt – erneut ein rechtstaatliches Beharren auf dem Prinzip der Ausreise. Rechtstaatlichkeit und Humanität erscheinen hier als Gegensätze, hingegen sollten alle Anstrengungen des Gesetzgebers darauf abzielen, im Sinne der Humanität rechtsstaatliche Instrumente zu schaffen, die die Situation der Menschen besser berücksichtigen und die Chance auf Einzelfallgerechtigkeit eröffnen.

Fazit: Bleiberecht führt zu Integration

Die Forderung nach einer stichtagsfreien Bleiberechtsregelung ohne engherzige Ausschlussgründe wird nicht erst seit der Bleiberechtskampagne von PRO ASYL 2002 erhoben. Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 ist versäumt worden, eine Abschlussregelung für diejenigen zu schaffen, die sich im Land befinden. Dafür gab und gibt es im Deutschen Bundestag keine Mehrheiten. Der Migrationsbericht des Sachverständigenrates 2011 hat aber gezeigt, dass es in der Bevölkerung sehr wohl eine Mehrheit für Einwanderung und Flüchtlingsschutz gibt.

Ein an den humanitären Bedürfnissen von Flüchtlingen ausgerichtetes Aufenthaltsrecht gibt es in Deutschland nicht. Wenn die seit vielen Jahren hier mit uns lebenden Menschen abgeschoben werden sollen, widerspricht das jeglichem humanitären Ansatz. Im Verständnis der Flüchtlingsarbeit geht es um Inklusion, also um Teilhabe und Perspektiven. Die Reduktion auf die verlangten Integrationsleistungen, wie das humanitäre Aufenthaltsrecht sie beinhaltet, führen dazu, dass in Deutschland zunehmend Menschen rechtlich im Abseits stehen und in vielen Bereichen ausgegrenzt sind.

Aber gerade der fundamental wichtige Bereich des Wissens und Fühlens einer sicheren Lebensperspektive, eines Daueraufenthaltsrechtes in Deutschland, führt dazu, dass es leichter wird, die klassischen Integrationsanforderungen zu erfüllen.

Es gibt Menschen, die diese Anforderungen ohne Hilfestellung meistern können. Es gibt Menschen, die dazu Unterstützung benötigen und es gibt Menschen, die dazu aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage sind. Flüchtlinge danach zu unterscheiden und dem Prinzip zu folgen, nur Menschen eine Chance zu eröffnen, die im Sinne von „gut integriert“ funktionieren, ist zutiefst inhuman. Das Prinzip Schutz auf Zeit, welches im Asylrecht festgeschrieben ist und im Ausländerrecht angewandt wird, ist integrationsfeindlich.

Wer lange hier lebt, muss bleiben können – das ist die Forderung der Flüchtlingsbewegung, und „lange“ bedeutet fünf Jahre. Wer fünf Jahre hier gelebt hat, sollte eine rechtlich zugesicherte Aufenthaltserlaubnis erhalten. Es geht nicht an, dass alle paar Jahre für eine neue Altfallregelung gekämpft werden muss.

 

Volker Maria Hügel, geboren 1952 in Münster, ist Diplom-Sozialpädagoge und Vater von 2 Söhnen mit 2 Enkelsöhnen. Er arbeitet als Rechtsreferent für die GGUA-Flüchtlingshilfe (Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V.) in Münster.