Grenzen & Flucht
Wenn von Flucht nach Europa die Rede ist, so dominiert ein Bild in den Nachrichten: Es ist das Bild eines kleinen Bootes, welches mit schwarzen Menschen überbelegt ist und kurz vor dem Kentern steht. Ganz Europa weiß um das Sterben von Flüchtlingen an seine Meeresgrenzen. Und tatsächlich: Europas Grenzen sind die größte und am schwersten zu überwindende Hürde für Flüchtlinge.
Der Vertrag von Amsterdam (1997) hat sowohl eine europäische Grenzschutzpolitik als auch eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik formuliert. Doch während erstere schon umgesetzt wurde, insbesondere mit der Schaffung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, ist letztere immer noch im Stadium einer Absichtsbekundung.
Es stellt sich also die Frage des Verhältnisses zwischen Grenzen und Flucht. Muss es einen alternativen Zugang zum Territorium der Europäischen Union geben, um dort effektiv Schutz suchen zu können? Oder geht es vielmehr darum, europäischem Recht, also insbesondere auch der europäischen Grundrechtecharta, Geltung im Grenzraum der EU zu verschaffen? Vor allem letzteres würde jedoch einen großen Bruch mit den bisherigen Grenzziehungsprozessen bedeuten.
Rechtlicher Schutz & Hürden
Die Rechte und Möglichkeiten von Flüchtlingen in Europa sind oftmals durch besondere Gesetzgebungen stark eingeschränkt. Zwar wird den Flüchtlingen vor allem durch die Genfer Flüchtlingskonvention ein Anspruch auf Schutz zuerkannt. Aber Menschen, die diesen Schutz in Anspruch nehmen möchten, müssen sich erst Gehör verschaffen, um ihre Schutzbedürftigkeit begründen und legitimieren zu können.
Mit der Dublin II-Verordnung hat die Europäische Union ein Rechtsinstrument geschaffen, welches die Möglichkeiten, Schutz einzufordern, stark einschränkt. Mittlerweile hat jedoch beispielsweise der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg festgestellt, dass dabei die Rechte der Flüchtlinge ausgehöhlt werden. Damit ist eine politische Öffnung für eine Reform dieser Verordnung erreicht worden. Doch was ist von einer neuen europäischen Gesetzgebung zu erwarten, wenn immer noch das Paradigma der Abwehr von Flüchtlingen und kaum der Respekt vor ihren Rechte vorherrscht?
Die Chance auf einen grundlegenden Politikwechsel mag eher im Vertrag von Lissabon liegen, der die europäische Grundrechtecharta für die EU als bindend vorschreibt. Diese kann nun auch vor Gerichten, etwa dem Europäischen Gerichtshof, durchgesetzt werden. Damit besteht erstmals die Hoffnung, dass die proklamierte Grundrechteorientierung der EU zu einer neuen Geltung kommt, und auf diesem Wege auch die Rechte der Flüchtlinge in der EU aufgewertet werden. Das Beispiel Deutschland zeigt jedoch, wie hartnäckig sich Politiken gegen Flüchtlinge in Gesetzen halten. Das Bundesverfassungsgericht hat 1996 den so genannten Asylkompromiss für verfassungskonform erklärt und damit insbesondere das Asylbewerberleistungsgesetz und das Ausschlussinstrument Duldung neu legitimiert. Sie definieren den sozialen wie auch juristischen Ausschluss all jener Flüchtlinge in Deutschland, denen eine Asylanerkennung verwehrt wird.
Flüchtlinge in Deutschland
Schon seit Ende der 1990er Jahre wehren sich Flüchtlinge in Deutschland gegen Lagerunterbringung und Mangelversorgung durch nicht adäquate Essenspakete, Essensgutscheine und verminderte Sozialhilfesätze sowie reduzierte Gesundheitsversorgung. Dabei kommt dem Lager als halboffener, dezentraler Struktur der Flüchtlingsunterbringung in etlichen Bundesländern ein besonders negativer Stellenwert zu. In den Gesetzen und Durchführungsverordnungen mag die Unterbringung in so genannten Sammelunterkünften zwar eher harmlos klingen, de facto bedeutet die Lagerunterbringung aber einen ganz konkreten Ausschluss aus der Gesellschaft sowie eine Einschränkung des persönlichen Handlungsspektrums im alltäglichen Leben.
Flüchtlinge haben sich immer wieder gegen die mit der Lagerunterbringung verbundenen Gängelungen und Drangsalierungen gewehrt. Nachdem die Bundesregierung erklärt hat, dass das Asylbewerberleistungsgesetz, welches zahlreiche Schikanen gegenüber Flüchtlingen ermöglicht, wohl grundgesetzwidrig ist, gibt es mit der Abolish-Kampagne nun eine Bündelung der vielen individuellen, lokalen und regionalen Widerstandshandlungen.