„Dass wir uns offen als Roma bekennen können"

Vojta Gina ist als Roma-Aktivist breit im Netz unterwegs. Er hat mehrere Facebook-Gruppen und YouTube-Kanäle gegründet, betreut verschiedene Gruppen und streut in diversen Internet-Communities Informationen zu Roma und Sinti (zum Beispiel der YouTube-Kanal Tele Romani)

 

Isidora Randjelovic

Ich habe dich ja als Facebook-Aktivist oder unseren internationalen Korrespondenten bezeichnet. Siehst du das auch so? Wie würdest du dich bezeichnen?

Vojta Gi

-- Gute Frage ... Ich selbst habe mich bis jetzt nie als richtigen Aktivisten oder "Korrespondenten" gesehen oder bezeichnet. Aber wenn mich andere so sehen, dann akzeptiere ich das gerne J. Ich selbst sehe mich eher als ganz normalen Durchnitts-Rom, der Roma und Nichtroma gleichermaßen informieren, aufklären und auch eventuell ein paar Grundsteine für zukünftige Projekte usw. legen möchte. Da ich mich aber online nicht nur auf Facebook beschränke, könnte ich mich eigentlich als Online-Roma-Aktivist bezeichnen?! Naja, ich denke da nicht so darüber nach, ehrlich gesagt J.

Isidora Randjelovic

Wie würdest du deinen Aktivismus bei Facebook beschreiben? Was machst du alles?

Vojta Gi

-- Bei Facebook speziell suche ich nach Artikeln, Diskussionen oder Sonstigem, wo es um Roma geht. Verschiedene FB-Roma-Gruppen und FB-Freunde sind mir eine große Hilfe dabei. Diese Artikel etc. poste ich in Gruppen, die sich darauf spezialisiert haben, wie zum Beispiel die "Medienbeobachtung Antiziganismus gegenüber Sinti u. Roma", wo ich neben Marko D. Knudsen, dem Vorsitzenden des Europäischen Zentrums für Antiziganismusforschung, auch Administrator bin. Falls sich bestimmte Artikel usw. als rassistisch herausstellen, versuchen wir die Autoren zu kontaktieren und beschweren uns. Hinzu kommt dann noch eine Beschwerde beim Medienrat. Rassistische Posts, Gruppen und Seiten, die bei Facebook direkt gepostet wurden, melden wir als Verstoß gegenüber den Facebook-Richtlinien. Auch bei öffentlichen Diskussionen über Roma sind wir sofort zur Stelle und versuchen, mit den richtigen Argumenten die Leute aufzuklären oder die Gesamtdiskussion zu "gewinnen", falls diese rechtslastig war.

Nach einiger Zeit fiel mir aber auf, dass es neben der ganzen Negativpresse zu wenig positive Nachrichten über Roma gab oder zu wenig Notiz davon genommen wurde. Auch fehlten uns die konkreten Quellen, dass Roma vielseitig sind und eben auch, wie alle anderen, in allen Lebensbereichen erfolgreich wurden und es immer noch sind. Deshalb habe ich die Facebook-Seite "Positive Romani Stories" gegründet, um alle Erfolge und positiven Ereignisse zu sammeln und festzuhalten. Sowas ist eine sehr große Argumentationshilfe, besonders wenn es bei Diskussionen über Roma viele "Zweifler" gibt. "Zweifler" nenne ich Leute, die einem nicht glauben wollen, dass es Roma gibt, die es zu etwas bringen.

Bei Facebook und allgemein im Netz gibt es schon ein paar professionelle Roma-Zeitungen, die ihre Artikel online publizieren, aber leider keine deutschsprachige. Deswegen gründete ich über FB am 26.07.2013 eine Online-Nachrichtenplattform namens "Romanistan News", wo neben den Administratoren jeder FB-User das Neueste über Roma auf die Pinnwand posten kann.

Und damit diese Nachrichten viele erreichen, habe ich zusätzlich einige Facebook-Gruppen gegründet. Ein "Romano Centro" für Roma in Deutschland und dann nochmal welche für Roma aus verschiedenen Ländern, nur mit jeweils den Landesnamen hintendran, wie zum Beispiel "Romano Centro USA". Neben den Nachrichtenposts verspreche ich mir aus diesen Gruppen, dass aus dieser virtuellen Gruppe eines Tages ein reales Zentrum wird und/oder es den Grundstein für zukünftige Projekte oder sinnvolle Organisationen etc. legt, da sich ja viele Roma in solchen Gruppen zusammenfinden und miteinander diskutieren und manche auch Ideen für die Zukunft schmieden.

Dann habe ich auch noch drei YouTube-Kanäle, nämlich "Romanistan News", "Romanistan Television" und "Tele Romani". Die ersten zwei sind aber noch ganz frisch. Bei Tele Romani stelle ich regelmäßig die neuesten Dokumentationen, Filme, Serien u. Reportagen über Roma ein.

Zusätzlich versuche ich auch noch, verschiedene Roma-Aktivisten aus aller Welt miteinander zu vernetzen.

Isidora Randjelovic

Wie viele Kontakte hast du ungefähr? Sind aus deinem Aktivismus auch Freundschaften entstanden?

Vojta Gi

-- Viele J, also bei FB sind es bis jetzt über 1600 "Freunde", wovon mehr als die Hälfte Roma sind. Und von diesen Roma sind die meisten Roma-Aktivisten. Da ich manche schon über mehrere Jahre "kenne", sind natürlich auch private Freundschaften entstanden.

Isidora Randjelovic

In welcher Zeit? Seit wann machst du diese Infokampagne?

Vojta Gi

-- Ich interessiere mich seit 2007 sehr intensiv für die Roma-Geschichte und ihre aktuelle Situation. Ab 2008 habe ich angefangen, so viele Menschen wie möglich über die Situation der Roma aufzuklären. Bei FB bin ich mit dieser Thematik seit ca. 2009 und sehr intensiv seit 2011 unterwegs.

Isidora Randjelovic

Wie viel Zeit verbringst du im Netz?

Vojta Gi

--Am Anfang war es schwierig, weil ich kein Internet hatte. Ich bin bei jeder Gelegenheit immer zu meinen netten Nachbarn gerannt und bin dort immer kurz und effektiv online gewesen. Selber habe ich erst seit zwei Jahren Internet. Seitdem bin ich, auch mit meinem Smartphone, mehrmals am Tag online und suche meine Facebook-Neuigkeiten nach Roma-Themen ab. Das kann schon etwas länger dauern, bis man alles durch hat, bei so vielen FB-Freunden. Dazu kommen noch die privaten Freunde im Netz, für die man auch etwas Zeit aufbringen muss. Da kommen insgesamt schon ein paar Stündchen zusammen J.

Isidora Randjelovic

Was ist die Motivation für deine Arbeit? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Vojta Gi

--Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich gemerkt habe, dass bei negativen Diskussionen über Roma sich kaum jemand für die Roma einsetzt. Weder Roma selbst noch Migranten, Linke oder sonst jemand. Daraufhin habe ich angefangen, mich bei jeder Diskussion über Roma-Thematiken einzumischen. Mal als bekennender Rom, mal ohne irgendein Bekenntnis zu meiner Herkunft. Und mir fiel irgendwann auf, dass die meisten, die gegen Roma argumentieren wollen, einfach überhaupt nichts über Roma wussten oder sie nicht mal welche in der Realität gesehen haben. Alles, was sie angeblich wüssten, haben sie von Erzählungen von Dritten, einschlägigen Internetforen, bestimmten Zeitungen oder gewissen privaten Fernsehsendern. Da aber auch noch viele Roma nicht ihre eigene Geschichte usw. kennen und auch nicht die politische Situation der verschiedenen Länder, können sie sich meiner Meinung nach nicht richtig gegen bestimmte Argumente wehren. Deshalb habe ich mir vorgenommen, Nichtroma und auch Roma über die Geschichte und die aktuelle Situation der Roma aus aller Welt aufzuklären.

Isidora Randjelovic

Bekommst du Anerkennung für deine Arbeit? Von wem?

Vojta Gi

-- Bis auf eine Handvoll Danksagungen und Anerkennung von ein paar Aktivisten, Privatleuten und politischen Gegnern habe ich persönlich noch eher wenig Anerkennung bekommen. Wenn ich die bekomme, dann meist von einer politischen oder aktivistischen Seite. Leider gibt es auch noch so viele, die das alles, was ich oder die anderen machen, überhaupt nicht schätzen oder verstehen, mir sogar den Vogel zeigen, weil ich mich für Roma einsetze. Da sind leider auch nicht wenige Roma darunter. Naja, was soll man machen. Ich hoffe, sie werden es eines Tages verstehen.

Isidora Randjelovic

Hast du auch Stress bekommen?

Vojta Gi

-- Bis jetzt noch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich bei Diskussionen meist sachlich bleibe und niemanden persönlich angreife. Ich gebe aber auch sehr wenig persönliche Informationen über mich preis.

Isidora Randjelovic

Ich finde das schön, dass du dich auch in andere Debatten einbringst, also breiter antirassistisch agierst. Spontan fällt mir die Debatte um das N-Wort ein, da hast du auch sehr viel mitdiskutiert … Erlebst du auch diese Solidarität auf Roma bezogen? Debatten und Seiten, die antirassistischen Aktivismus miteinander verbinden?

Vojta Gi

-- Eher wenig. Die wenigen aber sind bis heute solidarisch an unserer Seite. Ich denk mal, es hat einfach damit zu tun, dass immer noch zu wenige über Roma Bescheid wissen, egal aus welchem politischen Lager sie kommen oder ob sie ebenfalls einer diskriminierten Minderheit angehören.

Isidora Randjelovic

Hast du den Eindruck, dass deine Arbeit erfolgreich ist?

Vojta Gi

-- Ich denke schon, auch wenn es eine Sisyphusarbeit ist. Man muss eben Kopf für Kopf überzeugen. Glücklicherweise erreichen die aufklärenden Dokumentarfilme über Roma bei Tele Romani sehr viele Zuschauer gleichzeitig. Das nimmt mir schon etwas Arbeit ab. Gäbe es genug Mitstreiter, wären die Aufklärungskampagnen natürlich noch erfolgreicher. Aber leider haben nur wenige die nötige Geduld dazu. Geduld ist sehr wichtig, wenn man sowas machen will.

Isidora Randjelovic

 Wie ist deine Einschätzung der Situation hinsichtlich der medialen Darstellungspraxis von Roma?

Vojta Gi

-- Mein Eindruck ist, dass, bis auf die Talkshows, die öffentlich-rechtlichen ziemlich neutral über Roma berichten. Die privaten Sender aber haben uns seit ca. zwei Jahren auf dem Kieker, obwohl auch sie vorher öfters neutrale Beiträge über Roma gesendet haben. Negative Berichterstattungen bringen wohl mehr Zuschauerzahlen oder Leser hervor, als neutrale oder positive Beiträge und Artikel. Solange man mit der Roma-Thematik große Emotionen herausrufen und besonders Kasse machen kann, wird sich wohl nichts so schnell ändern, leider.

Isidora Randjelovic

Verfolgst du bestimmte Ziele mit deiner Arbeit?

Vojta Gi

--So viele Menschen wie möglich dazu zu bewegen, ihre altbekannten Vorurteile abzulegen und zum selbstständigen Denken zu motivieren. Die andere Seite zu hören, fördert meiner Meinung nach, das objektive Bild. Natürlich wäre es von Vorteil, wenn Nichtroma mit möglichst vielen Roma zu tun haben, denn erst dann können sie sich auch erlauben, über das realistische Bild der Roma zu sprechen. Aber jeder, der sich auskennt, weiß, dass es sowieso kaum möglich ist, weil die Roma kein homogenes Volk sind.

Isidora Randjelovic

Was sind deine Visionen für die Zukunft?

Vojta Gi

--Dass wir uns offen als Roma bekennen können, ohne daraufhin diskriminiert zu werden. Wir zu gleichberechtigten Bürger des Landes werden, wo wir jeweils leben. Ich hoffe außerdem, dass in Zukunft unsere politische Lobby wächst, und wir so unsere grundlegenden Ziele auch selbst erreichen und sichern können. Schön wäre es, wenn jeder Rom und jede Romni auf der Welt, egal welchen Alters, einen Schulabschluss und eine Ausbildung hätte. Ich würde mir auch mindestens eine einzige selbstgegründete Stadt mit dem Namen "Romani" wünschen, das unser persönliches "Romanistan" werden kann. Ob es jemals realisiert wird, weiß ich nicht, aber träumen darf man ja J.