In der Debatte um die akute Wohnungsnot und steigenden Mieten in deutschen Großstädten ringen Politik, Zivilgesellschaft und Wohnungswirtschaft um wirksame Antworten auf komplexe Herausforderungen. Während die Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum steigt, werden oft zentrale Fragen außer Acht gelassen: Wer hat es bei der Wohnungssuche besonders schwer? Und inwiefern werden gesellschaftlich immanente Diskriminierungen gerade auf angespannten Wohnungsmärkten reproduziert?
Eine bezahlbare Wohnung in einer deutschen Großstadt zu finden, kommt einem Lottogewinn gleich. Eine durchschnittliche Leerstandsquote von unter 3 Prozent bestimmt den deutschen Wohnungsmarkt. Für die vielen Wohnungssuchenden bedeutet das: Die Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum ist hoch. Am härtesten trifft dies Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen sowie diejenigen, die von rassistischer Diskriminierung, aber auch weiteren Diskriminierungsformen, betroffen sind.
Testing-Studien zeigen, dass die zugeschriebene ethnische Herkunft und Religionszugehörigkeit bei Wohnungsanbieter/innen oft der entscheidende Faktor für eine Absage sind - und das trotz des Diskriminierungsverbotes im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Während Wohnungsunternehmen und Vermieter/innen von der großen Nachfrage profitieren, verschärft der wachsende Druck auf den Wohnungsmarkt zunehmend die Konkurrenz zwischen verschiedenen von Diskriminierung betroffenen Gruppen. Gleichzeitig erschwert dieser Druck den Nachweis und die Verfolgung von Diskriminierung.
Vor dem Hintergrund dieser komplexen gesellschaftspolitischen Problematik beleuchtet das vorliegende Dossier die Schnittstellen zwischen den Bedarfen einer fairen Stadtentwicklung und antidiskriminierungspolitischen Forderungen und geht der Frage nach:
Wie muss Wohnpolitik gestaltet werden, um einen möglichst diskriminierungsfreien Zugang zum Wohnungsmarkt zugunsten eines gleichberechtigten Zusammenlebens in der Stadt zu ermöglichen?
Akteur/innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Politik und Stadtplanung beantworten diese Frage unterschiedlich - nichtsdestotrotz zeigen die Beiträge des Dossiers auch zahlreiche Konvergenzen auf, die Hoffnung und Impulse für gemeinsame Lösungsstrategien geben. Good-Practice-Beispiele aus verschiedenen europäischen Städten, in denen Stadt- und Wohnraum zu einem Ort vielfältiger Begegnung auf Augenhöhe wird, runden das Dossier ab.
Das Dossier will dazu beitragen, der oftmals verdeckten rassistischen Diskriminierung im Diskurs um einen angespannten Wohnungsmarkt eine stärkere Sichtbarkeit zu verleihen und die Prekarisierung einer häufig mehrfachdiskriminierten Personengruppe in Bezug auf einen zentralen Lebensbereich klar zu benennen. Um somit letztlich die gemachten Lösungsvorschläge und Impulse in politische Energie zu überführen.
Inhaltlicher Überblick
In einer ersten Bestandsaufnahme wird das strukturelle Phänomen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt erklärt und, mit besonderem Augenmerk auf Berlin, in bereits erprobte Handlungsansätze gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eingeführt.
Mit Blick auf die deutsche Hauptstadt erläutert die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung ihre Strategie für eine nachhaltige Antidiskriminierungspolitik. So hat die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung die bundesweit erste handlungsfeldbezogene Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eingerichtet - die „Fair mieten – Fair wohnen. Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“.
Sebastian Walter, Sprecher für Antidiskriminierungs- und Queerpolitik von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, zieht erste Schlüsse aus dieser Strategie und skizziert weitere politische Handlungsbedarfe.
Eine Gruppe, die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt besonders stark als ihren Alltag erlebt, sind Personen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Rom/nja- oder Sinti/ze-Hintergrund. Amaro Foro e.V., ein interkultureller Jugendverband von Roma und Nicht-Roma, berichtet von der Vielschichtigkeit antiziganistischer Diskriminierungserfahrungen sowie Erkenntnissen aus ihrer Beratungspraxis und gibt Anstöße für antidiskriminierungspolitische Gegenstrategien.
Internationale Praxiserfahrungen zeigen, wie andere europäische und nordamerikanische Länder mit der diskriminierungsfördernden Anspannung ihrer Wohnungsmärkte umgehen.
Jana Jakob, Projektkoordinatorin bei der ”Swedish Government Agency for Faith Communities”, und Remzi Uyguner, von der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, diskutieren über Lernerfahrungen aus Schweden, die Vorbild für Deutschland im Kampf gegen Rassismus auf dem Wohnungsmarkt sein können.
André Naddeo stellt seine Wohnprojekte für und mit Geflüchteten in Athen und Rom vor. Er berichtet davon, wie struktureller Rassismus Hindernisse bei der Wohnungssuche befördert, welche gleichzeitig durch eine kaum durchdringbare Intransparenz bei der Wohnungsvergabe geprägt ist.
Besonders zukunftsweisend werden in dem Dossier Visionen für eine faire Wohnpolitik und teilhabepolitische Stadtentwicklung erörtert.
Ausgangspunkt war hierbei eine gemeinsame, internationale Fachtagung der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und der Heinrich-Böll-Stiftung im Dezember 2018. Expert/innen diskutierten über die rechtlichen Rahmenbedingungen einer diskriminierungssensiblen Wohnungsvergabepolitik und beleuchteten internationale Good-Practice-Beispiele fairen Vermietens. Der Fachdialog kann im Livestream nachverfolgt werden.
In einem böll.fokus-Podcast wurden verschiedene Akteur/innen des Fachdialogs näher dazu befragt, wie diese guten Praxisbeispiele im deutschen Kontext umgesetzt werden können - etwa durch die Entwicklung eines Leitbildes “Berlin vermietet fair”.
Um eine Kultur fairen Vermietens unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes überhaupt zu ermöglichen, müssen auf der politischen Ebene jedoch auch akute Herausforderungen wie steigende Miet- und Baupreise angegangen werden. Im Gespräch mit Chris Kühn MdB und Daniela Wagner MdB erörtert Sabine Drewes, was Kommunen und der Bund gegen die explodierenden Mieten tun können.
Wie Stadtraum gemeinnützig und inklusiv gestaltet werden kann, zeigt abschließend das Vollgut-Gelände in Berlin-Neukölln: Die ehemalige Industriebrache bietet Raum für vielfältige Begegnungen und zeigt beispielhaft, wie die Grundlage für eine Stadt, die allen gehört, gelegt werden kann.
Wir wünschen eine spannende Lektüre!
Das Dossier wurde von Clara Hofmann kuratiert mit der fachlichen Begleitung der Berliner Fachstelle "Fair mieten - Fair wohnen" sowie der redaktionellen Unterstützung von Ngoc Bich Tran.